Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In § 90 a wird derjenige mit Gefängnis bedroht, der eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder Tätigkeit sich gegen die verfassungs- mäßige Ordnung richten. In dieser Bestimmung haben Sie eine der typischen Formulierungen, die für die Willkür sprechen, welche durch diese Vorlage legalisiert werden soll. Wer noch Merkmale für einen Polizeistaat sucht, hier in § 90 a sind sie gegeben!
§ 90 a widerspricht aber ganz offensichtlich auch dem Art. 18 des Grundgesetzes. In Art. 18 wird vorgeschrieben, daß die Verwirkung eines Grundrechtes — und dazu gehört auch, es ist ausdrücklich genannt, das in Art. 9 des Grundgesetzes festgelegte Grundrecht der Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit — nur durch das Bundesverfasgericht ausgesprochen werden kann. Nur dieses Gericht ist auch befugt, das Ausmaß der Verwirkung und die Folgen zu bestimmen, die sich aus der Verwirkung eines der Grundrechte ergeben. Hier aber, in § 90 a wird einfach willkürlich festgesetzt, daß eine Vereinigung verboten wird, die sich „gegen die verfassungsmäßige Ordnung" richtet.
Ich frage nun: welches ist in diesem Falle die Instanz, welches ist das Gericht, das die „verfassungswidrigen Bestrebungen" einer bestimmten Organisation feststellt? Wo ist — wie das später in § 129 a vorgesehen ist — auch nur eine verwaltungsgerichtliche Instanz eingeschaltet, die diesen Tatbestand der „Verfassungsgefährdung" festzustellen hat? Eine solche Instanz ist nicht vorgesehen! Jede Polizeibehörde, jede sonstige Behörde ist demnach gemäß § 90 a künftighin berechtigt, eine beliebige Organisation nach freiem Ermessen als der „verfassungsmäßigen Ordnung" zuwider zu bezeichnen und sie dementsprechend zu verbieten.
Rechtsfolgen, also die Bestrafung von Zuwiderhandlungen, ergeben sich daraus automatisch. Wie sehr diese Bestimmung dem Grundgesetz widerspricht, ist in einem arbeitsgerichtlichen Urteil, das vor wenigen Tagen durch das Landesarbeitsgericht in Bremen gefällt wurde — am 6. Juni 1951 —, zum Ausdruck gebracht. Dort heißt es in der Urteilsbegründung ausdrücklich:
Der Verfassungsgesetzgeber hat den Schutz der Verfassung einem unabhängigen und nach demokratischen sowie rechtsstaatlichen Grundsätzen gebildeten Verfassungsgerichtshof übertragen, dem die schwere Aufgabe obliegt, die Demokratie nicht nur gegen ihre Feinde, sondern auch gegen jede innere Verfälschung durch ihre Verteidiger zu schützen. Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer politischen Partei und die Aberkennung von Grundrechten nach Art. 18 des Grundgesetzes stellen verfassungsrechtliche Entscheidungen dar, die nur von der verfassungsmäßig hierzu berufenen Stelle getroffen werden können. Das Bundesverfassungsgericht ist nicht irgendein Gericht, sondern neben den gesetzgebenden Organen der Bundesrepublik sowie neben der Regierung, Verwaltung und Justiz eine gleicherweise justizförmige und politische Körperschaft, die keinen Bestandteil der eigentlichen Rechtspflege bildet. Einer solchen Instanz hat das Grundgesetz ausdrücklich die alleinige Entscheidung zugebilligt über die Frage, ob eine Person oder eine Vereinigung eines der Grundrechte, also auch das in Art. 9 des Grundgesetzes festgelegte Grundrecht der Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit verwirkt und welche Folgen sich daraus ergeben.
Und nun, meine Damen und Herren, möchte ich einen unverfänglichen Zeugen aufrufen. Ich möchte aufrufen den Abgeordneten der Freien Demokratischen Partei Dr. Thomas Dehler aus Bamberg. Ich möchte ihn aufrufen als Zeugen gegen den Justizminister Dr. Dehler.
Deutscher Bundestag — i58. Sitzung. Bonn, Montag, den 9. Juli 1951 6313
Herr Dr. Dehler hat in seiner Eigenschaft als Mitglied des Parlamentarischen Rats in der 44. Sitzung des Hauptausschusses am 19. Januar 1949 ausdrücklich auf die Bedeutung — sowohl auf die verfassungsrechtliche als auch auf die politische Bedeutung des letzten Satzes in Art. 18 des Grundgesetzes hingewiesen. Er war es, der eigentlich darauf bestanden hat, daß entgegen gewissen Widerständen diese besondere Schutzmaßnahme für Personen und Organisationen hinsichtlich der Grundrechte eingefügt wird. Er erklärte zur Begründung, daß ohne einen solchen Zusatz jeder vogelfrei sein und der ganze Artikel in den Polizeistaat gehören würde.
Her Dr. Dehler, Sie haben heute, nachdem zwei Jahre vergangen sind, Ihre eigene freiheitliche und demokratische Theorie vom 19. Januar 1949 vergessen und haben selbst Hand angelegt, um den Polizeistaat zu errichten, vor dem Sie damals gewarnt haben. Sie sind damals in Ihrer Auffassung von einem sozialdemokratischen Abgeordneten unterstützt worden, der erklärte, wirkliche Gefahren seien selbst bei längeren Verzögerungen in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu befürchten; denn dieses werde ja einstweilige Anordnungen erlassen können. Gestützt also auch auf diese Meinung von sozialdemokratischer Seite haben Sie damals erklärt, Herr Dr. Dehler, bei einer Streichung des letzten Satzes des Art. 18 würden die aufgezählten Grundrechte wertlos, da sie dann durch polizeiliche Maßnahmen jederzeit außer Kraft gesetzt werden könnten. Ich frage Sie, Herr Justizminister: was ist Ihre Meinung über die Auffassung des Abgeordneten Dehler vom 19. Januar 1949?
Ich hätte es gerne, wenn Sie sich darüber äußern würden, womit und inwieweit Sie Ihre Wandlung in der Einschätzung von Grundsätzen eines Rechtsstaates begründen, mit welchen „Empfehlungen" vielleicht von anderer Seite her oder mit welchen „staatspolitischen Notwendigkeiten", wobei Sie zu berücksichtigen haben, daß diese Formulierung der „staatsrechtlichen Notwendigkeiten" schon vor etwa 15 Jahren von andern „Rechtsschöpfern" geprägt worden ist. .
Im dritten Absatz des § 90 a wird ein außerordentlich gefährlicher Grundsatz proklamiert, nämlich der Grundsatz der Rückwirkung. Es heißt im Abs. 3:
Ist die Vereinigung eine politische Partei im
räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes, so
darf die Tat erst verfolgt werden, nachdem das
Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, daß
die Partei verfassungswidrig, ist.
Wir wissen, daß im Art. 21 des Grundgesetzes den politischen Parteien ein besonderer verfassungsrechtlicher Schutz zugesprochen worden ist. Aber wie soll man diesen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz denn verstehen? Wie soll man seine Anwendung garantiert wissen, wenn es hier heißt, daß mit rückwirkender Kraft politische Parteien bzw. deren Funktionäre für Handlungen bestraft werden können, die erst durch einen späteren Spruch des Bundesverfassungsgerichts als verfassungswidrig bezeichnet werden? Es ist ein alter Grundsatz des Rechtes, daß keine Strafe ohne Gesetz verkündet werden kann. Hier wird dieser Grundsatz durchbrochen! Es wird eine Strafe für eine Straftat nicht nur als zulässig, sondern als vorgeschrieben bezeichnet, die begangen worden ist,
noch ehe sie von Gerichts wegen, und zwar von Bundesverfassungsgerichts wegen als verfassungswidrig und damit also als strafwürdig bezeichnet worden ist. Wir erheben gegen diese Rechtsbeugung, gegen diese Beugung uralter Rechtsgrundsätze entschieden Einspruch und verlangen darum die Streichung des § 90 a.