Rede von
Valentin
Baur
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Auch meine Fraktion begrüßt diesen Gesetzentwurf, weil sie der Überzeugung ist, daß der Staat im Verkehr eine Ordnung zu schaffen hat, die dem Bürger auf allen Verkehrswegen jene Sicherheit gewährleistet, die er vom Staat fordern kann. Der jüngste Bericht des Bundesamts für Statistik in Wiesbaden hat vor einigen Tagen festgestellt, daß die Zahl der Unfälle im zweiten Vierteljahr 1951 gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres um 68% gestiegen ist. Das ist eine so schreckliche Steigerung, daß man sich wirklich fragen muß, was alles zu tun ist, um gegen den Wahnwitz der Raserei einen wirksamen Damm aufzurichten. Nach meiner Meinung sind diese Verhältnisse in erster Linie darauf zurückzuführen, daß unzählige Kraftfahrer keinen Maßstab dafür haben, mit welcher Geschwindigkeit sie sich in ihrem eigenen Interesse wie auch im Interesse ihrer Mitbürger zu bewegen haben. Gestatten Sie mir, auch zu sagen, daß diese Verhältnisse auf eine nicht genügend scharfe Behandlung, d. h. Bestrafung der Verkehrsverbrecher in den Fällen der fahrlässigen Tötung zurückzuführen sind.
Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten darf ich dem Hause eine einzige Zeitungsnachricht zur Kenntnis bringen, die der „Münchner Merkur" vor zwei Tagen der Öffentlichkeit mitgeteilt hat unter der Schlagzeile „Schlaf nur ruhig weiter! — Blinder Motorradfahrer fährt auf parkendes Auto":
Der 17jährige Heinz Schnauber, der in einer Aprilnacht auf einer Hauptstraße Darmstadts im Soziussitz zusammen mit einem blinden Motorradfahrer auf ein parkendes Auto aufgefahren war, wurde jetzt vom Darmstädter Jugendrichter zu vier Monaten Jugendarrest verurteilt. Schnauber sollte vom Soziussitz aus den blinden Jakob Schuchmann während der Fahrt an der Schulter führen, war aber infolge Alkoholgenusses eingeschlafen. Der Blinde hatte es auch bemerkt und sagte ihm: „Schlaf nur ruhig weiter, aber gib acht, daß du nicht herunterfällst. Ich halte den Fuß am Randstein des Bürgersteiges, und dann weiß ich schon den Weg." Der blinde Schuchmann,
— und darauf kommt es mir an, Ihnen das zur
Kenntnis zu bringen —
der wegen Fahrens ohne Führerschein bereits
15mal vorbestraft ist, erhielt im schriftlichen
Verfahren eine Geldbuße von 50 DM auferlegt. Ich glaube, Sie sind mit mir der Meinung, daß eine solche Bestrafung den Täter nicht hindern wird, sein Vergehen zu wiederholen, da ihn der Verkehr, d. h. in diesem Falle die Raserei, reizt.
Der vorliegende Gesetzentwurf versucht mit ausgesprochen polizeilichen Maßnahmen der Unfallbekämpfung einen Dienst zu leisten. Wir sind der Auffassung, daß bei einer exakten Durchführung dieses Gesetzes die Zahl der Unfälle sich zweifelsohne wesentlich verringern wird, weil der größte Teil der Kraftfahrzeuglenker davon beeindruckt sein und diejenige Vorsicht an den Tag legen wird, die im Interesse aller notwendig ist.
Meines Erachtens sind dabei aber auch noch andere Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Zunächst möchte ich noch auf einige besondere Übelstände aufmerksam machen, die nach meiner Ansicht ganz besonders gekennzeichnet werden müssen. Ein solcher Übelstand ist das Abblenden der Fahrzeuge auf der Autobahn. Man behauptet sicherlich nicht zuviel, wenn man sagt, daß 500/o der Lastkraftwagen entweder gar nicht oder nur mit einer Lampe abblenden. Bei den kommenden Vorschriften ist sorgfältig darauf zu achten, daß diese Überkreuzschaltung unter allen Umständen verboten wird. Ferner müssen die Polizeikontrollen bei Nacht durchgeführt werden, damit sich die Polizei von der Einhaltung der Vorschriften überzeugen und die Übeltäter feststellen kann. Ich bin der Meinung, daß dieses Verhalten der Fahrzeuglenker im Vergleich zu den anderen Formen des Verschuldens als böswillig bezeichnet und auch verurteilt werden muß. Darüber hinaus bin ich sogar der Auffassung, daß ein solches Verhalten ohne vorherige Verwarnung bestraft werden muß;
denn nur eine solche Methode wird diese rücksichtslosen Fahrer so zur Vorsicht mahnen, wie es notwendig ist.
Auch die Radfahrer sind, wie schon mein Vorredner gesagt hat, auf den Landstraßen — also nicht auf der Autobahn — ein besonderes Übel. Sie sind meistens infolge Nichtvorhandenseins von Rückstrahlern oder stark verschmutzter Rückstrahler erst in der letzten Minute erkennbar, und es bedarf der größten Geschicklichkeit des Kraftfahrers, zu verhindern, daß die Radfahrer nicht
D überfahren oder zumindest gestreift werden. Doppelt groß ist die Gefahr, wenn andere Fahrzeuge entgegenkommen.
Aber für nicht minder wichtig halte ich es, daß auch den Fahrzeugen mit Tiergespannen, die die Landstraße oft noch des Nachts beleben, die Vorschrift auferlegt wird, beleuchtet zu sein; denn jetzt fahren sie in den meisten Fällen ohne Beleuchtung.
Abgesehen von den Gefahren, die allgemein geschildert worden sind, bin ich der Meinung, daß gleichzeitig auch der Lärm bekämpft werden sollte. Es muß den Fahrern zur Pflicht gemacht werden, entsprechende Schalldämpfer in die Fahrzeuge einzubauen, damit die Menschen besonders bei Nachtzeit sowie in den Städten und in den Ortschaften vor diesem Lärm bewahrt werden.
Ich betone noch einmal: Wir Sozialdemokraten sind überzeugt, daß diese Maßnahmen zu einer wesentlichen Besserung führen werden. Wir sind davon überzeugt, daß, wenn die rückfälligen Rowdys nicht besonders hart bestraft werden, kein Erfolg zu erzielen ist. Wir glauben aber ferner, daß mit diesem Gesetz und den darin vorgesehenen Maßnahmen keine optimale Sicherheit erreicht werden kann. Deshalb möchte ich auf die Gesichtspunkte aufmerksam machen, die meines Erachtens vordringlich zu berücksichtigen sind. Das ist ein großzügiger Ausbau von Durchgangs- und Umgehungsstraßen, das ist, wo immer Straßenlinien und Straßenkurven zu besonderen Unfallgefahren Anlaß geben, die rücksichtslose baldige Beseitigung dieser Gefahrenpunkte. Damit die Länder und der Bund instand gesetzt werden, diese Aufgabe, die nicht minder vordringlich ist als die Aufgabe des Bekämpfens der Raserei, zu erfüllen, muß sich, glaube ich, das Haus dafür entscheiden, daß die
Steuern, die von den Kraftwagen aufgebracht werden, zweckgebunden in erster Linie dem Ausbau und der Verbesserung unseres Straßennetzes zu dienen haben.
Nicht zuletzt möchte ich noch auf einen Übelstand aufmerksam machen. Es gibt immer noch Stadtverwaltungen, die ihre Straßenzüge nicht nach dem Gesichtspunkt der Sicherheit des Verkehrs und ihrer Mitbürger festlegen, sondern die ihre Straßenbilder nach den Grundsätzen des veralteten und überlebten Denkmalsschutzes alter Städte unter allen Umständen — auch wenn der größte Teil zerbombt ist — krampfhaft aufrechterhalten wollen. Die Sicherheit und die Gesundheit des Bürgers gehen über alle Städtebilder und Altertümer, ihnen ist deshalb unter allen Umständen der Vorzug zu geben. Alle Hilfsmittel technischer Art sind meines Erachtens zu fördern, wo immer das möglich ist, so insbesondere Straßensignale und Bodenmarkierungen, die in vielen Gebieten unserer Heimat immer noch ganz beträchtliche Mängel aufweisen.
Wenn ich mich an meine Ausbildung als Kraftfahrzeugführer erinnere, so habe ich den Eindruck, daß die Ausbildung und die Instruktion der Fahrschüler in den Fahrschulen, in denen eine Klasse oft 70 bis 80 und noch mehr Fahrschüler — wenigstens in der Zeit, als ich daran teilgenommen habe — umfaßte, äußerst unzureichend ist. Ich bin daher der Meinung, daß bei künftigen Vorbereitungen auf die Führerscheinprüfung in erster Linie darauf gedrängt werden muß — und das möchte ich dem Bundesverkehrsminister ganz besonders ans Herz legen —, daß diese Instruktionen wesentlich deutlicher und schärfer werden, und zwar insbesondere im Hinblick auf eine sorgfältige Unterrichtung über die Strafbestimmungen, die Verkehrsvorschriften usw. Es kann nicht genügen, daß man, wie ich damals festgestellt habe, nur eine einzige Bestimmung der Straßenverkehrsordnung kennen muß, um die Prüfung zu bestehen. Damals haben wir als Schüler alle diese einzige Bestimmung auswendig gelernt und hatten das sichere Gefühl, daß wir, wenn wir danach gefragt würden, sie auch entsprechend vorsagen könnten. Es ist meines Erachtens auch eine ungenügende Prüfung, wenn man hei 40 oder noch mehr Prüflingen — in meiner Klasse waren es 80 — jedem Prüfling nur eine einzige Frage stellt und annimmt, er beherrsche alle anderen Vorschriften, die für den Verkehr notwendig sind. Deshalb schlage ich vor und bitte den Herrn Bundesverkehrsminister, daran zu denken, daß in Zukunft den Fahrschülern in dem Augenblick, in dem sie den Führerschein bekommen, ein kurzer Leitfaden in die Hand gedrückt wird, damit sich nachher keiner damit herausreden kann, daß er diese Dinge nicht gekannt oder nicht gewußt habe.
Vor wenigen Tagen ist in München ein Mädchen zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Der Vorsitzende des Gerichts hatte, richtig vermutend, die Fahrzeichen für die Verkehrslenkung usw. auf seinem Tisch liegen und fragte sie: Was belaue. dieses Zeichen, was bedautet jenes
Mädchen war von emer blendenden und konnte nicht in einem einzigen Fall erklären, was die Verkehrszeichen bedeuten. Das ist wiederum ein Beweis dafür, Herr Verkehrsminister, daß auf diesem Gebiet die Unterrichtung nicht nur der Kraftfahrer, sondern des gesamten Volkes eine umfassende sein muß. Ich möchte sagen: gut ist es, wenn in den Schulen regelmäßig Verkehrsunter-
richt gegeben wird und Kurzfilme und Kasperltheater — „Kasperl als Verkehrssünder" — usw. gezeigt werden. Das ist zweifellos zu begrüßen und wird auf lange Sicht dazu führen, daß unsere heranwachsende Jugend die Verkehrsregeln beherrscht und sich deshalb auch entsprechend benehmen kann.
Aber die große Masse der Menschen, die nicht durch diese Schulen gegangen sind, müssen durch andere Maßnahmen erfaßt werden. Und hier, denke ich, sollte sich das Bundesverkehrsministerium einmal Gedanken darüber machen, wie Kino und Rundfunk in Verbindung mit den Wochenschauen in ausgiebigster Form ausgenutzt werden können, um die Menschen alltäglich an den Orten, an denen sie millionenweise anzutreffen sind — im Gegensatz zu den meist sehr schwach besuchten Verkehrsausstellungen —, beeinflussen zu können. Wenn, wie in der Art der Wochenschauen, die Nachrichten über die Unfälle, über das Verhalten im Verkehr und die Ursache der Unfälle als aufklärende Kurzfilme und Kurzerklärungen den Menschen nahegebracht werden, wird man meines Erachtens die Menschen zweifelsohne so schulen, daß sie sich in der Großstadt in allen Augenblicken, in denen es notwendig ist, verkehrssicher verhalten können. Ich bin daher der Meinung, daß ein unaufhörliches Anhalten der großen Masse der erwachsenen Menschen zu einer guten Verkehrsschulung und guten Verkehrsdisziplin unerläßlich ist. Im Hinblick auf die riesigen Schäden, die der Herr Bundesminister für Verkehr auf rund 200 Millionen DM taxiert hat, sollte man sich überlegen, ob es nicht besonders im Interesse der Versicherungen gelegen ist, Mittel bereitzustellen, um in Verbindung mit dem Staat diese umfassende vorbeugende Verkehrsschulung zu fördern; denn auch hier gilt wie in der Gesundheitspflege: Vorbeugen ist besser als entschädigen.
In diesem Sinne wird also meine Fraktion an der Beratung dieses Gesetzentwurfs teilnehmen und wird gleichzeitig die notwendigen Anträge stellen. Ich beantrage — und bitte Sie, diesem Antrag zuzustimmen —, daß der Entwurf dem Ausschuß für Verkehr als federführendem Ausschuß überwiesen wird.