Rede von
Walter
Fisch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei erschien kürzlich ein Artikel eines Mannes, der sich in der Vergangenheit um die Wahrung von Rechtsgrundsätzen einige Verdienste erworben hat. Der Verfasser ist der frühere Generalsekretär der Deutschen Liga für Menschenrechte. In diesem Artikel wird das sogenannte Blitzgesetz eindeutig und klar abgelehnt. Es mutet etwas seltsam an, daß ein solcher Artikel im Organ derjenigen Partei erscheint, die hier am 11. Juli diesem Gesetz ihre Zustimmung gegeben hat. Nichtsdestoweniger möchte ich meinen Ausführungen einige interessante Hinweise aus diesem Artikel voranschicken. Der Verfasser erwähnt, daß in der Weimarer Zeit die Kurve der Landesverratsprozesse steil in die Höhe ging. Gegenüber 18 Landesverratsprozessen im Durchschnitt der Jahre 1882 bis 1891, 19 Prozessen im Jahre 1910 stieg die Anzahl der Landesverratsprozesse im Jahre 1921 auf 111, 1924 auf 516, 1925 auf 561 und schließlich in den Jahren 1927 und folgende auf Tausende Verfahren.
Was ergibt sich aus dieser Feststellung? Es ergibt sich, daß, je mehr die geheime Aufrüstung in der Zeit der Weimarer Republik anwuchs, je mehr die schwarze Reichswehr und andere geheime militaristische Machenschaften die Öffentlichkeit beunruhigten und je näher man dem Hitler-Regime kam, desto höher die Zahl der Landesverratsprozesse wurde. Allerdings wurden diese Prozesse nicht gegen die Schuldigen angestrengt, die Deutschland dem Hitler-Regime und dem Kriege entgegenführten, nicht geführt gegen die eigentlichen großen Spione fremder Mächte, sondern sie wurden geführt gegen die Freunde des Friedens, gegen die Feinde Hitlers, gegen die Feinde der offenen und geheimen Militarisierung. Wie das Ende dieser Entwicklung war, wissen Sie. Zu der Zeit, als schließlich der Gipfelpunkt der Kurve der Landesverratsprozesse gegen links erreicht war, ergriff Hitler die Macht.
Das Blitzgesetz des Jahres 1951 schafft ähnliche Tatbestände und hat ähnliche Funktionen zu erfüllen. Durch dieses Gesetz sollen diejenigen getroffen werden, die sich der Politik der Aufrüstung entgegenstellen, die sich der Auslieferung Westdeutschlands an die Kriegsverschwörung des Westens entgegenstellen, die sich der Politik der Ausplünderung unseres Volkes durch die reaktionäre Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik widersetzen, und insbesondere sollen diejenigen getroffen werden, die sich der Verewigung der Spaltung Deutschlands entgegenstellen. Ich möchte hier an den eigentlichen Kernpunkt des Gesetzes erinnern. Es heißt schließlich in einer ganzen Reihe von Paragraphen immer in der gleichen Weise, daß derjenige bestraft werden soll, der die Absicht hat, „den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen", d. h. es wird die Gesinnung bestraft, die Gesinnung derjenigen Menschen, die das Provisorium der Bundesrepublik, die gemäß Beschlüssen der westlichen Alliierten geschaffen wurde, ablösen wollen durch eine deutsche Republik, die dem Willen und dem freien Selbstbestimmungsrecht aller Deutschen entspricht.
Hier soll aber bestraft werden, wer zu diesem Zweck die Zusammenarbeit mit Kräften außerhalb der Bundesrepublik, also mit Kräften in der Deutschen Demokratischen Republik, anstrebt. Ist es nicht grotesk, daß solche Bestimmungen gerade jetzt angewandt werden sollen, in einer Situation, in der immer breitere Massen die Diskussion darüber erfaßt, wie die Einheit Deutschlands wiederhergestellt, wie das Provisorium der Bundesrepublik überwunden werden kann? Ist es nicht grotesk, daß gerade jetzt mit Zuchthaus unter der diffamierenden Beschuldigung, Landesverrat begangen zu haben, bestraft werden soll, wer sich dagegen wehrt, daß das Provisorium der Bundesrepublik in eine endgültige Tatsache umgewandelt a wird, wer sich dagegen wehrt, daß die Einheit Deutschlands auf Jahrzehnte hinaus verhindert werden soll? Allein aus diesem Grunde muß jetzt und sofort dieses die Einheit Deutschlands verhindernde Gesetz außer Kraft gesetzt werden.
Es gibt in dem erwähnten Artikel noch einen zweiten Hinweis von Interesse. Es heißt dort, daß die Anwendung des Landesverratsparagraphen in einem Land, welches von einer ausländischen Macht besetzt gehalten oder kontrolliert wird, ein unlösbarer Widerspruch sei. Nun, an demselben Tag, an dem der Bundespräsident seine Unterschrift unter das Blitzgesetz setzte, erschien das Gesetz Nr. 62 der Alliierten Hohen Kommission, in dem ausdrücklich „Agenten und Mittelsmänner der Besatzungsmächte" von den Landesverratsbestimmungen dieses Gesetzes ausgenommen werden.
Damit wurde zweierlei Recht geschaffen, damit wurde der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz gebrochen, und damit wurde das Blitzgesetz in seiner Gesamtheit zur Unhaltbarkeit verurteilt. Stellen Sie sich doch einmal die Situation vor, wenn jetzt diejenigen Herren, die sich vor kurzem — wie es heißt — des Dokumentendiebstahls in der Bundeskanzlei schuldig gemacht haben, vor Gericht gestellt werden! Die linke Hälfte dieser Herren, die die Dokumente an die Franzosen ausgegeben haben, bleibt straffrei; die rechte Hälfte, die die Dokumente an den Parteiapparat der SPD ausgeliefert hat, soll bestraft werden. Und stellte man sich vor, daß dieselben Herren etwa noch die gleichen Dokumente an Parteien der Deutschen Demokratischen Republik ausgeliefert hätten, dann
würde man erfahren, daß sie dafür mit lebenslänglichem Zuchthaus bestraft würden.
Als diese Doppelgesetzgebung damals bekannt wurde, erhob sich unter den großen Parteien dieses Hauses ein großes Geschrei. Die CDU erklärte ihr „äußerstes Befremden", und der Sprecher der SPD-Fraktion erklärte diese Maßnahme des Petersberges für einen „Todesstoß auf den demokratischen Gedanken". Aber ich stelle hier fest, daß diese Erklärungen an dem wirklichen Tatbestand vorübergehen. Denn man wußte in allen maßgeblichen Stellen von vornherein, daß die Besatzungsmächte für sich ein Ausnahmerecht geltend machen und es auch vom Bundesjustizministerium ausdrücklich bestätigt erhalten haben. Ich weise hier auf die Ausführungen des Herrn Generalstaatsanwalts Schafheutle hin, die er bei der Debatte über diese Frage im Rechtsausschuß am 27. Juni gemacht hat. Er hat damals ausdrücklich erklärt — ich möchte das hier wörtlich zitieren —: „Soweit die Besatzungsmächte nach dem Besatzungsstatut ein Recht hätten, sich über staatliche Angelegenheiten Aufklärung zu verschaffen, läge in der Weitergabe eines solchen Staatsgeheimnisses an eine solche Besatzungsmacht keine Verratshandlung; das werde durch die Einfügung des Wortes ,an einen Unbefugten' geklärt." — Somit also wird die Besatzungsmacht ausdrücklich als ein „Befugter" für den Empfang von Staatsgeheimnissen erklärt.
„Damit" — sagt Herr Schafheutle weiter — „würden die Besatzungsmächte gedeckt, soweit nach dem Besatzungsstatut oder einer späteren Regelung ein solches Recht bestehe."
Meine Damen und Herren, auch der Herr Bundesjustizminister hat erklärt, daß er dem Petersberg selbst Vorschläge gemacht habe, die alle Bedenken der Alliierten hätten entkräften sollen, ohne daß man sich durch eine solche offene Darstellung der Dinge vor aller Öffentlichkeit bloßstellen lassen müsse. In der Erklärung des Bundesjustizministeriums vom 2. September wird nicht gegen den Inhalt des Gesetzes der Hohen Kommission polemisiert, sondern es wird nur bedauert, daß der Petersberg in die Haltung der Bundesregierung so wenig Vertrauen habe. Die Bundesregierung hätte wiederholt in mündlichen und schriftlichen Vorstellungen zum Ausdruck gebracht, daß sie mit den Auffassungen der Alliierten Hohen Kommission völlig übereinstimme.
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— Ich komme zum Schluß! — Es ist klar, daß die Herren Dehler und Lehr einen solchen Zustand der Rechtsverwilderung, des Verfassungsbruchs, ein solches System des prinzipienlosen Hilfsdienstes für die Besatzungsmächte durchaus billigen.
Ihnen ist jedes Mittel recht und billig, wenn es darum geht, die Kräfte, die für den Frieden und für die Einheit Deutschlands kämpfen, zu beinträchtigen. Aber, meine Damen und Herren, wenn Sie doch hier von den Prinzipien einer rechtsstaatlichen Ordnung sprechen, von den Grundsätzen der Freiheit der Persönlichkeit, wenn Sie dafür eintreten, daß seitens der UNO eine Kommission eingesetzt werde, die die Voraussetzungen für freie Wahlen in ganz Deutschland prüfen solle, — hier, meine Damen und Herren, hier haben Sie Gelegenheit, auf dem Boden der Bundesrepublik zu beweisen, ob und wie Sie es ernst meinen mit den demokratischen Grundrechten, vor allem mit dem Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz. Wenn für Sie das Wort von der Freiheit des Menschen keine Phrase ist, dann müssen Sie heute gemäß dem Antrag meiner Fraktion die sofortige Außerkraftsetzung dieses Gesetzes beschließen.