Meine Herren und Damen! Ich wundere mich, daß eine Partei, die in ihren Reihen doch schließlich den Fachminister für die Fragen der Ernährung und Versorgung hat, hier einen Antrag über den Bundestag einbringt, anstatt zu versuchen, diese problematische Situation in direkter Rücksprache mit der Regierung zu meistern. Sie hätte es dann zweifellos viel schneller erledigen können, zumal der verantwortliche Vorsitzende des
Fachverbandes für Zuckerwirtschaft in der westdeutschen Bundesrepublik diesen Antrag unterschrieben hat
und über das Problem, das hier gestellt ist, ohne Zweifel bestens orientiert ist. Wenn daher von dieser Seite des Hauses ein derartiger Antrag über den Bundestag an die Regierung gestellt wird, dann kann ich das leider nicht anders als mit Spiegelfechterei bezeichnen bzw. darin nur einen Beschwichtigungs- und Ablenkungsversuch für die Konsumenten sehen, die in diesem Jahr bereits etwas früher als im Vorjahr die Zuckernot mit ihren Begleiterscheinungen von Schwarzhandel und Hortung zu spüren bekommen.
Meine Herren und Damen! Die Situation ist in diesem Jahr ungleich schwerer als im letzten Jahr, da der Zuckerverbrauch — wie auch Herr Dr. Müller bereits sagte — jetzt erst zu steigen beginnt, im Juli die Spitze erreicht und nach einem kleinen Absinken im August und September im Oktober wieder einen sehr hohen Stand erreichen wird. Im Juli z. B. liegt der Zuckerverbrauch um 60 % höher als im Monatsdurchschnitt des Jahres. Sie mögen daraus erkennen, welches Durcheinander und welche Not uns gerade in diesem Jahre wieder erwartet, wenn wir nicht einen ausreichenden Zuckerimport zusammen mit einer Freigabe der restlichen einheimischen Bestände sicherstellen. Sonst werden wir erleben — und das ist j a auch der ausgesprochene Grund für diese beiden Anträge —, daß die wertvolle Obsternte, die sowohl für den eigenen Verbrauch als auch in der gewerblichen Fabrikation für die Vorratshaltung, für die Sicherung und Verbilligung der Lebensmöglichkeiten weiter Kreise des deutschen Volkes unumgänglich nötig ist, nur schlecht oder gar überhaupt nicht verwertet wird. Diese Tatsache trifft natürlich wieder einmal die kleinen Leute besonders hart, die mit viel Aufwand an Kraft und Geld bei ihren bescheidenen Einkünften ihre Gärten bestellt haben und sich aus den dann eingemachten Vorräten für die Wintermonate eine etwas billigere Lebensmöglichkeit schaffen wollen.
Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß am 5. Januar dieses Jahres die Regierung ein Zuckerverkehrsgesetz bekommen hat, das den Sinn hatte, dieses so wichtige Grundnahrungsmittel in ausreichender Menge zu beschaffen und auch an den Verbraucher zu bringen. § 2 dieses Zuckergesetzes verpflichtet die Bundesregierung zur Aufstellung eines Versorgungsplanes, der festlegen soll, wie hoch die Einfuhren nach .Berücksichtigung der Inlandsversorgung, also des Ertrages aus der einheimischen Ernte, sein müssen. Es ist einwandfrei klar gewesen und schon sehr lange klar gewesen, daß wir bis zum Ende dieses Zuckerjahres, also bis zum 30. September, eine Einfuhr von schätzungsweise 550 000 bis 600 000 t Zucker benötigen. Das ist nur der theoretische Mindestbedarf, bei dem die Hortungs- und Hamstertendenzen, die wir im letzten Jahr auf diesem Gebiet in zunehmendem Maße zweifellos feststellen konnten, nicht berücksichtigt sind. Bis vor kurzer Zeit — über die neuesten Einfuhrmöglichkeiten der Regierung bin ich nicht im Bilde — fehlten noch 200 000 t Zucker; das hat auch der Fachverband der Zuckerwirtschaft bestätigt. Wenn man die heutige Unterversorgung kennt und in Betracht zieht, daß bis zum August, d. h. bis zum Ende der Haupteinmachzeit, normal 430 000 t gebraucht werden, dann kann man sich leicht ausrechnen, in welche Situation wir kommen werden.
Deutscher Bundestag —148. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. Juni 1951 5825
Meine Herren und Damen! Der Abs. 1 des Antrages der Herren Abgeordneten Dr. Dr. Müller und Genossen besagt, daß für die genannten Monate der Zuckerverbrauch der Zucker verarbeitenden Industrie auf ein Mindestmaß herabgesetzt werden soll. Ich kann das nicht ganz verstehen. Denn das Memorandum der Zuckerwirtschaft, das auch Herr Dr. Müller unterzeichnet hat, sagt andererseits — ich darf das vielleicht vorlesen —:
Die Deckung dieses gewerblichen Bedarfs in den Sommermonaten ist jedoch volkswirtschaftlich genau so dringend wie die Deckung des Haushaltsbedarfs, weil das Schwergewicht des gewerblichen Zuckerverbrauchs in den Monaten Mai bis September in der Verarbeitung und Konservierung der deutschen Beeren- .und Obsternte, in der Fabrikation von Marmeladen, Obstkonserven und Obstsäften und in der Herstellung alkoholfreier erfrischender Getränke sowie in der Konservierung und Verwertung der deutschen Milchüberschüsse durch Kondensmilch und Speiseeis liegt.
Ich glaube, hierin liegt ein sehr großer Widerspruch.
Der gezeigte Ausweg ist praktisch auch gar kein Ausweg, sondern es bleibt nur die Alternative, mehr Zucker zu beschaffen. Wir halten auch die darin vorgeschlagenen Teilbewirtschaftungen — denn nichts anderes würde es in der Folge sein — für falsch und für den ersten Schritt zu erneuten Schwarzmarktaufkäufen und erhöhten Zuckerpreisen durch die Aufkäufe aus zweiter Hand. Wir kennen ja diese Praktiken allmählich. Letzten Endes wird das zu nichts anderem führen als zu einer absoluten Verstopfung der Kaufmöglichkeiten für den unbemittelten Verbraucher. Es kann also nach unserer Meinung nichts anderes gefordert und betrieben werden als eine absolut sichere Deckung des Zuckerbedarfs, der nun einmal eindeutig feststeht. Es gibt nur eine völlige Freigabe oder eine völlige Bewirtschaftung. Da Sie sich nun einmal für die völlige Freigabe entschieden haben, die wir absolut begrüßen, ist es ganz klar, daß diese Freigabe nicht zu einer Freigabe für bestimmte Verbrauchergruppen werden darf, die eben entsprechende Beziehungen haben und zu höheren Preisen kaufen können. Mit der Freigabe, die Sie vorgenommen haben, verband sich für Sie eine absolute Verpflichtung, dafür zu sorgen, daß auch die Nachfrage. völlig befriedigt werden kann, d. h. außer der Förderung der einheimischen Zuckerrübenerzeugung die Bereitstellung von Devisen für den ausreichenden Import zu veranlassen. Was ist jedoch geschehen? Der Bundesernährungsminister — _das sei hier einmal oder noch' einmal festgestellt — hat zu wenig und ,zu spät Devisen erhalten. Vielleicht darf ich einmal auf das Beispiel des vorigen Jahres hinweisen, in dem durch Ankündigung ides Herrn Bundesfinanzministers betreffend den Subventionsfortfall, eine Stockung, und zwar die erste Stockung, in der Zuckerlenkung eingetreten ist. Der Herr Bundesfinanzminister mußte sich davon überzeugen, daß es so nicht geht. Er mußte später doch Devisen bereitstellen und hat das getan, und zwar für 6,3 Millionen DM mehr, die er dann für die gleiche Zuckermenge anwenden mußte.
Meine Damen und Herren! Die chronische Devisenknappheit ist doch letzten Endes die Ursache all der Engen, die sich besonders auf dem Zuckergebiet so drastisch und deutlich ausgewirkt haben.
Sie ist eine Folge der gesamten Wirtschaftspolitik, die sich mit dem Devisenstopp und all den anderen Dingen, die ich hier nicht weiter ausführen will, auch auf diesem Gebiet ausgewirkt hat. Dazu kommt das ganz besondere Geschick der Bundesregierung, durch periodische Publikationen von Zuckerpreiserhöhungen den Erzeuger und den Handel zur Zurückhaltung von Ablieferungen anzureizen — das ist ganz selbstverständlich — und die Käufer, soweit sie es überhaupt nur irgendwie ermöglichen können, zu Vorratskäufen zu ermuntern. Schließlich sind wir in Deutschland ja gerade während langer Jahre sehr geschult, auf feinste Stockungen im Wirtschaftsablauf sehr deutlich zu reagieren. Abermals liest man in der Zeitung von Preiserhöhungsabsichten des Herrn Bundesfinanzministers für Zucker, und zwar von 1,14 DM pro Kilo auf 1,40 DM pro Kilo, nachdem man eine ähnliche Ankündigung vor etwa zwei Monaten inzwischen fallengelassen hat. Ich frage Sie: Was bezweckt man eigentlich mit diesen Ankündigungen? Will man mit der jetzt wieder vorgesehenen Preiserhöhung die Vorräte aus den Lägern und Fabriken holen? Es mögen vielleicht noch einige 1000 t da sein; eine entscheidende Versorgungserleichterung bedeuten sie nicht, auch wenn es einige 1000 t sind. Aber alles das bedeutet eine Belohnung für die Schicht, die mit ihrer Zurückhaltung des Zuckers wieder einmal richtig spekuliert hat und einen Aufpreis erhalten wird, den sie auf andere Weise nicht bekommen würde.
Diese Maßnahme findet ihre Parallele in der derzeitigen Getreidepreiserhöhung, die auch mit einer solchen oder ähnlichen Begründung vorgenommen wurde und mit einem Erfolg der Spekulanten sowie mit einer Bestrafung der ehrlich abliefernden Bauern ohne jeden praktischen Effekt für den Getreidemarkt geendet hat. Oder will man vielleicht, wie bei der Drucksache Nr. 2107, die in der 138. Sitzung durch den Bundestag gegangen ist - es sind die gleichen Antragsteller wie die des heute gestellten Antrages betreffend Zucker —, mit einer solchen Preiserhöhung die Subventionen für dieses wichtige Grundnahrungsmittel in Fortfall kommen lassen? Oder will man diesen Weg gar gehen, um Zuckerfabriken zu bauen, die nun praktisch der Zuckerverbraucher finanziert und die bisher nicht finanziert werden konnten wegen der Mangelhaftigkeit und der allgemeinen Planlosigkeit der Regierung in der Investitionspolitik, die auch für diese wichtige Aufgabe keine Mittel bereitgestellt hat, indem man sich lediglich auf Marshallplanmittel verließ.
Wir als Sozialdemokraten protestieren jedenfalls ganz energisch gegen diesen neuen Angriff auf die Lebenshaltung des kleinen Mannes, der der Regierung mit 151/4 Pfennig pro Pfund Zuckersteuer ja wahrhaftig schon seinen Obolus entrichtet. Wir fordern die Bundesregierung eindeutig und zu wiederholten Malen auf, dafür zu sorgen, daß die durch ihre Dispositionslosigkeit in der Außenhandelspolitik zu klein gewordenen Zuckermengen schnellstens aufgefüllt werden. Reden Sie nicht von zu hohem Verbrauch, wie das in den letzten Wochen sehr gern und sehr oft geschehen ist! Wir haben den Friedensstand im Zuckerverbrauch in Deutschland noch nicht erreicht. Durch eine Verlagerung der Verzehrgewohnheiten im allgemeinen ist in der ganzen Welt ein höherer Zuckerverbrauch zu beobachten, den wir allein in Deutschland auch nicht abwenden können. Außerdem ist es klar, daß der Zuckerverbrauch in einer direkten
Relation zum Fett- und Fleischverbrauch steht, der in Deutschland bekanntlich noch lange nicht den Normalstand erreicht hat und der auch durch die Lohn- und Preispolitik der Regierung zweifellos in den nächsten Monaten noch sinken wird. Halten Sie deshalb keine Moralpredigten für niedrigeren Zuckerverbrauch! In Moralpredigten hat sich Herr Minister Erhard auf seinem Gebiet, wie Sie zugeben werden, ohne den geringsten Erfolg versucht. Ihre freie Marktwirtschaft legt dem Verbraucher durch die verbrauchsfeindliche Preispolitik so viele Opfer auf, daß es eine Forderung von Recht und Billigkeit ist, die Versorgung mit diesem wichtigen Grundnahrungsmittel, dem Zucker, auf jeden Fall sicherzustellen. Dafür trägt die Bundesregierung die volle Verantwortung.
Wir sind selbstverständlich damit einverstanden, daß der Antrag Nr. 2240 sofort angenommen wird, sehen ihn aber von uns aus als einen Mindestantrag an.