Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist gewiß lästig, in der zweiten Lesung zu einer so schwierigen Gesetzesmaterie wie der durch das Referat des Herrn Neumayer behandelten hier Einzelausführungen zu machen. Ich halte mich aber als Jurist für verpflichtet, auf gewisse Dinge hinzuweisen. Da es sich dabei auch um die Auffassung 'des juristisch nicht vorgebildeten Laien handelt, der das Gesetz anwenden soll, ist es wohl erwünscht, daß ich meine Bemerkungen so interessant mache, daß alle zuhören.
Im § 99, zu dem ich zunächst spreche, ist, worüber man sich einig ist, nicht der innerdeutsche Landesverrat unter Strafe gestellt. Zwischen den einzelnen Bundesländern unserer Bundesrepublik gibt es natürlich keinen Landesverrat. Das soll nach dem Text dadurch zum Ausdruck kommen, daß im ersten Absatz von § 99 bei dem Staatsgeheimnis davon die Rede ist, daß die Geheimhaltung vor einer „fremden Regierung" für das Wohl des Staates von Bedeutung ist. Es ist bewußt, wie wir gehört haben, der Ausdruck „ausländisch" vermieden. Dafür habe ich volles Verständnis.
Nun handelt es sich nicht nur um das Wohl der Bundesrepublik selbst, sondern auch um das
„eines ihrer Länder"; und vom Standpunkt eines << der Länder aus ist jede andere Landesregierung eine „fremde" Regierung. Gerade da es sich aber um „Landes" verrat handelt, könnte man leicht auf den Verdacht kommen, daß auch 'der innerdeutsche Landesverrat strafbar sein solle. Jedenfalls ist das nicht mit der mir erforderlich erscheinenden Sicherheit ausgemerzt. Diese Ausmerzung geschieht nach meinem Vorschlag dadurch, daß ich die Begriffe, die im § 100 b mit Recht verwandt worden sind, hier auch schon einmal einfügen und deswegen sagen möchte:
. . . deren Geheimhaltung vor der Regierung eines fremden Staates oder eines außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes belegenen Gebiets für das Wohl der Bundesrepublik oder eines ihrer Länder erforderlich ist.
Damit ist klargestellt: es handelt sich nicht um das Wohl eines Landes gegenüber einem andern Lande. Ich halte diese Klarstellung für dringend geboten.
Ich darf meine Anträge, die einen gewissen inneren Zusammenhang haben, gleich in einem Zuge begründen. Der § 100 a ist seit der Novelle vom 24. April 1934 Bestandteil unseres bisherigen Strafgesetzbuches; er ist also durch ein Nazigesetz in das Strafgesetzbuch eingefügt worden. Er war vorher in der Strafrechtskommission des alten Reichstages besprochen worden und hatte schon damals diese Fassung. Ich bedaure, vor diesen großen juristischen Vätern nicht hinreichende Achtung zu haben, um zu sagen: Damit ist der Text geheiligt. Denn in den drei ersten Absätzen von § 100 a wird vorgesehen, daß man eine „Fälschung" verraten kann. Das ist. ausgeschlossen. Man kann keine Fälschung verraten. Eine Fälschung kann man nur dadurch verraten, daß man dem Empfänger erklärt: Es ist eine Fälschung, — falls er das nicht wissen sollte. Dann nur ist die Fälschung „verraten". — Es ist aber auch kein Verrat im Sinne des ganzen Abschnittes, weil Verrat im Sinne des § 99' Abs. 2 nur der Verrat eines Staatsgeheimnisses ist. Nun ist eine Fälschung das genaue Gegenteil des Verrats eines Staatsgeheimnisses, nämlich ein Betrug, der nach Analogie einer falsch ausgestellten Urkunde zum Z wecke der Täuschung mit den ersten drei Absätzen des § 100 a unter Strafe gestellt werden soll; strafbar also ist das Täuschungsmanöver, das dem Empfänger dieser Unterläge einen Landesverrat vortäuscht und damit die Bundesrepublik schwerstens gefährdet.
Ich begrüße es, daß man diese Paragraphen noch, einmal im Rechtsausschuß prüfen will. Denn meine Eventualvorschläge reichen mir nicht weit genug; das sage ich Ihnen ganz offen. Es ist nämlich die Frage, ob 'deshalb, weil im § 99 Abs. 2 der Verrat auf ein Staatsgeheimnis exemplifiziert, durch dessen Weitergabe das Wohl 'der Bundesrepublik gefährdet ist, auch gemäß § 100 a die Voraussetzung der Gefährdung schon erfüllt ist, obwohl gar kein Staatsgeheimnis, sondern eine Fälschung verbreitet wird. Es muß daher meines Erachtens sorgfältigerweise das Tatbestandsmerkmal der Gefährdung auch in den § 100 a aufgenommen werden.
Ich bin also der Ansicht, daß die Zurückverweisung zu einer weitgehenden Überprüfung erforderlich ist. Ich bin auch der Meinung, daß man wie bei anderen Paragraphen nur so auch in diesem Sonderfall den eingeschlichenen Mangel
ausmerzen sollte. Dies kann man dem weiteren Bericht des Ausschusses überlassen, wenn man sich darüber noch weitere Gedanken machen will.
§ 100 c behandelt die Fahrlässigkeit. Der Berichterstatter hat Ihnen erzählt, daß es sich hierbei um ein völlig neues Rechtsgut handelt, das inzwischen gegenüber der ursprünglichen Vorlage geändert worden ist. Die Situation ist historisch so: Eine entsprechende Bestimmung war einmal im alten 1934er Nazirecht enthalten, nachdem sie im Rechtsausschuß des alten Reichstags abgelehnt worden war. Die erste Frage ist die, ob wir im Gegensatz zu diesen früheren Juristen heute den fahrlässigen Landesverrat für ein strafwürdiges Vergehen halten, was ich bejahe.
Die fahrlässige Tat kann in dreierlei Weise begangen werden. Abs. 1 sieht vor vorsätzliches Ausplaudern und aus Schlafmützigkeit Nichtbedenken, daß dadurch eine Gefährdung eintritt. Deswegen spricht man von fahrlässiger Gefährdung. Abs. 2 sieht vor: den Transport eines Staatsgeheimnisses, die bekannte abhanden gekommene Aktentasche. Vergessen ist alber meines Erachtens der Hauptfall der Fahrlässigkeit: Nichterkennen, daß es sich um ein Staatsgeheimnis handelt, wenn also das Gericht feststellt, daß es sich um ein solches handelt, der Täter aber sagt: Bei aller Sorgfalt konnte ich das nicht wissen. Dann ist die Frage die: Handelte er fahrlässig, oder handelte er nicht fahrlässig? Dieser Fall ist überhaupt nicht erwähnt. Ich halte auch diesen Fall für strafbar; denn selbstverständlich muß beidiesen gefährlichen Dingen die Sorgfalt je nach der Natur des Täters prästiert werden.
Mein Vorschlag für die dritte Lesung geht dahin, grundsätzlich eine Strafe für Fahrlässigkeit vorzusehen, eine grundsätzliche Ermächtigung für alle Fälle und dann, wenn der Täter ein Beamter, ein Beauftragter oder ein Dienststelleninhaber ist, ihn mit größerer Schärfe zu bestrafen als einen Laien, der zufällig Gelegenheit zum Verrat hat. Ich brauche meinen Vorschlag wohl nicht zu verlesen.
§ 100 f schließt an § 99 an. Hier ist landesverräterische Untreue behandelt. Auch diese könnte nach der Fassung „fremden" Regierungen gegenüber, etwa bei Verhandlungen zwischen deutschen Ländern, zur Erörterung stehen. Denn wie gesagt, die Regierung von Niedersachsen ist der Regierung von Hessen gegenüber eine „fremde", sie ist für Hessen jedenfalls keine eigene. Um diese Auslegung auszuschließen, mache ich meinen Vorschlag.
Ich habe gar nichts dagegen einzuwenden, daß meine Anträge heute nur angekündigt werden; ich . werde sie erst in der dritten Lesung stellen. Denn ich möchte das Haus heute nicht vor die Lage stellen, über Dinge ,zu entscheiden, die noch nicht ausgewogen sind. Ich bin daher Herrn Dr. Laforet für seine Ausführungen dankbar. Ich möchte daher die Anträge jetzt nur ankündigen; ihre Stellung behalte ich mir je nach dem Votum des Rechtsausschusses für die dritte Lesung vor.