Rede von
Willy
Odenthal
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich fortfahren. Ich habe versucht, darzutun, daß leider allzu oft die Lohnkosten von Notstandsmaßnahmen wegen der Unfähigkeit der Nichtfacharbeiter, eine gewisse Normalleistung zu erfüllen, unverhältnismäßig hoch werden. Ich habe weiter gesagt, daß die Anmarschwege, die Transportierung der Arbeiter zu und von der Arbeitsstelle manchmal hohe Kosten bedingen und daß diese Nebenkosten sehr oft noch durch die Errichtung, Einrichtung und Unterhaltung von Unterkünften erhöht werden. Wenn aber dann das Ergebnis einer solchen Maßnahme vorliegt, zeigt sich mit der Ausgabe unvertretbar hoher Kosten manchmal eine Fehlleitung von Mitteln, und die gesamte Maßnahme war nach unserer Erfahrung in den letzten 30 Jahren leider oft glatt eine Fehlanlage.
So werden wir schließlich auch mit dem Betrag von 200 Millionen DM und den zusätzlichen Kosten in der gleichen Höhe zur Restfinanzierung
vielleicht etwa 90 000 Arbeitslose ein halbes Jahr oder 180 000 Arbeitslose ein Vierteljahr beschäftigen und für sie vorübergehende Arbeitsplätze schaffen. Die Endergebnisse sind dann wieder erneute Arbeitslosigkeit auf der einen Seite und die Ausgabe unvertretbar hoher Mittel auf der anderen Seite. Trotzdem sagen wir nicht nein zu diesen Arbeiten, weil wir sie als notwendig erachten. Wir erwarten sowohl von der Bundesregierung als auch von den Verteilungsausschüssen, daß sie nach genauer Prüfung nur solche Maßnahmen fördern, die volkswirtschaftlich vertretbar sind und zu deren Durchführung der heranzuziehende Personenkreis am Arbeitsort oder im nahen Einzugsbereich mit zumutbaren Anmarschwegen vorhanden ist. Wir denken hierbei insbesondere an Projekte der Energieerzeugung und Energieverteilung, der Verkehrswege, der Enttrümmerung der Ortschaften und Stadtkerne in zerstörten Gemeinden, der Baureifmachung von Siedlungsgelände einschließlich des Baus von Straßen und Versorgungsanlagen. Wir denken auch an die Steigerung des Bodenertrages, wenn wir zustimmen, daß Maßnahmen der Melioration und Flurbereinigung durchgeführt werden.
Meine Damen und Herren! Aus der Erfahrung der letzten 30 Jahre wissen wir, daß selten mehr als 7 % der arbeitslosen Arbeitnehmer zur Leistung von Notstandsarbeiten herangezogen werden konnten. Das wird auch heute nicht anders sein, und schon deshalb sind Notstandsarbeiten nicht der Weg zur Behebung der Massenarbeitslosigkeit.
Schließlich darf nicht vergessen werden, daß auch bei Gewährung der verstärkten Förderung — mit der Grundförderung bis zu 25 DM — die Finanzierung der Restkosten das Problem ist. Die Arbeitslosigkeit ist doch in der Regel dort am größten, wo sich die Zerstörungen des Krieges am stärksten ausgewirkt haben oder wo die Einschleusung von Flüchtlingen besondere Belastungen der Bezirke bewirkt. Dort ist nach derselben Regel auch die Wirtschaftskraft, die Steuerkraft der Gemeinden am schwächsten oder doch so geschwächt, daß ihnen die Restfinanzierung der Maßnahmen kaum möglich ist. Diejenigen Gemeinden jedoch, die feststellen könnten, daß ihnen die Steuer- und die Wirtschaftskraft erhalten geblieben oder einigermaßen erhalten geblieben sind, weisen auch die geringste Arbeitslosigkeit auf. Diese Gemeinden haben zwar die Möglichkeit, solche Maßnahmen zu finanzieren; aber sie stehen nicht unter dem Zwang, sie durchzuführen, weil die Arbeitslosigkeit sie eben nicht zu solchen Lösungen zwingt.
Hinzu kommt eine andere Überlegung. In den Bezirken, die noch nicht stark mit Flüchtlingen besetzt sind, die jedoch nach unserer Auffassung auch Flüchtlinge aufnehmen sollen oder müssen, müssen aber sehr oft erst die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß sie Flüchtlinge aufnehmen können, indem also durch Schaffung von echten Dauerarbeitsplätzen eine wirtschaftliche Belebung eintritt, der Wohnungsbau sich belebt und anderes mehr.
Darum wünschen wir von der Bundesregierung, die Durchführungsvorschriften so zu fassen, daß Abs. 2 von § 1 Möglichkeiten der Auslegung in diesem Sinne zuläßt.
Meine Damen! Meine Herren! Wir behandeln heute wieder einmal ein Thema an den Symptomen. Wie wir vor Tagen über Kartoffelpreise debattierten, uns über Kohlenpreise unterhielten, so werden wir uns demnächst über Mietpreise unterhalten. Das wirkliche Übel sitzt aber an der Wurzel einer falsch gesehenen und deshalb schlecht gesteuerten Wirtschafts-, Steuer- und Sozialpolitik. Die dauernde Senkung der Reallöhne, die damit steigende Diskrepanz zwischen Lohn und Preis, der sinkende Anteil der Arbeitnehmer am Sozialprodukt schwächen in steigendem Maße die Massenkaufkraft und drosseln die Wirtschaftskraft der deutschen Volkswirtschaft. Der Sozialhaushalt, über den wir so oft reden, muß zwangsläufig in dem gleichen Maß ansteigen, wie die Arbeitskraft und die Arbeitsbereitschaft der arbeitslosen, aber arbeitsfähigen Arbeitnehmer unserer Wirtschaft nicht dienstbar gemacht werden. Es ist zwar erfreulich, daß die Exportquote steigt; aber wir dürfen doch nicht verkennen, daß unserem Export durch die Verlagerung in der Weltwirtschaft ganz bestimmte Grenzen gezogen sind. Der Export kann nicht ersetzen, was an Absatzmöglichkeiten und Produktionsmöglichkeiten durch die sinkende Konsumkraft verlorengeht.