Rede von
Walter
Fisch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Meine Damen und Herren! Ich habe den Antrag meiner Fraktion zu begründen, in dem verlangt wird, die Verhandlungen, die gegenwärtig mit den Hohen Kommissaren über die Durchführung des Washingtoner Abkommens geführt werden, abzubrechen. Am 14. September wurden die Beschlüsse der Washingtoner Außenministerkonferenz bekanntgegeben. Sie umfassen im wesentlichen drei Punkte: erstens, daß die westalliierte Besatzung in Westdeutschland verbleibt, und zwar auf unbestimmte Zeit und in ständig wachsendem Umfang; zweitens, daß Westdeutschland in die sogenannte westliche Verteidigungsgemeinschaft einbezogen werden soll. Das würde die Bereitstellung deutscher Fremdenlegionen unter einem US-Oberkommando bedeuten. Das würde die Auslieferung der deutschen Wirtschaftskraft an die westliche Rüstungsproduktion und schließlich die völlige Ausblutung der deutschen Finanzkraft und des Arbeitsvermögens unseres Volkes bedeuten.
Drittens besagen die Washingtoner Beschlüsse, daß man unter der Bedingung der Leistung eines sogenannten Verteidigungsbeitrages bereit sei, Westdeutschland ein gewisses Maß von Souveränität zurückzugeben und ihm damit eine gewisse „Gleichberechtigung" einzuräumen.
Dieses scheinbare Zugeständnis, das, wie gesagt, an die Bedingung der vorherigen Leistung des „Verteidigungsbeitrages" geknüpft ist, enthält aber gleichzeitig eine ganze Anzahl diskriminierender Vorbehalte.
Als Herrn Adenauer das Kommuniqué der Washingtoner Konferenz überbracht wurde, erklärte er: Wir danken Gott, daß die Entscheidungen von Washington so gefallen sind. Später erklärte er: Es ist eine sehr gute Nachricht, die wir aus Washington erhalten haben. Nun, meine Damen und Herren, für Herrn Adenauer mögen diese Nachrichten sehr gut gewesen sein. Für ihn waren diese Beschlüsse tatsächlich die Krönung seiner Anstrengungen, die er seit Jahr und Tag unternommen hat, angefangen bei den geschickt eingefädelten Interviews an ausländische Zeitungen bis zu den festen Vereinbarungen, die er unter Mißachtung des Willens unseres Volkes und unter Brüskierung selbst des Bundestages getroffen hat.
Für das deutsche Volk aber haben die Beschlüsse von Washington eine andere Bedeutung. Sie haben die Bedeutung der Ankündigung, daß Deutschland als Hauptkriegsbasis des amerikanischen Aufmarsches und damit als Kriegsschauplatz ausersehen ist. Sie bedeuten die Ankündigung von Not, von Krieg, von Katastrophe und Untergang, wenn diese Entwicklung nicht im letzten Augenblick verhindert wird.
Die Manöver, die gerade jetzt in der amerikanischen und britischen Zone stattgefunden haben, haben einen sehr deutlichen Anschauungsunterricht über das gegeben, was man in Washington plant. Sie beweisen eines: sie beweisen, daß die Veranstalter der Manöver tatsächlich ernst machen wollen, daß sie Deutschland als Schlachtfeld und schließlich als Gebiet der verbrannten Erde ausersehen haben. Sie beweisen außerdem, daß sie bereit sind, rücksichtslos alles zu vernichten, was es hier auf deutschem Boden an Hab und Gut und an Menschenleben gibt.
Unser Volk sagt: Das darf nicht sein, weil wir leben und nicht untergehen wollen!
Man kann seitens der Hohen Kommissare mit Herrn Adenauer Gespräche hinter verschlossenen Türen führen. Man kann mit ihm Verschiedenes ausmachen, unter anderem auch ausmachen, daß er demnächst die ersten 250 000 Mann an deutscher Jugend bereitzustellen hat. Man kann mit ihm ausmachen, daß er mithilft, den Raub der deutschen Kohle zu betreiben oder die Bereitstellung der deutschen Rohstoffe für die westlichen Rüstungen. Aber man kann mit Herrn Adenauer nicht ausmachen, daß ihm das deutsche Volk auf diesem Wege Folge leistet.
Denn letzten Endes wird allein das Volk darüber entscheiden, was aus den geheimen Abmachungen des Herrn Adenauer wird.
Schon kurz nach Bekanntgabe der Washingtoner Beschlüsse haben die Beratungen begonnen, die ihrer Realisierung dienen. Diese Beratungen haben nun einiges zutage gefördert. Was auf den Schlössern der Hohen Kommissare in Ernich, in Röttgen und in Mehlem ausgehandelt und in einigen wenigen Dokumenten auch bekanntgeworden ist, beweist, daß das Gerede über die Rückerstattung der Souveränität an die Deutschen nichts anderes als eine Täuschung ist, daß sich die Westmächte in Wirklichkeit die Entscheidung in allen wichtigen Angelegenheiten Westdeutschlands vorbehalten haben. Sie haben sich erstens die Entscheidung vorbehalten in allen Fragen, die die sogenannte Sicherheit der in der Bundesrepublik stationierten westlichen Streitkräfte berühren. Das bedeutet praktisch, daß alle politischen, wirtschaftlichen und sozialen Fragen von Bedeutung an das Diktatregime der Hohen Kommissare gebunden bleiben.
Zweitens behalten sie sich vor die Entscheidung in allen Fragen, die Berlin betreffen.
Drittens behalten sie sich vor die Entscheidung in allen Fragen, die die Wiedervereinigung Deutschlands und einen künftigen Friedensvertrag mit Deutschland betreffen. Damit erbringen sie den bisher deutlichsten Beweis dafür, wer die Hauptschuld an der Aufrechterhaltung der Spaltung Deutschlands trägt.
Viertens behalten sie sich das Recht vor, alle nun etwa mit der Bundesregierung abzuschließenden Verträge, die auf der Basis der sogenannten „Gleichberechtigung" geschlossen würden, jederzeit zu annullieren, wenn nach ihrer Auffassung der Bestand der demokratischen Grundordnung gefährdet ist. Das würde bedeuten, daß, wenn in Westdeutschland eine Bundesregierung jemals ein Programm entwickeln sollte, das den amerikanischen Auffassungen über eine demokratische Ordnung nicht vollkommen entspricht, damit alle bis dahin geschlossenen Verträge für null und nichtig erklärt würden und das reine Willkürrecht der Besatzungsmacht wiederhergestellt würde. Auch die innere Ordnung eines separaten westdeutschen Staates soll demnach auf unbestimmte Zeit von dem Willen der amerikanischen Herren abhängig bleiben.
Fünftens behalten sie sich das Recht vor, auch den Handel Westdeutschlands sowohl mit der Deutschen Demokratischen Republik wie mit dem Osten wie mit der ganzen übrigen Welt zu reglementieren und zu beeinträchtigen. Auf unbestimmte Zeit soll es also keine freien Handelsbeziehungen innerhalb Deutschlands und mit der Welt geben.
Sechstens behalten sie sich das Recht vor, die entscheidenden Bestimmungen über Aufbau und Besitzverhältnisse in der Grundstoff- und Schwerindustrie zu treffen.
Und letztens behalten sie es sich vor, über die Höhe und die Art der Aufbringung der Besatzungskosten allein zu entscheiden.
Darum, meine Damen und Herren, weil es sich hier um Bestimmungen handelt, die den Lebensnerv unseres Volkes treffen, um Bestimmungen, die uns der amerikanischen Kriegspolitik gegenüber willenlos machen sollen, darum fordern wir den Abbruch der Verhandlungen.
Viele spielen jetzt den Entrüsteten, und es geht die Legende um von dem „armen alten Mann" hier, der von seinen amerikanischen Freunden getäuscht
worden sei. Man konstruiert Gegensätze zwischen
dem Geist von Röttgen und dem Geist von
Washington. Keine Spur davon! Genau der Geist
von Washington ist es, der die Verhandlungen in
Röttgen und in Mehlem bestimmt. Das weiß Herr
Adenauer so gut wie Herr McCloy, und kein
anderer als sein eigener Staatssekretär hat uns dies
vor drei Tagen bestätigt. Herr Professor Hallstein,
der bekanntgab, daß man sich „in der Grundlinie"
da oben verständigt habe, erklärte, daß man bereit
sei, freiwillig auf Souveränitätsrechte zu verzichten.
Er sagte deutlich, welche Rechte der Souveränität man zur Preisgabe für geeignet halte und aus welchen Gründen. Er erklärte wörtlich:
Es ist auch unser Interesse, daß die Alliierten
ein unbezweifelbares und unanfechtbares Recht
haben, in Berlin zu sein. Es ist auch unser Interesse, daß die von den Alliierten übernommenen Verpflichtungen, Deutschland wieder zu vereinigen, unvermindert bleiben.
Er erklärt also, die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands müsse nicht nur, sondern solle sogar nach „unserem" eigenen Wunsch eine Angelegenheit sein, die allein der Entscheidung der Alliierten unterstehe und nicht der Selbstentscheidung des deutschen Volkes. Meine Damen und Herren, das ist die freiwillige Preisgabe des Rechtsanspruchs auf Selbstbestimmung unseres Volkes.
Nun wird gesagt, es gebe eine andere Lösung. Herr von Rechenberg hat erklärt, wir könnten auf dem Wege über ein „neues Europa" den kriegerischen Weg zur Wiedervereinigung, den vorhin Herr v. Merkatz propagiert hat, vermeiden. Nun, ich möchte ihn fragen: Hat er sich denn schon einmal Gedanken darüber gemacht, wie das vor sich gehen soll, wenn er schon nicht ein Europa meint, das an der Werra endet? Herr Bundeskanzler Adenauer hat uns erklärt, wie dieses Europa aussehen sollte, nämlich gestaltet auf der Grundlage seiner, des Herrn Adenauer, und des Herrn McCloy politischen Prinzipien.
Sie sagen, dieses „neue Europa" sei durch den „politischen Charakter" bestimmt. Nun gut, wenn dieses Europa nicht an der Werra aufhört, wenn die Länder der Volksdemokratien und die Sowjetunion bis zum Ural zu diesem Europa gehören sollen, wie stellen Sie sich dann die Änderung des „politischen Charakters" vor? Wie wollen Sie das dort geschaffene Regime der Volksherrschaft anders beseitigen als auf dem Wege des Krieges?
Das ist doch nichts anderes als die Konzeption des Krieges, der gewaltsamen Revision der europäischen Landkarte, der geographischen wie der politischen Landkarte.
Gestatten Sie mir zum Schluß noch eine Bemerkung an die Adresse der sozialdemokratischen Fraktion.