Rede von
Friedrich Wilhelm
Wagner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will versuchen, die in der Debatte gemachten Ausführungen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Im großen und ganzen hat man der Grundtendenz des von uns vorgelegten Gesetzentwurfes zugestimmt. Man hat zum Teil kritische, zum Teil anregende Bemerkungen zu Fragen gemacht, mit denen ich mich gern bei meiner Begründung rein juristisch auseinandergesetzt hätte, wenn die Zeit es erlaubt haben würde.
Der Herr Kollege Becker hat die Frage in die Diskussion geworfen, ob es nicht richtig sei, daß die Anklageerhebung, wie er wörtlich gesagt hat, durch den Bundesanwalt erfolgen solle. Es besteht ein Unterschied zwischen der Anklageerhebung und der Antragstellung. Wenn Sie, Herr Kollege Becker, damit gemeint haben, daß die Antragstellung nur durch den Bundesanwalt erfolgen solle, dann wäre ich ganz entschieden dagegen, denn dann wäre das Antragstellungsmonopol in Händen des Bundesanwalts. Das wäre ein unmöglicher Zustand. Dieses Parlament muß die Möglichkeit haben, von sich aus den Antrag zu stellen. Ich glaube, auch der andere Weg — au c h dem Bundesanwalt die Befugnis zu geben — führt nicht zu der richtigen Lösung, wie sie der Würde der Volksvertretung entspricht. Ich stehe vielmehr auf dem Standpunkt, daß der Antrag lediglich vom Bundestag gestellt werden darf und gestellt werden muß.
Herr Kollege Reismann hat gemeint, der Bundestag könne sich nicht das Recht aus der Hand nehmen lassen, diejenigen Abgeordneten durch eigenen Beschluß auszuschalten, von denen er glaubt, daß sie sich in gewinnsüchtiger Absicht eines Mißbrauchs ihres Mandats schuldig machen. Er sprach von der richterlichen und von der gesetzgebenden Gewalt. Wenn ich ihn recht verstanden habe, so wollte er damit sagen, daß wir nicht der richterlichen Gewalt etwas übertragen können, was nur der gesetzgebenden Gewalt zusteht. Mir scheint, daß theoretisch an und für sich durchaus eine Konstruktion möglich gewesen wäre, wonach der Bundestag von sich aus mit einer qualifizierten Mehrheit einem Mitglied das Mandat absprechen kann und wonach analog den Bestimmungen des Art. 41 des Grundgesetzes gegen diesen Beschluß des Bundestages Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt werden kann. Ich will nicht leugnen, daß eine solche Konstruktion denkbar wäre. Wir haben es für richtig gehalten, zunächst dem Bundestag das Recht zur Stellung eines Antrages, der mit Zweidrittelmehrheit angenommen werden muß, zu überlassen und dann den Bundesverfassungsgerichtshof endgültig entscheiden zu lassen. Damit erreichen wir, glaube ich, höhere Garantien für die Sicherheit und Unabhängigkeit des Abgeordneten, als wenn der andere Weg, der an und für sich durchaus diskutabel wäre, beschritten würde.
Meine Damen und Herren! In der Diskussion hat dann auch die Frage eine Rolle gespielt, an welcher Stelle diese Bestimmung eingefügt werden sollte. Wir haben geglaubt, die passende Stelle dafür sei nach Art. 46. Der Herr Kollege Ewers hat gemeint: Wenn schon, dann ist die passende Stelle nach Art. 41. Ich kann nicht leugnen, daß die Frage, welches die passende Stelle sei, auch mich beschäftigt hat. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß diese Bestimmung dem logischen Gedankengang nach am besten hinter Art. 46 paßt. Im Art. 46 werden, wie ich sagen möchte, die Unabhängigkeit, die Freiheit und der Schutz des Abgeordneten festgelegt. Der Abgeordnete genießt einen besonderen Schutz, um sein hohes Amt unabhängig ausüben zu können. Wenn er aber — das ist doch die logische Fortsetzung dieses Gedankenganges — dieses hohe Amt zu niedrigen Zwecken mißbrauchen will, verliert er alles, auch diesen Schutz, und muß ausgespien werden. Das schien uns eine Rechtfertigung dafür, der Bestimmung diesen Platz zu geben. Wir können uns darüber im Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht noch näher unterhalten.
Mit Recht hat auch die Frage, die ich vorhin schon sehr gern behandelt hätte, eine große Rolle gespielt: Was ist ein gewinnsüchtiger Mißbrauch? Es ist richtig, daß wir den Antrag nicht darauf abgestellt haben, ein Gesetz zu beschließen, auf Grund dessen jeder Mißbrauch mit dem Verlust des Mandats enden soll. Wir haben das nicht etwa deshalb so gemacht, weil wir nicht jeden Mißbrauch bekämpfen würden, wie es die überwiegende Mehrheit dieses Hauses auch tun wird, sondern weil wir einen klaren, einfachen Tatbestand, dessen gesetzliche Regelung sehr dringend und auch möglich ist, herausgreifen wollten, um sofort den übelsten Mißständen begegnen zu können.
Das Tatbestandsmerkmal „gewinnsüchtig" ist hier interpretiert worden. Sie wissen, meine Damen und Herren, soweit Sie Juristen sind, daß der Begriff der Gewinnsucht je nach dem Zusammenhang, in dem er im Strafgesetzbuch gebraucht wird, verschieden ausgelegt wird. Sie kennen den Begriff der Gewinnsucht beim § 27 a des Strafgesetzbuches, in dem von Verbrechen und Vergehen gesprochen wird, die auf Gewinnsucht beruhen. Der Begriff der Gewinnsucht, wie er in § 27 a gebraucht wird, wird nicht auf den Tatbestand passen, den wir hier gesetzlich einbauen wollen; denn dort ist der Begriff der Gewinnsucht in einem ganz anderen Zusammenhang gebraucht. Dagegen wird der Begriff „gewinnsüchtig", wie er bei der Vernichtung öffentlicher Urkunden im § 133 Abs. 2 des Strafgesetzbuches angewandt wird, hier passen. Im § 133 Abs. 2 wird eine Handlung als gewinnsüchtig bezeichnet, die in der Absicht begangen worden ist,
irgendeinen materiellen Vorteil zu erlangen. Ich möchte gar keinen Zweifel darüber lassen, daß der Begriff des gewinnsüchtigen Mißbrauchs im besonderen Hinblick auf das Mandat durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelt werden muß und wird. Er ist ja schon bisher je nach dem Tatbestand verschieden entwickelt worden. Es wird zu den vielen schweren Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts gehören, hier eine Rechtsprechung zu schaffen, die keinen Zweifel mehr darüber aufkommen läßt, was man unter gewinnsüchtigem Mißbrauch des Mandats versteht.
Herr Kollege Ewers hat gemeint, der Begriff sei zu eng und zu wenig greifbar. Dem möchte ich entgegenhalten, daß an und für sich alle juristischen Begriffe, ehe sie durch die Rechtsprechung ausgelegt sind, ungreifbar sind; sie werden nur dann greifbar, bekommen nur dann Leben, wenn sie an den Fällen des praktischen Lebens angewandt und entwickelt worden sind. Deshalb scheint mir dieser Angriff fehlzugehen.
Ich leugne nicht, daß mich die Ausführungen des Herrn Kollegen Becker über den Begriff der Gewinnsucht und des gewinnsüchtigen Mißbrauchs etwas stutzig gemacht und überrascht haben. Wenn man diesen Begriff nach dem gesunden Menschenverstand prüft — obwohl man Jurist ist, Herr Kollege Becker —, dann kann man, glaube ich, wirklich nicht auf einen solchen Abweg kommen, auf den Sie hier gekommen zu sein scheinen, und den Begriff „Parteibuchbeamten" im Zusammenhang mit dem Begriff des gewinnsüchtigen Mißbrauchs an den Haaren herbeiziehen. Einer der Herren hat einem meiner Kollegen den Zwischenruf gemacht, als er von Parteibuchbeamten sprach: „Sie fühlen sich wohl getroffen?"! Herr Kollege Wuermeling, ich bitte um Entschuldigung, wenn ich Ihre angeregte Unterhaltung für eine Minute unterbreche; denn ich glaube, Sie waren es, der einem meiner Kollegen zugerufen hat: „Sie fühlen sich wohl getroffen?" ! Da möchte ich Ihnen doch folgendes sagen. Es scheint, Sie haben sich daran gewöhnt, daß Stellen im öffentlichen Leben, insbesondere in der Verwaltung, vorwiegend mit CV.-Leuten besetzt werden.
Die nennen Sie dann aber nicht Parteibuchbeamte, weil es für Sie eine sehr honorige Verbindung ist, deren Mitglieder sich für das ganze Leben als einander angeschworen halten und einander unterstützen, fördern und befördern.
Dieser Zustand, der anscheinend zu einem Gewohnheitszustand geworden ist, ist allerdings nicht so, — —
— Ich weiß nicht, Herr Kollege Vogel, ob Sie ein CVer oder KVer sind. Nehmen Sie auch die KVer dazu! Seit wann CVer und KVer SPD-Leute sind, weiß ich nicht.
Es mag ein weißer Rabe dabei sein; aber der wird
ja von Ihnen nicht mehr als legitim anerkannt, den
werden Sie ja nicht mehr fördern und befördern.
Lassen Sie mich auf den Ausgangspunkt zurückkommen. Wenn nun auch Sozialdemokraten irgendeine Position erreicht haben, dann fühlt sich die
privilegierte Schicht, die glaubt, das Monopol auf die Herrschaft in der ganzen Verwaltung zu haben, in dem Besitz dieser Macht gestört, und dann schreien die, die von jeher ausgesprochene Parteibuchbeamte waren,
dann schreien die, die glauben, daß sie ein Monopol auf den Besitz aller Stellen haben, über Parteibuchbeamte.
- Hören Sie: schreien wir in den Länderverwaltungen?
Ich möchte meinen, Herr Dr. Vogel: bis wir in den Länderverwaltungen auch nur einen kleinen Bruchteil der Beamten haben, die Sie von jeher besessen haben und immer noch besitzen, können wir noch 100 Jahre arbeiten.
Wenn Ihre alten, von Ihnen als ewige Dauerbesitzrechte auf Monopolstellungen empfundenen Ansprüche durch den gesunden demokratischen Grundsatz, daß alle Staatsbürger das Recht haben müssen, an der Verwaltung teilzunehmen, angegriffen werden, dann schreien Sie von Parteibuchbeamten.
Ich könnte den Satz des Herrn Abgeordneten Dr.
Wuermeling gebrauchen: Sie fühlen sich getroffen.
Aber lassen Sie mich zurückkehren zu dem eigentlichen Thema, von dem der Herr Kollege Becker uns abgelenkt hat! Ich bedauere, daß im Zusammenhang mit einem Gesetzentwurf, über dessen Grundtendenz an und für sich das Haus im großen und ganzen einig ist, es sich als notwendig erwiesen hat, derartige Ausführungen überhaupt zu machen. Denn darüber habe ich gar keinen Zweifel: Die überwiegende Mehrheit dieses Hauses ist sich völlig einig darin, daß der verderbliche und schädliche Abgeordnete, der aus diesem Hause hinausgeworfen werden muß, derjenige ist, der die Tatbestandsmerkmale erfüllt, die wir in § 46 a festlegen wollen.
Der Herr Abgeordnete Renner hat verschiedene Ausführungen gemacht, die tatsächlich die logische Fortsetzung dessen waren, was der Herr Kollege Becker vorgetragen hat; das kann ich nicht leugnen. Aber, meine Damen und Herren, wenn Sie das wollen, dann dürfen Sie überhaupt keine juristischen Begriffe mehr scharfen, dann dürfen Sie überhaupt keinem Richter mehr irgendeinen Begriff an die Hand geben, ohne befürchten zu müssen, daß dieser Begriff mißbraucht wird. Auch Herr Renner wird mit mir und mit uns darin einig sein, daß kein gewinnsüchtiger Mißbrauch des Abgeordnetenmandats geduldet werden kann.
— Das ist selbstverständlich; dann kommt es nur darauf an, wie wir das Ziel erreichen können. Ich glaube, wir bauen ein Bundesverfassungsgericht auf und haben die Möglichkeit, in dieses Bundes verfassungsgericht Männer hineinzuwählen, die das Vertrauen der überwiegenden Mehrheit dieses Hauses, des Bundesrates und damit des deutschen Volkes haben und zu denen wir auch das Vertrauen haben müssen, daß, wenn man ihnen ein In-
strument in die Hand gibt, wie es dieses Gesetz darstellt, sie von diesem Instrument den weisen Gebrauch machen, den dieses Gesetz erfordert und der schließlich die ganze Tätigkeit des Bundesverfassungsgerichts beherrschen muß.