Rede von
Willi
Lausen
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte es nicht für gut, daß wir so sang-und klanglos über diese Ziffer 2 zur Abstimmung kommen. So bescheiden sie aussieht, so hat sie es doch in sich. Es handelt sich dabei um nicht mehr und nicht weniger als um eine Summe von rund 1,5 Milliarden DM, die dem deutschen Volk als Steuer auferlegt werden soll. Ich glaube, die Volksvertretung hat bei dieser Gelegenheit die Pflicht, Rechenschaft vor dem Volke abzulegen, ob diese Steuererhöhung in dieser Form und in dieser Art verantwortet werden kann und wenn ja, warum sie verantwortet werden kann.
Ich kann mich nicht über die gesamtpolitischen Fragen auslassen, weil ich glaube, daß sie erst in der Generaldebatte bei der dritten Lesung zu besprechen sind.
Ich will mich deshalb auf einige konkretere Angaben beschränken.
Über die Qualität der Umsatzsteuer ist sich alle Welt, sowohl die Finanzwissenschaft als auch die Steuerfachleute, ziemlich einig. Die einzige Ausnahme von diesem ziemlich einstimmigen Chor stellt die Pressestelle des Finanzministeriums dar.
Ich halte es doch für notwendig, einen Abschnitt aus einer Auslassung dieser Pressestelle vom 18. Mai, gerichtet an die Redaktionen der deutschen Zeitungen, mit der freundlichen Erlaubnis des Herrn Präsidenten zu zitieren. Es heißt dort, es sei jetzt an der Zeit, der Umsatzsteuer den Geruch der ausgesprochen unsozialen Wirksamkeit zu nehmen. Es werde vielfach übersehen, heißt es weiter, daß die Umsatzsteuer zumindest in Deutschland durch ihren mehrphasigen Aufbau und ihre Freigrenzen und Ermäßigungen die Abart einer gewissen grob pauschalierten Progression enthalte. Dies beginne mit der Steuerfreiheit der Umsätze der Blinden und des Eigenverbrauchs der kleineren land- und forstwirtschaftlichen Betriebe. Es setze sich fort in der Steuerermäßigung für Grundnahrungsmittel, wodurch die unteren Einkommenschichten begünstigt würden. Als Prozentsteuer biete die Umsatzsteuer bei gleicher Qualität der Ware in billigeren Stadtgegenden und billigeren Läden, bei billigerer Verpackung usw. weitere Vorteile.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß sagen, die Pressestelle des Finanzministeriums hat eine Bravourleistung vollbracht; sie hat eine Leistung vollbracht, die schon beinahe an die eines Propagandaministeriums vergangener Zeiten erinnert. Wir haben bisher geglaubt, daß die Umsatzsteuer die gröbste, die roheste und die .simpelste Steuer in unserem ganzen Steuersystem sei. Ich halte es nicht für ganz unangebracht, eine Bemerkung aus der Denkschrift des DGB zu zitieren, der in diesem Zusammenhange sagt: „Kartoffeln und Lippenstifte kosten beide in gleicher Weise 4 %".
Ich glaube, zu diesem Zitat aus der Pressestelle des
Bundesfinanzministeriums paßt sehr gut eine Bemerkung des sonst von mir so sehr geschätzten
Kollegen Neuburger, der in einem anderen Zusammenhang vor einiger Zeit einmal erklärt hat,
daß, zusammengelegt, Einkommen- und Umsatzsteuer immer noch eine sehr soziale Staffelung der Steuer darstellten.
Ich muß — und deshalb habe ich diese Darstellung zitiert — fragen: Was heißt hier Steuerermäßigung für Grundnahrungsmittel? Wenn ich mich gelinde ausdrücken will, dann liegt in dieser Bemerkung zumindest eine Täuschung des Publikums. Denn der Wunsch des Herrn Bundesfinanzministers war klar und eindeutig: er wollte die Steuerermäßigung lediglich für Brot und Backwaren in der bisherigen Höhe gelten lassen. Aber der Mensch lebt nicht vom Brot allein; er braucht noch etwas anderes hinzu. Weder Fette noch Zucker noch Milch noch andere Grundnahrungsmittel wären, wenn es nach dem Wunsche des Herrn Finanzministers gegangen wäre, in irgendeine Begünstigung hineingekommen. Nur dadurch, daß unser Antrag, auf 1 1/2 % für diese Grundnahrungsmittel herunterzugehen, abgelehnt wurde, konnte es im Ausschuß dazu kommen, daß dieser immerhin beschränkte Katalog von Grundnahrungsmitteln wenigstens auf 3 % wie bisher verblieben ist.
Im übrigen gibt es ja noch eine Reihe weiterer Grundnahrungsmittel, wenn man schon dieses Thema anschneidet. Wie sieht es mit Kartoffeln, mit Fischen, mit Teigwaren aus? Sie müssen doch immerhin zugeben, daß der ganze süddeutsche Raum die Teigwaren als ein Grundnahrungsmittel ansieht. Wie scharf die Steuerwirkung — um ein Beispiel zu nennen — bei den Teigwaren ist, mögen Sie aus folgendem ersehen: Für den Grieß hat die Mühle 3 % zu geben, für die Teigwaren der Hersteller 3 %, der Großhändler 0,75 %, der Einzelhändler 3 %, das macht ohne Hinzurechnung der Steuer zur Steuer 9,75 %, und mit der Erhöhung kommen wir auf mindestens 13,25 %, wenn nicht 13,75 %. Ich möchte wissen, was daran sozial ist.
Ich will noch ein paar Zahlen nennen. Bei einem Einkommen von 250 DM im Monat, wovon ich 70 DM als nicht der Umsatzsteuer unterworfen herausnehmen will, zahlt dieser bescheidene Einkommensbezieher, der mit einer Familie mit einem Kind ganz zweifellos an der Grenze seines Existenzminimums liegt, in Zukunft 72 DM mehr allein an Umsatzsteuern im Jahr, während sich der Gesetzgeber als der Verantwortliche für das Einkommensteuergesetz schämt, dem Manne mehr als 18 DM Steuern im Jahr aufzubrummen.
Ich will auf weitere Zahlenangaben zu diesem Thema verzichten. Ich will auch nicht auf das Verhältnis von direkter und indirekter Steuer und auf den Vergleich dieser Verhältniszahlen mit dem Ausland eingehen. Darüber ist, glaube ich, genug diskutiert worden. Aber ich will, um die unmittelbare Wirkung ' unserer direkten und indirekten Steuern in ihren Veränderungen in den letzten zwei Jahren einmal zu charakterisieren, hier ein paar Zahlen wiedergeben, die ich kürzlich in der „Welt der Arbeit" gelesen habe. Ein Bezieher eines Einkommens von 2174 DM hat im Jahre 1949/50 nur Umsatzsteuer bezahlt, im Jahre 1951/52 ebenfalls. Nach der neuen Regelung, wie sie jetzt vorgesehen ist, zahlt der Mann 65 % mehr Steuern als bisher. Ein Bezieher eines Einkommens von 3120 DM zahlt in Zukunft an Einkommen- und Umsatzsteuer 41 % mehr, ein Bezieher eines Einkommens von 5160 DM zahlt 22 % mehr. Jetzt kommt der Sprung: der Bezieher eines Einkommens von 25 000 DM zahlt 1951/52 gegenüber 1949/50 13 % weniger,
und der Mann mit 60 000 DM Einkommen 23,6 % weniger. Ich glaube, wir brauchen die Diskussion über direkte und indirekte Steuern nicht weiterzuführen. Der Mann der Praxis, der sie zahlen muß, kann uns deutlicher sagen, was damit los ist.
Was man mit dieser Methode erreicht, ist lediglich eine weitere Drosselung des Massenkonsums, woran wir gar nicht interessiert sein dürfen,
ist eine weitere Verzerrung in der Wirtschaftsstruktur, die schon genügend verzerrt ist, und ist eine weitere Verzerrung in der Einkommenspyramide, an der uns doch wahrhaftig nicht gelegen sein sollte.
Und volkswirtschaftlich: es ist hier in der vorhergehenden Diskussion das Problem der ein- und mehrstufigen Betriebe, das Problem der Organgesellschaften, angeschnitten worden. Daß in diesem Problem, wie auch immer man es löst, sowohl Prämien wie auch Strafen liegen, ist jedem, der sich damit beschäftigt hat, klar. Daß bei zunehmender Besteuerung durch die Umsatzsteuer die Prämiierung und die Bestrafung größer werden, leuchtet auch jedem ein. Trotzdem hält offenbar eine Mehrheit dieses Hauses diese Steuer für gerechtfertigt, und ich frage mich: Woher nimmt sie den Mut dazu?
Der Kollege Dr. Koch hat Ihnen in der vorigen Woche eine ganz simple, sofort nachprüfbare Darstellung von den 118 000 Menschen mit Einkommen über 25 000 DM gegeben, die im Schnitt 6500 DM Steuer im vorigen Jahre geschenkt bekommen haben; macht nach Adam Riese 770 Millionen DM Steuergeschenke.
— Ja, das haben Sie schon mal gehört; Sie werden
es vermutlich noch viel öfter zu hören bekommen.
Mit den sonstigen Vergünstigungen aus der Einkommensteuernovelle des Vorjahres macht das summa summarum vermutlich mindestens den Betrag aus, den wir jetzt durch die Umsatzsteuer bewilligen sollen, meine Damen und Herren.
— Ja, diese Steuernovelle kommt jetzt erst zum Tragen. Das ist das Problem.
Und, meine Damen und Herren, Sie haben in der vorigen Woche das Exportförderungsgesetz bewilligt.
250 bis 400 Millionen DM kostet uns diese Geschichte.
Wir haben davor noch in einer der letzten Ausschußsitzungen gewarnt, und wir haben die bedenklichen Gesichter der Kollegen und Kolleginnen der anderen Fakultäten gesehen. Wir haben darauf hingewiesen, daß dieses Exportförderungsgesetz nichts weiter als eine Prämiierung der Gewinne aus einem Rüstungsboom bedeutet.
Statt diese Gewinne restlos abschöpfen zu lassen,
gibt man diesen Leuten noch eine Prämie. Diese
Exportförderung ist ein Geschenk an eine Berufsgruppe wie jede andere Berufsgruppe, die eigentlich nur ihre Pflicht zu erfüllen hat.
Dieses Geschenk wird ganz schematisch an alle, die damit zu tun haben, verteilt. Wenn das, meine Damen und Herren, eine sorgfältige Steuerpolitik ist, dann weiß ich nicht, was man Steuerpolitik nennt. Wer solche Geschenke hergibt, hat kein Recht, vom Sozialrentner, vom Bezieher kleiner Einkommen unsoziale Steuern zu fordern.
Und das letzte: Art. 106 Abs. 3! Im Vorjahr wäre es möglich gewesen, diese Bestimmung anzuwenden. Der Herr Finanzminister hat darauf verzichtet, weil er sonst seine Einkommensteuernovelle nicht durchbekommen hätte. Aber bitte die Konsequenzen: die Betriebsprüfung. Heute wissen wir aus dem Munde des Herrn Bundesfinanzministers, daß wir wahrscheinlich noch Milliardenbeträge hereinholen könnten. Sie hätten hereingeholt werden können, wenn man den Mut besessen hätte, im Vorjahr Art. 106 Abs. 3 anzuwenden.
— Vorsichtig, vorsichtig! Es gibt Leute, die im
Glashaus sitzen und ganz vorsichtig sein müssen.
In jedem soliden Haushalt prüft man, bevor man die Einnahmenseite verändert, erst einmal die notwendigen Ausgaben, ehe man sich irgendeinen Luxus erlaubt. Was die Bundesregierung und mit ihr die Mehrheit der Parteien in diesem Hause getan haben, ist das genaue Gegenteil. Bevor man geprüft hat, welchen Sozialetat unser Land zu vertreten hat, hat man sich den Luxus erlaubt, die Einkommensteuer zu senken.
Sie können von uns deshalb nicht erwarten, daß wir zu der vom Herrn Bundesfinanzminister geforderten Erhöhung der Umsatzsteuer ja sagen. Sie mögen selbst vor Ihre Mitbürger treten und ihnen Ihre soziale Steuerpolitik zu erklären versuchen. Wir Sozialdemokraten sind jedenfalls bereit, den Beweis anzutreten, daß es hätte besser gemacht werden können.