Rede von
Friedrich Wilhelm
Wagner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Im Auftrage der sozialdemokratischen Fraktion habe ich den von uns auf Drucksache Nr. 2303 eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes zu begründen. Ich beantrage, diesen Entwurf dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu überweisen.
Der Entwurf besteht aus einem einzigen Paragraphen:
Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 wird durch folgende Bestimmung ergänzt:
Artikel 46 a
Auf Antrag des Bundestages kann das Bundesverfassungsgericht einem Abgeordneten, der seine Mitgliedschaft im Bundestag gewinnsüchtig mißbraucht, die Mitgliedschaft im Bundestag aberkennen.
Der Antrag bedarf der Zustimmung von 2/3 der gesetzlichen Mitgliederzahl des Bundestages.
Meine Damen und Herren! Das Grundgesetz, das kaum mehr als zwei Jahre in Kraft ist, bedarf nach unserer Meinung der Ergänzung durch die in diesem Entwurf vorgeschlagenen Bestimmungen. Als Mitglied des Parlamentarischen Rats muß man sich fragen, warum der Gesetzgeber des Grundgesetzes nicht an dieses Problem gedacht hat, an das jetzt der Bundestag herangeführt wird. Dazu möchte ich sagen: Der Gesetzgeber des Grundgesetzes hat daran nicht gedacht, weil er davon ausgegangen ist, daß der Abgeordnete in seinem hohen Amte, das ihm das Volk anvertraut, von einer Pflichtauffassung getragen wird, die es einfach nicht erlaubt, daß ihn Motive der Art, wie wir sie im Entwurf bezeichnet haben, irgendwie beeinflussen oder gar beherrschen könnten.
Gewisse Vorgänge der letzten Zeit, die hier in diesem Hause zur Erörterung gestanden haben, haben uns zu unserem großen Bedauern davon überzeugt, und zwar nicht nur uns in der sozialdemokratischen Fraktion, sondern — dessen bin ich sicher — die Mehrheit des Hauses, daß sich leider, wenn auch in einer verschwindend geringen Zahl, Vorfälle ereignet haben, die es uns geraten erscheinen lassen, hier gesetzgeberisch einzugreifen. An und für sich sollte es in einem demokratischen Staat, der mit einem Parlament ausgestattet ist, das Mitträger der Souveränität ist, unmöglich sein, daß irgendein Abgeordneter sein Mandat, seine Mitgliedschaft in diesem Hause gewinnsüchtig mißbraucht. Sollte es aber vorkommen, dann sollte man erwarten, daß die Wähler, daß das Volk einen derartigen moralischen Druck auf einen solchen Abgeordneten ausüben, daß er vor Scham und Schande in den Boden versinkt.
Dieses Haus hat ein Urteil über gewisse Vorgänge und über einige Abgeordnete gefällt.
Dieses Haus hat den Standpunkt vertreten, daß
eine Reihe von Abgeordneten, die ihm auf Grund
der Untersuchungen des Untersuchungsausschusses
als belastet erschienen, ihr Mandat niederlegen sollen. Sie haben das nicht getan; sie haben trotzdem ihr Mandat behalten, und teilweise sind sie in ein Ausweichmanöver eingetreten, mit dem sie so tun, als ob sie irgend etwas tun wollten, was aber nur den Zweck verfolgt, nichts zu tun.
So gehen die Dinge nicht. Auf diese Weise wird der Demokratie unerhörter Schaden zugefügt.
Man könnte sich vielleicht fragen, meine Damen und Herren: wird durch einen Gesetzentwurf wie den, den wir hier eingebracht haben, nicht etwa der Eindruck erweckt, als ob ein großer Teil der Abgeordneten dieser Gefahr, die dazu führen kann, daß das Mandat aberkannt wird, unterliegen würde? Das ist sicherlich nicht so. Vergegenwärtigen Sie sich aber eines: Wenn unter 400 Abgeordneten 399 rechtschaffene, ehrenhafte Männer und Frauen sind, die sich im Dienste am Gesamtvolk aufopfern, und nur ein einziger aus gewinnsüchtigen Motiven sein Mandat mißbraucht, so wirkt dieser Mißbrauch des- einzelnen auf die anderen 399 im Ansehen des Volkes und der Öffentlichkeit in einer Weise, daß es von den 399 heißt: das ist auch einer von denen wie. der, der sich hier derartig benommen hat.
Deshalb hat das Parlament allen Grund, eine Selbstreinigung, vorzunehmen, in seinem eigenen Hause zu schauen, daß Ordnung und Sauberkeit herrschen, politische Reinlichkeit und Ehrenhaftigkeit alle Abgeordneten auszeichnet und daß der, der sich in dieses Milieu nicht hineinfinden kann, ausgespien wird.
Nun gibt es dazu verschiedene Möglichkeiten. Gestatten Sie mir aber, ehe ich in dem Gedankengang fortfahre, eine Bemerkung. — Richtig ist, daß wir bisher eine derartige Bestimmung nicht gehabt haben. Das ist erklärlich. Wir dürfen nicht vergessen, daß wir in einer Zeit leben, die alles umgestürzt hat, in einer Zeit, die neue Fundamente legt, in einer Zeit, die manches aufgewühlt hat und auch in gewissen politischen Erscheinungen Persönlichkeiten hervorgebracht und emporgespült hat, die morgen wieder versinken werden, Persönlichkeiten, durch die immer eine Zeit charakterisiert wird, die solche Jahre hinter sich hat wie wir seit 1933.
Nun könnte man sagen, es gibt zwei Wege, auf denen sich das Parlament von solchen Elementen befreien kann. Der eine Weg wäre z. B. darin gegeben, daß — analog dem Art. 41 des Grundgesetzes — das Parlament mit einer qualifizierten Mehrheit, einer Zweidrittel- oder Dreiviertelmehrheit, selbst über den Ausschluß eines solchen Abgeordneten beschließt. Wir Sozialdemokraten pflegen aber solche Gesetzentwürfe außerordentlich genau und peinlich zu prüfen. Wir möchten nicht, daß mit einer solchen Institution irgendein Mißbrauch getrieben werden kann, sondern wir möchten, daß alle rechtsstaatlichen und verfassungsmäßigen Garantien für das Mandat des Abgeordneten geschaffen werden sollen. Deshalb haben wir den Weg gewählt, daß der Bundestag als solcher den Antrag an das Organ stellen soll, das die verfassungsmäßigen Rechte überwacht: an das Bundesverfassungsgericht. Dann haben Sie eine doppelte Garantie. Wir haben diese doppelte Garantie noch einmal verschärft, indem wir beantragen, daß der Bundestag einen solchen Antrag an
den Bundesverfassungsgerichtshof nur mit einer qualifizierten Mehrheit, mit einer Zweidrittelmehrheit, beschließen kann. Der Bundestag wird einen solchen Antrag nur stellen, und die zwei Drittel seiner Mitglieder werden ihm nur dann zustimmen, wenn eine gründliche Untersuchung vorgenommen worden ist. Ich könnte mir denken, daß bereits die Untersuchung eines Untersuchungsausschusses die Frage genügend geklärt hat, und wenn zwei Drittel der Mitglieder des Parlaments sich für den Antrag entschieden haben, wird kaum jemand Unrecht getan. Und sollte jemand Unrecht getan worden sein, dann würde der Bundesverfassungsgerichtshof mit seiner völligen Unabhängigkeit und mit der großen Autorität seiner Stellung dafür Sorge tragen, daß in einem absolut objektiven, mit rechtsstaatlichen Garantien ausgestatteten Verfahren sichergestellt wird, daß nur d e r die Abgeordneteneigenschaft verliert, der sie wirklich verlieren muß. So haben wir, glaube ich, alle rechtsstaatlichen Garantien geschaffen, um einen Mißbrauch zu vermeiden.
Da die Begründungszeit abgelaufen ist, möchte ich nur noch eine Bemerkung machen. Ich glaube, daß dieser Entwurf, wenn er Gesetz werden sollte, zu einem jener Gesetze wird, die allein schon durch ihre Existenz garantieren, daß sie gar nicht angewandt zu werden brauchen. Damit möchte ich die Hoffnung verbinden, daß Wählerschaft, Volk und Parlament und alle Abgeordneten bis zum letzten und auch bis zum schwächsten dafür sorgen, daß dieses Gesetz in der Praxis niemals angewandt zu werden braucht.