Rede von
Dr.
Hugo
Decker
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Während des Krieges und besonders um das Kriegsende ist der europäische Kunstbesitz lawinenartig in Bewegung geraten, und nach Deutschland sind Kunstwerke in
einem Umfang zusammengetragen worden, wie es höchstens einmal bei der Gründung des Musée Napoléon geschehen ist. Hitler und seine Trabanten mit ihrer kunsträuberischen Sammelwut,
die rechtmäßigen privaten und staatlichen Erwerbungen, der Griff nach Beute und vor allem das Bedürfnis nach pflegerischer Sicherstellung der europäischen Kunstwerke haben Gemälde, Plastiken, Graphik, Kunstgewerbe und Möbel — Wertvolles und Minderes — nach Deutschland gebracht. Damals waren wie die Menschen auch die Zeugnisse der europäischen Kultur heimatlos geworden.
Dieses Kunstgut und der unermeßliche Bestand an privatem und staatlichem deutschen Altbesitz wurde in den Bergungsstätten — in Schlössern, in Klöstern und Bergwerken — untergebracht und aufgestapelt. Es muß nun dankbar anerkannt werden, welch hohes Verdienst sich die Alliierten — die Amerikaner, die Briten und die Franzosen — bei der Bergung dieses Kulturgutes erworben haben. Sie haben es aufgesucht, in den Collecting Points zusammengetragen, erhalten und gepflegt. Die Collecting Points waren auch die Verteilungsstellen. Die Kunstwerke wurden dort fachmännisch bestimmt und katalogisiert. Die Eigentümer wurden dort ermittelt, und von dort wurden die Kunstwerke auch an die Eigentümer zurückgegeben. Diese Aktion ist nun abgeschlossen. Das ist die rechte Zeit, die Bilanz zu ziehen. Wenn wir hier eine Bilanz verlangen, tun wir das nicht mit irgendeiner Spitze gegen irgendeinen der Partner, sondern wir wollen einfach Klarheit geschaffen haben.
Für die Ablegung einer Rechenschaft über die Maßnahmen der Collecting Points spricht, daß es sich dabei j a nicht um eine eindeutige Maßnahme eines Siegers gehandelt hat, sondern die Alliierten haben sich immer als Treuhänder gefühlt und auch dementsprechend gehandelt. Deutschland hat ein Recht auf eine öffentliche Entlastung in dieser Sache. Das heißt, es muß festgestellt werden: Was war an Kunstgut in Deutschland vorhanden und wo ist es nun hingekommen? Auch die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, etwas über das Schicksal der Kunstwerke zu erfahren. Obwohl wir bestes Wissen und Gewissen unterstellen, war es vielleicht möglich, daß sich da und dort bei der Rückgabe Unklarheiten ausgewirkt haben, die heute eine Revision erfordern.
Der heutige Zustand gibt auch Anlaß zu Gerüchten, zu Unterstellungen, zu Flüsterpropaganda, die nicht gerade schön sind. Im Interesse beider Parteien liegt es, daß dies unterbunden wird und daß auch in Zukunft ähnliche Zwischenfälle vermieden werden, wie sie sich in München abgespielt haben, als plötzlich im dortigen Collecting Point Kisten um Kisten mit wertvollsten Kunstwerken zum Abtransport nach Österreich bereit standen.
Das alles kann verhindert werden, und es ist leicht, es zu verhindern, wenn nun eine Liste veröffentlicht wird, aus der hervorgeht, was an Kunstwerken von den Alliierten sichergestellt worden und in den Collecting Points und anderswo zusammengetragen worden ist, wer diese Kunstwerke erhalten hat und wer die Rückerwerber bzw. die Erwerber sind. Vor allem muß auch aus der Liste hervorgehen, was übriggeblieben ist, welche Restbestände vorhanden sind und wie über diese Restbestände verfügt werden soll. Das wäre eine saubere Bilanz und gleichzeitig auch ein Schlußstrich unter eine sehr traurige Seite der deutschen Geschichte, — ein Schlußstrich wenigstens im Westen!
Wir halten unseren Antrag für ungeeignet zur Überweisung an einen Ausschuß und bitten deshalb das Hohe Haus, unmittelbar zuzustimmen.