Rede von
Walter
Fisch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
— Das war aber klug! — Meine Damen und Herren! Ich muß ausnahmsweise einmal dem Herrn Dr. Kopf recht geben,
und zwar deshalb, weil er sagt, er finde, daß im Grunde genommen die Auffassungen der Regierungskoalition und die des Herrn Abgeordneten Arndt und ' der SPD-Fraktion aufeinander zugingen und sich wahrscheinlich vor dem glücklichen Ende doch noch finden würden. Ich habe diesen Eindruck auch, und ich bin in diesem Eindruck bestärkt, wenn ich mich erinnere, welche Stellungnahme der Abg. Dr. Carlo Schmid bei der Beratung dieses Paragraphen im Rechtsausschuß vertrat. Er bekannte sich nämlich bei der Debatte über diesen Punkt ausdrücklich zum Gesinnungsstrafrecht. Er erklärte ausdrücklich, für den Urteilsspruch des Richters sei entscheidend, ob der Täter mit seiner Gesinnung auf dem Boden dieser Republik stehe oder nicht.
Wer dieses Gesinnungsstrafrecht akzeptiert, der muß sich im Grunde genommen auch damit einverstanden erklären, daß eine bestimmte, nicht gouvernementale Gesinnung von vornherein der Be-
strafung unterliegt. Im sogenannten Heimtückegesetz der Nazidiktatur hieß es, wer gehässige, hetzerische oder von niedriger Gesinnung zeugende Äußerungen über leitende Persönlichkeiten des Staates oder der NSDAP mache, werde mit Gefängnis bestraft.
Wir wissen, daß es wegen dieser Bestimmung des Heimtückegesetzes auch Zuchthausstrafen gegeben hat. Genau das, was die Nazis formuliert haben, nämlich „gehässige, hetzerische und von niedriger Gesinnung zeugende Äußerungen", will der Gesetzgeber und im Grunde genommen auch die SPD-Fraktion im § 97 mit Strafe verfolgen. Es handelt sich hier doch nicht um einen persönlichen Schutz von Leuten, die im politischen Leben stehen, um einen Ehrenschutz. Die Bestimmungen über den persönlichen Ehrenschutz sind zur Genüge im § 18? a behandelt.
Hier geht es um etwas anderes. Hier handelt es sich um die Festsetzung der Strafwürdigkeit einer politischen Kritik an der Tätigkeit der führenden politischen Organe des Bundes und der Länder, ja sogar der Gerichte des Bundes und der Länder. Ursprünglich war in der Regierungsvorlage vorgesehen, diesen besonderen, mit Gefängnis garantierten politischen Schutz auch den untersten Gerichten in einem jeden Lande zu gewähren. Jeder Amtsrichter also sollte, um vor „hetzerischer oder gehässiger Kritik" geschützt zu sein — um im Nazij argon zu verbleiben —, diesen Artikel für sich in Anspruch nehmen können.
-Ich möchte an einen Vorgang in Bielefeld erinnern, wo das dortige Gericht in Sachen Kaufmann einige notorische Nazischläger und -mord-gesellen in provozierender Art freisprach. Damals rief der Kreisvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes zu einer großen Protestkundgebung auf. 35 000 Menschen hatten sich versammelt, um ihrem Protest gegen das unerhörte Urteil des Bielefelder Gerichts Ausdruck zu verleihen. Im Hinblick auf diese Protestkundgebung wurden einige Menschen, darunter auch Redakteure, unter Anklage gestellt und bestraft, weil sie die Tätigkeit des Gerichts „verächtlich Gemacht" hätten.
Ich sehe also den Tag kommen, an dem jeder reaktionäre Richter, allerdings nun nicht mehr der Amtsgerichte, dafür aber der oberen Bundesgerichte und der Landesverfassungsgerichte, sich unter den besonderen Schutz dieses Artikels stellen kann. Das wiegt um so schwerer, wenn man weiß. wie sich die Richterkollegien zusammensetzen, in deren Hand die Entscheidung darüber gegeben ist, was eine „Verunglimpfung eines gesetzgebenden Organs" des Bundes oder einer Regierung des Bundes oder der Länder oder eines deren Mitglieder sein soll. Das sind doch zum großen Teil jene Leute, die unter dem Nazisystem in die juristische Schule gegangen sind,
die dort ihre Bewährungsprobe abgelegt haben. D e n Leuten soll die freie Entscheidung darüber in die Hand gegeben werden, ob die Kritik eines Angeklagten an einer bestimmten Handlung der Regierung oder eines Regierungsmitglieds „verfassungsgefährdend" ist und unter Strafe fällt.
Aus diesem Grunde, meine Damen und Herren, ist es unmöglich, einer Fassung zuzustimmen, wie sie die Regierung vorlegt; aber ebenso 'unmöglich ist es auch, dem Ersatzvorschlag der SPD-Fraktion zuzustimmen, der im Grunde genommen das gleiche will, es nur mit etwas verfeinerten Umschreibungen ausdrückt.