Rede von
Erwin
Schoettle
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, welche Absichten der Herr Kollege Wuermeling bei seiner Rede gehabt hat. Wenn er die Frage an mich richten würde, was ich von seiner Rede halte, dann würde ich ihm sagen: es war die hemdärmeligste Propaganda, die ich je in diesem Parlament erlebt habe.
Wenn das der Beginn des Kreuzzuges für die
Wahrheit ist, den Herr Kollege Wuermeling kürzlich angekündigt hat, dann kann sich die deutsche
Öffentlichkeit auf einiges gefaßt machen, was man nicht mehr gut mit parlamentarischen Ausdrücken belegen kann.
— Meine Herren, es gibt so eine Art von Interpretation und Färbung der Wahrheit, die verzweifelte Ähnlichkeit mit-dem Gegenteil der Wahrheit hat. Der Herr Kollege Wuermeling hat hier den Versuch gemacht, das Lob der Bundesregierung in
einer Weise zu singen, die den Eindruck erweckte, als ob außer der Regierung nichts vorhanden wäre und nichts getan worden wäre. Meine Damen und Herren, wir kennen die Melodie. Sie lautet immer wieder: Die Regierung ist a priori das Gute, das Leistungsfähige, und die Opposition ist a priori das Negative.
Weil die Opposition Ihnen nicht paßt und Ihnen Dinge sagt, die Ihnen nicht passen — manchmal Dinge, die viele von Ihnen innerlich selber fühlen und nur nicht wagen laut auszusprechen —, deshalb müssen Sie hier diese Töne reden.
Ich bin nicht hierhergekommen, um mit Herrn Kollegen Wuermeling zu polemisieren. Ich habe mir vorgenommen, mich mit einigen Fragen zu beschäftigen, die der Haushaltsplan und die Periode, die wir auf diesem Gebiete erreicht haben, aufwerfen. Aber da der Herr Kollege Wuermeling sich ein sehr umfangreiches Manuskript aufgebaut hat und ich jetzt nicht mit seinen Zahlen in Wettbewerb treten kann,
erstens weil ich kein Wirtschaftspolitiker bin, und zweitens weil ich nicht die Absicht habe, hier sämtliche Statistiken vorzulesen und sie in dem Sinne zu interpretieren, wie es der Regierung paßt, muß ich mich auf einige Bemerkungen beschränken.
Eine Bemerkung generell, meine Damen und Herren. In diesem Hause mag es, da eine Mehrheit bereit ist, Beifall zu klatschen, leicht möglich sein, mit solchen rhetorischen Leistungen, wie sie Herr Wuermeling vollbracht hat, eine akustische Resonanz zu erzielen, die bei der Übertragung nach draußen schließlich den Eindruck erweckt, daß Sie alle sehr stand- und kapitelfest hinter dieser Regierung stehen, während wir weiß Gott wissen, daß es zum Teil ganz anders aussieht. Wir wissen ja, was hinter den Kulissen der Regierung nicht nur an kleinen Intrigen, gelegentlichen Auseinandersetzungen und Scharmützeln, sondern auch an echten politischen, ökonomischen und anderen Gegensätzen-vorhanden ist. Tun Sie also doch nicht so, als ob die Regierung und ihre Koalition ein rocher de bronze sei, an dem kein Fehler und nicht das kleinste Rißchen zu entdecken sei.
— Was die Einigung betrifft, so wollen wir doch sehen, ob sie noch andere Stürme aushält.
Meine Damen und Herren, ich kann dem Herrn Kollegen Wuermeling versichern, daß seine heutige rhetorische Leistung, wenn sie schwarz auf weiß gedruckt nach draußen käme oder in öffentlichen Versammlungen, vor allem vor den Massen der arbeitenden Menschen, vorgetragen würde, eine
ganz andere Wirkung erzielen würde als hier im Bundestag.
Denn es wäre eine Täuschung, Herr Kollege Wuermeling, wenn Sie annehmen wollten, daß die Unzufriedenheit draußen im Volk lediglich dem Wirken der bösen Opposition zuzuschreiben sei. Es gibt einige sehr reale Ursachen, die die Menschen da und dort zu Verzweiflungshandlungen treiben.
Es gibt eine materielle Not, die das Handeln von Millionen von Menschen diktiert, und die können Sie mit Ihren statistischen Kunststücken nicht beseitigen.
Wir haben in den letzten Wochen und Monaten eine Welle von Preissteigerungen erlebt. Sie wissen, daß es so ist, und Sie wissen, welches die Wirkungen auf die Lebenshaltung der breiten Massen der Bevölkerung sind.
Sie können auch nicht leugnen — Herr Kollege Wuermeling hat das einfach dadurch aus der Welt zu schaffen versucht, daß er nicht davon gesprochen hat —, daß die sozialdemokratische Opposition
— ich spreche jetzt nur von der Sozialdemokratie
— keineswegs ganz unschuldig an dem ist, was der Herr Kollege Wuermeling als Erfolge der Regierung bezeichnete. Es gibt da einige Dinge, auf die Sie in Ihrer Rede besonders stolz waren, die die Opposition nicht ganz unmaßgeblich mit beeinflußt hat. Ich will ganz und gar nicht sehr lange davon reden, lieber Herr Kollege Wuermeling, daß das, was Sie als die große Leistung des Augenblicks bezeichnet haben, die 25%ige Erhöhung der Sozialrenten, ja auch eine Vorgeschichte hat.
Dreimal sind in diesem Hause die sozialdemokratischen Anträge niedergestimmt worden.
Das läßt sich nicht leugnen. Aber es läßt sich auch nicht leugnen, daß die Erhöhung der Sozialrenten nicht erst am 1. Juli 1951 fällig war, sondern daß sie schon lange fällig ist.
Sie kennen auch nicht die Stimmung in den Kreisen der Betroffenen.
Im übrigen, da ich mich auf das Herauspicken einzelner Fälle beschränken muß: Herr Kollege Wuermeling hat davon geredet, welche großen Leistungen auf dem Gebiete der Flüchtlingsumsiedlung durch die Bundesregierung und ihre Koalition erreicht worden seien. Sollte es ihm ganz unbekannt sein, daß die Initiative zum Flüchtlingsumsiedlungsgesetz von der sozialdemokratischen Fraktion ausging? Das dürfte Ihnen doch nicht unbekannt sein! Auch nicht, -daß der Einfluß der sozialdemokratischen Fraktion bei der Festsetzung der Quoten und bei dem Tempo, in dem diese Maßnahmen durchgeführt wurden, entscheidend war. Ebenso dürfte Ihnen nicht ganz unbekannt sein, Herr Kollege Wuermeling, daß das Erste Wohnungsbaugesetz,- auf das Sie mit Recht stolz sind — und wir auch —, nicht ohne Mitwirkung der sozialdemokratischen Opposition, ja man kann sagen, nicht ohne ihren maßgeblichen Einfluß, nicht ohne den maßgeblichen Einfluß unserer Kollegen im Wehnungsbauausschuß, insbesondere unseres
verstorbenen Kollegen Klabunde, zustande gekommen wäre!
— Herr Kollege Wuermeling, Sie haben so getan, als ob Sie diesen Ruhm der parlamentarischen Arbeit allein an die Fahne der Regierungskoalition heften könnten, weil das gerade so in Ihr propagandistisches Konzept paßt, das da lautet: Die Opposition hat nichts getan, die Opposition ist negativ, und die Regierung hat geradezu eine Titanenarbeit geleistet! Wir bestreiten nicht, daß die Regierung Arbeit geleistet hat; dazu ist sie ja schließlich da, meine Damen und Herren.
Was wir an der Arbeit der Regierung aber kritisieren, ist, daß sie viele Dinge zu spät und nur unvollkommen tut!
Sie haben die alte Methode angewandt, einzelne Tatbestände zusammenzutragen, die zweifellos vorhanden sind und die man nicht leugnen kann, ohne auf die Quellen und die Urheber hinzuweisen, dann einen Strich darunter zu machen, zu addieren und zu sagen: „das ist die Leistung der Bundesregierung!" Aber diese Methode, meine Damen und Herren, kennen wir seit den verschiedenen Arbeitsbeschaffungsprogrammen. Wir haben sie wieder erlebt beim Bundesjugendplan. Wenn man nach den großen Ankündigungen dann fragt, was letzten Endes dabei herausgekommen ist, sieht man, daß wieder einmal nur ein Berg gekreißt hat und ein Mäuslein geboren worden ist.
— Sie können mich nicht beschuldigen, meine Damen und Herren, daß ich in diesem Hause irgend-wann einmal in billigen demagogischen Redensarten gemacht habe. Aber ich sage Ihnen: So, wie man in den Wald hineinruft, so schallt es auch wieder heraus, auch von der Seite der Opposition!
Herr Kollege Wuermeling, bei Ihrem Salto mortale, den Sie bei jeder Gelegenheit während Ihrer Rede gemacht haben, wenn Sie die Leistungen der Bundesregierung und die „leider negativen" Leistungen der Opposition konfrontiert haben, ist mir das schöne Lied eingefallen, das man hinter Ihren Worten hören konnte — ich muß es leider abwandeln —: Und das hat mit ihrem Singen die Bundesregierung getan!
— Nicht schön, solche Lieder zu zitieren! Aber es gibt eine Grenze dessen, was man sich im Parlament erlauben sollte, und diese Grenze, Herr Kollege Wuermeling, scheinen Sie doch etwas überschritten zu haben.
Vielleicht darf ich noch einige Bemerkungen zu Ihren Statistiken machen. Sie haben die Entwicklung unseres Außenhandels hier dargestellt. Nun, niemand bestreitet, daß der Außenhandel gestiegen ist. Niemand bestreitet, daß die Produktion gestiegen ist. Aber es kommt ja auch auf den Stichtag an. Wenn Sie z. B. die Leistung der deutschen Wirtschaft vor der Währungsreform mit ihrer wachsenden Leistung nach der Währungsreform vergleichen, -Herr Kollege Wuermeling, dann sollten Sie sich auch darüber klar sein, daß Sie hier völlig unvergleichbare Größen miteinander vergleichen.
— Was Ihre späteren Vergleiche anbetrifft, Herr Kollege Wuermeling, so lassen Sie mich nur zwei Zahlen nennen. Sie sagen, unsere Handelsbilanz sei zum erstenmal aktiv geworden. Warum ist sie denn aktiv geworden? Ist Ihnen nicht bekannt, daß eine sehr heftige Drosselung der Einfuhr stattgefunden hat, die das Verhältnis zwischen Einfuhren und Ausfuhren nicht ganz unmaßgeblich beeinflußt hat? Man soll doch die Dinge nicht auf den Kopf stellen!
Außerdem ist nach den eigenen Angaben der Bundesregierung damit zu rechnen, daß die Einfuhr im zweiten Halbjahr 1951 unter 80 °/o der Einfuhr des zweiten Halbjahrs 1950 liegen wird.
Nun, meine Damen und Herren, ich habe gesagt, ich bin kein Wirtschaftspolitiker. Ich habe mich in diesem Parlament in erster Linie mit Fragen der Haushaltsgestaltung und -gesetzgebung beschäftigt, und ich möchte mich nicht auf ein Gebiet begeben, auf dem man mit Statistiken und mit Interpretation von Statistiken so leicht' rhetorische Erfolge erzielen kann, wie es Herr Kollege Wuermling getan. hat, nicht weil ich das Glatteis fürchte, sondern weil ich glaube, daß das unter meinem Niveau liegt.
Abschließend ein letztes Wort zu diesem Thema, ehe ich zu dem komme, was zu sagen ich mir selber vorgenommen hatte.
— Ja, meine Herren, die Bewertung der Preislage ist Geschmacksache! Ich habe in, diesen Dingen meinen eigenen Geschmack bewiesen, und Sie haben mir das gelegentlich bestätigt!
Eine letzte Bemerkung zu dem Thema, das Herr Kollege Wuermeling angeschnitten hat. Die Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen, die sich auch mit der Lebenslage und der Lebenshaltung in den einzelnen Ländern beschäftigt, hat dieser Tage festgestellt, daß in der Statistik die Lebenshaltung des deutschen Volkes an zweitletzter Stelle stehe!
Die Bundesregierung benutzt diese Feststellung, wenn es sich darum handelt, in Verhandlungen mit anderen — das ist ihr gutes Recht — bestimmte Zugeständnisse zu erlangen. Niemand bestreitet ihr dieses Recht. Niemand behauptet, meine Damen und Herren — und die Opposition hat es auch nie behauptet —, daß die Wirkungen des verlorenen Krieges und der ungeheuren Zerstörungen in unserem Lande an der Lebenshaltung der Menschen spurlos vorbeigegangen seien oder hätten vorbeigehen können. Niemand hat das behauptet. Aber eines, Herr Kollege Wuermeling, ist nach meiner Auffassung völlig unerlaubt. Wenn Sie zum Beweise Ihrer Thesen ein Zitat aus einer Rede meines Parteifreundes Schumacher heranziehen, wie Sie es hier getan haben, dann darf ich Sie doch darauf aufmerksam machen, daß Sie mit diesem Versuch, aus einer gemeinsamen Kundgebung in einer wichtigen nationalpolitischen Frage parteipolitisch Honig zu saugen, die Grundlage jeder gemeinsamen Arbeit zerstören.
Denn das Zitat, das Sie gebraucht haben, Herr Kollege Wuermeling, eignet sich, wenn Sie es nüchtern analysieren und nicht aus dem Zusammenhang herrausreißen, erstens nicht zu einer Art Rechtfertigung der Politik der Bundesregierung, und es eignet sich vor allem nicht zum Beweise dessen, daß die Opposition in wichtigen Fragen der Nation nur negativ sei. Da Sie diesen Versuch unternommen haben, wird die sozialdemokratische Fraktion sich überlegen müssen, welche Konsequenzen sie zu ziehen hat, wenn es sich in Zukunft darum handelt, in solchen Fragen zu gemeinsamen Erklärungen zu kommen.
- Mit einem völlig falschen Ton und mit einer völlig falschen Akzentuierung, Herr Kollege Ehren! Sie sind ja Journalist und wissen, wie man so etwas macht.
— Habe ich das provoziert, oder hat das jemand anders provoziert? Beklagen Sie sich doch nicht, wenn Sie Ihre eigene Münze heimgezahlt bekommen!
Nun, meine Damen und Herren, zum eigentlichen Thema. Wir sind bei der dritten Beratung des Haushaltsplans. Sie werden nicht von mir erwarten, daß ich nun etwa das, was Herr Kollege Wuermeling positiv getan hat, negativ wiederhole und die ganze Einzelkritik, die bei der zweiten Lesung von meinen Freunden und Fraktionskollegen an der Tätigkeit der einzelnen Ministerien geübt worden ist, noch einmal vortrage. Zunächst eines: Die organisatorische Entwicklung und der organisatorische Aufbau der Bundesregierung sind annähernd abgeschlossen. Die Zeit des Improvisierens auf diesem Gebiete ist vorbei und muß endgültig vorbei sein. Es darf aber auch keine Improvisationen mehr im Verhältnis zwischen den einzelnen tragenden Elementen des Staates geben, keine Improvisationen im Verhältnis zwischen Bundesregierung und Parlament und keine Improvisationen in den Beziehungen zwischen den einzelnen Ressorts innerhalb des Kabinetts. In diesen Tagen haben wir erfahren, daß sich das Kabinett jetzt endlich die längst fällige Geschäftsordnung gegeben hat. Wir wünschen sehr, daß es nach dem Inhalt und dem Geist dieser Geschäftsordnung möglich sein wird, zu verhindern, daß die einzelnen Mitglieder des Kabinetts als Kabinettsmitglieder draußen im Lande Reden halten, die weder dem Ansehen der Regierung noch dem Ansehen des Parlaments nützen.
Wir wünschen weiter, daß die Kompetenzstreitigkeiten innerhalb des Kabinetts, innerhalb der Regierung zwischen den einzelnen Ressorts so geregelt werden, daß kein Schaden für die Interessen der Nation entsteht. Ich will auch sagen, was ich damit meine, meine Damen und Herren. Es ist ja kein Geheimnis, daß es Kompetenzstreitigkeiten und Spannungen zwischen den einzelnen Wirtschaftsressorts gibt. Der Bundeswirtschaftsminister, Herr Professor Ehrhard, ist hier gefeiert worden, und ich weiß nicht, ob nicht auch die Kommissare der Bundesregierung in diese Lobeshymnen einzubeziehen sind, die auf diesem oder jenem Gebiet die Wirtschaftspolitik des Herrn Bundeswirtschaftsministers entweder mit sich selber zu koordinieren oder zu korrigieren haben. Ich weiß es nicht; es ist in diesem Zusammenhang auch nicht interessant.
Aber es gibt Kompetenzstreitigkeiten zwischen dem Herrn Bundeswirtschaftsminister und dem Herrn Bundesernährungsminister, die in der Regel auf dem Rücken der Landwirtschaft ausgetragen werden, deren Lob hier mit Recht der Herr Kollege Wuermeling gesungen hat.
Wir kennen alle die Einzelheiten dieser Dinge. Es gibt Kompetenzstreitigkeiten zwischen dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Bundesfinanzministerium. Ich denke da z. B. an gewisse Schwierigkeiten der Regelung der Fragen des Besatzungsbedarfs und der Besatzungskostenverwaltung. Hier liegt ein völlig ungeklärter Kompetenzkonflikt vor, dessen Kosten letzten Endes das Volk, der Steuerzahler zu tragen hat. Weil die Bundesstelle für den Besatzungsbedarf und die Sonderabteilung des Bundesfinanzministeriums in Homburg nicht miteinander koordiniert werden und weil noch längst nicht klar ist, ob es nun eine einheitliche Stelle für diese Fragen geben soll oder ob die beiden Ministerien nebeneinander hergehen sollen, entsteht eine Menge von Verwirrung draußen im Land, vor allem in den Länderverwaltungen, die nicht wissen, wie die Dinge sich weiter entwickeln sollen. Eine Lösung dieser Probleme scheint uns nicht nur im Rahmen der Geschäftsordnung des Kabinetts erwünscht, sondern hier hat die Regierung eine echte Entscheidung zu treffen und eine große Aufgabe zu bewältigen, die vor ihr steht.
Es gibt ein anderes Gebiet, auf dem ein solcher Kompetenzkonflikt einen nicht unerheblichen Schaden anrichtet. Ich denke an das Nebeneinander in der Devisenüberwachung. Da gibt es gleich drei Stellen, die nebeneinander her arbeiten, ohne daß sie in wesentlichen Fragen ihre Tätigkeit koordinieren. Es gibt Sachverständige, die schätzen, daß die unkontrollierbare Kapitalflucht, die sich aus diesem Nebeneinander von Behördenstellen ergibt, zwischen 2 1/2 und 3 Milliarden DM beträgt. Wenn wir unsere Finanzlage betrachten, dann kann man doch aus solchen Dingen eine Lehre ziehen. Es gibt viele stille Reserven, die wir ausschöpfen könnten, ohne den Staatsbürger neu belasten zu müssen, wenn wir sie nur ausschöpfen könnte n. Wenn man aber auf dem Standpunkt steht — wie gerade z. B. bei der Frage der Devisenkontrolle —: „Um keinen Preis mehr Kontrolle, mehr Eingriffe in der privaten Sphäre", dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn die Leute mit der angeblich so guten Wirtschafts- und Steuermoral eben die Lücken benützen, die man ihnen bietet, um sich auf diese Weise dem Zugriff des Fiskus und der Kontrolle des Staates, der öffentlichen Hand zu entziehen. Ich glaube, auch hier liegt ein echtes Problem, das möglichst bald gelöst werden muß, so daß endlich einmal eine einheitliche Devisenkontrolle möglich ist, solange sie noch notwendig ist. Und sie wird noch sehr viel länger notwendig sein, als der Herr Bundeswirtschaftsminister in einem Anfall von Optimismus vor langer, langer Zeit einmal angekündigt hat.
Wir glauben auch, daß die einzelnen Träger der politischen Gewalt allmählich in jene Beziehung zueinander kommen müssen, die das Grundgesetz vorschreibt und die seinem Geist entspricht. Vor allem müssen die Kontrollorgane, die auf dem Boden unseres Grundgesetzes geschaffen worden sind, ihre Funktionen in voller Unabhängigkeit ausüben. Das Parlament als eines der wichtigsten Kontrollorgane der Administration muß selber wissen, was es sich schuldig ist. Wir haben nicht
immer den Eindruck gehabt, als ob das der Fall sei. Das Parlament muß sich seine Stellung gegenüber der vollziehenden Gewalt sichern, wenn es nicht die Selbstachtung und die Achtung der Bürgerschaft verlieren will. Wir wünschten, daß auf diesem Gebiet dieses Haus manchmal gegenüber der Regierung mehr Selbstbewußtsein, mehr Selbstachtung, mehr Kraft zeigen würde, als es das in der Vergangenheit getan hat.
Eine andere Kontrollinstanz, die das Grundgesetz geschaffen hat, möchte ich ebenfalls in den Bereich meiner Überlegungen ziehen. Es ist der Bundesrechnungshof, der auf Grund eines Gesetzes geschaffen worden ist, das seine Zuständigkeit umreißt. Der Bundesrechnungshof ist durch die Art, wie sich aus den ersten Anfängen staatlicher Entwicklung im Laufe des letzten halben Jahrzehnts ein neuer Staat herausgebildet hat, in vielen Punkten hinter den Ereignissen hergehinkt. Er hatte keine Möglichkeit, die Kontrollen durchzuführen, die ihm eigentlich obliegen. Auf der anderen Seite haben wir doch zu prüfen, ob die gesetzliche Grundlage des Rechnungshofes für die Bundesrepublik Deutschland ausreicht, ihn in seiner Unabhängigkeit gegenüber der Verwaltung zu sichern, die er zu prüfen und zu kontrollieren hat.
Meine Fraktion ist der Meinung, daß der Bundesrechnungshof auf Grund seiner Aufgabe und damit er seine Aufgabe in voller Freiheit und Unabhängigkeit gegenüber jedem Ressort und gegenüber der Regierung ausüben kann, eine ganz andere staatsrechtliche Qualität haben muß. Wir glauben, daß es durchaus der Überlegung wert ist, ob die Mitglieder des Bundesrechnungshofes nicht genau so durch den Richterwahlausschuß gewählt werden sollen wie die Mitglieder der obersten Bundesgerichte; nur das würde ihnen die Unabhängigkeit auch gegenüber einem Ressort geben, das unter Umständen aus Verärgerung über nicht erwünschte Gutachten des Bundesrechnungshofs die Regelung von wichtigen personalpolitischen Fragen im Bundesrechnungshof verzögert und verschleppt.
Und Grund zum Ärger haben natürlich manche Ressorts, wenn der Bundesrechnungshof in seinen Gutachten die interne Organisation eines Ministeriums prüft und zu Ergebnissen kommt, die dem einzelnen Ressortchef oder gar seinen nachgeordneten Herren nicht in den Kram passen. Da kann_ man sich schon mancherlei Möglichkeiten zum stillen Sabotieren und Hinausschieben von Entscheidungen ausrechnen, wenn man die menschliche Psyche kennt, die schließlich auch in der Verwaltung wirksam ist.
Dann glaube ich, daß die Frage der Kontrolle der vollziehenden Gewalt durch die Öffentlichkeit Gegenstand einer solchen abschließenden Auseinandersetzung über den Bundeshaushalt sein sollte. Was ich damit meine, will ich deutlich sagen. Wir glauben, daß die Bundesregierung in den vergangenen Zeiten nicht immer ihrer Verpflichtung zu voller Unterrichtung der Öffentlichkeit über die Motive ihres Handelns und über die Tatsachen nachgekommen ist, die ihrem Handeln zugrunde liegen. Auch das Parlament hat nicht immer rechtzeitig — man kann sagen, in sehr vielen Fällen sehr viel zu spät und sehr lückenhaft — die Informationen bekommen, die es zur Bildung seines eigenen Urteils braucht. Wir glauben aber nicht, daß die Regierung ihrer Informationspflicht gegenüber dem Parlament und gegenüber der Öffentlichkeit dann nachkommen würde, wenn sie etwa den Versuch machen sollte, sich willfährige Instrumente der Beeinflussung der öffentlichen Meinung zu schaffen. Wir haben mit großem Bedauern gewisse Versuche der Regierung erlebt, Einfluß auf die Rundfunkgesellschaften und die Rundfunkprogramme zu nehmen. Ich glaube, hier ist es notwendig, daß die öffentliche Meinung sehr aufmerksam verfolgt, was sich auf diesem Gebiete tut.
Wir glauben auch, gewisse Tatsachen und gewisse Vermutungen in der Richtung deuten zu müssen, als ob die Bundesregierung sich zwar nicht ein Propagandaministerium im Stile des Dritten Reiches, aber doch irgendwelche Dinge zulegen möchte, mit denen sie möglichst ohne Kontrolle durch andere Organe des öffentlichen Lebens die Art von Meinung verbreitet, die sie für die Wahrheit hält. Das scheint uns nicht der Zweck von Informationsorganen der Bundesregierung zu sein, und es ist nach unserer Meinung keiner Bundesregierung, ganz gleich welche politische Zusammensetzung sie hat, erlaubt, sich auf irgendeine Weise mit offiziöser oder offizieller Tarnung so etwas wie ein heimliches Propagandaministerium zuzulegen. Darf ich die Frage ganz konkret stellen: Was denkt sich die Regierung über die Aufgaben, die sie der soeben neu geschaffenen oder angekündigten Bundeszentrale für Heimatdienst zuweist? Wie stellt man sich das vor? Handelt es sich hier um eine Stelle, die die offiziösen und offiziellen Auffassungen verbreiten soll, oder handelt es sich um eine Stelle, die im Zusammenwirken mit allen demokratischen Kräften die Entwicklung zu einem gesunden Staatsbürgersinn ermöglichen und mitzuschaffen helfen soll?
Man muß sich über diese Fragen sehr ernsthaft und gründlich unterhalten. Herr Kollege Wuermeling, sie sind wichtiger als das Vortragen von Statistiken in diesem Hause. Denn mit ihnen wird die wahre Grundlage für das Zusammenleben der Nation geschaffen. Wenn man sie freilich im Geist der Vergangenheit behandelt, dann wird daraus das Gegenteil von dem, was wir uns unter einer solchen Zentrale für Heimatdienst vorstellen.
Es gibt einige andere publizistische Unternehmungen, die sich geradezu für die Betrachtung in diesem Hause aufdrängen. Vor einigen Tagen ist in Bonn von einem Amtsgericht eine einstweilige Verfügung gegen die Bundespressekonferenz erlassen worden. Die Bundespressekonferenz hatte Behauptungen aufgestellt, die sich auf einen Herrn Steinfurth und seinen „Deutschen Zeitungsdienst" bezogen und die diesem Herrn offenbar etwas unangenehm waren. Er hat daraufhin eine einstweilige Verfügung erwirkt. Ich möchte, ohne dem endgültigen Ergebnis des anhängigen Gerichtsverfahrens vorgreifen zu wollen — das steht mir nicht und das steht niemand zu — folgendes dazu sagen: Ist es richtig, wie vor allem bei den in Bonn akkreditierten Journalisten vermutet wird, daß dieser „Deutsche Zeitungsdienst" des Herrn Steinfurth unter der sehr, sehr entschiedenen nicht nur ideellen, sondern auch materiellen Förderung durch die Bundesregierung oder einzelner Ressorts der Bundesregierung zustandegekommen und durch diese Förderung in die Lage versetzt worden ist, eine Art Schmutzkonkurrenz gegenüber anderen Nachrichtendiensten auszuüben? Ist es richtig, daß eine solche Förderung besteht, oder kann die Bundesregierung klipp und klar diesem Hohen Hause erklären, daß sie mit dem „Bonner Schnelldienst"
des Herrn Steinfurth nichts zu tun hat, daß sie keine Mittel, keine materielle Hilfe gegeben hat, daß sie nicht durch die bereitwillige Zurverfügungstellung von Schnellschreiberapparaten an Steinfurth dessen Unternehmen erleichtert hat? Eine Antwort auf diese Frage wäre uns und wahrscheinlich noch mehr der Öffentlichkeit sehr erwünscht. Es gibt eine Reihe von Informationen über enge persönliche Beziehungen zwischen Herrn Steinfurth und hohen Beamten der Bundesregierung, die uns einigen Grund zu der Annahme geben, daß da doch gewisse Dinge der Öffentlichkeit noch verborgen sind.
Eine andere Frage in diesem Zusammenhang: Es ist dieser Tage berichtet worden, daß Herr Bundeskanzler Dr. Adenauer bei einer nicht sehr öffentlichen Gelegenheit erklärt hat, daß die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" kein Anrecht mehr habe, als offiziös betrachtet zu werden. Das ist eine interessante Nuance, wenn tatsächlich eine solche Bemerkung gemacht worden ist; denn dadurch erfährt die deutsche Öffentlichkeit, daß es so etwas wie offiziöse Presseorgane gegeben hat. Wir möchten, wenn es diese Institution gibt, wünschen, daß die betreffenden Zeitungen verpflichtet würden, das deutlich am Kopf mitzuteilen, damit ihre Leser nicht die Katze im Sack kaufen und nicht etwas für die objektive Meinung der betreffenden Zeitung ansehen, was in Wahrheit inspiriert ist. Ich glaube, daß solche Methoden in der Unterrichtung der Öffentlichkeit in der Bundesrepublik nicht üblich werden sollten, und wir jedenfalls erklären, daß wir sie mit aller Entschiedenheit bekämpfen werden.
Es gibt eine andere Sache, die nicht ganz uninteressant ist. Die deutsche Öffentlichkeit wird gelegentlich mit sogenannten Umfragen im Stile des
0 amerikanischen Gallup-Instituts bedient, und dabei wird haargenau bewiesen, wie das oder jenes Ereignis von soundsoviel Menschen nach einem bestimmten Durchschnitt bewertet wird. Da werden zum Beispiel Vorausschätzungen von künftigen Wahlergebnissen und dergleichen propagiert. Das mögen ganz nützliche Dinge sein, ein interessanter Zeitvertreib für Leute, die sonst solides Geld durch solide Marktforschung verdienen. Aber, wenn das Gerücht umgeht, daß auch materielle Beziehungen zwischen der Bundesregierung und diesem Institut für Demoskopie in Allensbach bestehen, dann müßte man doch einigermaßen aufmerksam werden; dann würden die Ergebnisse solcher Umfragen in einem ganz besonders merkwürdigen Licht erscheinen.
Diese Dinge sollte man nicht nur auf seiten der Opposition, sondern auch bei den Regierungsparteien mit einiger Aufmerksamkeit verfolgen; denn Sie schaffen sich hier Instrumente, die nur dann in Ihrem Interesse liegen dürften, wenn Sie wirklich der Meinung wären, daß die Herrschaft dieser Regierungskoalition so fest und für alle Zeiten gezimmert wäre, daß kein Wahlergebnis sie je umschmeißen könnte. So überzeugt sind wir nicht! Denken Sie daran, daß das, was einem recht ist, dem anderen billig sein würde. Ich weiß nicht, ob Sie daran Interesse haben. Denken Sie daran, meine Damen und Herren, daß die öffentlichen Institutionen nicht die Angelegenheit einer zufälligen Machtkonstellation sind, sondern daß sie für alle Staatsbürger da sind. Die sozialdemokratische Fraktion — und, da mögen Sie sich wieder auf Zwischenrufe vorbereiten, die ich mir durchaus denken kann, denn sie entsprechen der Erfahrung in diesem
Hause — vertritt den Standpunkt, daß sowohl die Organe des öffentlichen Dienstes wie die einzelnen Persönlichkeiten im öffentlichen Dienst in ihrem Verhältnis zu den politischen Kräften des Landes sich einer absoluten Neutralität befleißigen müssen und daß die Organisation des öffentlichen Dienstes, daß die Verwaltung jeder Regierung, ganz gleich, wie sie zusammengesetzt ist, in vollster Loyalität und ohne leiseste Neigung zur Sabotage dienen muß.
Ich will gleich, ein Beispiel liefern, damit Sie nicht zu voreilig klatschen.
Vor einigen Wochen hat die sozialdemokratische Fraktion bei der Beratung der Steuergesetze in diesem Hohen Hause einen Kompromißantrag eingebracht — es ging damals um die gemeinsame Veranlagung der Ehegatten —, in dem die Grenze für die getrennte Veranlagung auf 600 DM festgesetzt wurde. Was hat sich ereignet? Der Herr Bundesfinanzminister, und ich nehme an, auch seine Herren, haben sich offenbar darüber gefreut, daß in diesem Antrag eine kleine stilistische Ungenauigkeit enthalten war, daß nicht gesagt wurde, daß es sich hier um Monatseinkommen handele, und sie haben dann die Dinge ruhig laufen lassen. Offenbar haben sie sich angenehm darüber unterhalten, wie sehr sich dieses Parlament und vor allem die Antragsteller blamieren, daß sie eine solch wichtige Sache übersehen haben. Meine Damen und Herren! Wenn dieses Parlament dabei ist, einen Beschluß zu fassen, ist es dann Sache der Herren vom Bundesfinanzministerium — mit denen ich in amtlicher Eigenschaft eine ganze Menge angenehmer Kontakte habe —, sich diebisch zu freuen, wie das Parlament hier ausrutscht, oder ist es nicht ihre Pflicht als Beamte, das Parlament darauf aufmerksam zu machen, daß hier eine Ungenauigkeit vorliegt, und zu warnen, ehe der Beschluß gefaßt wird?
Ich nenne das grobe Illoyalität.
— Sie haben das sehr wohl gemerkt; denn unmittelbar nach dem Beschluß hat der Herr Bundesfinanzminister eine Pressekonferenz über dieses Versagen, über diesen Fehltritt des Parlaments unterrichtet. Er ist ja auch Parlamentarier, gehört zu diesem Hohen Haus, sitzt gelegentlich hier unten und gibt auch seine Stimme ab. Er sollte sich schon aus Loyalität gegenüber seinen Kollegen etwas Derartiges nicht leisten.
Meine Damen und Herren, ich sehe, daß hier ein Schlußzeichen ist, aber ich nehme an, daß der Herr Präsident mir genau so großzügig entgegenkommen wird, wie er dem Kollegen Dr. Wuermeling entgegengekommen ist.