Rede von
Frieda
Nadig
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die sozialdemokratische Fraktion halt die gesetzliche Regelung der Unterbringung von geisteskranken Personen für vordringlich. In vielen Bundesländern werden zur Zeit die Geisteskranken durch eine polizeiliche Verfügung in die Anstalt eingewiesen. Diese polizeiliche Verfügung fußt auf einer alten Polizeiverordnung. Das ist ein unerträglicher Zustand. Wir sind der Auffassung, daß die Polizei aus diesem Verfahren ausgeschaltet werden soll. Die Unterbringung der Geisteskranken ist Sache der Gesundheitsbehörden und nicht der Polizei. In den wenigen Fällen, in denen Schwierigkeiten entstehen, kann sie im Wege der Amtshilfe hinzugezogen werden. Grundsätzlich aber soll von der Mitwirkung der Polizei abgesehen werden.
Nach Mitteilung von Fachleuten gelten 95 0/o der Geisteskranken in Anstalten als nicht gemeingefährlich. Diese Feststellung ist ein guter Beweis dafür, daß die Mitwirkung der Polizei nicht notwendig ist.
Wird heute ein Kranker in die Heil- und Pflegeanstalt eingewiesen, so erfolgt diese Einweisung unbegrenzt, d. h. sein Aufenthalt dort kann Monate, Jahre, ja Jahrzehnte dauern. Wir glauben, daß man auch hier gewisse Sicherungen einbauen muß, Sicherungen, die eine regelmäßige Überprüfung der weiteren Notwendigkeit des Anstaltsaufenthaltes ermöglichen. Wir sind der Auffassung, daß die Frist im allgemeinen nicht mehr als sechs Monate betragen soll und in schweren Fällen von Geisteskrankheiten nicht über zwei Jahre hinausgehen darf.
Unseres Erachtens soll nicht nur der Anstaltsarzt über den Anstaltsaufenthalt eines Kranken entscheiden, sondern ein kleines Gremium, das sich aus einem Richter, einem besonders erfahrenen Arzt, einem Sozialarbeiter und einer anderen Persönlichkeit des öffentlichen Vertrauens zusammensetzt. Im Ausland hat man mit dieser Methode außerordentlich gute Erfahrungen gemacht. Die gesetzliche Neuregelung muß klar zum Ausdruck bringen, daß keinem Geisteskranken widerrechtlich die Freiheit entzogen werden kann. Nur so können wir das erschütterte Vertrauen in der Öffentlichkeit wiederherstellen.
Uns scheint aber auch ein weiterer Schritt zur Reform der Nerven-Heil- und Pflegeanstalten notwendig. Wir fordern eine bessere und umfassende Ausbildung des Pflegepersonals. Ich weise in diesem Zusammenhang auf die guten Erfahrungen hin, die vor 1933 in der Anstalt Arnsdorf in Sachsen dadurch erzielt wurden, daß man vom Pflegepersonal eine volle Schwesternausbildung und eine zusätzliche Schulung auf dem Gebiet der psychischen Krankheiten verlangte. Uns scheint es notwendig, den Erlaß entsprechender Bestimmungen zu einer Generalforderung zu machen.
Darüber hinaus ist eine Reformierung der Nerven-Heil- und Pflegeanstalten und ihre Anpassung an die moderne medizinische Wissenschaft dringend erforderlich. Die furchtbaren Dinge, die während des Dritten Reiches den Kranken in Nervenheilanstalten zugefügt wurden, haben sich unseres Erachtens mit aus der Recht- und der Wehrlosigkeit dieser Menschen ergeben. Für uns ist das eine Verpflichtung mehr, möglichst schnell die gesetzliche Regelung dieses Fragenkomplexes zu erreichen.