Rede von
Anton
Sabel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es besteht die Aussicht, daß mein sehr verehrter Herr Vorredner demnächst einmal auf der andern Seite sitzt.
Zum mindesten wird ihm der sehr starke Beifall dort sehr sympathisch gewesen sein.
Zu der vorliegenden Interpellation möchte ich folgendes sagen. Wir haben hier wiederholt Debatten über besondere Notstandsgebiete gehabt, und wir haben schon gesehen: die Dinge wiederholen sich, die Verhältnisse sind ähnlich gelagert. Der nordhessische Raum, um den es geht, ist in weitem Maße Grenzland und hat eben mit all den Schwierigkeiten eines Grenzlandes zu kämpfen. Hinzu kommt noch, daß praktisch auch ein bestimmter Bezirk — Kollege Freidhof hat es angedeutet — im „Dritten Reich" infolge der Verlage- rung der Rüstungsproduktion, sagen wir ruhig: übervölkert wurde. Heute haben wir unsere liebe Not, den Menschen eine erträgliche Existenz zu geben.
Um Ihnen aufzuzeigen, wie es aussieht, kann ich Ihnen nur die Arbeitslosenziffer nennen. Wir haben im Regierungsbezirk Kassel Ende Juli eine Durchschnittsarbeitslosigkeit von 12,4 % gehabt, während wir im Regierungsbezirk Wiesbaden, der auch zu Hessen gehört, nur eine Arbeitslosigkeit von 4,4 % hatten. Sie sehen also hier die gewaltige Differenzierung der Situation in einem Lande. Die Zahlen über die Arbeitslosigkeit, die Herr Kollege Leuchtgens angeführt hat, stimmen Gott sei Dank nicht. In Nordhessen ist auch der Vertriebenenanteil größer als im Bundesdurchschnitt und im Durchschnitt des Landes Hessen. Und dann die besondere Sorge durch das ständige Einströmen der Ostzonenflüchtlinge, das praktisch jede Erleichterung auf dem Arbeitsmarkt wieder illusorisch macht, weil immer wieder neue Bewerber um Arbeitsplätze in den Vordergrund treten.
Ich darf darauf hinweisen, daß gerade das engere Grenzgebiet durch die Grenzziehung sehr starke wirtschaftliche Nachteile erlitten hat. Hier sind eben alte Wirtschaftsbeziehungen durchschnitten worden, und es ist sehr, sehr schwer, irgendeinen Ersatz zu schaffen.
Nun könnte man aus den Darlegungen, die bereits zu dem Thema gemacht worden sind, entnehmen, es sei noch nichts geschehen. Ich möchte hier doch darauf hinweisen, daß wir im Frühjahr des vergangenen Jahres im Rahmen des großen Arbeitsbeschaffungsprogramms auch Nordhessen eingegliedert haben. Es war Gott sei Dank möglich, aus dem 300-Millionen-Fonds einen Betrag von 15 Millionen DM für Nordhessen zur Verfügung zu stellen, und es war weiter möglich, aus dem besonderen Kredit der Bundesbahn für Arbeitsbeschaffungszwecke im Bezirk Nordhessen rund 20 Millionen DM anzulegen. Es muß unbedingt dafür Sorge getragen werden, daß Nordhessen auch in dem augenblicklich anlaufenden Arbeitsbeschaffungsprogramm entsprechend berücksichtigt wird. Sie wissen, dem Bundestag lag in der vergangenen Woche die Vorlage zur Bereitstellung von 200 Millionen DM aus den Mitteln der Arbeitslosenversicherung vor. Sie wissen ferner, daß der Bundesfinanzminister hier schon einmal mit 50 Millionen DM in Vorlage gegangen ist. Von diesen 50 Millionen DM ist bereits ein Teil nach Hessen geflossen. Ich hätte den Wunsch, daß die hessische Regierung diesen für Hessen zur Verfügung gestellten Betrag im wesentlichen in den Notstandsgebieten Nordhessens anlegt. Von den 50 Millionen DM waren bis in der vorigen Woche etwa 2 Millionen DM für Hessen zugeteilt worden. Ich höre, daß auch heute morgen in einer Sitzung, in der man sich mit der Verteilung der restlichen Beträge befaßte, weitere Zuteilungen für Hessen erfolgt sind. Wenn der Einsatz der 200 Millionen DM aus
den Mitteln der Arbeitslosenversicherung erfolgt, muß auch dafür Sorge getragen werden, daß das im wesentlichen dort geschieht, wo wir eine überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit und dadurch eine überdurchschnittliche Not haben.
Was ist im einzelnen notwendig, um hier zu helfen? Ich glaube, wir müssen gerade in den Grenzgebieten der Industrieansiedlung besondere Bedeutung beimessen und sie besonders schmackhaft machen, da die Grenznähe auf die Niederlassung von gewerblichen und industriellen Unternehmen etwas abschreckend wirkt, d. h. also, daß wir praktisch hier eine erhöhte öffentliche Hilfe benötigen. Ich möchte wünschen, daß diese Notstandsgebiete bei der Verteilung von öffentlichen Aufträgen besser als bisher berücksichtigt werden. Auch ich habe die Erfahrung gemacht, daß man aus irgendwelchen Gründen — manchmal sind es nur Gründe der Bequemlichkeit — nicht genügend Umschau hält, um solche öffentlichen Aufträge, die man in bestimmte Bezirke verlagern kann, nun auch dort anzusetzen, wo die größte Not ist.
Ich möchte an ein anderes Problem erinnern: die Frage der Frachtgestaltung für bestimmte Massengüter. Ich darf da ein Beispiel anführen. Wir haben in der hessischen Rhön einige Basaltwerke, die früher fast ausschließlich nach Thüringen geliefert haben. Sie versorgten die Reichsbahn und die Straßenbauverwaltungen in Thüringen, weil sie dort sehr frachtgünstig lagen. Sie haben diesen Absatzraum verloren; und es ist nun sehr schwer, an den Aufträgen in anderen Bezirken teilzuhaben, weil immer wiederum die Frachtsituation eine wirkliche Mitbeteiligung verhindert. Die Betriebe sind in sehr starkem Maße konkurrenzunfähig, und man soll sich allen Ernstes überlegen, ob man hier nicht mit manchmal bescheidenen Mitteln doch eine sehr gute Hilfe leisten kann.
Ich möchte auch noch an etwas anderes erinnern. Man sollte sich gerade bei der Ansetzung von Betrieben, von Unternehmen in solchen Bezirken auch einmal von gewissen bürokratischen Hemmungen freimachen. Auch hier wiederum ein Beispiel. Wir haben in einer Stadt in Nordhessen die Möglichkeit, ein großes Versicherungsunternehmen, das früher in der Ostzone war, anzusetzen, was zweifellos für die wirtschaftliche Belebung dieses Bezirks beachtlich wäre und was zweifellos wiederum Arbeitsmöglichkeiten für eine ganze Reihe insbesondere kaufmännischer Angestellter schaffen würde, die wir ja so schwerlich in anderen Arbeitsplätzen unterbringen können. Der Ansatz scheitert, weil die zuständige Behörde ein Grundstück, das zum Teil Bundeseigentum ist, nicht zur Verfügung stellen zu können glaubt, weil dort vielleicht ein-. mal ein Zollamt erstellt werden soll.
Ich glaube, das sind Dinge, die wir vermeiden sollten. Wir sollten alles tun, was eben den Ansatz von solchen Unternehmen in diesem kritischen Raum fördern könnte.
Nun sind wir uns alle darüber im klaren, daß die Hilfe nicht allein vom Bund erfolgen kann. Über dieses Problem — die Situation in Nordhessen — ist auch schon eindeutig im hessischen Landtag gesprochen worden; und da darf ich sagen, daß dort in sehr starkem Maße darauf hingewiesen wurde, daß man sich in Nordhessen oft als das Stiefkind von Hessen vorkommt. Man übt also dort Kritik an einer unzulänglichen Hilfe des Landes. Wir sind der Meinung, daß beide Teile in der Lage sind, zu helfen. Beide Teile sollten sich bemühen, eben dort zu einem entsprechenden Einsatz der notwendigen Mittel zu kommen. Es hat wohl keinen Sinn, die Hilfe nur von einer Seite zu erwarten und die Maßnahmen, die getroffen worden sind, nur zu kritisieren. Im übrigen ist es nicht gerade zweckmäßig und es dient auch nicht der Sache, wenn man demjenigen, der einem helfen soll, zuvor noch eine kräftige Ohrfeige gibt. Damit kommt man meistens nicht sehr weit; und es ist oft viel klüger, wenn man versucht, im stillen zu wirken und da und dort eine Hilfe durch Verhandlungen mit den entsprechenden Stellen zu erreichen.
Ich glaube, wir müssen einmal in diesem Hause dazu kommen, die ganzen Probleme der Notstandsgebiete eingehender zu behandeln, und zwar von dem Gesichtspunkt aus, daß alle Maßnahmen, die zu treffen sind, nicht nur eine momentane Hilfe bedeuten dürfen. Das Ziel all der Maßnahmen muß doch sein, die Wirtschaftsstruktur in diesen Notstandsgebieten so zu verbessern, daß eine dauernde Unterstützung solcher Bezirke nicht notwendig ist. Damit möchte ich den Wunsch ausdrücken, daß man eben wirklich von diesem Gesichtspunkt aus in stärkerem Maße diesen ganzen Fragenkomplex behandelt. Im übrigen wünsche auch ich, daß Nordhessen weder ein Stiefkind des Bundes noch ein Stiefkind des Landes Hessen sein möge.