Rede von
Willi
Richter
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Winkelheide im einzelnen einzugehen; denn die gleichen Ausführungen wurden in einer ausgiebigen Debatte zu dem gleichen Problem in der Sitzung gemacht, in der drei Anträge zugrunde gelegen haben: der Antrag Drucksache Nr. 163 der CDU/CSU, in dem die Regierung ersucht wurde, dem Hohen Hause einen Gesetzentwurf über die Familienausgleichskasse zu unterbreiten, der Antrag des Zentrums, Drucksache Nr. 740, der grundsätzlich die gleiche Absicht verfolgte, und der Antrag meiner Fraktion, der SPD, Drucksache Nr. 774, der wie der heutige Antrag einen Initiativgesetzentwurf darstellt.
Nun hat der Abgeordnete Winkelheide in seinen Schlußausführungen gewünscht, der Ausschuß für Sozialpolitik möge die Dinge möglichst bald behandeln. Der gleichen Ansicht bin auch ich. Der Ausschuß hat den Antrag der CDU/CSU, Drucksache Nr. 163, verabschiedet. Sie haben dem Antrag des Ausschusses zugestimmt, und die Überweisung an die Regierung — mit der Aufforderung auf Unterbreitung eines Gesetzentwurfes über die Errichtung von Familienausgleichskassen — ist beschlossen worden. Der Entwurf ist uns, wie Herr Winkelheide richtig sagte, bis heute noch nicht unterbreitet worden, so daß wir noch nicht Stellung dazu nehmen konnten. Aber die anderen Anträge, der Antrag des Zentrums und der Initiativgesetzentwurf der SPD, betreffend Gewährung allgemeiner Kinderbeihilfen, sind im Ausschuß für Sozialpolitik in fünf Sitzungen behandelt worden. Der Ausschuß für Sozialpolitik hat aus seiner Mitte eine Kommission gebildet, der Abgeordnete der SPD, der CDU, der FDP und der DP angehörten. Diese Kommission hat meiner Ansicht nach wertvolle Arbeit geleistet. Sie hat die Grundsätze festgelegt, konnte jedoch die Angelegenheit dem Ausschuß für Sozialpolitik noch nicht überweisen, da die Sache auf die Bitte des Abgeordneten Arndgen von der CDU/CSU in der damaligen Sitzung zurückgestellt wurde, bis ein Entwurf oder Gedankengänge seiner Fraktion — insbesondere der Herren Kollegen Winkelheide und Even — der Kommission bzw. dem Ausschuß unterbreitet würden, und — Herr Kollege Arndgen ist anwesend — diesem Wunsche haben wir selbstverständlich stattgegeben. So hat es mich einigermaßen überrascht, daß dieser Wunsch auf einmal in der Form eines Antrags dem Hause unterbreitet wird und nicht — wie ich und alle die Kollegen, die in dieser Kommission saßen, erwartet haben — als ein Vorschlag für die Kommission. Aber das hat
formell nichts zu sagen. Das Entscheidende ist, daß uns nun endlich die Gedanken, die den Anhängern der Familienausgleichskasse vorschweben, in Form eines Gesetzentwurfs unterbreitet worden sind, und daß wir nun - nachdem wir die Meinung aller Fraktionen, und besonders der maßgebenden gehört haben — im Ausschuß für Sozialpolitik an das Problem herantreten können, um es abschließend zu behandeln.
Dazu darf ich noch sagen, daß auch der Bundesrat sehr aktiv war und vor Jahren einen Arbeitkreis eingerichtet hat, der unter Führung des bekannten Sozialpolitikers Herrn Professor Polligkeit aus Frankfurt in wiederholten Sitzungen die Grundsätze erarbeitet hat. Sowohl die Kommission des sozialpolitischen Ausschusses des Bundestags als auch der Arbeitskreis des Bundesrats sind sich über die Grundsätze einig. In einer gemeinsamen Sitzung, in der auch Kollegen Ihrer Fraktion, der CDU/CSU, der antragstellenden Fraktion, anwesend waren, hat man sich auf das Wesentliche verständigt. Das Wesentliche ist aber nicht die Errichtung von Familienausgleichskassen. In diesen beiden Gremien wünschte man überhaupt nicht die Errichtung neuer Behörden und Institutionen, eben aus den Erwägungen, die Herr Winkelheide hier soeben so laut und deutlich zum Ausdruck gebracht hat, aus den Erwägungen, keine neuen bürokratischen Einrichtungen zu schaffen, die nur Geld kosten, die Zeit in Anspruch nehmen, die Formulare brauchen, Herr Kollege Winkelheide, und die deshalb nur zur Verteuerung und zur Inanspruchnahme von Beitragsmitteln führen würden.
Man ist allerdings der Ansicht, daß diese allgemeinen Kinderbeihilfen an jedermann gewährt werden sollen, ganz gleich, ob es sich um einen Arbeitnehmer, um einen Landwirt, um einen Handwerker, um einen frei Schaffenden oder sonstigen Gewerbetreibenden handelt.
Diese Personengruppen, d. h. alle Einkommensteuerpflichtigen, ob Arbeitnehmer oder Selbständige, bekommen bereits seit Jahren über die Einstufung in Steuerklasse III eine Ermäßigung, nur mit dem einen Unterschied, daß für drei und mehr Kinder die monatliche Steuerermäßigung bei Lohn-und Gehaltsempfängern mit Bezügen von 200 DM im Monat, also bei den Arbeitern und unteren Angestellten, nur 4,55 DM, von 300 DM nur 16,25 DM, bei 600 DM Monatseinkommen 63,35 DM und bei 1000 DM Monatseinkommen und bei fünf Kindern 106,70 DM beträgt. Sehen Sie, da haben wir ja schon eine staatliche Kinderbeihilfe, wenn Sie sie so nennen wollen, auf dem Wege über die Steuerklasse III. Das halten wir aber nicht für gerecht, und die Ausschüsse des Bundestages sowie der Arbeitskreis des Bundesrates waren sich darüber einig, daß diese Ungerechtigkeit beseitigt werden muß. Das heißt auf gut deutsch: die Steuerklasse III hat in diesem Aufbau, den sie jetzt hat, keine Daseinsberechtigung mehr; hier muß eine Umformung erfolgen.
Es ist praktisch so, daß ein Arbeitnehmer oder Selbständiger mit einem Monatseinkommen von 1000 DM für seine fünf Kinder noch 106 DM Kinderermäßigung erhält, daß er, der schon viel verdient, noch eine relativ hohe Steuerermäßigung bekommt, während der andere, der ebenfalls fünf Kinder zu sättigen und zu kleiden hat, nur ein paar Mark bekommt. Dieser Weg ist nicht mehr gangbar. Das kann nicht mehr aufrechterhalten werden. Deswegen werden wir im Ausschuß dahin-
gehende Anträge stellen, wie wir es in den gemeinsamen, wirklich fruchtbringenden und in Einmütigkeit durchgeführten Beratungen des Bundestagsausschusses und des Bundesratsgremiums bereits getan haben.
Nun sagt Herr Winkelheide, daß vom dritten Kind ab eine Kinderbeihilfe durch die Familienausgleichskasse gewährt werden soll. Meine Damen und Herren, da kann man doch nicht mehr von Kinderbeihilfen allgemeiner Art sprechen. Wieviel dritte und mehr Kinder haben wir denn? Es sind insgesamt zwei Millionen von 11 820 000 Kindern bis zum 15. Lebensjahr. Es handelt sich also um einen ganz geringen Prozentsatz, wenn es erst ab drittem Kind geht, und zwar um 18 v. H. aller Kinder in der Bundesrepublik, für die dann eine Kinderbeihilfe nach den Vorschlägen des Herrn Kollegen Winkelheide und seiner Fraktion gewährt wird. Davon müßten Sie noch die Zahl der Kinder abziehen, deren Väter im öffentlichen Dienst stehen, also Beamte, Eisenbahner, Post- und Gemeindebedienstete usw. Dafür können Sie etwa 4 oder 5 % abziehen. Ich kann Ihnen den Prozentsatz nicht genau sagen; aber soviel werden es sein, die bereits Kinderbeihilfen bekommen. Dieser an sich wirklich vorzüglichen, von jedermann zu unterstützenden Idee der Gewährung von Kinderbeihilfen leisten Sie mit Ihren Vorschlägen einen recht geringen Dienst; sie enthalten weniger als das, was sich die Leute draußen in den letzten Wochen, seitdem Ihr Antrag vorliegt — nehmen Sie mir das nicht übel —, vorstellen, erhoffen und zu erhalten glauben.
Sehen Sie mal, Sie wollen ab drittem Kind eine Kinderbeihilfe gewähren. Es ist doch wohl noch in Erinnerung, denn es ist noch gar nicht so lange her, daß die Bundesrepublik Mitglied des Internationalen Arbeitsamtes geworden ist und daß auf der Konferenz der internationalen Arbeitsorganisation, an der die Bundesrepublik Deutschland erstmals offiziell wieder als Mitglied teilnehmen konnte, in dem Ausschuß für soziale Sicherheit mit Zustimmung aller Arbeitnehmer und teilweiser Zustimmung der Arbeitgeber und überwiegender Zustimmung der Regierungsvertreter beschlossen wurde, die Kinderbeihilfen allüberall vom zweiten Kind ab einzuführen. Es ist bedauerlich — ich kann es ja so nebenbei mal erwähnen; Sie haben ein Recht darauf, es zu erfahren —, daß der deutsche Regierungsvertreter sich in dieser Frage der Stimme enthalten hat.
Ich will auf die Einzelheiten nicht eingehen. Die Gewährung einer Kinderbeihilfe erst vom dritten Kind ab bedeutet die Nichtbeachtung der Beschlüsse des Internationalen Arbeitsamtes, bedeutet, daß höchstens 18 % der Kinder betreut werden, wovon noch diejenigen abzurechnen sind, deren Väter im öffentlichen Dienst beschäftigt sind und bereits die Kinderbeihilfe bekommen.
Sie lassen die Steuerklasse III unberührt, Sie lassen dieses von mir geschilderte soziale Unrecht weiter bestehen. Ich hoffe, wir werden uns darüber einig, daß hier Recht vor Unrecht kommen muß.
Und nun zu Ihrem System selbst, das einfach, billig und zweckmäßig sein soll. Sie schlagen drei Systeme von Familienausgleichskassen vor: eine Familienausgleichskasse für Betriebe und Verwaltungen, die zusammengehören, ferner eine Allgemeine Familienausgleichskasse für die Betriebe und Verwaltungen sowie für die Selbständigen, für
welche keine Berufsgenossenschaft da ist, und schließlich eine Zentrale Familienausgleichskasse als Dachorganisation über alle. An diese hätten die einzelnen Familienausgleichskassen der Betriebe und Verwaltungen sowie die Allgemeine Familienausgleichskasse die Überschüsse an Beiträgen abzuführen. Diese Zentrale Familienausgleichskasse, die vom Bundesarbeitsminister verwaltet werden soll, hätte andererseits an die Familienausgleichskassen der Betriebe und Verwaltungen Zuschüsse zu leisten, wenn dort das Beitragsaufkommen nicht ausreicht.
Bitte, das ist nicht einfach, das ist kompliziert! Das macht einen Verwaltungsapparat notwendig, ich weiß nicht, wie groß. Da wird es auch wieder einige Präsidenten geben, den Herrn Präsidenten von der Familienausgleichskasse XY, den Herrn Präsidenten von der Allgemeinen Familienausgleichskasse; und der Chef des Ganzen, der Zentralen Familienausgleichskasse, wird vielleicht Oberpräsident heißen. Ich weiß nicht; aber so was ist doch in Deutschland möglich. Ich behaupte sicherlich nicht zuviel.
Nun wollen Sie die Durchführung dieser Aufgabe ausgerechnet den Sozialversicherungsträgern, den Berufsgenossenschaften übertragen. Nehmen Sie es mir nicht übel: Wenn Sie einen der ungeeignetsten Sozialversicherungsträger aussuchen wollten, dann haben Sie ihn in den Berufsgenossenschaften gefunden.
— Das hat mit Selbstverwaltung gar nichts zu tun. — Die Berufsgenossenschaft hat hierzu den denkbar ungeeignetsten Apparat. Die Berufsgenossenschaft ist am wenigsten verzweigt. Die Berufsgenossenschaften haben in vielen Fällen nur eine Zentrale und manchmal nur noch einige Sektionen. Ich habe hier eine Liste der Berufsgenossenschaften der deutschen Bundesrepublik. Sie umfaßt eine Seite und noch ein Drittel dazu, und damit ist es aus. Da haben Sie ihre Anschriften. Das bedeutet doch eine erhebliche Korrespondenz. Wenn jetzt ein Kind geboren wird, muß sich die Mutter oder der Vater an die Berufsgenossenschaft wenden. Er weiß nicht genau, zu welcher er gehört. Er muß sich erkundigen. In einem Betrieb der Metallindustrie kann es drei, ja vier Berufsgenossenschaften geben. Da gibt es bei den Opelwerken eine Genossenschaft der Feinmechaniker — die kennen Sie alle —, da gibt es Schlosser und Eisenarbeiter, da gibt es Maschinenbauer und die Kleineisenindustrie. Dann gibt es noch die nordwestdeutschen und die süddeutschen Eisen- und Stahlberufsgenossenschaften.
Aber ich will Sie damit nicht langweilen. Ich glaube nur, daß wir uns diese Dinge im Ausschuß noch eingehend vor Augen halten müssen. Das ist keine parteipolitische Ansicht. Ich kenne sehr viele Ihrer verehrten Sozialpolitiker, mit denen ich auf allen möglichen Gebieten zusammenarbeite, die mit mir in dieser Frage einer Meinung sind. Deswegen glaube ich, wir sollten uns hier nicht in einem breiten Redeschwall allzusehr festlegen, sondern die Dinge ganz nüchtern betrachten. Ich begrüße es, daß wir nun endlich an die abschließenden Arbeiten gehen können, da durch Ihren Initiativantrag die Fesseln, die für uns im Sozialpolitischen Ausschuß vorhanden waren, gefallen sind. Aber die SPD wird auf einer Kinderbeihilfe für alle Kinder bestehen müssen. Dabei werden wir zu beraten haben, ob sie für den Anfang erst vom zweiten Kinde ab gegeben werden kann. Wir halten es auch
nicht für einfach, in dieser Frage nun eine einzelne Gruppe mit der Aufbringung der Mittel zu belasten. Wir müssen die Dinge auch volkswirtschaftlich sehen. Es gibt lohnintensive Wirtschaftszweige und -betriebe, die einen relativ hohen Beitrag aufzubringen hätten, und es gibt Industrien, in deren Produkten verhältnismäßig wenig Lohn enthalten ist und die dadurch geringer belastet würden. Wir müssen dabei an unsere Ausfuhr denken und prüfen, wie sich die Belastung auf die Preisgestaltung auswirkt, wenn man den Weg, den Sie hier vorschlagen, beschreitet. Wir sind der Meinung, daß eine allgemeine sozialpolitische Ausgabe auch von der Allgemeinheit zu tragen ist. Das hat nichts mit der Verstaatlichung der Persönlichkeit zu tun, sondern es ist eine Frage der Zweckmäßigkeit, der Solidarität, der gegenseitigen Hilfe, der Hilfe des einen für den andern.