Rede von
Dr.
Wilhelm
Niklas
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Abgeordnete Dr. Horlacher hat mir wegen Nichtanwesenheit einen bedingten Verweis erteilt. Ich habe zwei Entschuldigungen: einmal tagt zur Zeit das Kabinett, zum andern war heute morgen die Aussprache über diesen Antrag betreffend die Zuckerversorgung nicht vorgesehen. Wenn ich jetzt das Wort ergreife, so nicht nur, weil ich Appell habe, sondern auch deswegen, weil die Vorrednerinnen verschiedene Behauptungen aufgestellt haben, die nicht unwidersprochen bleiben dürfen.
Frau Abgeordnete Strohbach meinte: In welchem süßen Paradies würden wir leben, wenn die vier Zonen einig wären! Ich gebe ohne weiteres zu, daß natürlich die Zuckerkraft der sowjetisch besetzten Zone ungeheuer ist. Ich brauche ja nur das eine
Wort „Magdeburger Börde" in die Debatte zu werfen. Aber, Frau Abgeordnete Strohbach, ich muß Ihnen doch etwas sagen: Es ist ein Wahn, zu glauben, daß die deutsche Bevölkerung dann auch nur ein Gramm mehr bekäme. Unerhörte Mengen Zucker sind von den Russen in den vergangenen Jahren aus der sowjetisch besetzten Zone nach Rußland verschleppt worden.
- Herr Abgeordneter Renner, die Zuckerrationen in der sowjetisch besetzten Zone sind viel geringer, als sie bei uns in der Zwangswirtschaft waren!
Dann wurde gesprochen von den undurchsichtigen Preisverhältnissen.
— Ich komme gleich, Sie werden sofort bedient!
— Aber ich muß auf derartige unglaubliche Behauptungen reagieren!
Dann wurden wir wegen des inländischen Zuckerpreises getadelt. Meine Damen und Herren, da steht mir der Verstand still. Es wurde davon gesprochen, daß der Preis vom 1. April ab erhöht worden sei. Ja, Frau Abgeordnete Strohbach, ist Ihnen denn nicht bekannt, daß der inländische Zuckerpreis in Kleinabgabe nach wie vor 57 Pfennig beträgt? Das ist die billigste Art für die Verbraucher, Kalorien zu erwerben. Es kostete und kostet den Bund sehr erhebliche Subventionsmittel, um trotz der bedeutend gestiegenen Zuckerpreise auf dem Weltmarkt diesen Verbraucherpreis bis zum heutigen Tage zu halten.
Ich wollte eigentlich erst nach der wahrscheinlich recht eingehenden Behandlung des Antrags Dr. Müller im Ausschuß dem Hohen Hause einen Bericht über die Zuckerlage erstatten. Ich bin aber doch verpflichtet, vorweg ganz kurz etwas dazu zu sagen. Unsere Zuckerbilanz schließt mit 1,5 Millionen t ab. Frau Abgeordnete Keilhack, ich verstehe Sie einfach nicht, wenn Sie davon sprechen, daß der deutsche Verbrauch darin zu niedrig angesetzt wäre. Wir haben in diese Bilanz einen Verbrauch in Deutschland pro Jahr und Kopf von 28 kg eingesetzt. Das ist mehr, als das deutsche Volk jemals gegessen hat. Nebenbei bemerkt: mir ist zufällig in der Bibliothek meines verstorbenen Vaters eine Statistik aus dem Jahre 1873 in die Hände gefallen, aus der hervorgeht, daß unsere Eltern damals pro Kopf und Jahr 7 kg gegessen haben. Das will ich nun nicht als Maßstab nehmen. Ich bin auch nicht so altmodisch, gnädige Frau - entgegen Ihrem Zusammenschlagen der Hände muß ich das betonen —, heute noch zu sagen: Kinder, Kinder, eßt keinen Zucker, davon bekommt ihr schlechte Zähne! — Wir wissen doch längst, daß Zucker nicht mehr Genuß-, sondern Nahrungsmittel in des Wortes wahrster Bedeutung ist. Daher diese Bilanz mit den hohen Ziffern für den Bedarf, den zu befriedigen uns wirklich am Herzen liegt.
Es ist doch — und darauf kann die Agrarpolitik stolz sein — durch die vom Wirtschaftsrat seinerzeit beschlossene, vom Bundestag dann bestätigte Senkung der Zuckersteuer von 40 auf 30.50 DM erreicht worden, daß wir entsprechende Preise an
die Zuckerrübenbauern zahlen konnten — 5 DM —, und dadurch ist es wiederum gelungen, eine Vergrößerung der Anbaufläche von Jahr zu Jahr zu erwirken. Sie ist von 148 000 ha im Jahre 1949 auf 183 000 ha im Jahre 1950 gestiegen, und nach den uns vorliegenden Berichten haben wir die überaus erfreuliche Tatsache zu verzeichnen, daß in der Zuckerrübenanbauperiode, die jetzt begonnen hat, die deutsche Anbaufläche auf mindestens 210 000 ha gestiegen ist. Das sind aber nur die Vertragsflächen; was sonst noch dazu kommt, ist noch nicht erhoben. Das ist doch ein Fortschritt! Wir konnten gegenüber den 554 000 t Weißzucker aus der inländischen Ernte im Jahre 1949, auf 915 000 t im Jahre 1.950 durch eine Erweiterung der Anbauflächen und durch eine unerhörte, bisher nie dagewesene Ernte von 365 Doppelzentnern je Hektar kommen. Das sind doch Positiva, die man 'auch einmal, wenn man von diesen Dingen objektiv spricht, in Rechnung stellen muß.
Es ist doch auch nicht nur die starke Verbesserung der Zuckersituation. Der Zuckerrübenanbau, ist — das wird jeder Sachverständige bestätigen — ein Barometer für die gesamte Landeskultur; denn es gibt keine bessere Vorfrucht als die Zuckerrübe. Ich habe als Bauer nie einen größeren Weizenertrag gehabt als in den Fällen, wo ich mit Weizen nach Rüben kam.
Richtig ist, daß der Bedarf der zuckerverarbeitenden Industrie immer größer und größer wurde. Die 1,5 Millionen t Zucker der Gesamtbilanz, von denen ich sprach, haben sich zeitweise mit 800 000 t auf Konsum- und mit 600 000 t auf Industriezucker verteilt. Wir sind daran, eine allzu starke Verwendung von Zucker in der Industrie einzuschränken. Aber bitte, das ist auch nicht ohne weiteres durch eine Verordnung zu machen; denn es hängen 28 Wirtschaftszweige daran, die in stärkerem oder geringerem Maß Zucker verbrauchen. Dabei ist die Schokolade, die man immer als Paradigma, als Beispiel heranzieht, gar nicht der ausschlaggebende Teil. Wir brauchen dafür 10 %. Aber wir brauchen auch für andere Dinge größere Mengen. Wir brauchen 15 000 t für den Wein, wir brauchen für den Tabak, für alle möglichen Sachen Zucker. Wir wollen, um die Zuckerversorgung des Konsumenten in den jetzt kommenden Monaten des Einmachen sicherzustellen, die Zuteilungen an die zuckerverarbeitende Industrie in den nächsten Monaten beschränken, wobei ich auch wiederum zu berücksichtigen bitte, daß das sehr leicht gesagt und sehr schwer getan ist. Denn es kommt die- Zeit für die Marmeladeherstellung. Man sprach vorher von dem Verderben der Früchte. Wenn wir das verhindern wollen, müssen wir den Fabriken Zucker geben. Auch die Mineralwassererzeugung ist bei uns ein erheblicher Kostgänger. Wir können doch in den heißen Monaten nicht durch Streichung der Zuckerkontingente die Mineralwasserfabrikation stillegen.
Ich darf Ihnen folgende Ziffern geben: In dem jetzt laufenden Zuckerwirtschaftsjahr, das bekanntlich vom 1. Oktober bis zum 30. September geht, haben wir bis zum 31. Mai 1951 927 000 t freigegeben, davon in den Monaten Oktober bis Dezember 1950 445 000 t, im Januar und Februar je 113 000 t, im März 96 000 t und in den Monaten April und Mai im Durchschnitt 80 000 t je Monat. Im Durchschnitt von 8 Monaten bedeutet dies 116 000 t pro Monat. Aus der deutschen Erzeugung und aus Importen können wir, so wie die Dinge momentan liegen, 1 368 000 t für das Zuckerwirtschaftsjahr als ge-
sichert betrachten, so daß — und das möchte ich insbesondere den beiden Hausfrauen sagen, die vorher sprachen — ab 1. Juni 1951 insgesamt noch 441 000 t zur Verfügung stehen. Das würde bedeuten, daß für die Zeit vom 1. Juni bis 30. September dieses Jahres pro Monat rund 110 000 t Zucker freigegeben werden können, oder aber — aufgegliedert — in den Monaten Juli, August je 120 000 t und im Juni und September — wenn die Einmachzeit anläuft bzw. zu Ende geht — je 100 000 t.
Es ist mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, daß darüber hinaus aus europäischen Ländern 50 000 t neu hinzu erworben werden können. Ferner besteht die Möglichkeit, daß noch weitere Mengen in Höhe von etwa 29 000 t bezogen werden können. Wenn diese Mengen rechtzeitig eintreffen, so könnten für die Monate Juli und August als die Hauptverbrauchsmonate je 30 000 t noch zugelegt werden, so daß in den Monaten Juli und August je 150 000 t an die Bevölkerung und in den Monaten Juni und September je 110 000 t an die Bevölkerung ausgegeben werden könnten. Damit dürfte der Mehrbedarf der Bevölkerung in den Sommermonaten annähernd gedeckt werden können. Die letztgenannten Ziffern — das darf ich noch einmal unterstreichen — sind möglicherweise zu erreichen, die vorher von mir genannten sind tatsächlich erreichte, denn die Zuckervorräte sind in unseren Händen.
Die Zuckerfrage ist eine politische geworden, und zwar deswegen, weil der Zucker eben heute bis zu einem gewissen Grade natürlich weiße Devise ist. Zucker kann unter verhältnismäßig einfachen Bedingungen aufbewahrt werden; Zucker ist billig — das sage ich noch einmal —, und infolgedessen ist es das verständliche Bestreben der Bevölkerung, den Zuckerbedarf nach Möglichkeit zu decken. Der Kampf zwischen dem Löwen und dem Leoparden — also zwischen dem Konsum- und dem Industriezucker — erschwert die Situation. 60 000 Arbeiter, glaube ich, sind, wenn ich die Zahl richtig im Kopfe habe, in der Süßwarenindustrie beschäftigt, deren weitere Verdienstmöglichkeit natürlich auch in Rechnung gestellt werden muß. Ich glaube aber, ich werde wohl bei allen Mitgliedern des Hauses Zustimmung finden, wenn ich sage: Kommt es zum Konflikt zwischen dem Konsum- und dem Industriezucker, dann müssen wir in allererster Linie dafür besorgt sein, daß die breiten Schichten der Bevölkerung dieses gesunde und billige nicht Genuß-, sondern Nahrungsmittel zur Verfügung haben.