Rede von
Walter
Fisch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In § 90 wird der Versuch gemacht, den Streik und, wie es heißt, „sonstige Störmaßnahmen", die nicht näher bezeichnet sind, als strafwürdiges Verbrechen zu bezeichnen. Dieses Verbrechen wird allerdings an die Voraussetzung geknüpft, daß mit der Streikhandlung die Absicht verbunden ist, „den Bestand der Bundesrepublik zu beeinträchtigen oder einen der Verfassungsgrundsätze zu beseitigen.", über die soeben eine Abstimmung stattgefunden hat und unter denen sich bekanntlich die Grundrechte nicht befinden.
Das sieht beinahe harmlos aus. Es sieht so aus, als ob man nur „hochverräterische" Streiks oder etwas Derartiges unter Strafe stellen möchte. Aber wenn wir die Dinge näher betrachten, so stellt sich etwas ganz anderes heraus. Erstens: Es ist damit beabsichtigt, jede Widerstandsaktion, die sich richtet gegen die Herstellung von Kriegsmaterial, gegen die Remilitarisierung, gegen die Beförderung von fremden Truppen auf unserem Boden, gegen die Beförderung von Kriegsmaterial zur Vorbereitung und Durchführung eines Angriffskrieges, unmöglich zu machen. Darum werden wir diesen Paragraphen nicht nur als einen Bestandteil der politischen Kriegsvorbereitung einzuschätzen haben, sondern gleichzeitig auch als den Versuch der Einschüchterung gegenüber den Arbeitern in den Rüstungsbetrieben und Verkehrsbetrieben, einen Versuch der Einschüchterung, der sie davon abhalten soll, all ihre Kraft für den Frieden einzusetzen und keinen Handschlag für den Krieg zu tun.
Der § 90 hat aber noch eine zweite sehr wichtige Bedeutung. Ich möchte an die Debatte erin-
nern, die hier aus Anlaß des Mitbestimmungsrechtes in der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie der Bundesrepublik stattfand. Damals trat bekanntlich der Sprecher der FDP-Fraktion auf und erklärte, der Streikbeschluß der Gewerkschaften im Zusammenhang mit der Diskussion um das Mitbestimmungsrecht bei Eisen, Stahl und Kohle stelle eine strafbare Handlung dar;
denn dieser Streikbeschluß sei der Versuch einer Nötigung des Parlaments.
— Herr Becker bestätigt durch sein „Allerdings", daß die FDP-Fraktion in diesem Streikbeschluß der Gewerkschaften im Ruhrgebiet ein strafwürdiges Verbrechen gesehen hat. Wir erinnern uns auch an die Ausführungen des Hüters der Bundesjustiz, des Herrn Dr. Dehler, der in einer Versammlung in Uslar bekanntlich erklärte, die Gewerkschaften gehörten ins Zuchthaus, wenn sie den Versuch machten, durch Streik eine bestimmte politische Entwicklung in der Bundesrepublik zu fördern.
Das Zuchthausgesetz, das Herr Dehler damals für
die Gewerkschaften forderte, — hier, meine Da-
men und Herren, liegt es vor, etwas verklausuliert,
etwas in harmlose Formeln gebracht, dem Sinne nach aber genau das, was damals verlangt wurde. Darum ist es nicht nur Sache aller Freunde des Friedens, sich gegen diesen Art. 90 zu wenden, sondern Sache aller Gewerkschafter, den Anfängen zu widerstehen, die hier in der Richtung gemacht werden, den Streik zur Durchsetzung politischer Forderungen als strafwürdiges Verbrechen zu behandeln.