Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische
Fraktion erstrebt mit dem Antrag auf Drucksache Nr. 2639 eine Verstärkung der Vertretung Berlins im Deutschen Bundestag. Wir beabsichtigen nicht, bei dieser Gelegenheit eine allgemeine Berlin-Debatte zu führen, und wir haben auch nicht die Absicht, in umfassende rechtliche Erörterungen über den Status Berlins einzutreten. Es scheint mir jedoch wichtig zu sein, auf drei Tatbestände zur Begründung dieses Antrages zu verweisen.
Erstens kann es kaum mehr einem Zweifel unterliegen, daß das Land Berlin nach deutschem Recht zur Bundesrepublik gehört, wenngleich Art. 23 des Grundgesetzes zeitbedingt und nicht total im Jahre 1949 durch die Militärgouverneure suspendiert wurde, eine Suspendierung, die übrigens durch die tatsächliche Entwicklung seit 1949 weitgehend aufgelockert worden ist. Es ist eine der Aufgaben dieses Hohen Hauses gewesen, aus dem besatzungsrechtlich Möglichen im Falle Berlin die tatsächlichen Konsequenzen zu ziehen, wie es vor allem auch in zunehmendem Maße durch die Einbeziehung Berlins in Bundesgesetze geschehen ist.
Zweitens möchte ich darauf hinweisen, daß sich die alliierten Militärgouverneure in ihrem Genehmigungsschreiben vom 12. Mai 1949 einer Vertretung Berlins im Deutschen Bundestag nicht widersetzen, aber sagen, daß diese Berliner Vertretung bis auf weiteres nicht stimmberechtigt sein dürfe und daß es sich um eine kleinere Zahl von Vertretern oder Abgeordneten handeln solle. Im Wahlgesetz zum ersten Deutschen Bundestag, wie es am 10. Mai 1949 vom Parlamentarischen Rat beschlossen worden war und dann etwas abgewandelt am 15. Juni von den Ministerpräsidenten erlassen wurde, ist diese, wie die Alliierten gesagt hatten, kleinere Zahl im § 26 mit der Ziffer „acht" angegeben.
Drittens möchte ich noch erwähnen, daß am 8. Oktober dieses Jahres eine Anordnung der Alliierten Kommandantur in Berlin erlassen worden ist, durch die nunmehr nach anfänglichen alliierten Widerständen Bundesgesetze durch einfaches Mantelgesetz unverändert nach Berlin übernommen werden können. Die alliierten Kommandanten haben in diesem Zusammenhang ihrerseits betont, daß das nicht als eine Änderung der verfassungsrechtlichen Stellung Berlins betrachtet werden solle; aber sie haben durch diese eben zitierte Anordnung zum Ausdruck gebracht, daß es offensichtlich nicht im Sinne der alliierten Politik liegt, die Politik der Verschmelzung Berlins mit dem westlichen Bundesgebiet zu behindern.
Wenn die Bundesgesetze nun im Regelfalle nach Berlin übernommen werden sollen, dann wird es angesichts der besonderen wirtschaftlichen und sozialen Lage Berlins in einer Reihe von Fällen sicherlich notwendig sein, daß diese Besonderheiten so, wie es jetzt etwa beim Lastenausgleich praktiziert wird, schon hier im Bundestag und in seinen Ausschüssen bei der Ausarbeitung der Bundesgesetze Berücksichtigung finden. Gerade aus diesem Grunde scheint es uns richtig zu sein, daß Berlin stärker vertreten ist, um eben auch in den zahlreichen Ausschüssen dieses Hohen Hauses stärker mitwirken zu können.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit ganz eindeutig feststellen, daß meine politischen Freunde und ich unverrückbar an der Forderung festhalten, daß Berlin so rasch wie möglich voll und gleichberechtigt, d. h. auch stimmberechtigt im Deutschen Bundestag vertreten sein soll. Aber diese Frage läßt sich nicht auf dem Wege über eine Änderung
des Wahlgesetzes lösen, und darum haben wir uns heute, ohne von der weiterreichenden Forderung abzugehen, darauf beschränkt, zu sagen: Wir wollen ein praktisches Problem lösen. Wir wollen heute nicht an die Frage des Stimmrechts rühren, wir wollen heute auch nicht die Formulierung des § 26 des Wahlgesetzes vom Jahre 1949 insofern zur Diskussion stellen, als wir uns darüber unterhalten, was unter der dort gefundenen Formulierung zu verstehen ist, daß „bis zum Eintritt" des Landes Berlin in die Bundesrepublik diese oder jene Zahl von Berliner Vertretern mitwirke. Es kann sich dabei offensichtlich nur um einen Eintritt mit vollen Rechten handeln, zumal das Wahlgesetz den durch das Grundgesetz geschaffenen Rechtszustand nicht ändern konnte und kann.
Bleibt also, meine Damen und Herren, die Frage der Zahl. Die alliierten Militärgouverneure hatten damals gesagt, eine kleinere Zahl von Berlinern sollte hier mitwirken. Die Ministerpräsidenten und der Parlamentarische Rat hatten sich auf acht Abgeordnete geeinigt. Die Alliierten hatten von sich aus keine Zahl bündig vorgeschrieben. Sie haben dieser Frage auch offenbar keine entscheidende Bedeutung beigemessen. Ich möchte darüber hinaus darauf verweisen, daß, wenn jetzt meine Fraktion die Zahl 19 vorschlägt, es sich auch dabei noch um eine kleinere Zahl handelt; denn der § 26 des Wahlgesetzes geht vom Gebiet Groß-Berlin aus, während die Ziffer 19 auf Grund der Einwohnerzahl der Westsektoren von Berlin im Verhältnis zur Einwohnerziffer des westlichen Bundesgebiets errechnet ist, die damals zugrunde gelegt wurde und heute zugrunde gelegt werden muß. Ich möchte aber auch hier, um Mißverständnisse auszuschließen, darauf hinweisen, daß sich diese hoffentlich so verstärkte Vertretung Berlins — zunächst ohne Stimmrecht — natürlich, wenngleich sie der Ziffer nach auf Grund der Einwohnerzahl der Westsektoren errechnet ist, immer als eine Vertretung ganz Berlins fühlen wird.
Es handelt sich für uns also heute um einen praktischen Schritt, dabei zugleich um einen Schritt auf dem Wege der engeren Eingliederung Berlins in den Bund. Es handelt sich um die Regelung einer formalen Frage; aber dabei sollte wohl auch darauf hingewiesen werden, daß die tatsächliche politische Entwicklung die Sonderbestimmungen gegenüber Berlin aus dem Jahre 1949 als überholt erscheinen läßt und daß es notwendig wäre, von deutscher und alliierter Seite jene Maßnahmen zu erwägen, die den heutigen politischen Gegebenheiten und Erfordernissen besser Rechnung tragen würden als die Sonderbestimmungen des Jahres 1949.
Ohne darauf weiter einzugehen, bittet die sozialdemokratische Fraktion Sie, diesen praktischen Schritt der stärkeren Vertretung und engeren Mitarbeit Berlins im Bundestag zu ermöglichen. Ich darf im Namen meiner politischen Freunde anregen, daß dieser Gesetzentwurf nach der Beratung hier zweckmäßigerweise dem Ausschuß zum Schutze der Verfassung überwiesen wird, der bereits andere Änderungsanträge zum Wahlgesetz überwiesen erhalten hat.