Rede von
Heinz
Renner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben an den Bundestag den Antrag gerichtet:
Die Bundesregierung wird beauftragt, dem Bundestag schnellstens einen Gesetzentwurf über die Gewährung eines allgemeinen Pflegegeldes an Zivilblinde vorzulegen, das als Mindestleistung ein Pflegegeld an Zivilblinde in der Höhe gewährt, wie es der Deutsche Blindenverband e. V. in seinem den Fraktionen des Bundestages zugeleiteten Antrag betreffend Zivilblinden-Pflegegeld-Gesetz fordert.
Wenn wir uns dazu entschlossen haben, diesen Antrag einzubringen, dann war für uns die Erkenntnis maßgebend, daß die Frage der Gewährung von Blinden-Pflegegeld anders geregelt werden muß, als das zur Zeit in den von meiner Vorrednerin bereits genannten Ländern erfolgt ist, und auch anders, als es der Plan der Bundesregierung selber unseres Wissens vorsieht. Wir wollen, daß dieses Blindenpflegegeld nicht als Wohlfahrtsleistung gewährt wird, sondern als Rechtsanspruch, wie das etwa in der Unfallversicherungsgesetzgebung für die Unfallblinden, in der Kriegsopferversorgung für die Kriegsblinden geregelt ist. Wir sind der Auffassung, daß die sogenannten Zivilblinden wie die Unfallbeschädigten und die Kriegsblinden ein Anrecht auf eine Versorgungsrente mit Pflegegeld haben. Das ist unsere Auffassung, und wir haben gedacht, der Sache dadurch zu dienen, daß wir vorgeschlagen haben, als Grundlage für die Arbeit des Bundestages und der Bundesregierung den Gesetzentwurf der zuständigen Organisation selber zu nehmen.
Nun ein Wort zu dem Ablauf der bisherigen Verhandlungen um diese Frage. Im Mai 1950 stand letztmalig diese Angelegenheit vor dem Bundestag. In der Antwort der Bundesregierung hieß es damals: „Die Frage ist im Ministerium in Bearbeitung." Mai 1950! — „Der Abschluß der Verhandlungen und Beratungen ist aber erst dann möglich, wenn die won einigen Ländern noch ausstehende Antwort eingegangen ist" — soll heißen, die Antwort auf die Frage, wie dort in den Ländern das Problem zur Zeit gelöst ist — „und weiter, wenn mit dem Herrn Bundesminister der Finanzen die Klärung grundsätzlicher Fragen erfolgt ist."
Nun, das gibt mir Veranlassung zu einigen Feststellungen. In der „Welt" von heute findet sich eine Notiz mit der Überschrift: „Regierung gegen neue Sozialleistungen." Ich bin der Auffassung, daß die Millionenmassen der Kriegsopfer, der Sozialberechtigten, der Notleidenden, die von diesem Bundestag angesichts der ungeheuerlichen Verteuerung der gesamten Lebenshaltungskosten, angesichts der drohenden neuen steuerlichen Belastungen eine sofortige Verbesserung ihrer Rentenbezüge, der Wohlfahrtsleistungen erwarten und fordern, daß diese Millionenarmee der Hungernden in unserem Land nicht schnell genug Kenntnis erhalten kann von dieser letzten Verlautbarung dieser Regierung, die hier angetreten ist mit der Erklärung, daß sie so sozial wie irgend möglich zu regieren gedenke. Es heißt in dieser Meldung in der „Welt": „Das Bundeskabinett vertritt nach eingehender Prüfung der finanz- und steuerpolitischen Lage die Auffassung, daß zwar der außerordentlich gestiegene Sozialhaushalt für das Rechnungsjahr 1951 gesichert ist, weitere Anträge auf zusätzliche Sozialleistungen aber durch die Fraktionen des Bundestages vermieden werden sollten." Es soll eine Art Stillhalteaktion in der Bewilligung zusätzlicher Sozialausgaben eintreten. Eine Nebenbemerkung: W i r werden diese Stillhalteaktion bestimmt nicht mitmachen; und dem Herrn Minister lege ich die Frage vor, was er getan hat, um draußen zu erreichen, daß der wachsende Hunger und die wachsende Verteuerung der Lebenshaltungskosten stillstehen. Dagegen hat er nichts unternommen; aber hier soll auf Anträge in der Richtung der Linderung der Not der Massen verzichtet werden.
Dann wird in dem Artikel gesagt, wie hoch die Sozialausgaben gewachsen seien: von 5,2 Milliarden auf 7,6 Milliarden DM im laufenden Rechnungsjahr. Die Besatzungskosten betragen nach wie vor 9,2 Milliarden DM; das nur so nebenher festgestellt. Sie liegen also heute noch um mehr als 2 Milliarden DM über dem, was als gesamte Sozialleistungen vom Bund aufgebracht wird. Ich will wegen Mangels an Zeit gar nicht von den neuen Lasten reden, die wir im Zuge der amerikanischAdenauerschen Remilitarisierungspolitik werden übernehmen müssen, wenn Herr Adenauer und die Amerikaner recht behalten. Ich lese nur noch den Schlußsatz vor: „Durch die jetzt ausgeworfenen Beträge werde das Existenzminimum der Kriegsversehrten und Kriegshinterbliebenen und der Millionenzahl von Sozialrentenempfängern gewährleistet."
Dazu eine Bemerkung: In einer voraufgegangenen Pressekonferenz hat der Sprecher der Bundesregierung erklärt, daß seiner Überzeugung nach ein Monatsbetrag von 180 DM für den voll erwerbsunfähigen Kriegbeschädigten eine ausreichende Rente sei.
Jede zusätzliche Erhöhung sei, so heißt es in der Verlautbarung dann weiter, von außergewöhnlichen Situationen abgesehen, für den Bundeshaushalt untragbar, und das Bundeskabinett habe allen Ressortministern Weisung gegeben, vorerst keine weiteren Ergänzungsvorschläge zur Sozialgesetzgebung auszuarbeiten. Ich nehme an, daß diese Anweisung sich auch auf das hier im Augenblick anstehende Problem der Schaffung eines Blinden-gesetzes bezieht, und ich hätte darauf gern von der Regierung eine klare und eindeutige Antwort. Die andere Antwort werden die hungernden Millionenmassen draußen hoffentlich der Regierung so in der Art, wie sie jetzt in Bremen gegeben worden ist, bald geben.
— Auch in unserem Sinne! Auch in unserem Sinne! Alles, was gegen diese Regierung der Kriegsvorbereitung geht, liegt in unserem Sinne.