Rede von
Wendelin
Morgenthaler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als im März dieses Jahres im Bundestag das Gesetz über die Umsiedlung für das Jahr 1951 besprochen wurde, da haben nur Abgeordnete aus den Abgabeländern gesprochen, Abgeordnete aus den Übernahmeländern haben sich still verhalten, — ein Zeugnis dafür, daß sie bereit waren und bereit sind, sich an der Durchführung der Umsiedlung zu beteiligen. Sie haben damit den guten Willen bekundet, das Menschenmögliche zu tun. Wenn wir nun, wie das jetzt eben der Fall war, Rückschau halten auf das, was inzwischen geschehen ist, so sehen wir allerdings ein betrübliches Ergebnis. Wir müssen aber ehrlich genug sein, auch die Gründe anzuerkennen, die für das Versagen all derjenigen Länder, die in diesem Jahr die 300 000 Flüchtlinge hätten aufnehmen sollen, vorliegen.
Von meinem Vorredner ist vorhin von „selbstsüchtigen Ländern" gesprochen worden. Ich glaube, wer die Verhältnisse kennt, kann diesen Ausdruck nicht gutheißen. Wir dürfen nicht nur berücksichtigen, wie es in den Ländern, die mit Flüchtlingen allzusehr belastet sind, aussieht; wir müssen auch die Verhältnisse in den Ländern sehen, die die Flüchtlinge übernehmen wollen und auch übernehmen, sobald die Möglichkeit besteht. Und da ist es notwendig, einmal einen Blick in die einzelnen Länder zu tun. Die Verhältnisse sind bei fast allen Übernahmeländern die gleichen. Es sind reiche und reichste Länder dabei, es sind große und kleine Länder dabei, und die Verhältnisse, die dort vorliegen, lassen sich zum Teil auf einen Nenner bringen.
Wenn ich jetzt, nachdem mein Fraktionskollege Herr Edert bereits vom Musterländle Baden gesprochen hat, auf dieses Land besonders eingehe, dann darf ich auch auf etwas hinweisen, was in Baden eben anders ist als in anderen Ländern und was immer zu wenig berücksichtigt wird. Wir haben in Baden Besatzungslasten — über die ich von dieser Stelle aus schon mehrfach zu sprechen hatte —, die über das Maß dessen hinausgehen, was im Bundesdurchschnitt festzustellen ist. Im ganzen Bundesgebiet sind laut Angaben des Statistischen Bundesamtes rund 75 000 Wohnungen beschlagnahmt, davon allein in Baden über 8000, das sind also 11 % der im ganzen Bundesgebiet beschlagnahmten Wohnungen. Wenn ich das umrechne und sage: auf tausend Wohnungen kommen im Bundesgebiet acht beschlagnahmte Wohnungen, so sehe ich, daß beispielsweise in Schleswig-Holstein auf tausend Wohnungen drei beschlagnahmte Wohnungen, in Niedersachsen fünf beschlagnahmte Wohnungen und in Bayern acht beschlagnahmte Wohnungen kommen, d. h. also, daß diese Zahlen der des Bundesdurchschnitts entsprechen bzw. wesentlich unter ihr liegen. Bei uns in Baden kommen aber auf tausend Wohnungen siebenundzwanzig beschlagnahmte Wohnungen.
Ich bitte, auch das einmal beachten zu wollen; dann wird Ihr Urteil über das Musterländle vielleicht etwas milder werden.
Hinsichtlich der Länder, die die Leute übernehmen sollen, ist auch noch etwas anderes zu berücksichtigen. Ich betone nochmals: sie haben den Willen bekundet, die Menschen, die ein so schweres Schicksal zu tragen haben, unter allen Umständen aufzunehmen. Aber es ist nicht zu verkennen, daß in diese Länder von überall her schon weit über
die Zahl der zugewiesenen Flüchtlinge hinaus. Zugewanderte gekommen sind. Einmal sind das z. B. bei uns die zurückgebliebenen Kriegsgefangenen, die nicht mehr in ihre Heimat zurückgekehrt sind, zum andern sind es Leute, die aus der Ostzone flüchten oder die aus der Tschechoslowakei oder sonstwoher ausgesiedelt worden sind. Es sind Leute, die, der Freizügigkeit, dem Niederlassungsrecht folgend, aus diesen Ländern zu uns herunterkommen. Es sind bei uns auch noch soundso viele Evakuierte, die gern heimkehren würden, wenn sie die Möglichkeit dazu hätten. Das sind lauter Momente, die man berücksichtigen muß, wenn man ein Urteil über den guten oder den schlechten Willen, den diese Länder bekunden oder nicht bekunden, fällen will.
Lassen Sie mich noch etwas anderes erwähnen. Im allgemeinen Wohnungsbauprogramm sind 35 Millionen DM ausgeworfen worden, um Wohnungen für Besatzungsverdrängte zu schaffen. Von diesen 35 Millionen DM hat Baden, obwohl wir 11 % der gesamten Besatzungsverdrängten in unserem Lande haben, nur 2,7% der Gesamtsumme, nämlich 950 000 DM bekommen, während beispielsweise Niedersachsen und Hamburg zusammen 6 Millionen DM und Nordrhein-Westfalen 9 Millionen DM bekommen haben. Ich möchte bitten, auch diese Dinge einmal zu berücksichtigen.
Der Herr Bundesminister hat vorhin in außerordentlich fürsorglicher und väterlicher Art das ganze Problem aufgeworfen. Er hat — und das hat mich gefreut — zugegeben, daß die Länder nicht schlechten Willens seien, daß aber Voraussetzungen zu erfüllen seien, um diese Flüchtlinge aufzunehmen. Und das einzige, was wir im allgemeinen dazu tun können, ist doch, Wohnungen zu bauen. Etwas anderes ist gar nicht zu machen. Kommen Sie doch einmal zu uns herunter und schauen Sie sich die Altwohnungen an! Die sind ebenfalls überbesetzt. Wenn ich an meine eigene Gemeinde denke: wir sind schwer fliegergeschädigt, wir haben eine sehr starke Besatzung, und wir haben Leute, die genau so unter den Hohlziegeln wohnen, wie es andernorts der Fall ist. Auch diese Dinge müssen unter allen Umständen berücksichtigt werden.
Wir müssen also bauen, weil Altwohnraum nicht mehr zu haben ist, es sei denn in den entlegensten Gebieten des Schwarzwaldes, wo aber — und auch das muß gesagt sein — unsere Flüchtlinge gar nicht hinwollen. Sie wollen und ziehen doch dahin, wo Verkehr ist, wo etwas los ist, wo sie schließlich Arbeit und Brot finden können. Das ist durchaus begreiflich und verständlich. Aber hier muß der Bund mithelfen. Was wir bisher bekommen haben, reicht nicht aus. Es reicht deswegen nicht aus, weil erstens einmal die ersten Hypotheken gefehlt haben und weil letzten Endes die Restfinanzierung auf Grund der Teuerung nicht hat durchgeführt werden können. Man muß diese Dinge sehen, wie sie sind. Wir haben außerdem in Baden noch etwa 3000 Flüchtlinge, die in Lagern sind und untergebracht werden müssen und auch untergebracht werden, wenn der Bund die Möglichkeit dazu gibt.
Ich möchte also hier zwei Bitten an die Bundesregierung richten, erstens einmal, daß wir bei einer Verteilung solcher Gelder nicht wieder zu kurz kommen und uns nachher mit dem schönen Wort „Musterländle" abspeisen lassen müssen, und zweitens, daß wir so viel Geld bekommen, daß wir auch wirklich bauen können. Wenn das der Fall ist, dann wird es unter allen Umständen geschehen.
Der Herr Minister hat erfreulicherweise darauf hingewiesen, daß es nicht damit getan ist, die Leute einfach aus den Lagern wegzunehmen und sie irgendwo anders unterzubringen. Wir haben diese Verhältnisse schon kennengelernt. Es sind z. B. Leute aus dem Norden, die dort in Arbeit standen, zu uns heruntergeholt worden, und bei uns haben sie keine Arbeit gefunden. So kann es unter keinen Umständen weitergehen. Es ist auch sinnlos, die Leute aus schlechten Verhältnissen herauszunehmen und sie in ebenso schlechte oder in noch schlechtere unterzubringen. Die notwendigen Vorbereitungen müssen geschaffen werden, damit die Leute auch gut untergebracht werden können.
Es ist nun vorhin von Radikalismus gesprochen worden, was ich bedaure. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen es nicht dahin kommen lassen, daß der Radikalismus auf der einen Seite dem Radikalismus auf der anderen Seite begegnet. Es muß so sein, daß wir in gemeinsamer und vertrauensvoller Arbeit das leisten, was erforderlich ist, um den Flüchtlingen eine menschenwürdige Wohnung und auch eine Arbeitsmöglichkeit zu schaffen. Wenn das geschieht, dann werden sie auch zufrieden sein.
Die Frage, ob wir das Problem im ganzen lösen können, ist an dieser Stelle schon mehrfach behandelt worden. Es ist gesagt worden, das sei nicht möglich. Aber das, was möglich ist, werden wir tun und auch tun müssen. Ich sehe auch nicht ein, daß wir besondere Organe in die einzelnen Länder hereinbekommen sollen; das können unsere Länderregierungen ganz allein tun, und sie werden es tun. Sie haben so viel sittliches Verantwortungsbewußtsein, daß sie sich nichts vorwerfen lassen. Nur im Geiste gegenseitiger Verständigung, im Geiste christlicher Auffassung, im Geiste brüderlicher Liebe wird es möglich sein, dieses Problem, soweit es an uns liegt, zu lösen.