Rede von
Dr.
Gerd
Bucerius
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Wenn der Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der finanziellen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und dem Lande Berlin Gesetzeskraft erlangt haben wird, beginnt ein neuer Abschnitt in der Geschichte der Beziehungen zwischen Berlin und der Bundesrepublik.
Obwohl sich die Einwohner der Stadt Berlin nicht nur zur Bundesrepublik bekannt haben, sondern für dieses Bekenntnis durch Taten und Leiden eingetreten sind, ist Berlin kraft einer besonderen Anordnung der Besatzungsmächte formalrechtlich nicht Bestandteil der Bundesrepublik. Der Gesetzentwurf soll dazu dienen, auf einem wichtigen Gebiete, nämlich dem der finanziellen Beziehungen, diesen formalrechtlich noch bestehenden Zustand durch die Tat zu überwinden. Da Berlin dem Bunde nicht angehört, kennt das geltende Berliner Recht die Trennung von Bundes- und Länderfinanzverwaltung und die Trennung Von Bundes- und Ländersteuern nicht. Die in der Bundesrepublik dem Bunde zustehenden Steuern, also vor allem die indirekten Steuern — darunter die Umsatzsteuer — werden in Berlin vom Land Berlin erhoben und fließen in seine Kasse. Andererseits werden die in der Bundesrepublik vom Bunde zu tragenden Lasten, darunter besonders die Besatzungskosten, die Kriegsfolgenhilfe, die Aufwendungen für verdrängte Angehörige des öffentlichen Dienstes und Wehrmachtangehörige und die sehr hohen Ausgaben für Kriegsbeschädigte, in Berlin vom Lande Berlin getragen.
Der Gesetzentwurf sieht vor, daß Berlin für die Zukunft in finanzieller Hinsicht genau so behandelt wird wie jedes Land der Bundesrepublik, d. h. daß ihm die genannten Lasten abgenommen und die zur Deckung zur Verfügung stehenden Steuereinnahmen dem Bunde übertragen werden. Nach einer vorläufigen Berechnung sind die Lasten um
200 Millionen DM höher als die übergehenden Einnahmen. An dieser Stelle wird sichtbar, daß das Land Berlin infolge seiner Armut in der Vergangenheit wesentlich geringere soziale Leistungen hat aufbringen können als die Bundesrepublik.
Technisch soll der Übergang dadurch erfolgen, daß die Vorschriften des Ersten Gesetzes zur Überleitung von Lasten und Deckungsmitteln auf den Bund vorn November 1950 auch für Berlin gilt. Zugleich soll das Bundesgesetz über die Finanzverwaltung vom 6. September 1950 zu einem möglichst frühen Zeitpunkt für Berlin in Kraft gesetzt werden. Bei dieser Gelegenheit soll auch das Post- und Fernmeldewesen, das in Berlin immer noch einer vom Bund unabhängigen Behörde untersteht, in das Post- und Fernmeldewesen der Bundesrepublik einbezogen werden.
Die Bewohner der Bundesrepublik bringen, von anderen wichtigen Leistungen abgesehen, schon jetzt ein besonderes Opfer, um Berlin in der Auseinandersetzung mit einem unerbittlichen Gegner zu stützen. Es ist dies das Notopfer Berlin, dessen Aufkommen für das laufende Rechnungsjahr mit 600 Millionen DM veranschlagt ist. Die Antragsteller des vorliegenden Gesetzentwurfs sind der Meinung, daß es dem Sinn dieses Notopfers nicht entspräche, wenn seine Erträgnisse für andere Zwecke verwendet würden als zur Deckung eines Unterschusses des Berliner Landeshaushalts. Das kann ich um so beruhigter sagen, als der Herr Finanzminister im Augenblick nicht zuhört. Aufgaben, welche nach der zukünftigen Regelung nicht mehr Sache der Stadt Berlin, sondern Aufgaben des Bundes sind, müssen in Zukunft aus Bundesmitteln finanziert werden, genau so wie das im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und den ihr bereits angeschlossenen Ländern der Fall ist. Es würde erneut auf die Anerkennung einer Sonderstellung der Stadt Berlin hinauslaufen, wenn man Berlin die Vergünstigung verweigern wollte, auf die jedes andere Land der Bundesrepublik Anspruch hat. Das hat nichts mit der Frage zu tun, in welcher Höhe das Notopfer Berlin in Zukunft erhoben werden soll.
Der vorliegende Gesetzentwurf wird dem Haus Gelegenheit geben, erneut unter Beweis zu stellen, daß es in der Frage Berlin grundsätzlich nur eine Meinung gibt. Im einzelnen wird das Gesetz wegen seiner großen finanziellen und rechtlichen Tragweite . im Ausschuß für Berlin, der federführend sein sollte, und im Rechts- und im Finanzausschuß — ich stelle entsprechende Anträge, Herr Präsident — nach den Ferien sehr genau behandelt werden müssen. Die Antragsteller sind entschlossen, über alle überholten rechtlichen Bedenken hinweg dem Art. 23 des Grundgesetzes endlich auch insoweit Geltung zu verschaffen, als Berlin in möglichst weitem Umfang in den Geltungsbereich des Grundgesetzes einbezogen wird.