Rede von
Walter
Fisch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Meine Damen und Herren! Im vorliegenden zweiten Abschnitt des Zuchthausgesetzes wird eine neue Abart des politischen Gesinnungsstrafrechts geschaffen, wie wir es bisher in dieser Weise nur in der Strafjustiz des Naziregimes gekannt haben.
Im ersten Abschnitt ist immerhin noch die Rede von den traditionellen Begriffen des Hochverrats, also von den Begriffen der Gewaltanwendung oder der Drohung mit Gewalt, wobei es j a auch dem Richter jeweils überlassen bleibt, was er nach freiem Ermessen als „Drohung mit Gewalt" bezeichnen möchte. Hier aber spielt das Moment der Gewalt überhaupt keine Rolle, sondern es wird mit Gefängnis und Zuchthaus bestraft, wer eine andere Gesinnung, eine andere politische Ideologie, eine andere politische Zielsetzung sein eigen nennt als die, die im westdeutschen Staatsgebilde als amtlich, als erwünscht angesehen wird. Zu diesem Zweck wird ein neues Delikt geschaffen, das es in der bisherigen deutschen Justizgeschichte noch nicht gegeben hat: der Verfassungsverrat.
Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, daß der Bundesrat, der sich im Juni des vergangenen Jahres insbesondere mit dem damaligen § 90 und jetzigen § 88 dieses Abschnitts befaßt hat, mit aller Entschiedenheit diese Schaffung einer neuen Willkürjustiz bekämpft hat und auf Vorschlag seines Generalberichterstatters, des bayerischen Justizministers Dr. Josef Müller, zu dem Entschluß gekommen ist, den damaligen § 90, heutigen § 88 abzulehnen.
Was ist das für ein neues strafwürdiges Delikt: die „Beeinträchtigung des Bestandes der Bundesrepublik"? Was soll damit überhaupt bestraft werden, welche Abirrungen von der offiziell erwünschten politischen Gesinnung? In dem offiziellen Kommentar zum Grundgesetz ist dieses Wort „Beeinträchtigung" noch etwas deutlicher angesprochen. Man meint dort, schon eine beabsichtigte „Modifizierung" des Grundgesetzes sei ein strafwürdiger Tatbestand. Es würde mich sehr interessieren, wie es die SPD-Fraktion mit ihrer Treue zu den Bestimmungen dieses Zuchthausgesetzes vereinbaren will, wenn sie, wie sie sagt, auf friedliche Weise einmal das bestehende Grundgesetz oder die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik „modifizieren" will.
Man muß sagen, diese Paragraphen von § 88 angefangen sind typische Kautschukbestimmungen in der Hand des jeweiligen Richterkollegiums, sind die Vollmacht zur Ausübung jeder Willkür. Man kann unter Berufung auf § 88 und folgende jede politische Kritik am politischen System, jede Kritik an der Politik der Besatzungsmächte unter Strafe stellen, indem man erklärt, diese Kritik — mündlich oder gedruckt — beinhalte eine „Beeinträchtigung des Bestandes der Bundesrepublik" und verstoße gegen die „verfassungsmäßigen Grundsätze". Mit diesen Bestimmungen werden die entscheidenden Grundrechte einfach hinweggefegt, und auch der Schutz der Grundrechte, der in Art. 18 des Grundgesetzes ausdrücklich ausgesprochen ist, wird in der Praxis für null und nichtig erklärt.
Man hat den Eindruck, wenn man die Texte studiert, als ob sich die Verfasser dieser Vorlage, bevor sie den Text zu Papier brachten, außerordentlich eifrig mit den Nazi-Sondergesetzen befaßt haben, beispielsweise mit der Verordnung zum Schutz von Volk und Staat, mit dem Heimtückegesetz, mit dem Parteiengesetz. Man findet
an verschiedenen Stellen nicht nur sinngemäße,
sondern auch wortwörtliche Übereinstimmungen
mit jenen Vorlagen, die das Nazi-System geschaffen hat, um die Grundsätze der Demokratie zu erwürgen und das System des Zuchthauses und der Konzentrationslager zu legalisieren.
Aber das Regime hatte wenigstens noch die Courage, offen zu erklären, daß man damit das faschistische Diktatursystem sichern wolle. Damals erklärte man in § 1 der Verordnung zum Schutze von Volk und Staat ganz offen, daß man die Grundrechte der persönlichen Freiheit, der freien Meinungsäußerung, der Vereins- und Versammlungsfreiheit als durch diese Notverordnung aufgehoben betrachte. Heute geniert man sich ein wenig, die Dinge so beim Namen zu nennen. Um so schlimmer, wenn man das gleiche wie die Faschisten in verschleierter Form, mit der gleichen Absicht tut.
Die Ungeheuerlichkeit des ganzen Abschnitts über die sogenannte Staatsgefährdung liegt erstens darin, daß sie den Kautschukbegriff der „Beeinträchtigung des Bestandes der Bundesrepublik" als entscheidendes Kriterium für die Bestrafung von Gesinnungstätern, für die Bestrafung von Überzeugungen, für die Bestrafung politischer Zielsetzungen festsetzt. Zweitens beruht die Ungeheuerlichkeit in der Zusammenstellung eines Katalogs sogenannter Verfassungsgrundsätze, der die Grundrechte einfach als nicht existierend betrachtet und eine neue Serie willkürlicher sogenannter „Verfassungsgrundsätze" konstituiert. Drittens besteht die Ungeheuerlichkeit darin, daß der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz aufgehoben wird, und zwar dadurch, daß ein jedes Delikt mit der Gesinnung gekoppelt wird, mit einer strafwürdigen Absicht, die darauf abzielt, den Bestand der Bundesrepublik zu beeinträchtigen.
In § 88 wird dem ganzen Abschnitt ein Katalog derjenigen Objekte vorangestellt, die zu schützen sind und gegen welche Verstöße mit Zuchthaus und Gefängnis bestraft werden sollen. Es ist interessant, daß in der ursprünglichen Fassung der Regierungsvorlage ein Verfassungsgrundsatz mit aufgezählt war, der im wesentlichen die Sammlung der wichtigsten Grundrechte des Grundgesetzes enthielt. Dieser Punkt ist in der letzten Fassung nicht mehr enthalten. Meine Fraktion erlaubt sich, zu beantragen, die ursprüngliche Fassung des Grundsatzkatalogs wiederherzustellen. Sie möchte das Haus dazu zwingen, zu erklären, wie es zu den eigentlichen Grundrechten des Grundgesetzes steht, ob es die Beachtung der Grundrechte als das entscheidende Gebot ansieht oder nicht, ob man glaubt, daß die Mißachtung der Grundrechte ein strafwürdiges Delikt darstelle oder eine lobenswerte Tat. Meine Fraktion beantragt deshalb, die folgende, ursprünglich im Text enthaltene, aber dann auf Veranlassung der Regierungsvertreter gestrichene Fassung wiederaufzunehmen: Als Verfassungsgrundsatz soll demnach bezeichnet werden
die Unantastbarkeit der Würde des Menschen,
die Wahrung der Grundrechte auf Leben und
körperliche Unversehrtheit, auf Freiheit der
Person, Gleichheit vor dem Gesetz, Freiheit
des Glaubens und des Gewissens, Freiheit des
religiösen und des weltanschaulichen Bekenntnisses, Freiheit der Meinungsäußerung, Ver-
sammlungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit.
— Meine Damen und Herren, Sie brauchen nicht über die Ostzone zu reden! Sie haben die Freiheit der Entscheidung in eigenen Händen,
indem Sie darüber abstimmen, ob diese Grundrechte als unabdingbarer Verfassungsgrundsatz in den Gesetzentwurf aufgenommen werden soll oder nicht.
Der Herr Kollege Arndt hat sich mit einer rechtlichen Begründung gegen Abs. 3 gewandt. Ich möchte ihn etwas ergänzen. Ich halte eine solche Ergänzung für erforderlich, weil uns die Regierungsvertreter im Ausschuß in einer begrüßenswert offenen Art und Weise dargelegt haben, warum sie unter allen Umständen den Abs. 3 in § 88 haben wollen, warum sie auf keinen Fall auf ihn verzichten zu können glauben. Die Vertreter des Justiz- und des Innenministeriums erklärten: Wenn wir es bei der Aufzählung von Verfassungsgrundsätzen in der positiven Art, wie in Ziffer 1 bis 5 dargetan, belassen, dann würden wir „eine zu einengende" Formulierung für den Richter schaffen,
„Um das Gesetz ,praktikabel zu machen", d. h. anwendbar zu machen — so sprach der Vertreter des Herrn Justizministers — „brauchen wir den Abs. 3", jene Generalklausel, in die ein jeder Richter hineinlegen und aus der er herauslesen kann, was er will, um einen Vorwand, um eine Begründung für die Verurteilung zu haben.
Der Herr Ministerialdirigent erklärte: „Wenn wir diese Generalklausel" — die so kautschukartig alles unter Strafe stellt, was eine un-petersbergische Gesinnung zum Inhalt hat — „nicht haben, ja, dann müßte ja der Richter verpflichtet sein, in jedem einzelnen Falle den Nachweis für eine tatsächlich erfolgte Verletzung von Verfassungsgrundsätzen zu erbringen." Diese Mühe des Nachweises, daß ein Verfassungsgrundsatz verletzt worden ist, möchte der Herr Justizminister den Richtern ersparen.
Der Vertreter des Herrn Innenministers ermahnte die Ausschußmitglieder, sie möchten doch an den Ernst der Zeit denken und sich auch dessen bewußt sein, daß man „kein übertriebenes Maß an Ängstlichkeit bei der Fixierung strafbarer Tatbestände" anlegen dürfe.
Der Herr Regierungsvertreter wußte, als er das aussprach, noch nicht, daß sich ein kommunistischer Abgeordneter im Saal befand; sonst hätte er sich wahrscheinlich etwas eleganter ausgedrückt. Wir sind ihm dankbar für diese Offenheit und wissen nun, was die Direktive des Innenministeriums ist, nämlich: keine Ängstlichkeit bei der Fixierung von Tatbeständen. Eine Generalklausel, allgemeine Gesinnungsstrafdelikte schaffen, Verurteilungen nur vom Ansehen her und der Wunsch, der Verpflichtung enthoben zu sein, einen strafbaren Tatbestand zu fixieren und aus dem bestehenden Recht abzuleiten. Das möchte der Herr Innenminister abgeschafft wissen.
Ich möchte gern, daß er sich hier offen zu dem Grundsatz bekennt, den sein Vertreter im Rechts-
ausschuß proklamiert hat. Ich möchte das, weil wir kein uferloses Gesinnungsstrafrecht, keine Willkürakte
zulassen wollen. Deshalb beantragt meine Fraktion die Streichung des Abs. 3 des § 88.