Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Leonhard hat heute in einem ganz anderen Zusammenhang vor der Allmacht der Bürokratie gewarnt.
Ich kenne die deutsche Bürokratie von innen her und habe viel Respekt vor ihr. Um so größer ist meine Sorge über die Bürokratie der Besatzungsmächte geworden. Ein Musterbeispiel dafür, meine Damen und Herren, ist das Gesetz Nr. 62 der Alliierten Hohen Kommission; und es lohnt sich, sich damit etwas abzugeben.
Man möchte fragen: Weiß Mister Truman, was hier vorgeht?
Sie wissen, es handelt sich um das Problem, wieweit die Weitergabe von Staatsgeheimnissen
an die Besatzungsmächte nach den Bestimmungen unseres Strafgesetzbuches, und zwar in der Form des Strafrechtsänderungsgesetzes, strafbar ist, das Sie, meine Damen und Herren, am 11. Juli dieses Jahres beschlossen haben und das alles andere ist
— das möchte ich doch noch einmal deutlich sagen
— als ein Blitzgesetz,
das ein Gesetz ist, das — das weiß auch der Herr Abgeordnete Fisch — in allen Einzelheiten reiflichst erwogen worden ist.
Das ist ein echtes Problem; denn es ist nicht unsere Schuld, aber es ist eine geschichtliche Tatsache, daß wir ein Besatzungsrecht haben, das dem deutschen Recht zum Teil noch überlagert ist, und daß es auf Grund dieses Besatzungsrechtes auch die Pflicht geben kann, den Besatzungsmächten Mitteilungen zu machen, daß also die Besatzungsmächte, so wie die Dinge jetzt liegen, auf Grund des Besatzungsstatuts noch die Möglichkeit haben, Deutsche zu Mitteilungen zu verpflichten. Es ist ein Problem, das wir von Anfang an erkannt und dem wir Rechnung zu tragen versucht haben.
Wir haben deshalb nicht die alte Bestimmung unseres Strafgesetzbuches aufgenommen, wonach jede Weitergabe eines Staatsgeheimnisses an eine" fremde Regierung strafbar war , sondern haben von vornherein anders formuliert, haben festgelegt, daß derjenige, der ein Staatsgeheimnis an einen andern, vor dem es geheimzuhalten ist,
gelangen läßt und der dadurch das Wohl dessen gefährdet, für den das Geheimnis zu wahren ist, wegen Landesverrates zu bestrafen ist.
Meine Damen und Herren, die Verhandlungen mit den Alliierten über diese Frage laufen seit dem Mai 1950. Ich erzähle Ihnen das gerne, damit Sie erfahren, was Leid und Freud eines Bundesministers in dieser Zeit ist.
— Sie sagen „Aha"! — Natürlich! Sie sind die wesentlich Schuldigen an der geschichtlichen Entwicklung,
die dazu geführt hat, daß wir unsere Freiheit verscherzt haben
und daß wir sie erst wieder mühsam zurückgewinnen müssen.
Schon im Mai 1950 fanden Besprechungen zwischen der Alliierten Hohen Kommission und meinem Ministerium zur Klärung dieser Frage statt. Ich habe der Alliierten Hohen Kommission in allen Einzelheiten dargelegt, daß ihren Interessen in jeder Hinsicht Rechnung getragen ist; aber sie hat auf die Vorkommnisse in der Zeit der Rheinlandbesetzung —in den zwanziger Jahren —, die zu Schwierigkeiten geführt haben, abgestellt;
sie hat auf Urteile abgehoben, die damals unter der Gültigkeit des alten Strafgesetzbuches gefällt worden sind, und hat ihre Bedenken aufrechterhalten. Sie hat damals gefordert, es solle in das Gesetz aufgenommen werden — man höre! —, daß die Weitergabe sogenannter Staatsgeheimnisse an die Alliierte Hohe Kommission nicht als strafbarer Verrat von Geheimnissen angesehen werden soll. Sie hat auch noch gefordert, daß die Bestimmungen unseres Strafrechtsänderungsgesetzes so gefaßt werden, daß Privatpersonen nicht aus Furcht vor einer Strafverfolgung seitens einer Regierung von Parteigängern wegen Verrats von Geheimnissen, der das Wohl des Staates gefährdet, davon abgehalten werden, Dinge zur Kenntnis der Öffentlichkeit zu bringen. Ich habe alle Bedenken, die die Alliierten hatten, nach meiner Meinung überzeugend widerlegt und dargestellt, daß die Fassung, die wir gewählt haben, der Rechtslage sowie der politischen Lage und der Sachlage in jeder Hinsicht gerecht wird.
Im August 1950 hat dann eine erneute Besprechung zwischen meinem Ministerium und Mr. Bowie stattgefunden. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, wer Mr. Bowie ist. Wenn Sie das nicht wissen, — na, dann werde ich es Ihnen sagen: eine graue Eminenz, meine Damen und Herren, einer der einflußreichsten Leute, einer der Männer, die an allen Wendepunkten der politischen Entscheidungen der letzten Jahre standen, ob das Entnazifizierung, ob das Entflechtung war oder ob das Neuordnung der Besitzverhältnisse im Rhein- und Ruhrgebiet war. Wir haben diesem Manne im August 1950 die Dinge dargelegt, und er schien zufriedengestellt. Wir haben dann unsern Entwurf in den Gesetzgebungsgang gegeben und in der Begründung eingehend dargelegt, daß die Rücksichten, die auf den Besatzungszustand zu nehmen sind, in meinem Entwurf zweifellos genommen worden sind.
— Ja, wir leben ja leider Gottes nicht in den Wolken, sondern in einer sehr bitteren und harten Wirklichkeit.
Es sind dann im Oktober 1950 erneut Bedenken erhoben worden, und das Bundeskabinett hat sich mit dem Problem befaßt. Es hat dazu Stellung genommen und hat meinen Standpunkt gebilligt. Das ist der Alliierten Hohen Kommission mitgeteilt worden.
— Ich erzähle es Ihnen ja in allen Einzelheiten; genauer kann man es ja gar nicht erzählen.
Der Standpunkt des Kabinetts ist Anfang Januar dieses Jahres den Alliierten mitgeteilt worden, und es ist niemals mehr ein Wort des Widerspruchs gekommen.
In den Beratungen des Rechtsausschusses wurde dann eine kleine Umredaktion vorgenommen, die aber an dem sachlichen Gehalt der Bestimmungen gar nichts ändert. Die Bestimmung, die in dem jetzt neu geschaffenen § 99 Abs. 2 des Strafgesetzbuches enthalten ist, lautet:
Verrat im Sinne dieses Abschnittes begeht, wer vorsätzlich ein Staatsgeheimnis an einen Unbefugten gelangen läßt oder es öffentlich bekanntmacht und dadurch das Wohl der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährdet.
Der Herr Kollege Neumayer hat bei der Berichterstattung über die Beratungen des Rechtsausschusses die Sachlage nach meiner Meinung überzeugend dargelegt. Er hat damals ausgeführt: Unter „Unbefugten" in diesem Sinne ist zu verstehen, daß das Geheimnis jemanden übermittelt wird, vor dem es geheimzuhalten ist. Diese Fassung ist gewählt worden, weil eine verräterische Handlung dann nicht vorliegt, wenn unter den Handelnden eine Offenbarungspflicht besteht. Eine solche Offenbarungspflicht kann auf Grund internationalen Rechts gegeben sein, sie kann auch auf Besatzungsrecht beruhen.
Das ist die einwandfreie klare Darstellung unseres Standpunktes.
Das Gesetz ist dann von Ihnen am 11. Juli dieses Jahres angenommen worden. Am 13. Juli kam dann plötzlich ein Protestschreiben der Alliierten Hohen Kommission, in dem mitgeteilt wurde, die Alliierte Hohe Kommission habe erfahren, daß im Bundestag der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches eingebracht worden sei, nachdem länger als ein Jahr über die Dinge verhandelt worden war!
Es wurde behauptet, der Entwurf befasse sich auch mit der Verhinderung des Angriffskrieges, der Herstellung von Waffen, Munition oder sonstigem Kriegsgerät. Sie haben in Erinnerung, daß meine Novelle zum Strafgesetzbuch geteilt worden ist, daß alle die Dinge, die nicht aktuell sind, zunächst zurückgestellt worden sind und daß nur der eigentliche Schutz des Staates, die Hochverratsbestimmungen, die Bestimmungen gegen die Staatsgefährdung und die Landesverratsbestimmungen vorgezogen worden sind.
Die Bundesregierung hat dann sofort geantwortet. Sie hat die Situation genau dargelegt und alles getan, um die entstandenen Zweifel auszuräumen. Es hat dann ein eingehender Briefwechsel stattgefunden, es haben neue Verhandlungen stattgefunden. Wir haben alles getan, was nur irgendwie möglich war. Es ist richtig, daß, wie der Herr Abgeordnete Fisch es darlegt, im Rahmen dieser Verhandlungen auch von mir zugesagt worden ist, ich werde in Auslegung der richtigen Rechtsauffassung über die Landesverratsbestimmungen eine Dienstanweisung an den Oberbundesanwalt geben, so daß kein Zweifel darüber bestehen kann, daß derjenige, der den Besatzungsmächten auf Grund einer Rechtspflicht ein Staatsgeheimnis offenbart, nicht strafbar sein kann. Auch diese Dinge haben nichts genützt. Man hat am Ende erklärt, man wolle ein eigenes Gesetz erlassen.
Das Kabinett hat sich dann nochmals am 28. August eingehend mit der Frage befaßt und hat am 29. August dem Generalsekretär der Alliierten Hohen Kommission mitgeteilt, daß die Bundesregierung von den Absichten der Alliierten Hohen Kommission erfahren habe, im Anschluß an das Strafrechtsänderungsgesetz ein besonderes Gesetz zur Sicherung der alliierten Interessen zu erlassen. Die Bundesregierung hat geltend gemacht, daß der Erlaß eines solchen Gesetzes nicht notwendig und politisch sehr unerwünscht sei. Sie hat dringend darum gebeten, von dieser beabsichtigten Maßnahme Abstand zu nehmen, und hat diesen Standpunkt im einzelnen begründet.
Die Alliierte Hohe Kommission hat erneut erwidert und hat sich auf die Kritik bezogen, die im
Bundesrat an dem Strafrechtsänderungsgesetz geübt worden ist. Der Bundesrat hat aber an ganz anderen Bestimmungen Kritik geübt, nicht an den hier einschlägigen Bestimmungen über den Landesverrat. Die Alliierte Hohe Kommission hat diese Motivierung dann auch zur Begründung ihres Standpunkts an die Öffentlichkeit gegeben, und sie hat am 31. August dieses alliierte Gesetz erlassen.
Die Bundesregierung hat alles getan, um diese von ihr auf das tiefste bedauerte und nach ihrer Meinung nicht erforderliche Maßnahme zu verhindern. Sie begrüßt es, wenn der Bundestag seinerseits diesen Standpunkt einnimmt, und ist bereit, eine entsprechende Stellungnahme an die Alliierte Hohe Kommission, weiterzuleiten.