Rede von
Dr.
Thomas
Dehler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist die selbstverständliche Pflicht der Bundesregierung, jedes ordnungsgemäß zustandegekommene Gesetz sofort dem Herrn Bundespräsidenten zur Ausfertigung und zur Verkündung vorzulegen. Es trifft nicht zu, daß die Bundesregierung jemals dieser Pflicht aus politischer Unlust oder mit dem Ziel der Manipulation nicht entsprochen habe. Die Zahl von 23 Gesetzen, die bis zum 12. Oktober zwar beschlossen, aber nicht verkündet worden sind, besagt natürlich nichts. Man müßte aufgliedern und fragen, wie der Prozeß des Gesetzgebungsgangs im einzelnen gerade am 12. Oktober gewesen ist.
Der Herr Interpellant hat einige Gesetze, die angeblich verzögert worden sind,
— angeblich, ich will einmal sagen, schuldhaft verzögert worden sind, genannt. Dazu will ich mich äußern. Er hat das sogenannte Blitzgesetz über den Südweststaat genannt. Die Bundesregierung hat dieses Gesetz ordnungsgemäß sofort dem Herrn Bundespräsidenten vorgelegt. Der Herr Bundespräsident hat Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes gehabt und hat deswegen die Verkündung erst mit dem zweiten Neuordnungsgesetz vorgenommen. Von einem Verschulden kann somit bestimmt keine Rede sein.
Das Gesetz über die Umstellung der privaten Renten bedurfte nach Art. 113 des Grundgesetzes der Zustimmung der Bundesregierung. Die Erteilung dieser Zustimmung war überaus schwierig, weil die Mittel für die Durchführung des Gesetzes nicht vorhanden waren. Von einer schuldhaften Verzögerung kann also auch hier keine Rede sein.
Richtig ist, daß die Verkündung des Gesetzes über die vermögensrechtlichen Verhältnisse der Deutschen Bundespost sich sehr hinausgezögert hat. Ich gestehe zu, daß das Hohe Haus ebenso wie der Bundesrat einen Anspruch darauf gehabt hätte, unterrichtet zu werden.
Ich bedaure sehr, daß das nicht geschehen ist. Die Veröffentlichung im Bundesanzeiger über den jeweiligen Gesetzgebungsstand der einzelnen Vorlagen geht auf mich zurück, gerade um einen Überblick zu gewinnen und zu geben. Ich werde es auch in der Folge so halten, daß die beiden gesetzgebenden Gremien jederzeit, wenn irgendwelche Bedenken oder Schwierigkeiten bei der Verkündung auftreten, unverzüglich unterrichtet werden.
Bei dem Gesetz über die vermögensrechtlichen Verhältnisse der Deutschen Bundespost liegt es wie folgt: Das Gesetz ist am 6. Dezember 1950 von Ihnen verabschiedet worden, und schon am 15. Dezember 1950 hat der Bundesrat seine Zustimmung erteilt. Das Gesetz mußte damals unter der Geltung des alten, nicht revidierten Besatzungsstatuts der Alliierten Hohen Kommission vorgelegt werden. Die Alliierte Hohe Kommission hat ihr Veto eingelegt
wegen der Bestimmung des § 2 des Gesetzes betreffend das Eigentum am sogenannten Unterhaltungsrundfunk.
— Es ist ein Veto eingelegt worden. Ich bin nicht Sachbearbeiter, mein Ministerium ist nicht das Fachministerium. Aber so ist die Unterrichtung, die ich erhalten habe. In dem Schreiben des Herrn Postministers ist von dieser Tatsache nichts erwähnt. Von dem Schreiben habe ich heute zum ersten Mal gehört. Ich bin dahin unterrichtet, daß seitens der Alliierten Hohen Kommission förmlich erklärt worden sei, es werde Veto erhoben gegen die Bestimmung des § 2, die mit der damaligen alliierten Gesetzgebung nicht übereinstimme; nach der alliierten Gesetzgebung war das Vermögen am Unterhaltungsrundfunk auf die Länder übertragen worden.
Nun ist es richtig, daß nach der Revision des Besatzungsstatuts an sich die Möglichkeit zur Verkündung bestanden hätte und daß man es hätte darauf ankommen lassen können, ob die Alliierte Hohe Kommission wegen ihrer Bedenken das Gesetz wirklich aufheben würde. Die Sache ist im Kabinett mehrmals beraten worden. Man hat immer wieder versucht, mit den Sachbearbeitern der Alliierten Hohen Kommission zu einer Verständigung zu kommen. Das ist bisher nicht gelungen. Vor ungefähr 14 Tagen wurde nun die Sache im Kabinett noch einmal behandelt. Es ist eine peinliche Frage. Wir sind uns dann dahin schlüssig geworden, mit der Verkündung auf den Zeitpunkt der Ablösung des Besatzungsstatuts und damit auf unsere gesetzgeberische Souveränität zu warten. Ich gebe zu, insoweit liegt ein Sonderfall mit ganz besonderen Schwierigkeiten vor, die dazu geführt haben, daß das Gesetz nicht verkündet wurde.
Weiter ist das Gesetz über den Sitz der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung genannt worden. Dieses Gesetz ist vom Bundestag am 11. Juli 1951 und vom Bundesrat am 27. Juli 1951 verabschiedet worden. Die Verzögerung ist nach meiner Meinung durchaus verständlich. Ich persönlich hatte Bedenken, ob dieses Gesetz ordnungsgemäß zustande gekommen war. Die Frage wurde im Kabinett am 28. August 1951 eingehend behandelt. Die Schwierigkeiten wegen der Ferien haben eine frühere Behandlung nicht möglich gemacht. Das Kabinett hat sich angesichts des Umstandes, daß das Gesetz über die Errichtung der Bundesanstalt inzwischen in den Vermittlungsausschuß gekommen war und der Bundesrat einen Antrag vorbereitet hatte, wonach die Bestimmung des Sitzes dem Verwaltungsrat der Bundesanstalt übertragen werden sollte, so daß, wenn der Antrag angenommen worden wäre, die Grundlage für das Gesetz betreffend den Sitz entfallen wäre, entschlossen, zuzuwarten, bis die Entscheidung des Vermittlungsausschusses und die Entscheidung der beiden Gremien vorlag. Sie haben selbst erlebt, daß der Beschluß des Vermittlungsausschusses nicht angenommen wurde. Daraufhin hat nunmehr die Bundesregierung die Verkündung des Gesetzes beschlossen; sie wird in den nächsten Tagen im Bundesgesetzblatt erfolgen.
Nun liegt folgende nicht unwichtige verfassungsrechtliche Frage vor: Welches Recht hat die Regierung,
welches Recht hat der Herr Bundespräsident? — Ich weiß nicht, ob wir uns jetzt hier darüber unterhalten sollen.
Eine Beschlußfassung des Bundeskabinetts liegt nicht vor. Meine Meinung ist es, daß der Bundespräsident selbstverständlich nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht hat, sowohl zu prüfen, ob ein Gesetz formell ordnungsgemäß zustande gekommen ist, als auch, ob es sachlich mit der Verfassung vereinbar ist. Deswegen haben wir ihm im Bundesverfassungsgerichtsgesetz für den Fall des Zweifels die Möglichkeit gegeben, die Verkündung auszusetzen und ein Gutachten des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. Ich nehme für die Bundesregierung und für jeden Bundesminister auch das Recht in Anspruch, dann, wenn sie der Überzeugung sind, ein Gesetz sei nicht in Ordnung,
sei nicht mit der Verfassung vereinbar, ihre Gegenzeichnung zu verweigern. Was dann folgt, das ist ein politischer Konflikt, der ausgetragen werden muß.