Rede von
Willy Max
Rademacher
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Meine Damen! Meine Herren! In einer führenden Wirtschaftszeitung erschien vor einigen Tagen eine Betrachtung über die Ergebnisse der Arbeiten des Ausschusses für Verkehrswesen zum Bundesbahngesetz. Dort hieß es, was aus den Arbeiten herausgekommen sei, sei ein Torso; von der Autonomie des Bundesbahninstituts sei nichts mehr übrig geblieben, und der Herr Bundesverkehrsminister sei der alleinige Herr der Deutschen Bundesbahn.
Man fragt sich angesichts solcher Veröffentlichungen eines anonymen Schriftstellers, was größer ist, seine Ignoranz oder seine Instinktlosigkeit. Offenbar ist dieser Verfasser noch sehr stark in Gedanken des „Tausendjährigen Reiches" befangen und hat vom Sinn und Wesen der Demokratie und der Möglichkeiten innerhalb der Demokratie keinen Schimmer.
Es scheint mir aber auch so, meine Damen und Herren, daß in den Ausführungen des Kollegen Jahn Gedanken durchgedrungen sind, die ebenfalls etwas am Wesen der Demokratie vorbeigehen.
Wie kann er sich darüber beschweren, daß aus einer besonderen politischen Einstellung, die wir als Gegner an sich achten, nun das Parlament in seiner Souveränität einen Vertagungsantrag abgelehnt hat, aber wie konnte er hoffen, daß nun außerhalb dieses Gremiums vielleicht doch noch Möglichkeiten bestanden hätten, durch eine teilweise Ausschaltung des Parlaments oder durch einen gewissen Druck auf dieses Parlament das gleiche zu erreichen? Persönlich bedauere ich, Herr Jahn, daß Sie von Ihrer wichtigen Arbeit aus Mailand zurückkommen mußten. Ich hatte Ihnen ja
gesagt: wenn es nach mir ginge, ich wäre durchaus damit einverstanden, weil ich Verständnis dafür habe, daß gerade Sie in Ihrer Stellung zu diesen Dingen hier sprechen. Aber das größere Interesse stand im Vordergrund. Meine Damen und Herren, es geht um die Fristen, es geht um die Termine und um die unabdingbare Notwendigkeit, dieses Bundesbahngesetz so schnell wie möglich ein- und durchzuführen.
Meine Damen und Herren! Es wird keine Partei in diesem Hause geben, die mit dem Ergebnis der Ausschußarbeiten zufrieden ist. Ich darf Ihnen ganz offen sagen: Wir, die Freien Demokraten, aus unserer ganzen Einstellung zu wirtschaftspolitischen Dingen heraus, sind es am allerwenigsten. Trotzdem, glaube ich, haben wir uns am stärksten zum Wesen der Demokratie bekannt, wenn wir alle unsere politischen Auffassungen bewußt zurückgestellt und davon Abstand genommen haben, irgendeinen Abänderungsantrag einzubringen. Auch wir hätten es begrüßt, der Bundesbahn, wenn es möglich gewesen wäre, eine größere Autonomie zu geben, wenn es vielleicht möglich gewesen wäre, wieder eine Teilreprivatisierung durchzuführen. Wir wissen aber, daß alle diese Dinge im Augenblick an der Wirklichkeit scheitern. Für ein Institut, das in dieser Verfassung ist — vielleicht ein wenig durch die Schuld derjenigen, die sich nicht rechtzeitig um dieses größte Sondervermögen gekümmert haben —, ist es unmöglich, beispielsweise innere oder äußere Anleihen zu bekommen, die ja die erste Möglichkeit dafür darstellen, dieses Institut wieder gesunden zu lassen. Wir wissen, daß dieses Institut mit großen sozialen Verpflichtungen belastet ist, von denen wir es heute nicht befreien können. Wir wissen, daß es auf dem Gebiet der Tarife Konzessionen machen muß, sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr. Wir wissen vor allen Dingen, daß die Zeit des Monopols der Deutschen Bundesbahn als Verkehrsträger vorbei ist, daß sie in scharfer Konkurrenz steht zu anderen Verkehrsträgern, also zur Straße und zur Binnenschiffahrt.
All das, meine Damen und Herren, hat uns bewogen, in vielen Punkten schweren Herzens die Entscheidungen anzunehmen und zu billigen, wie sie der Ausschuß getroffen hat. Beispielsweise ist die Zusammensetzung des Vorstandes, überhaupt ein vierköpfiger Vorstand, ein gewisses Experiment. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal meine rein persönliche Meinung zum Ausdruck bringen. Die Kollegen im Ausschuß und auch meine Freunde in der Fraktion wissen, wie sehr ich der Meinung war, daß man die Leiter der Abteilungen der Hauptverwaltung nicht ausschalten kann. Ich will hier heute den Wunsch äußern, daß der neue vierköpfige Vorstand der Bundesbahn es als seine vornehmste Aufgabe betrachtet, nicht irgendwo im luftleeren Raum als Leiter in einem Befehlsturm zu sitzen, sondern seine vornehmste Aufgabe darin sieht, in enger Verbindung mit der wirklichen technischen und betrieblichen Leitung der Deutschen Bundesbahn zu stehen.
Meine Damen und Herren! Die Frage, die uns heute am stärksten bewegt, ist die Wahrnehmung der sozialen Aufgaben in dem Körper der Deutschen Bundesbahn, die immerhin 500 000 Menschen beschäftigt. Nun, ich glaube, wir haben auch -im Ausschuß einen vernünftigen Ausweg gefunden. Meine Fraktion hat sich einstimmig dahinter gestellt, daß von diesen vier Männern ein Mann abgestellt werden muß, der sich, neben seiner Ge-
samtverantwortung, die er für das Wohl und Wehe des ganzen Betriebes hat, um die sozialen Dinge kümmert. Wir lehnen aber eines mit aller Deutlichkeit und Klarheit ab — und hier geht es an einen unserer Grundsätze —: weder der Sozialdirektor in dieser Titulatur noch der Arbeitsdirektor ist das, was wir in dieses Bundesbahngesetz hineinhaben wollen. Das sind Einrichtungen, die sich erst noch auf einer anderer Ebene entwickeln. Mit anderen Worten, wir wünschen kein Präjudiz für die Gesetze, beispielsweise für das Betriebsverfassungsgesetz und für die gesamte Frage der Mitbestimmung überhaupt.
An dieser Stelle möchte ich auch mit allem Ernst auf die Mitglieder der größten Koalitionspartei, der CDU, einwirken und ihnen mit aller Deutlichkeit sagen: Hier geht es wirklich um einen Grundsatz für die FDP, von dem sie unter keinen Umständen abweichen kann und dessen Nichtbeachtung unter Umständen schwerwiegende Folgen haben könnte.
Nach diesen Ausführungen über die Zusammensetzung des Vorstandes brauche ich mich in die Anträge, die den Verwaltungsrat betreffen, glaube ich, nicht sehr zu vertiefen. Auf eines möchte ich aber hinweisen. Glauben Sie denn, daß wir von der Freien Demokratischen Partei die in diesen Anträgen verborgene Hintertür — aller Anträge, die hier zur Zusammensetzung des Verwaltungsrats gestellt worden sind, sowohl des ersten Antrages, der eine Teilung 6 : 6 : 6 vorsah, als auch der anderen — nicht gemerkt haben und nicht merken? — Es geht ja um weit mehr als um die Parität. Wenn Sie diese Dinge richtig durchdenken, werden Sie zugeben müssen, daß- mit beiden Anträgen eine Majorität innerhalb des Verwaltungsrates nach einer bestimmten wirtschaftspolitischen Auffassung erreicht werden soll.
Wiederum eine Sache, die von uns mit aller Konsequenz abgelehnt werden wird.
Meine Damen und Herren, ich kann es nur immer wiederholen: Dieses Gesetz ist keine ideale Lösung. Ich darf Sie an meine Worte erinnern, die ich anläßlich der Behandlung des Haushaltsplans Nr. XII hier gesagt habe. Ich habe davor gewarnt, von Gesetzen auf dem Gebiete des Verkehrs anzunehmen, daß sie einen sehr langen Bestand haben. Verkehrsgesetze müssen genau so dynamisch entwickelt werden, wie das der Verkehr selbst tut. Entscheidend für die weitere Entwicklung der ganzen Bundesbahn sind die Männer, die an die Spitze und in den Verwaltungsrat berufen werden.
Wir wollen hoffen, daß die Weisheit der Regierung, aber auch die Klugheit derjenigen Gremien, die die Männer vorzuschlagen haben, den richtigen Weg finden werden; denn — ich kann es nur wiederholen — das Zeitalter des Eisenbahn-Monopols ist vorbei, aber nicht vorbei ist das Zeitalter der Eisenbahn selbst, wenn diese neuen Männer in ihrer Verantwortung und getreu dem § 4, der ihnen die Beachtung kaufmännischer Grundsätze vorschreibt, zu den Erkenntnissen gelangen, daß in einer organisatorischen und technischen Entwicklung auf der Schiene für dieses größte Verkehrsinstrument noch ungeheure Möglichkeiten liegen.
Ich wiederhole, daß die FDP keinerlei Anträge stellt. Sie wird allerdings alle Anträge ablehnen, mit denen versucht wird, die Beschlüsse des Ausschusses in irgendeiner Form zu ändern. Sie könnte sich allenfalls dazu bereit erklären, bei § 40, bei dem etwas schwierigen Thema der Verkaufsstellen auf den Bahnhöfen dem Antrage der Bayernpartei zu folgen, der aus dem „sollen" der Ausschußfassung ein „müssen" gemacht hat, d. h. also: die unabdingbare Vorschrift, daß außerhalb der Geschäftszeit vor den Sperren nur an Reisende verkauft werden darf und daß Mittel und Wege gefunden werden müssen, um die Innehaltung dieser Vorschrift sicherzustellen.
Meine Damen und Herren! In § 4 Abs. 1 wird von den volkswirtschaftlichen Interessen gesprochen und davon, daß die Bundesbahn nach kaufmännischen Grundsätzen verwaltet werden soll. Das ist eine zwingende Vorschrift nicht nur für den Gesetzgeber, sondern auch für die Männer in der Verwaltung und im Verwaltungsrat. Sie bedeutet mit anderen Worten, daß eine Politisierung — und die Anträge, die hier vorliegen, bedeuten eine Politisierung — bei der Durchsetzung dieses § 4 unmöglich ist. Nur wenn die Grundsätze des § 4 eingehalten werden, kann das Institut der Bundesbahn gesunden, und mit der Gesundung dieses Instituts wird es auch den 500 000 Schaffenden innerhalb dieser Bundesbahn am besten gehen.