Rede von
Dr.
Wilhelm
Gülich
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nur einen Punkt aus dem Haushalt des Bundesministeriums der Finanzen berühren, der allerdings von prinzipieller Bedeutung ist. In der 159. Sitzung des Deutschen Bundestages am 10. Juli dieses Jahres habe ich darauf aufmerksam gemacht, daß die Überleitungsstelle für das Branntweinmonopol ihrer gesetzlichen Pflicht zur Vorlage der Jahresberichte und -bilanzen bis zum 31. März dieses Jahres nicht genügt hat. In der gleichen Sitzung hat auf meinen Antrag hin der Bundestag einstimmig den Herrn Bundesfinanzminister beauftragt, diese Berichte bis spätestens 15. September dieses Jahres vorzulegen. Dieser Termin ist seit vier Wochen verstrichen. Der Herr Bundesfinanzminister hat nicht einmal um eine Nachfrist gebeten, die ihm das Parlament selbstverständlich bewilligt hätte. Er hat auch nach dem 15. September keine Erklärung abgegeben. Es handelt sich also um eine ganz offene Mißachtung des Parlaments, welche sich der Deutsche Bundestag unter keinen Umständen gefallen lassen kann.
Was der Herr Bundesfinanzminister zu seiner Entschuldigung sagen könnte, wird er nicht sagen wollen. Ich will es deswegen sagen. Er selber ist an der Geschichte schuldlos; davon bin ich überzeugt. Er war in der 159. Sitzung nicht anwesend. Ich bin davon überzeugt, daß ihm hiervon gar nicht berichtet worden ist. Wir haben doch oft genug erlebt, daß der Herr Bundesfinanzminister — und das muß doch jeder anerkennen, er mag sonst sachlich zu ihm stehen, wie er will — hier im Parlament seinen Mann steht. Es ist auch gar nicht zu begreifen, warum er nicht um eine solche Nachfrist gebeten hat. Man darf also unterstellen, daß Herr Minister Schäffer von der ganzen Angelegenheit nichts weiß.
Damit komme ich zum Kern der Sache. Dieser Kern ist sehr wesentlich. Der Herr Kollege Jaeger hat vorhin gesagt, daß er die Demokratie — von einer anderen Ecke her — nicht in Gefahr sehe. Ich sehe sie durchaus in Gefahr, nämlich in der Gefahr, von der Bürokratie überspielt zu werden.
Ich sehe die deutliche Gefahr — das ist auch an anderer Stelle heute schon angeklungen —, daß der Bundestag von den Beamten der Ministerien einfach mißachtet wird. Dazu ist doch wohl einiges zu sagen.
Ich will jetzt nicht sachlich zu der Monopolverwaltung für Branntwein sprechen; das wird zu anderer Zeit geschehen. Ich möchte nur den Herrn Bundesfinanzminister daran erinnern, daß er uns am 5. Juli dieses Jahres im Ausschuß für Finanzen und Steuern zugesagt hat, alsbald nach den Parlamentsferien die Novelle zum Branntweinmonopolgesetz einzubringen. Ich möchte sagen: wir erwarten sie. Sie ist sehr notwendig. Sie muß eine völlige Neuordnung der Branntweinbesteuerung bringen, in der, davon bin ich überzeugt, Herr Minister Schäffer. noch ganz erhebliche Steuerreserven stecken werden, die Ihnen ganz gut gefallen könnten. Darüber müssen wir zu gegebener Zeit sprechen. Aber was sich bisher hier tut, kann nicht unwidersprochen bleiben.
Ich habe zweimal erlebt, daß der Herr Bundesfinanzminister seinem Branntweinsteuerreferenten den klaren Auftrag gegeben hat, Ermittlungen beim Oberfinanzpräsidium in Kiel anzustellen, auf Grund deren der Herr Bundesfinanzminister seine Entscheidung treffen wollte. Ich weiß, daß in beiden Fällen dieser Auftrag in einer Form ausgeführt worden ist, die die klare Ermittlung verhinderte.
Ich habe daraufhin am 12. August 1951 Herrn Minister Schäffer geschrieben:
Es ist somit objektiv festzustellen, daß Sie ein mir mündlich und schriftlich gegebenes Versprechen nicht gehalten haben. Daß es subjektiv Sie nicht trifft, sondern auf einer Unbotmäßigkeit eines Ihrer Beamten beruht, weiß ich. Sie kennen mich gut genug, um zu wissen, daß ich im Interesse sachlicher Arbeit Lärm in der Öffentlichkeit vermeide. Ich bin deswegen auch in der 159. Sitzung des Deutschen Bundestages bei meinen kritischen Bemerkungen über die Bundesmonopolverwaltung zurückhaltend geblieben und habe nur angedeutet, daß die Beamtenherrlichkeit à la Führerprinzip in der Bundesmonopolverwaltung wieder durch parlamentarisch kontrollierte Zustände abgelöst werden müßte.
Gott sei Dank
— habe ich weiter geschrieben —
stehen mir noch alle Möglichkeiten der parlamentarischen Behandlung des Falles offen, wie ja auch noch vieles andere zur Bundesmonopolverwaltung zu sagen sein wird.
Ich habe am 12. Juli unmittelbar nach der 159. Sitzung Herrn Staatssekretär Hartmann persönlich Mitteilung gemacht, in welcher Weise Sie von einem Ihrer Beamten desavouiert und ich brüskiert worden sei, und mich damit einverstanden erklärt, daß die Sache unter der Hand bereinigt wird.
Was ist daraufhin geschehen? Auf diesen Brief hin bekomme ich einen freundlichen Brief des Herrn Bundesfinanzministers,
der keine Antwort auf meinen Brief ist, der auf die Beschwerden überhaupt nicht eingeht, der aber das Aktenzeichen desselben Beamten trägt, über den ich mich gerade beschwert hatte.
Da hört ja doch eigentlich die Gemütlichkeit auf!
Nun hätte ich das loyalerweise trotzdem hier nicht gesagt, wenn ich nicht am 12. September Herrn Minister Schäffer persönlich auf all diese Dinge aufmerksam gemacht und ihm gesagt hätte: „Es bleibt mir nichts anderes als der Weg ins Parlament übrig. Lassen Sie doch diese Dinge bereinigen!" Aber es ist nichts Derartiges geschehen. Ich sagte ihm: Der Fall, von dem wir ausgegangen sind, interessiert jetzt nicht. Es interessiert nur das Verhalten Ihres Beamten, der offen zu erkennen gegeben, es auch gesagt hat, daß er sich gegen diesen Abgeordneten und gegen seinen Minister durchsetzen will.
Und deswegen ist die Tatsache, daß die Berichte,
die spätestens am 15. September vorgelegt werden
mußten, nicht vorgelegt worden sind, von so ' prinzipieller Bedeutung. Die gesamte Alkohol erzeugende, verarbeitende und verbrauchende Industrie wartet natürlich auf diese Berichte. Sie wartet, weil diese Berichte überfällig sind, mit gespannter Aufmerksamkeit, und sagt nun nach dem 15. September: Nun j a, das kann der Herr Ministerialrat sich alles auch dem Parlament gegenüber leisten.
Über die Fehlkonstruktion im Ministerium, daß da tausend Leute zur Erledigung ihrer Angelegenheiten immer und immer wieder nach Bonn reisen müssen, zur Erledigung von Dingen, die zweckmäßigerweise dezentralisiert der Verwaltung unterstellt werden und die im Ministerium nur regierungsmäßig überwacht werden müßten, will ich in diesem Zusammenhang nicht sprechen. Die gesamte an der Sache interessierte Öffentlichkeit muß nun aber auch bemerken, daß das Parlament sich eine solche Behandlung nicht gefallen lassen kann.
Das, meine Damen und Herren, was ich hier eben gesagt habe, ist kein Angriff der Opposition gegen die Regierung; es ist kein Angriff der Opposition gegen den Herrn Finanzminister, sondern ich bin der Meinung, daß es eine Angelegenheit von uns allen ist,
ohne Rücksicht auf die' Partei, daß solche Zustände
in einem Ministerium unmöglich gemacht werden.
Es ist eine Frage des Ansehens dieses Hauses, der Selbstachtung dieses Hauses und der Würde dieses Hauses, um deretwillen ich das gesagt habe, und ich konnte auch nicht die Dinge nun unter der Hand sich bereinigen lassen — sie würden nie bereinigt werden —, sondern es mußte nun, so leid es mir tut, vor dem Forum des Deutschen Bundestages gesagt werden.
Ein Staat mit starker Bürokratie und schwacher Legislative geht zugrunde; wir sind in größter Gefahr, daß die Legislative, die unsere Aufgabe ist, von der Exekutive mißachtet wird.
Ich habe also einen Warnungsruf ausgestoßen, ver-, ehrte Kolleginnen und Kollegen, daß wir wachsam sind, um unserer Demokratie und um unseres Rechtsstaates willen.