Rede von
Hans
Ewers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Tendenz dieser Vorlage und auch die Begründung, die der Herr Kollege Wagner ihr gegeben hat, wird von meiner Fraktion gebilligt. Die Fragen, die aber bei diesem Anlaß aufzuwerfen sind, sind mannigfach. Die erste Frage ist die, ob dieser Anlaß es erforderlich macht, zum erstenmal in diesem Hause eine Änderung des Grundgesetzes zu beschließen, ob also dieses schwere Geschütz überhaupt erforderlich ist. Dieses Erfordernis wird hier vermutlich damit begründet, daß man annimmt, es stehe irgendwo in der Verfassung, wenn auch nicht expressis verbis, geschrieben, daß ein Abgeordneter für die Sitzungsperiode oder die Dauer des Parlaments unabänderlich gewählt ist. Das ist ja aber ein Irrtum. Denn gewisse Tatbestände, wonach ein Abgeordneter sein Mandat verliert, kennt jedes Wahlgesetz,
— nicht nur wenn er stirbt, sondern auch wenn er entmündigt, wenn er bestraft wird oder wenn andere Gründe, wie der Verlust der Staatsangehörigkeit, vorliegen. Solche Tatbestände kennt also jedes Wahlgesetz. Es bleibt nur hier die Frage, ob auch solche Straftatbestände gleichgeordnet sind, die auf einem Verschulden des Abgeordneten beruhen. Das ist ohne weiteres zu bejahen, soweit die Strafgesetze es heute schon bei dem Strafurteil — Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, Verlust der Befähigung zur Bekleidung öffentlicher Ämter—vorschreiben. Es ist also die Frage, ob darüber hinaus noch weitere Bestimmungen über schuldhaften Verlust des Mandats möglich sind. Ich meine, diese Bestimmungen können ohne weiteres durch das Wahlgesetz getroffen werden. Ich sehe nicht ein, wieso sie gegen irgendein Prinzip des Grundgesetzes verstoßen sollen. Daß das nicht der Fall ist, ergibt sich für mich schon zwingend daraus, daß der Ort, wo die Antragsteller diese Bestimmung unterbringen wollen — Art. 46 a —, eigentlich sehr willkürlich gewählt ist. Denn hier stehen Bestimmungen, die sich gerade mit dem Umgekehrten, nämlich mit der Immunität des Abgeordneten und anderen Dingen befassen. Dort ist diese Bestimmung irgendwie ein völliger Fremdkörper. Sie könnte höchstens im Anschluß an den Art. 41, wo von der Wahlprüfung die Rede ist, vielleicht einen Platz finden. Aber wir meinen, daß überhaupt zu fragen ist, ob wir, um das, was die Antragsteller erstreben, durchzuführen, des schweren Geschützes einer Änderung des Grundgesetzes bedürfen. Um so mehr meinen wir das, als ja in dem Grundgesetz selbst vorgesehen ist, daß dem Bundesverfassungsgericht durch einfachen Gesetzesakt weitere Aufgaben übertragen werden können, wie diese Vorlage z. B. hier grundsätzlich vorsieht.
In einem sind wir mit den Antragstellern völlig einig: Kein Parlamentsbeschluß kann es — bei verständiger Gestaltung des Rechts — herbeiführen, daß ein Abgeordneter sein Mandat verliert; denn das wäre eine Rechtsentscheidung, die tief in das politische Leben eingreift und die eine politische, zur Gesetzgebung berufene Körperschaft nicht fällen kann und darf. Insofern herrscht offenbar Einigkeit.
Die weiteren materiellen Bedenken beruhen nun darauf, daß hier „gewinnsüchtiger Mißbrauch des Mandats" als alleiniger Tatbestand die Ausschließung durch Rechtsakt herbeiführen soll. Alle anderen denkbaren Tatbestände, z. B. der, den wir neulich im Prinzip nicht entschieden, aber zu dem wir Stellung genommen haben, daß ein Abgeordneter durch ein unerhörtes Geschwätz den gesamten Bundestag beleidigt, werden hier nicht vorgesehen. Das kann also straflos, d. h. ohne Mandatsverlust, weiter geschehen; denn es gibt ja im Strafgesetzbuch keinen Rechtssatz, wonach Beleidigungen Amtsverlust nach sich ziehen können. Ich bin daher der Ansicht, daß der Tatbestand hier einerseits viel zu eng und andererseits viel zu ungreifbar ist. Dazu hat mein Vorredner, der verehrte Herr Kollege Becker, schon einiges angeführt. Ich bin der Ansicht, daß selbst für eine Disziplinarmaßnahme der gewinnsüchtige Mißbrauch eines Mandats einen außerordentlich schwer faßbaren, tatbestandsmäßig kaum je feststellbaren Vorwurf bedeutet, wenn man nicht einfach an die Bestechung denkt. Was die Bestechung aber anlangt, so werden wir in, der neuen Strafrechtsnovelle einen Verbrechenstatbestand schaffen, der von Gesetzes wegen mit der Bestrafung den Verlust des Mandats herbeiführen kann. Dazu brauchten wir also keine Spezialbestimmung. Aber andere Verstöße gegen die Mandatspflichten sind durchaus denkbar, bei denen wir das Bundesverfassungsgericht einschalten müssen, und zwar, wie ich hoffe, ohne Änderung des Grundgesetzes.
Alle diese Fragen hängen mit der Ehrenordnung innerlich sehr eng zusammen, und ich frage mich, wie man nun praktisch vorgehen soll. Man muß nämlich den Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität, der die Ehrenordnung demnächst in Angriff nehmen wird, natürlich zur Arbeit des Ausschusses heranziehen, der diese Vorlage behandeln soll; denn das alles behandelt ja die gleiche Materie, wie mein Vorredner auch schon gesagt hat, und zweierlei Erwägungen, die da ganz und gar selbständig nebeneinander herlaufen, wären fehl am Ort. Ich würde also empfehlen, dafür zu sorgen, daß der Ausschuß, der die Ehrenordnung zunächst einmal vorbereitend bearbeitet, als mitentscheidend herangezogen wird.
Was die Wirkung des Gesetzes anlangt, so bin ich mit meinen Herren Vorrednern völlig einig. Schon die Tatsache, daß ein Gesetz besteht, hat in vielen Dingen des Lebens einen heilsamen Einfluß auf die Moral. Die Abschreckungstheorie bewährt sich insofern je und je, nicht in dem Sinne, daß nun jeder Verbrecher abgehalten wird, aber daß dem moralisch schwankenden Menschen durch das Bewußtsein: es gibt ein einwandfreies Gesetz, Hemmungen auferlegt werden, die ihn veranlassen, ein Verhalten zu vermeiden, das ihm nach dem Wunsch des Strafrechts weitere Nachteile als nur Verlust des Ansehns zufügen kann. Ich glaube daher, daß schon der Erlaß solcher Vorschriften den besten Einfluß haben wird.