Rede von
Dr.
Adolf
Arndt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Clausen irrt mit seiner Auslegung des § 88. § 88 hat ja aus den dann folgenden Vorschriften nur das geschützte Rechtsgut ausgeklammert. In jedem Falle aber kann eine Bestrafung nur nach §§ 89 ff. erfolgen. Es ist also immer notwendig, daß dieses Rechtsgut mit den Methoden der §§ 89 ff. angegriffen wird, so daß eine bloße Erörterung der dänischen Minderheit etwa darüber, daß sie lieber zu Dänemark wolle, nach diesem Gesetz, soweit ich sehe, nicht unter Strafe gestellt ist.
Infolgedessen sind die gesamten Ausführungen des Herrn Kollegen Clausen völlig neben der Sache, und es besteht keine Veranlassung, seinem Antrage zu entsprechen.
Dagegen habe ich den Bericht des Herrn Berichterstatters dahin zu ergänzen, daß § 88 im Gegensatz zu den allermeisten übrigen Vorschriften leider nicht einhellig, sondern gegen die Stimmen der sozialdemokratischen Mitglieder des Ausschusses angenommen worden ist. Denn § 88 Abs. 3 ist für die sozialdemokratische Fraktion unannehmbar, und wenn § 88 Abs. 3 bestehen bleiben sollte, würde für uns auch das Gesetz im ganzen nicht annehmbar sein, da wir dem Abs. 3 eine erhebliche Bedeutung beimessen, da vor allen Dingen nach unserer Überzeugung mit diesem dritten Absatz rechtsstaatliche Grundsätze verlassen werden. Ich darf Ihnen noch einmal die Geschichte dieses Absatzes ins Gedächtnis rufen. Ursprünglich hieß es in § 88, daß geschützt werden solle die freiheitliche demokratische Grundordnung. Dagegen erhoben sich allgemeine Bedenken, weil der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht hinreichend bestimmt oder wenigstens bestimmbar erschien. Er würde teilweise enger, teilweise weiter sein, als es das Grundgesetz ist. Man kann es aber bei einem solchen Strafgesetz nicht erst den Richtern überlassen, einen Begriff wie diesen zu entwickeln. Damit würde man sich auch zu dem Verfassungsgrundsatz in Widerspruch setzen, daß die Strafbarkeit einer Handlung vor der Tat bestimmt sein muß.
Aus diesen Erwägungen heraus war der gesamte Ausschuß einhellig bestrebt, nun die Verfassungsgrundsätze zu entwickeln und klarzustellen, die
nach gemeinsamer Überzeugung die freiheitliche demokratische Grundordnung ausmachen. Das sind die Grundsätze 1 bis 5 in Abs. 2. Mit denen stimmen wir' auch vollkommen überein. Erst in einem sehr späten Stadium der Beratungen ist dann der Abs. 3 hineingekommen. Abs. 3 Ziffer 2 — der Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft — ist aber wiederum lediglich ein politisches Prinzip, nicht dagegen ein strafrechtlich hinreichend bestimmtes Schutzgut. Das ersehen Sie schon daraus, daß plötzlich von der positiven Begriffsbestimmung im zweiten Abschnitt zu einer negativen Bestimmung übergegangen wird. Ja, man kann sagen: wir hätten uns die ganze Arbeit beim zweiten Abschnitt des § 88 sparen können; denn letztlich ist ja der Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft nichts anderes als das negative Spiegelbild der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Hätte man das gewollt, dann hätte man von vornherein in Abs. 2 den positiven Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehenlassen können. Wir sind daher der Auffassung, daß hier rechtsstaatliche Grundsätze verlassen sind und es nicht angeht, eine derartige mehr politische Formel zum Inhalt eines Strafgesetzes zu machen.
Das gleiche gilt für § 88 Abs. 3 Ziffer 1. Sicherlich wünschen wir alle die Grundrechte geschützt zu sehen. Wir haben uns aber einhellig überzeugt, daß es wegen der Eigenart der Grundrechte nicht möglich ist, sie als solche in den Katalog der geschützten Rechtsgüter aufzunehmen; denn mit Ausnahme des einzigen Grundrechts auf Leben gibt es kein Grundrecht, das absolut wäre, sondern alle Grundrechte sind in ihren Grenzen mehr oder minder unbestimmt und dem Einfluß der Gesetzgebung unterworfen. Wir haben deshalb mit Recht davon abgesehen, die Grundrechte hier positiv zum strafrechtlichen Schutzobjekt zu machen. Wir können es aber auch nicht in der Weise tun, daß wir etwas Negatives einführen, nämlich eine Methode, mit der die Grundrechte nicht angegriffen werden dürfen. Auch hier sehen Sie wieder den Bruch in der Methode. Während nämlich § 88 Abs. 2 die positiven Schutzgüter sehr klar aufzählt, werden in Abs. 3 Ziffer 1 gar nicht die Grundrechte als die eigentlichen Schutzgüter genannt, sondern die Abwesenheit von Schrecken, Einschüchterung und Gewalt. Das kann man in dieser Art und Weise auch nicht machen. Wenn wir diese Bestimmungen dann mit den eigentlichen Tatbeständen der §§ 89, 90 usw. zusammennehmen, so kommen wir zu einem äußerst unbestimmten und unbestimmbaren Strafrecht. Einen solchen Weg zu betreten, weigert sich die sozialdemokratische Fraktion. Wir legen deshalb das allergrößte Gewicht darauf, daß dieser Abs. 3 gestrichen wird. Sollte auf der einen oder andern Seite des Hauses gleichwohl die Auffassung bestehen, daß hier noch weiter nach der Möglichkeit strafrechtlicher Vorschriften gesucht werden müsse und könne, so mag das ja unseren weiteren Beratungen im Ausschuß überlassen bleiben, die noch nicht abgeschlossen sind. Wir warnen Sie davor, eine derartige politische Fassung in ein Strafgesetz hineinzubringen, und bitten Sie, unserem Streichungsantrage zuzustimmen.