Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine politischen Freunde begrüßen die gestrige Erklärung der Bundesregierung zur Frage der Wiederherstellung der deutschen Einheit mit größter Genugtuung. Die Note der Hohen Kommissare ist unseres Erachtens ein Dokument von entscheidender politischer Bedeutung. Denn sie zeigt, daß Bundestag und Bundesregierung in ihrer gemeinsamen entschlossenen Politik, die deutsche Einheit in Freiheit zu verwirklichen, auf dem richtigen Wege sind. Ich kann nur der dringenden Hoffnung Ausdruck geben, daß die große Gemeinsamkeit, die in dieser Grundfrage des deutschen Schicksals bisher in diesem Hause gewaltet hat, auch weiterhin bestehen bleiben möge.
Die Bedeutung der Note der Hohen Kommissare liegt vor allem darin, daß die drei Westmächte sich erneut feierlich zur Wiedervereinigung Deutschlands bekennen und daß sie unsere Forderung, daß freie gesamtdeutsche Wahlen der erste Schritt zur Wiedervereinigung sind, zu ihrer eigenen machen.
Sie bejahen diese Wahlen, sobald die Wiedervereinigung auf Grund demokratischer Richtlinien stattfindet und die Schaffung eines freien Deutschlands gesichert ist. Diese Voraussetzung ist auch unsere eigene. Sie deckt sich mit allen bisherigen Erklärungen von Bundestag und Bundesregierung, daß die Wiedervereinigung nur in freier Willensentscheidung des deutschen Volkes erfolgen kann, d. h. daß sie unter keinen Umständen zur Unterwerfung unseres Volkes unter einen fremden Machtwillen führen darf. Das ist nicht nur die Forderung des deutschen Volkes in der Bundesrepublik, sondern in noch viel stärkerem Maße die Forderung aller Deutschen in der Sowjetzone. Wir
sprechen vor allem in ihrem Namen — da sie nicht selbst sprechen können —, wenn wir auf der unabdingbaren Freiheit der Wahlen, ihrer Vorbereitung und Durchführung bestehen und wenn Wir klare Garantien für die Respektierung des bekundeten Volkswillens verlangen.
Wir bekennen uns damit zu den Grundlagen der freien Welt. Unser Volk gehört nun einmal nach seiner Geschichte und Kultur zu dieser freien Welt, zu Europa. Deshalb gibt es nur einen Weg der Wiedervereinigung, nämlich die Einbeziehung ganz Deutschlands — und dieses Deutschland endet nicht an der Oder-Neiße-Linie — in ein freies Europa. Das ist der Sinn des ersten Satzes der Regierungserklärung vom 27. September 1951, dem wir mit großer Mehrheit hier zugestimmt haben, nämlich des Satzes: „Oberstes Ziel der Politik der Bundesrepublik ist die Wiedervereinigung Deutschlands in einem freien und geeinten Europa". Damit ist gesagt, daß deutsche Einheit und Vereinigung Europas keine Gegensätze, sondern ein und dasselbe bedeuten. Es gibt Deutschland nicht ohne oder gar außerhalb Europas, und es gibt kein Europa ohne ganz Deutschland.
Es mag sein, daß diese Einsicht noch umkämpft ist, daß vor allem auch bei unseren westlichen Nachbarn aus der Vergangenheit her noch Hemmungen lebendig sind, die sich einer solchen Einsicht entgegenstellen. Man ist dort gelegentlich noch geneigt, in diesem Einheitswillen unseres Volkes den Ausdruck einer Art nationalistischen Strebens zu sehen. Ach nein, meine Damen und Herren, für die 18 Millionen Deutschen in der Sowjetzone ist ihr Wille zu Deutschland nichts anderes als ein ganz einfacher Wille, endlich einmal wieder leben zu können, existieren zu können.
Sie haben erfahren, daß die freiheitliche und soziale Ordnung in Staat und Gesellschaft wirklich ein unverzichtbarer Wert unserer menschlichen Existenz ist; und sie werden einst, wenn sie wieder mit uns in Freiheit vereinigt sind, wahrscheinlich bessere Europäer sein als manche, die weiter im Westen wohnen.
Das Deutschland, das die bolschewistische Diktatur kennengelernt hat, ist nicht etwa eine schwache Stelle oder eine Einbruchsstelle für totalitäre Mächte in Europa, sondern es wird das stärkste Bollwerk der Freiheit dieses Kontinents sein. Wir stellen mit Genugtuung fest, daß der letzte Kongreß der Europa-Bewegung in Hamburg diese Einsicht bereits feierlich bekundet hat.
Niemand sollte in den Fehler zurückfallen, anzunehmen — es klang gestern etwas Ähnliches an —, wenn wir von Europa sprechen, könne die Spaltung oder die Aufrechterhaltung der Spaltung Deutschlands gemeint sein oder unser Streben zur Einheit Deutschlands bedeute den Verzicht auf Europa. Die Koordinierung, das Zusammenwirken dieser beiden großen Grundanliegen scheint uns schlechthin die Aufgabe aller deutschen Politik zu sein. Wir begrüßen deshalb die Erklärung der Alliierten, daß auch sie die Wiederherstellung der deutschen Einheit in diesem Sinne wollen, als einen großen Erfolg der Politik der Bundesregierung.
Nicht weniger bedeutsam erscheint uns die Antwort der Alliierten auf den Antrag der Bundesregierung, eine internationale Untersuchung darüber zu veranlassen, ob in allen Teilen Deutschlands die Voraussetzungen für freie Wahlen gegeben sind. Sie lautet: die drei Regierungen werden bei erster passender Gelegenheit den Vereinten Nationen vorschlagen, daß diese eine solche Untersuchung vornehmen, die sich auf das ganze deutsche Gebiet erstreckt. Der Herr Bundeskanzler hat gestern bereits ausgesprochen, daß damit die Frage, ob freie Wahlen überhaupt möglich sind, ob die Voraussetzungen dafür wirklich vorhanden sind, endlich an die richtige Stelle gerichtet ist, nämlich an die Regierung der Sowjetunion. Vor den Vereinten Nationen wird sie sich eindeutig erklären müssen, und damit, meine Damen und Herren, wird der Nebel zerrissen, den die Machthaber der Sowjetzone bisher geflissentlich mit ihrer Forderung nach gesamtdeutschen Beratungen verbreitet haben. Sie haben dadurch den Eindruck zu erwecken versucht, als hätten wir Deutsche etwas miteinander zu verhandeln oder gar in dieser Frage Differenzen zu beseitigen.
Nein, zwischen den Deutschen hüben und drüben bestehen in der Frage der Wiedervereinigung Deutschlands und der freien Wahlen keine Meinungsverschiedenheiten.
Wir sind uns darüber einig, daß eine solche Vereinigung nur in einer freien politischen Ordnung erfolgen kann. Außerdem ist Herr Grotewohl nicht der Sprecher des deutschen Volkes in der Sowjetzone.
Wenn er spricht, dann spricht er im Auftrage einer auswärtigen Macht.
Gesamtdeutsche Beratungen mit diesem Partner würden praktisch schon — von der östlichen Seite her — ein Gespräch auf internationaler Ebene und nicht auf deutscher Ebene sein.
Deswegen halten wir an der Ablehnung solcher Beratungen fest. Es ist viel richtiger, daß nicht mit dem Beauftragten, sondern mit dem Auftraggeber selbst verhandelt wird. Wir begrüßen es daher, daß die Sowjetunion nun vor den Vereinten Nationen selber wird erklären müssen, was sie eigentlich in bezug auf die Wiedervereinigung Deutschlands will.
Mir scheint, der Bundestag hat keinen Anlaß, von seinen früheren Beschlüssen in dieser Frage, insbesondere von den Beschlüssen vom 27. September dieses Jahres abzugehen.
Wir haben unseren ernsten Willen, alle Voraussetzungen für die Abhaltung freier Wahlen zu klären, dadurch bekundet, daß wir die Grundzüge einer Wahlordnung ausgearbeitet haben. Die ausweichende Antwort, die Grotewohl gerade zu diesem Punkte unserer Beschlüsse gegeben hat, zeigt am deutlichsten, in welcher Verlegenheit er sich befindet. Wir haben nur den Wunsch, daß die Regierung den Entwurf der Wahlordnung möglichst bald hier vorlegen möge.
Zu den anderen Beschlüssen und zu dem übrigen Inhalt der Erklärung der Bundesregierung hat Herr Grotewohl überhaupt geschwiegen. Er hat geschwiegen zu dem Vorschlag einer internationalen Untersuchung in ganz Deutschland, und er hat sich auch wiederum völlig ausgeschwiegen zu der schon wiederholt erhobenen Forderung, daß doch endlich einmal in Berlin, wo sämtliche recht-
lichen Voraussetzungen für die Veranstaltung von freien Wahlen gegeben sind, ein Anfang gemacht werden möge, damit diejenigen, die so viel von der Wiedervereinigung sprechen, einmal beweisen können, daß es ihnen wirklich ernst ist. Statt dessen haben die jüngsten Erklärungen Grotewohls nun wieder Beratungen in den Vordergrund geschoben. Man bemüht sich, das von uns erzwungene Thema der freien Wahlen wieder in den Hintergrund zu drängen und statt dessen voraussetzungslose Beratungen, deren Ziele uns ja nur zu bekannt sind, in den Vordergrund zu schieben. Es ist bezeichnend, daß in dem Augenblick, in dem Herr Grotewohl diese Beratungen verlangt hat, auch ein Antrag der Fraktion der Kommunistischen Partei hier in diesem Hause vorgelegt wird, der dasselbe verlangt.
Darüber hinaus hat Herr Grotewohl nunmehr deutlich erkennen lassen, auf was es ihm eigentlich ankommt. Er hat die Forderung erhoben bzw. erheben lassen, daß die Bundesregierung möglichst sofort die Verhandlungen mit den Hohen Kommissaren über die Ablösung des Besatzungsstatuts abbrechen möge. Schon im Gesamtdeutschen Ausschuß dieses Hauses ist in dieser Frage einmütig der Standpunkt eingenommen worden, daß die Führung solcher Verhandlungen zur selbstverständlichen Pflicht und zum selbstverständlichen Recht der Bundesregierung gehört. Herr Grotewohl will eben vor allem die Einigung Europas stören.
Wie sehr es ihm um die Erreichung dieses Zieles zu tun ist, geht aus der Drucksache Nr. 2656, dem Antrag der Fraktion der KPD, hervor, der ebenfalls die Einstellung der zwischen der Bundesregierung und den Hohen Kommissaren geführten Verhandlungen wegen der Durchführung der Washingtoner Beschlüsse verlangt. Ich weiß nicht, ob dieser Antrag der kommunistischen Fraktion nicht etwas voreilig gewesen ist. Inzwischen hat nämlich Herr Pieck drüben erklärt, es sei ja gar nicht so ernst gewesen mit diesem Verlangen. Er hat wohl gemerkt, daß man damit voreilig die Katze aus dem Sack gelassen hat, und möchte sie nun geschwind wieder hineinstecken. Bis zur kommunistischen Fraktion scheint diese neue Linie noch nicht durchgedrungen zu sein.
Sonst hätte sie voraussichtlich diesen Antrag zurückgezogen. Nachdem sie das nicht getan hat,
bleibt uns nichts anderes übrig, als ihn abzulehnen.
Wir bleiben dabei, daß wir uns in der großen Aufgabe, in einem gemeinsamen Europa ein einiges Deutschland wiederherzustellen, am allerwenigsten von denen drüben im Osten stören lassen werden. Es bleibt unser gemeinsames Ziel: ein einiges Deutschland in einem freien und geeinten Europa!