Rede von
Dr.
Hermann
Ehlers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Abgeordneter, ich bitte, nicht zu häufig auf das Wort „Ordnungsruf" zurückzukommen. Ich könnte es sonst als eine unangemessene Kritik empfinden, die ich mit weiteren Maßnahmen ahnden müßte.
Diese Notlösung
— so heißt es dann schließlich —
soll lediglich den Übergang zu einer gesamtdeutschen Verfassung vorbereiten und erleichtern.
Auch der Parlamentarische Rat war durchaus bereit, diese Grundsätze als Ausgangspunkt für die Durchführung des Auftrags zu nehmen. Ich möchte hierzu die Ausführungen eines damals sehr g e -w i c h t i g en Mitgliedes des Parlamentarischen Rates zitieren, eines Mannes, der es vielleicht nicht gern hat, wenn man ihn jetzt schon mit Namen nennt oder überhaupt an frühere Reden erinnert. Ich möchte darum vorerst seinen Namen noch für mich behalten.
Aber er hat diese These zur Grundlage auch seiner Aufgabenstellung für die Arbeit im Parlamentarischen Rat gemacht.
Welches waren nun die Feststellungen dieses gewichtigen Mitgliedes des Parlamentarischen Rates?
Er hat erstens gesagt: Die Besatzungsmächte haben die Ausübung der deutschen Souveränitätsrechte blockiert, und zwar in zweierlei Hinsicht, räumlich und substanziell, räumlich dadurch, daß sie den Auftrag zur Schaffung eines Grundgesetzes nur für einen Teil Deutschlands gegeben haben.
Die Souveränität des Volkes aber ist unteilbar, so sagte er. Weiter heißt es: Es gibt kein westdeutsches Staatsvolk, und darum kann es auch keine westdeutsche Souveränität geben;
es gibt nur eine deutsche, eine gesamtdeutsche Souveränität. Weiter: Eine gesamtdeutsche konstitutionelle Lösung kann es erst dann geben, wenn eines Tages
eine deutsche, eine gesamtdeutsche Nationalversammlung in voller Freiheit gewählt werden kann.
— Meine Damen und Herren, Sie brauchen gar
nicht zu gestikulieren; das Wort von der Wahl einer
gesamtdeutschen Nationalversammlung in voller Freiheit ist Ihnen bekanntlich
von der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik vorgetragen worden.
Ich schließe daraus, daß es sehr wohl eine Möglichkeit, ja angesichts der heutigen Situation für uns alle eine nationale Verpflichtung gibt,
eine solche gesamtdeutsche Nationalversammlung nach einem gemeinsam auszuarbeitenden demokratischen Wahlgesetz zu wählen.
Sie wissen, auf welche Weise dieses Angebot der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik von dem Bundeskanzler abgelehnt worden ist. Aber damit ist es nicht aus der Welt geschafft.
Ich komme auf die Äußerungen des gewichtigen Mitgliedes des Parlamentarischen Rates zurück. Er hat erklärt: Die Souveränitätsrechte sind auch darum nicht anwendbar, weil die Besatzungsmächte für wichtige, ja für entscheidende Sachgebiete ihre Hoheitsrechte und -befugnisse vorbehalten haben; das ergibt sich beispielsweise daraus, daß sie uns auch aufgetragen haben, eine Verfassung zu schaffen, die der Genehmigung durch die Organe der Besatzungsmächte bedarf; es ergibt sich daraus, daß solche wichtigen Komplexe der Politik eines jeden staatlichen Gebildes wie die auswärtige Politik, wie die Wirtschaftspolitik, ja sogar die Gerichtsbarkeit nicht der vollen Souveränität deutscher Organe unterstehen, sondern den Machtbefugnissen, den Befehlen und Direktiven der Besatzungsmächte unterworfen sind.
Ich glaube, daß man in einem demokratischen Zeitalter von einem Staat im legitimen Sinne des Wortes nur sprechen sollte, wo es sich um das Produkt eines frei erfolgten konstitutiven Gesamtaktes eines souveränen Volkes handelt; wo das nicht der Fall ist, wo ein Volk sich unter Fremdherrschaft und unter deren Anerkennung zu organisieren hat, konstituiert es sich nicht, es sei denn, gegen die Fremdherrschaft selbst, sondern es organisiert sich lediglich, vielleicht sehr staatsähnlich, aber nicht als Staat im demokratischen Sinne.
Ich denke, das ist deutlich genug. Aus derselben Überlegung schlußfolgerte der Redner, daß man von einer Verfassung gar nicht sprechen könne. Er meinte: „Die eigentliche Verfassung, die wir halben, ist auch heute noch" — das „heute" war am 8. September 1948 — „das geschriebene oder ungeschriebene Besatzungsstatut."
Also das, was uns Kommunisten, wenn wir es sagen, als bonwillige Verächtlichmachung der Bundesrepublik bzw. des Grundgesetzes angekreidet wird, wurde hier von einer der tragenden Säulen des Parlamentarischen Rates zum Ausdruck gebracht, namlich: Die eigentliche Verfassung, unter der wir leben und die das Gesetz unseres Lebens entscheidend bestimmt, ist das Besatzungsstatut.
Wir haben, so wurde weiter erklärt, gar keinen Staat zu schaffen. „Wir haben" — so hieß es wortlich — „unter Bestätigung der alliierten Vorbehalte das Grundgesetz zur Organisation der heute freigegebenen rioheitsbefugnisse des deutschen Volkes in einem Teile Deutschlands zu beraten und zu beschließen. Wir haben nicht die Verfassung Deutschlands oder Westdeutschlands zu machen. Wir haben keinen Staat zu errichten."
Es wurde auch auf die Möglichkeit hingewiesen, daß eines Tages günstigere Voraussetzungen für die Schaffung einer echten Konstitution fair ganz Deutschland bestünden. Es wurde damals ausdrücklich darauf hingewiesen, daß eine solche gesamtdeutsche Konstitution und ein solcher gesamtdeutscher Staat keineswegs, weder politisch noch staatsrechtlich, von dem auf Veranlassung der Militärgouverneure zustande gekommenen Staatsgebilde in Westdeutschland albgeleitet werden könne; es könne aber auch nicht von diesem Grundgesetz abgeleitet werden, das jetzt geschaffen werde.
Das Grundgesetz, so hieß es damals, für das Staatsfragment muß gerade aus diesem seinem inneren Wesen 'heraus seine zeitliche Begrenzung in sich tragen. 'Die künftige Verfassung Deutschlands darf nicht durch Abänderung des Grundgesetzes dieses Staatsfragments entstehen, sondern muß „originär" entstehen. Sie sehen also, meine Damen und Herren: damals wurde deutlich erklärt: Auch das, was wir hier zu schaffen veranlaßt wurden, kann und darf niemals Ausgangspunkt einer gesamtdeutschen Lösung sein. Es kann und darf niemals etwa der Anlaß zur Aufforderung an einen anderen Teil Deutschlands sein, sich diesem provisorischen staatlichen Gebilde anzuschließen oder nachträglich dieses Grundgesetz anzuerkennen und auch für sein Territorium zu übernehmen. Vielmehr wurde erklärt: Wir schaffen etwas auf Zeit, etwas, was in d e m Augenblick als definitiv und unabänderlich abgeschlossen und erledigt betrachtet werden muß, in dem „originär", d. h. aus eigener Machtvollkommenheit, durch freien Willen eines frei entscheidenden gesamtdeutschen Staatsvolkes eine gesamtdeutsche staatliche Ordnung zustande kommt.
Es wurde dann gefragt: „Worum handelt es sich denn eigentlich bei dem Geschäft, ,das wir hier zu bewältigen haben?" — Das Wort „Geschäft" stammt, wie ich betonen möchte, nicht von mir, sondern von dem Redner. — „Es handelt sich nicht um die Verfassung eines souveränen Staates, sondern das Geschäft, das wir hier zu erledigen haben, besteht darin, eine Organisation als staatsähnliches Wesen zu schaffen, eine Organisationsform einer Modalität der Fremdherrschaft."
Sehen Sie, meine Damen und Herren, die „Organisationsform einer Modalität der Fremdherrschaft", so wurde damals — und nun will ich
seinen Namen nennen — von Herrn Professor Carlo Schmid das westdeutsche Staatsgebilde bezeichnet.
Es ist klar: ein staatsähnliches Wesen, dessen Organisationsform nichts anderes ist als eine „Modalität der Fremdherrschaft", kann keinen Anspruch darauf erheben, durch Hochverratsbestimmungen geschützt zu werden.
Hochverratsbestimmungen sind dazu da, einen Staat zu schützen, ein Staatswesen, das seine Legitimation aus freiem Entschluß des Staatsvolkes ableitet
und nicht aus Beschlüssen fremder Mächte, die
deutsche Ministerpräsidenten bevollmächtigt haben,
ein provisorisches Organisationsstatut zu schaffen.
An diesem Zustand hat sich auch seit dem 8. 'September 1948 nichts geändert, an 'dem Herr Carlo Schmid diese Bezeichnung der westdeutschen Bundesrepublik niederlegte. Es wird daran auch dadurch nichts geändert, daß seitdem gewisse Änderungen in der „Modalität 'der Fremdherrschaft" eingetreten sind. Es wird an dieser Grundtatsache auch dadurch nichts geändert, daß bestimmte Formulierungen des Besatzungsstatuts nun heute in anderer Form wiederkehren, sei es in der Art sogenannter zweiseitiger Verträge oder in der Art freundlicher „Empfehlungen", die vom Peters-berg nach Bonn hinuntergesandt werden. Ich erinnere beispielsweise an die Art und Weise, wie das Problem des westdeutschen „Sicherheitsbeitrags", das Problem der Remilitarisierung 'behandelt wird, und daran, in welcher Weise die Probleme des Außenhandels, der Besatzungskosten, der Rohstoffbewirtschaftung oder der Schuldenregulierung behandelt werden. Daraus ergibt sich ganz klar der Beweis, daß sich an der Grundtatsache, die 1948 bestand, nämlich daran, daß wir hier in einem staatsähnlichen Wesen leben, das nur die Organisationsform einer „Modalität der Fremdherrschaft" darstellt, nicht das Geringste geändert hat,
vielleicht in bestimmten Höflichkeitsfloskeln, aber nicht in dem politischen Inhalt, nicht in den entscheidenden Fragen des politischen und wirtschaftlichen Geschehens.
Darum sind wir der Meinung, daß es gegenüber diesem staatsähnlichen Wesen keinen Hochverrat geben kann.
Ich befinde mich hierbei in völliger Übereinstimmung mit dem Grundgesetz. Art. 146 besagt ausdrücklich:
Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.
Außerdem 'heißt es in der Präambel im letzten Absatz:
Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.
Das ist der Grundsatz, an den wir uns halten. Wir betrachten uns entsprechend der Präambel weite r-hin als aufgefordert, den Tag herbeizuführen, an dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit seines Staatswesens bestimmt.
Ein prominentes Mitglied der sozialdemokratischen Fraktion, das immer so tut, als habe es in seinem Kopf die Klugheit des ganzen Erdenrunds gesammelt, machte vor kurzem den weisen Ausspruch, die Bundesrepublik sei gar nicht erst 1948 oder 1949 geschaffen worden, nein, die Bundesrepublik bestehe schon seit 1871, sie sei das Deutsche Reich. Nicht wahr, Herr Kollege Dr. Arndt, ich habe Sie doch recht verstanden?
So also glaubt ein prominentes Mitglied der soziaidemokratischen Fraktion die staatsrechtliche Grundlage der Bundesrepublik heute definieren zu dürfen ohne Rücksicht auf die Erkenntnisse, die allen maßgeblichen Fraktionen des Parlamentarischen Rates eigen waren.
Darum, meine Damen und Herren, ist der Begriff „verfassungsmäßige Ordnung", der in der Vorlage immer wiederkehrt, nicht eine Sache, die mit dem Begriff einer echten Verfassung eines freien Staatswesens in Verbindung gebracht werden kann. „Verfassungsmäßige Ordnung" in diesem staatsähnlichen Gebilde, in dem wir leben, das ist die Zusammenfassung aller jener „Rechtsgrundsätze" und „Rechtsvorschriften", die in diesem Gebiete verkündet werden, aber nicht nur aus diesem Hause heraus verkündet werden, sondern
auch vom Petersberg herab. Wir zählen zur „verfassungsmäßigen Ordnung" in erster Linie das Besatzungsstatut. Wir zählen dazu das Ruhrstatut. Wir zählen dazu das demnächst wohl kommende Statut der Hohen Behörde des Schuman-Plans und die ganze Serie anderer alliierter Gesetze, die, wie immer, gegenüber deutscher Gesetzgebung den Vorrang genießen. Das, meine Damen und Herren, und nichts anderes ist die wahre verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik.
Wir nehmen uns das Recht heraus, im Sinne des Grundgesetzes für die Änderung dieses unwurdigen Zustandes einzutreten.
Wir nehmen uns das Recht und die vaterländische Pflicht 'heraus,
diese sogenannte „Ordnung", die durch die Befehlsgewalt der Militärgouverneure bestimmt
wurde, abzulösen durch die echte, eine demokratische gesamtdeutsche Ordnung eines unabhängigen Staates.
Meine Damen und Herren, es ist nicht nur das Recht, es ist die Pflicht,
den gegenwärtigen verfassungsmäßigen Zustand zu kritisieren und nicht nur zu kritisieren, sondern mit allen Kräften dafür einzutreten, daß er bald abgelöst wird durch eine gesamtdeutsche demokratische Republik. Darum, meine, Damen und Herren, weil die Schaffung einer gesamtdeutschen Ordnung im Grundgesetz allen Deutschen zur Pflicht gemacht ist,
darum sind nicht diejenigen Hochverräter, die der vorliegenden Fassung eines Hochverratsgesetzes zuwider handeln, sondern gemäß den Beschlüssen im Parlamentarischen Rat und gemäß Sinn und Buchstaben des Grundgesetzes wird jeder ein Hochverräter sein, der den Bestimmungen über den Hochverrat in dieser parlamentarischen Abstimmung seine Zustimmung erteilt.