Rede von
Dr.
Adolf
Arndt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Mehrheit dieses Hauses hat leider schon durch ihre Abstimmung zu § 88 unter Beweis gestellt, daß sie kein Gewicht darauf legt, dieses Gesetz mit _ einer breiten Basis zu verabschieden. Die unqualifizierbaren Ausführungen, die hier fortgesetzt von der Kommunistischen Partei und Fraktion aus gemacht werden und die ernst zu nehmen oder mit Pathos zu erwidern ich für mein Teil mich weigere, wären halb so unerträglich, wenn es sonst in diesem Hause eine klare demokratische Grundhaltung gäbe. Das Bedauerliche ist, daß es diese Grundhaltung im Hause nicht gibt, jedenfalls nicht bis jetzt. Das hat sich bei der Abstimmung zu § 88 gezeigt und das wird sich bei § 97 wiederum zeigen; denn § 97 ist für die sozialdemokratische Fraktion in dieser Fassung völlig unannehmbar, und die Unannehmbarkeit ist auch in der Ausschußberatung immer wieder herausgestellt worden. Hier weichen Sie mit der Vorlage von den ursprünglichen Zielen des Gesetzes völlig ab. Hier handelt es sich jetzt nicht mehr darum, ein Gesetz gegen die Feinde der Demokratie zu verabschieden, sondern mit § 97 in der gegenwärtigen Fassung machen Sie das Gesetz zu einem Gesetz gegen die Demokratie und zu nichts anderem; denn hier wird ein neuartiger Ehrenschutz in der Weise eingeführt, daß es nicht mehr auf die Personen ankommt, die hinter einem Organ stehen oder die das Organ bilden oder Träger der Rechte einer Institution sind, sondern es wird eine eigentümliche abstrakte „Organehre" oder „Institutionsehre" geschaffen, die verunglimpft werden kann. Damit wird tatsächlich in den politischen Meinungskampf eingegriffen. Diejenigen unter Ihnen, meine Damen und Herren von rechts und aus der Mitte, die im Ausschuß mitgearbeitet haben, wissen ja, daß versucht worden ist, Beispiele zu bilden. ,Über keines der Beispiele hat irgendwie eine Einigung herbeigeführt werden können. Es war z. B. die Frage, ob gesagt werden kann: „Die Politik der Bundesregierung oder einer Landesregierung ist ein Verbrechen." Oder kann gesagt werden: „Die Politik dieser Regierung ist klassenkämpferisch", oder ähnliches? Selbst in unserem Kreise war keine Einigung zu erzielen, ob das eine Verunglimpfung sei oder nicht. Es ist völlig unmöglich, einem Strafrichter eine derartige Bestimmung in die Hand und ihm damit die Möglichkeit zu geben, in den politischen Meinungskampf einzugreifen.
Auch der Hinweis, daß ja vorweg so eine Art Hürde stehe, daß nämlich nur bestraft werden könne, wer in einer bestimmten Absicht handle, und zwar in der Absicht, Bestrebungen gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder gegen einen der in § 88 bezeichneten Verfassungsgrundsätze zu fördern, vermag die Bedenken nicht zu beseitigen. Auch diese Hürde wird bei einem bloßen Äußerungsdelikt anders zu beurteilen sein als bei Tatbeständen, denen wirklich ein objektiv greifbarer Sachverhalt zugrundeliegt. Wir halten diese Hürde hier in diesem besonderen Falle nicht für ausreichend, sondern sehen die demokratische Meinungsfreiheit in Deutschland auf das schwerste gefährdet, wenn § 97 in dieser Fassung angenommen werden würde.
Das schließt nicht aus, daß wir im Rahmen dieser unmöglichen Vorschrift einen berechtigten Kern anerkennen. Wir alle wissen, daß es vor 1933 sowohl in der Hand der Nationalsozialisten als auch der Kommunisten besonders die Waffe der, sagen wir einmal: Staatsverächtlichmachung gewesen ist, mit der man die Autorität der Weimarer Republik untergraben hat.
Das ist in der Weise geschehen und geschieht auch heute wieder in der Weise, daß Kritiker oder Hetzer solcher Art weder für die jeweilige Regierungsgruppe noch für die Opposition sind, sondern schlechthin das Ganze verwerfen und darauf ausgehen, in den gesetzgebenden Körperschaften und in der von diesen Körperschaften berufenen Regierung die Wählerschaft zu treffen, die Wählerschaft zu entmündigen und um ihre Rechte zu bringen. Wenn man deshalb einen solchen Tatbestand richtig aufbauen will, so muß man nach unserer Meinung eben davon ausgehen, daß Äußerungen getroffen werden sollen, die keine Parteinahme gegen die Politik der jeweils regierenden Gruppe oder die Politik der jeweils opponierenden Gruppe sind, sondern daß es sich um Äußerungen handelt, die das ganze Regime verwerfen, einerlei, wer regiert.
Wir haben versucht, einen solchen Tatbestand in dem von uns neu gefaßten § 97 zu entwickeln. Dabei ist zunächst einmal die Selbstachtung der Wählerschaft als das zu schützende Rechtsgut herausgestellt; denn die Wählerschaft ist es, die von diesen auf eine Diktatur ausgehenden Bestrebungen angegriffen und verächtlich gemacht wird, indem man das Regime, wie sie es für richtig hält und wie es auf Grund von Wahlen zu verfassunggebenden Körperschaften und durch Berufung der Regierung durch die gesetzgebenden Körperschaften ausgeübt wird, angreift und verächtlich macht.
Notwendig ist ferner, daß die Herabsetzung der gesetzgebenden Körperschaften „allgemein" erfolgt, und zwar in der Form, daß die Körperschaften und die von ihnen berufenen Regierungen „als Einrichtungen" herabgesetzt werden; also keine Kritik an der jeweiligen Politik, zumal kein Richter zu beurteilen vermag, ob eine Kritik sachlich oder unsachlich, gerechtfertigt oder ungerechtfertigt, positiv oder negativ, vernünftig oder hetzerisch ist. Das kann nicht judiziert werden, wohl aber kann ein Richter erkennen, ob es dem Täter überhaupt nicht darauf ankommt, in den politischen Meinungskampf einzugreifen, sondern schlechthin die Legitimität des aus Regierung und Opposition bestehenden Ganzen anzugreifen, es zu beseitigen und abzuschaffen. Das ist es, was von neofaschistischer Seite und auch von kommunistischer Seite aus geschieht. So allein kann der Tatbestand aufgebaut werden, wenn durch diese Bestimmung nicht unübersehbares Unheil angerichtet werden soll.
Wir bitten Sie deshalb, den § 97 in der Ausschußvorlage zu streichen und durch einen § 97 zu ersetzen, wie er in Umdruck Nr. 269 formuliert worden ist.