Rede von
Dr.
Hermann
Etzel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beschränke mich auf die grundsätzliche Seite der vorliegenden Interpellation. Das Gesetzgebungsverfahren des Bundes gliedert sich — das ist allgemeines Staatsrecht — regel-
mäßig in drei Hauptabschnitte: erstens die Beschlußfassung durch die gesetzgebenden Körperschaften mit einfacher oder qualifizierter Mehrheit, wobei die Stellung und Befugnis des Bundesrats verschieden ist, je nachdem es sich um ein echtes Zustimmungsgesetz handelt oder nicht; zweitens die Ausfertigung durch den Bundespräsidenten unter Gegenzeichnung des Kanzlers oder Fachministers gemäß Art. 58 und 82 des Grundgesetzes, welche die Authentizität und Verfassungsmäßigkeit des Gesetzestextes und die Einhaltung der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzgebungsverfahrens nach Prüfung durch den Bundespräsidenten urkundlich bescheinigt; drittens den Gesetzesbefehl durch die Verkündung. Zu diesen Regularien kommt nach Art. 113 des Grundgesetzes — was eine staatsrechtliche Neuerung und eine starke Beschränkung der gesetzgebenden Faktoren darstellt — für ausgabenerhöhende Beschlüsse der gesetzgebenden Körperschaften die Zustimmung der Bundesregierung als viertes Erfordernis hinzu. Ohne sie werden solche Beschlüsse nicht wirksam und nicht staatsrechtlich existent.
Die Ausfertigung durch den Bundespräsidenten, die Gegenzeichnung des Kanzlers oder Fachministers, die erforderliche Anordnung der Verkündung durch den Bundespräsidenten sowie die Entscheidung und Erklärung der Bundesregierung nach Art. 113 sind nicht nur politische Verantwortlichkeiten, sondern grundgesetzliche Pflichten dieser Bundesorgane und Persönlichkeiten. Ihre Verletzung zieht die bekannten Folgen der Art. 61, 67 und 68 des Grundgesetzes nach sich. Auch die Verantwortung des Fachministers besteht, wie unzweifelhaft sein dürfte, unmittelbar gegenüber dem Bundestag, wennschon sie nur mit etwaigen politischen Folgen, nicht aber mit verfassungsrechtlich unmittelbaren Wirkungen geltend gemacht werden kann. Eine Verletzung der grundgesetzlichen Pflicht liegt nicht nur in der Ablehnung der Ausfertigung eines Gesetzes, der Verweigerung der Gegenzeichnung oder der Unterlassung der Anordnung der Verkündung, sondern auch in ihrer Verzögerung oder sogar Verschleppung.
Daß die gesetzgeberischen Beschlüsse des Bundestages, gleichviel welche Zeitpunkte für das Inkrafttreten eines Gesetzes vorgesehen sind — ob es mit dem Ablauf des Tages der Verkündung, am Tage nach der Verkündung, mit dem 14. Tage nach dem Ablauf des Tages, an dem das Bundesgesetzblatt ausgegeben wurde, wie in Art. 82 Abs. 2 vorgesehen ist, oder an einem im Gesetz angegebenen bestimmten Kalendertage in Kraft treten soll —, prompt gemeint sind, geht unzweifelhaft aus Art. 77 Abs. 1 des Grundgesetzes hervor, wonach die vom Bundestag angenommenen Gesetze durch den Präsidenten des Bundestages unverzüglich dem Bundesrat zuzuleiten sind. Es ist ganz offensichtlich der Wille des Grundgesetzes, daß das Inkrafttreten der Gesetze, wenn sie einmal von der Legislative verabschiedet sind, nicht etwa durch Bürokratismus, Gleichgültigkeit oder bestimmte Absichten in der Schwebe gehalten oder sonst verzögert werden darf. Die politische und die verfassungsrechtliche Verantwortung der beteiligten Bundesorgane entfällt auch nicht dadurch, daß Berufungen auf das Besatzungsstatut versucht werden oder erfolgen.
Der Klärung dieser Rechtslage dient wohl die vorliegende Interpellation. Wenn sie keinen weiterreichenden Zweck verfolgt, als daß aus dieser Klarstellung auch die notwendigen Konsequenzen für die Zukunft gezogen werden, dann war sie nützlich. Der Meinung, daß es notwendig oder zweckmäßig sei, etwa nach Vorgang der Weimarer Verfassung für die Verkündung oder die Anordnung der Verkündung von Gesetzen eine Frist zu setzen, vermag ich nicht beizupflichten. Ich glaube, daß es unzweckmäßig wäre und den Ausdruck eines nach meiner Auffassung nicht von vornherein gerechtfertigten Mißtrauens des Bundestages gegenüber den verfassungsmäßigen Organen bedeuten würde, die an der Verkündung und ihrer Herbeiführung beteiligt sind, wenn eine solche reglementierende Frist eingeführt würde. Ich glaube, daß es dem guten Einvernehmen zwischen dem Parlament, dem Bundespräsidenten, den verfassungsmäßigen Organen der Bundesregierung dienen kann, wenn die Festsetzung einer solchen Frist im Grundgesetz selbst unterbleibt.