Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der von meiner Fraktion vorgelegte Antrag Drucksache Nr. 2494 ist insofern von besonderer Bedeutung, als durch ihn ein seit langem bestehendes Recht abgeschafft werden soll. § 127 a Abs. 2 der Gewerbeordnung besagt, daß übermäßige und unanständige Züchtigungen sowie jede die Gesundheit des Lehrlings gefährdende Behandlung verboten sind. Wenn es hierin also heißt, daß die Züchtigung eines Lehrlings nicht übermäßig und unanständig sein darf, so muß dazu gesagt werden, daß bis zum heutigen Tage allgemein nicht feststellbar ist, in welchem Fall das Gericht z. B. annimmt, daß das
Züchtigungsrecht überschritten worden ist. Die Vergangenheit hat gezeigt, daß es Gerichte gab, die sehr erhebliche Ausschreitungen noch als zulässige Züchtigungen anerkannt haben. Der Lehrherr, der das Züchtigungsrecht überschreitet, kann zwar nach § 148 Ziffer 9 mit Geldstrafe bis zu 100 Mark und im Unvermögensfalle mit Gefängnis bis zu 4 Wochen bestraft werden. Wenn die Züchtigung in eine Körperverletzung ausartet, kommt eine Bestrafung nach § 230 des Strafgesetzbuches in Betracht.
Wie ist heute die Wirklichkeit? Noch vor einem Dreivierteljahr hatten wir im Bielefelder Raum des Kreisausschusses des Deutschen Gewerkschaftsbundes, in Herford, folgenden Fall: In einer Autoreparaturwerkstatt, die Lehrlinge ausbildete, mußten diese erhebliche Züchtigungen über sich ergehen lassen. Gelegentlich einer Unterhaltung kamen die Dinge ans Tageslicht. Die Eltern hatten in der Befürchtung, die Jungens könnten ihre Lehre nicht zu Ende führen, wenn man Anzeige erstattete, davon Abstand genommen, dem Lehrherrn zu sagen, daß sie mit derartigen körperlichen Züchtigungen nicht einverstanden sind. Gerade weil im Augenblick die große Arbeitslosigkeit unter unserer Jugend besteht, werden die Eltern naturgemäß bemüht sein, die Lehrzeit des Jungen oder des Mädels zu Ende zu bringen, und gehen deshalb darüber hinweg, wenn der Junge oder das Mädel tatsächlich einmal nach Hause kommt und sagt: ich bin heute erheblich geschlagen worden. Dieser Fall aus Herford konnte dadurch bereinigt werden, daß der Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Kreisausschuß Bielefeld, persönlich bei dem Lehrherrn erschien und ihn darauf aufmerksam machte, daß bei Fortdauer dieser Zustände die Gewerkschaften einschreiten würden. Seitdem sind, wie wir erfreulicherweise feststellen konnten, derartige Dinge nicht mehr vorgekommen.
Auch die Jugendorganisationen haben in dieser Frage eine eindeutige Haltung eingenommen.
Meine Herren und Damen, wir wünschen nicht, daß unser Nachwuchs an Facharbeitern heute mit erhobenem Zeigefinger und mit Züchtigungen herangebildet wird,
sondern wünschen, daß § 127 a Abs. 2 der Gewerbeordnung entsprechend unserem Antrag Drucksache Nr. 2494 dahin abgeändert wird, daß es heißt:
Körperliche Züchtigung sowie jede die Gesund-
heit des Lehrlings gefährdende Behandlung
sind verboten.
Es tut einer jungen Demokratie nicht gut, wenn in ihrer Gesetzgebung Formulierungen wie die des jetzt noch gültigen Abs. 2 des § 127 a enthalten sind.
Ich glaube, wir sollten uns dem Fortschritt zuwenden und sollten auch den jungen Menschen, den wir für die Industrie, für das Handwerk, für die Wirtschaft schlechthin als Nachwuchs dringend benötigen, nach dem Grundsatz ausbilden: So frei wie möglich und so gebunden wie nötig!
Das letztere wird der Schaffung eines Gesetzes über das Jugendarbeitsschutzrecht vorbehalten bleiben. Ich bitte darum, dieser unserer Vorlage Ihre Zustimmung nicht zu versagen; denn heute sollte in Deutschland der Grundsatz nicht mehr
gelten, daß ein Lehrherr aus irgendwelchen Gründen heraus, selbst aus Anomalität heraus, seine Jungs oder Mädels mißhandelt; denn wir wünschen uns den Lehrherrn, der unseren jungen Menschen Freund und Helfer ist. Ich bitte Sie nochmals, unserer Vorlage Ihre Zustimmung zu geben.