Meine Damen und Herren! Zum § 4 haben wir einen Entschließungsantrag eingebracht. Ich gestatte mir, Ihnen diesen Antrag vorzulesen:
Die Bundesregierung wird aufgefordert, bis zur dritten Beratung des Entwurfs eines Zolltarifgesetzes die Rechtsverordnungen — § 4 Abs. 1 Ziffer 1 — dem Bundestage vorzulegen, mit denen sie die von ihr beabsichtigten Zollbegünstigungen mit dem neuen Zolltarifgesetz in Kraft zu setzen gedenkt.
In diesem Zusammenhang stellt der Bundestag fest, daß die Zölle des neuen Tarifs mit Ausnahme der Finanzzölle bei den Positionen Tabak und Tabakwaren, Kaffee, Tee, Branntwein und Branntweinerzeugnisse nur aus wirtschaftspolitischen Erwägungen erhoben werden sollen und fiskalische Gründe für die Erhebung ausscheiden.
Der Zusammenhang ist der folgende: Der jetzt geltende Zolltarif hat seine Funktion verloren, da die Zollsätze, wie sie gegolten haben, mit den Preissteigerungen nicht Schritt gehalten haben. Der neue Zolltarif, über den wir jetzt beraten, stellt die Relation zwischen Preisen und Zöllen wieder her,
wie sie etwa im Jahre 1938 bestanden hat. Durch diese Wiederherstellung der Relation zwischen Preisen und Zöllen ergibt sich eine Konsummehrbelastung von schätzungsweise — nach heutigen Preisen — 800 Millionen DM im Jahr. Diese außerordentliche Erhöhung der Preise durch die Zollerhöhung sollte eben durch den in Rede stehenden § 4 der Zollbegünstigungslisten verhindert werden.
Die weltwirtschaftliche Lage macht heute nicht die Erhebung aller Zölle notwendig. Im Gegenteil, eine große Anzahl von Rohstoffen und anderen Produkten sind so knapp, daß wir froh sind, wenn wir sie hereinbekommen. Ich erinnere Sie z. B. an die dieser Tage stattgefundene Zuckerdebatte. Deshalb war man sich im Ausschuß einig darüber, daß von den Zollbegünstigungen in größtem Ausmaß Gebrauch gemacht werden sollte. Erst in den letzten Tagen, speziell am 31. Mai, brachte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" eine Nachricht, daß alle Zollbegünstigungen in Zukunft wegfallen sollten, urn damit den Etat ausgleichen zu helfen. Das bedeutet, daß man den Zoll künftig nicht als wirtschaftspolitisches Instrument handhaben will, sondern als fiskalisches Instrument zur Verstärkung der Einnahmen.
In ihrer Tendenz ähnliche Ausführungen sind, soviel ich gehört habe, kürzlich im Agrarausschuß gefallen. Jetzt, als diese Tendenz, den Zolltarif zu einem fiskalischen Instrument umzudeuten, sichtbar wurde, hat sich der Finanzminister offenbar bereit erklärt, von seiner ursprünglichen Forderung bei der Umsatzsteuer 1/2 % nachzugeben, d. h. von der ursprünglichen Forderung von 4 1/2 % jetzt auf 4 % herunterzugeben, und die Sonderumsatzsteuer ganz Fallenzulassen. Statt dieser direkten Konsumbelastung ist man also dabei, einen Umweg zu beschreiten und auf diesem Wegc, indirekt, eine Konsumbelastung über das Zollgesetz einzuführen.
Die Ersetzung wirtschaftspolitischer Gesichtspunkte durch fiskalische verkehrt aber den Sinn des Gesetzes völlig. Alle wirtschaftlich notwendige Beweglichkeit des Zolltarifs erstarrt — darüber war man sich im Ausschuß ganz offenbar einig — unter dem Druck fiskalischer Notwendigkeiten. Denn das Zollgesetz, erst einmal fiskalisch mißbraucht, gibt natürlich hinterher nicht mehr die Möglichkeit, den Zoll, wenn wirtschaftlich notwendig, in einzelnen Fällen zu senken. Deshalb möchte ich besonders den Herrn Wirtschaftsminister darauf aufmerksam machen, daß hier, um in seiner Redeweise zu sprechen, ein marktkonformes Lenkungsmittel ausgeschaltet und ihm aus der Hand genommen wird, ihm also ein weiteres Mittel zur wirtschaftlichen Beeinflussung, wie er sie sich vorstellt, entwunden wird. Ich hoffe mich in diesem Punkt mit dem Herrn Wirtschaftsminister darin einig, daß er sich das wirtschaftspolitische Instrument des Zolltarifs nicht durch den Herrn Finanzminister aus der Hand nehmen läßt.
Ich möchte Sie weiter darauf aufmerksam machen, daß der Zolltarif ohne die notwendigen Begünstigungen natürlich eine riesige Konsumbelastung ist und damit nachhaltige Lohnforderungen und Forderungen auf Erhöhung aller Arten von Unterstützungen und Renten auslösen wird. Das wieder dreht die Lohn-Preis-Spirale, von der besonders die Regierungspresse in der letzten Zeit immer wieder sagte, sie müsse endlich angehalten werden, um eine neue kräftige Drehung weiter. Alle gegen eine erhöhte Umsatzsteuer vorgebrachten Argumente, wie sie hier heute diskutiert wurden, gelten im übrigen, das sei nebenbei bemerkt, natürlich auch gegen diese andere Form indirekter Konsumbelastung.
Ich bitte Sie deshalb, diesen Antrag dem Ausschuß noch einmal zur Beratung zu überweisen. Es geht um die Frage, ob der Zolltarif wirtschaftspolitisch oder fiskalisch zu beurteilen ist. Von dem Ausgang dieser Besprechungen im Ausschuß, wobei wir den Herrn Finanzminister bitten, seine wirklichen Absichten mit diesem Tarif klar herauszuarbeiten, ist es für unsere Fraktion abhängig, ob wir dem Gesetz in der dritten Lesung werden zustimmen können oder ob wir dem Gesetz, eben weil es kein wirtschaftspolitisches, sondern ein fiskalisches zu werden droht, unsere Zustimmung versagen müssen.
Abschließend möchte ich auch darauf hinweisen, daß es im Interesse der deutschen Wirtschaft nicht opportun erscheint, die dritte Lesung in dieser Form zu übereilen, wie es jetzt vorgeschlagen ist, nämlich die dritte Lesung innerhalb zwei Tagen vorzunehmen. Ich weiß, naturgemäß brauchen wir eine schnelle Verabschiedung dieses Gesetzes, damit wir hinterher die Vertragswerke von Torquay hier zur Abstimmung bringen können. Aber obwohl Eile nottut, ist Übereilung von Schaden. Denn bedenken Sie, daß die Publizität des Zolltarifs bisher außerordentlich gelitten hat, einfach deswegen, weil man wegen der Verhandlungen in Torquay monatelang Vertraulichkeit wahren mußte und bis heute nicht alle Teile der deutschen Wirtschaft — alle Interessenten, ganz offen gesagt — in der Lage waren, sich ein Bild von der Auswirkung dieses Zolltarifs auf ihre eigene Branche zu machen. Deshalb halte ich es auch im Interesse der Publizität der Verhandlungen dieses Parlaments für notwendig, die dritte Lesung für einige Tage auszusetzen. Damit würde uns Gelegenheit gegeben werden, die strittigen Fragen endgültig im Ausschuß abzuklären.