Meine Damen und Herren! Der so harmlos aussehende Gesetzentwurf, welcher von dem Herrn Vertreter der SPD, Herrn Kollegen Wagner, auch so verniedlicht vorgetragen worden ist, enthält Auslegungsmöglichkeiten und Anwendungsmöglichkeiten, die uns die beiden auf ihn folgenden Redner, vor allen Dingen Herr Kollege Becker, sehr eindringlich klargemacht haben. Das ist also ein Gesetz, welches auswertbar und ausdehnbar ist wie Kautschuk. Ich will das beweisen.
Gestatten Sie mir aber zuerst eine Vorfeststellung. Es ist hier das Ergebnis des „Spiegel"-Ausschusses herangezogen worden. Es ist davon gesprochen worden, daß dieser Bundestag an eine Reihe von Abgeordneten die Aufforderung gerichtet hat, freiwillig ihr Mandat niederzulegen. Nach Pressemeldungen hat das auf die Mitglieder der Partei, aus der die in Frage kommenden Herren stammen, so gewirkt, daß am vergangenen Sonntag der Herr von Aretin und der Herr Volkholz zum ersten bzw. dritten Vorsitzenden ihrer Parteigruppe mit Stimmenmehrheit wiedergewählt worden sind. Das steht in den Zeitungen zu lesen. Also die Mitglieder der Partei, deren Abgeordnete hier in dieser Art und Weise bloßgestellt worden sind, haben eine abweichende Auffassung von Ehre, von Bestechung und von Sauberkeit der Abgeordneten. Das muß man doch einmal klar herausstellen.
Wie soll man nun bei einer derartigen Auffassung in der Wählerschaft bzw. in der Mitgliedschaft einer Partei zu der Überzeugung kommen, daß durch die Schaffung eines Ehrengerichts, das wir doch nur aus dem Bundestag zusammensetzen können, Remedur geschaffen werden könnte? Übrigens haben sich die beiden Herren ihre Wiederwahl sehr leicht gemacht. Sie haben — das habe ich in der Zeitung gelesen — behauptet, daß der von ihnen gestellte Antrag auf Aufhebung ihrer Immunität vom Bundestag abgelehnt worden sei. Das ist auch ein starkes Stück, wenn man die generelle Haltung des Bundestages in der Frage der Immunität, die darauf hinausgeht, daß der Bundestag von sich aus nicht einem Ersuchen eines Abgeordneten auf Aufhebung seiner Immunität stattgibt, nachher so ausgelegt, wie das in diesem Fall offensichtlich geschehen ist.
Nun zu diesem Gesetz selber. Ihre Auffassung, Herr Kollege Wagner, darüber, was „gewinnsüchtig mißbraucht" bedeutet, ist ja inzwischen wohltuend ergänzt worden. Ich frage: gewinnsüchtig mißbraucht zu wessen Gunsten? Zu seinen persönlichen Gunsten, also für die eigene Person oder etwa für die Wähler oder für die Gruppe mißbräuchlich ausgewertet, die einen hierher geschickt hat? Da gibt mir zum Beispiel der Kampf um die sogenannte Mitbestimmung Anlaß, einige Gedanken zu entwickeln. Damals hat man Ihnen doch vorgeworfen, daß Sie mit diesem Gesetz auf kalte Art und Weise „sozialisieren". Man hat Ihnen gesagt, daß Sie sich damit über die Eigentümer der Werke und Betriebe hinweg materielle Vorteile erobern. Man hat heute davon gesprochen, daß Aufsichtsratsposten besetzt und extra zu dem Behufe geschaffen werden könnten, einige Abgeordnete in diese Sessel hineinzubringen. Ich stelle die Frage: Wird man nicht eines schönen Tages aus der Tatsache, daß doch dieses sogenannte Mitbestimmungsrecht immerhin GewerkschaftsSpitzenfunktionären Aufsichtsratsposten gibt, den Vorwurf ableiten, daß sie im Kampf um dieses sogenannte Mitbestimmungsrecht mißbräuchlich ihr Amt zu gewinnsüchtigen Zwecken ausgenutzt haben?
Nun fiel hier das Schlagwort „Parteibuchbeamter". Ich erinnere mich an eine Aussprache im Herbst 1949 nach dem großen Wahlsieg der
CDU/CSU. Da habe ich dem Herrn Adenauer einmal im Düsseldorfer Landtag die Frage gestellt: Wie ist es denn eigentlich, man hört doch, daß ihr jetzt in Bonn 4000 Beamte neu einstellen wollt; das werden doch, so sagte ich ihm, alles Beamte Ihrer Couleur? — Sicher, sagte der Herr Adenauer, schließlich haben wir ja auch gesiegt!
Das ist die Konzeption von Herrn Adenauer bezüglich des Begriffs Berufsbeamtentum.
— Herr Bausch, „wenn Sie siegen würden", fragen Sie mich, „was würden Sie dann tun?" Also, wenn Sie unterstellen, daß der Sieger sowieso diese Politik betreibt, dann hören Sie doch auf, mit dem Begriff „Parteibuchbeamtentum" zu arbeiten. Das ist doch ein Schwindel, nicht wahr? Ich freue mich, daß Sie mir diesen Ball zugeworfen haben.
Aber noch etwas anderes zu diesem Gesetz. Angesichts der Tatsache, daß ein Mitglied der Regierung den Kampf um das Mitbestimmungsrecht so dargestellt hat, daß die Gewerkschaften dadurch zuchthausreif geworden seien, sollte man doch auch einmal auf die im Zusammenhang mit der Bildung der Grenzschutzpolizei offizielle und allgemein bekannte Aufforderung der CDU, Bewerbungen um die Offiziersposten in der Polizei durch die CDU-Sekretariate laufen zu lassen, hinweisen. Ich bin der Auffassung, daß man bei diesem Tatbestand nicht durch ein Gesetz verhindern kann, daß der Besitz der politischen Macht zur Verschaffung von Vorteilen für sich, für die Partei, die Interessentengruppen, für den „lieben Bruder" oder für den Neffen mißbraucht wird.
— Ja, fiel nicht gestern das Wort „der junge
Adenauer"? Die Dinge sind doch stadtbekannt.
Einer der Herren Vorredner hat gesagt, daß man die Anklageerhebung auf den Bundesanwalt übertragen müsse. Der Herr Becker hat gesagt, daß das Bundesverfassungsgericht bereits durch Anklageerhebung des Bundesanwalts in die Lage kommen müsse, die Frage des Verlusts eines Mandats eines Abgeordneten zu behandeln. Ich bin der Meinung, daß man sich angesichts der Tatsache, wie hier nach Parteigesichtspunkten um die Besetzung des Vorsitzendenpostens des Bundesverfassungsgerichtshofes gekämpft wird, davor hüten sollte, solche generellen Feststellungen zu machen, wie Sie das getan haben, Herr Kollege Wagner, daß dieser Gerichtshof mit seiner „objektiven Unabhängigkeit" alle Garantien für den notwendigen Rechtsschutz der Abgeordneten böte. Ich fürchte — wie ich glaube, mit Recht —, daß dieses Parlament ein derartiges Gesetz auswerten wird — nicht kann, auswerten wird! —, um mißliebige Abgeordnete aus seinen Reihen auszuschalten. Wenn hier schon angetippt wird, daß die „Beleidigung des Bundestages" genügen soll, dann denken Sie doch einmal an die Perspektiven. Die „Beleidigung eines Ministers" müßte logischerweise doch dieselbe Konsequenz haben. Also, den Bundeskanzler Adenauer zu beleidigen, müßte die Konsequenz haben, daß der Bundesanwalt an den Bundesverfassungsgerichtshof herangehen kann mit dem Antrag, den Abgeordneten seines Mandats verlustig zu erklären. Das sind die Konsequenzen, und diese
Konsequenzen werden Sie sicherlich gegen uns auswerten, wenn Sie in der Phase der Vorbereitung Ihres Krieges zu solchen Unterdrückungsmaßnahmen gezwungen sind.
So liegen die Dinge. Darum, Herr Kollege Wagner, haben wir einem solchen Gesetz gegenüber allergrößte Bedenken. Wir wissen, wie die Reaktion derartige Gesetze in der Stunde mißbraucht, in der sie irgendwelche schwerwiegenden Verbrechen gegen das Volk vorbereitet und durchführt.
Darum sind wir nicht in der Lage, diesem Gesetzentwurf in dieser Form unsere Zustimmung zu geben.