Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Offenlegung der Steuerlisten ist eine, ich darf sagen, uralte sozialdemokratische Forderung, mit der man sich durchaus sachlich auseinandersetzen kann. Im Gegensatz zu meinem verehrten Herrn Vorredner ist mir in der Tat zweifelhaft, ob nicht eine Offenlegung einen gewissen Aufschwung der Steuerehrlichkeit bedeuten könnte,
so daß man in Zeiten, in denen diese Unehrlichkeit übermäßig grassiert, zu diesem Problem aus sachlichen Gründen erneut Stellung nehmen sollte. Ich möchte hier diejenigen Momente betonen, die wir von unserem Weltbild aus — „Weltanschauung" ist mir ein zu starkes Wort —, von der Gesamtauffassung von Staat und Persönlichkeit aus, nach der wir unsere Politik einzurichten wünschen, gegen diese Methode der Erfassung der Steuersubjekte, nämlich der verdienenden Mitmenschen, einzuwenden haben.
Daß der Staatsbürger im modernen Staat die unendlichen Bedürfnisse der öffentlichen Hand aus seinen Einkünften mit befriedigen muß und dazu in progressiver Weise herangezogen wird, ist ein allgemeingültiger Satz; darüber ist kein Zweifel möglich. Daß jeder Staatsbürger — ich nehme auch kein Mitglied dieses Hauses aus — dieser Verpflichtung nur widerstrebend genügt und jener „freudig Steuern zahlende Mitbürger" noch nicht entdeckt worden ist, dürfte ebenfalls außer Streit sein. Andererseits aber wollen wir doch bei all diesen Notwendigkeiten nicht vergessen, daß das, was einer mit seiner Hände oder seines Kopfes Arbeit verdient, schließlich sein persönliches Verdienst ist. Deswegen war z. B. in den alten Hansestädten das Hauptbuch des Kaufmanns sozusagen seine Bibel. Vorn stand „Mit Gott!" darauf, und Einblick bekam niemand.
— Darüber brauchen Sie nicht zu lachen; darin liegt ein starkes Ethos.
Deswegen in erster Linie stellt die Offenbarungseidpflicht — es ist ein Offenbarungseid! —, nach deren Einführung es jedermann gestattet sein würde, sich irgendwo zu erkundigen, was der und der verdient, einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Mitbürgers dar, den wir — aus diesem ethischen Grunde zunächst einmal — für unmöglich halten
und der nur in Notzeiten vielleicht einmal erwogen werden kann, nämlich dann, wenn die Steuerunehrlichkeit so groß wird, daß der Staat wegen dieses allgemeinen katastrophalen Moralrückgangs nicht mehr leben kann. Dieser Zustand war meines Erachtens vor der Währungsreform gegeben. Hätte es damals eine anständige Währung gegeben, so hätte man es nicht mehr mit ansehen können; denn die Konfiskation, die damals angesichts des Schwarzen Marktes versucht, aber nicht erfolgreich betrieben wurde, war ja moralisch vollkommen unerträglich. Heute jedoch haben wir zwar nach wie vor eine bedauerliche Steuerunehrlichkeit, und unser Wunsch hier im Hause ist, daß die Methoden, die der Finanzminister entwickelt, um die Steuerprüfungen durchzuführen, dazu führen werden, daß sich jeder kluge Mensch von selbst schützt und sichert, indem er ehrlich wird; denn hinter seine Schliche wird man schon kommen können.
Nun bedenken Sie aber, in welchem Lande wir die Offenlegung einführen würden! Wir sind weder Nordamerika noch sind wir England, und ganz und gar nicht sind wir Schweden, jenes saturierte Land, daß in 150 Jahren durch keine Schicksalsnot hindurchgegangen ist. Wir dagegen leben in einem Staate, in dem seit 1933 die Denunziation zwar mit Worten bekämpft, in der Sache aber zu einem Heiligtum geworden ist,
zu jener Möglichkeit, durch die allein die Staatsführung den Überblick über die Untertanen haben konnte. Wir wollen doch wohl nicht behaupten, daß die Verhältnisse nach der Kapitulation dazu beigetragen haben, dieses Erbübel etwa auszurotten. Wir haben ja seit 1945 — und das wollen wir zunächst im Auge behalten — an Denunziationen z. B. bei der Entnazifizierung fast noch mehr erlebt als früher.
Ich glaube, da kann keiner ernstlich widersprechen. Jedenfalls ist in dieser Beziehung noch gar nichts Wesentliches gebessert. Deswegen würden wir durch diese Methode die Steuerunehrlichkeit nur dann beseitigen, wenn zur Offenbarungspflicht des einen die Anzeige eines anderen kommt, der etwas anderes weiß und es zur Anzeige bringt. Ohne solche Denunziation wäre die Offenlegung vollkommen belanglos.
Aber außer dieser einen Gefahr muß weiter bedacht werden: wir leben in Deutschland, und darüber sollten wir uns doch einmal einig sein: Eines der größten Erbübel der Deutschen ist der Neid,
diese Scheelsucht zu dem hinauf, dem es besser geht. Das ist etwas, was man in England z. B. überhaupt nicht kennt,
weswegen in England z. B. der monarchische Gedanke außerhalb jedes Streites ist.
Dieser Neid, diese Scheelsucht würde durch die Offenlegung geradezu großgezogen. Es kommt hinzu, daß man ja vielfach gar nicht aus Steuergründen, sondern aus sonstigen, vielleicht sogar
strafbaren Erpressungsgründen diese Steuerlisten einsehen würde.
und bei Sammlungen oder bei Unterstützungen Verwandter oder bei sonstigen Anlässen zum Anlaß nimmt, zu sagen: „Du schäbiger Geizhals, du verdienst ja in Wirklichkeit das und das; ich habe es gestern eingesehen". Das alles sind Trübungen der persönlichsten Sphäre der Menschen. Jeder Staat, der nicht nur als Staatsmaschinerie fungiert und der nicht jeden Staatsbürger als Sklaven behandelt, als einen, der diesem Staat fronen muß, muß sich dreimal besinnen, ehe er die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen so sehr entwertet, daß er von diesem Einzelnen fordert, durch seine Steuererklärung einen Offenbarungseid abzulegen, und zwar vor der breitesten Öffentlichkeit.
Das sind die im wesentlichen ethischen Gründe, die jedenfalls meine Freunde auch dann veranlassen würden, unter allen Umständen gegen eine Offenlegung der Steuerlisten zu stimmen, wenn diese Methode mit Sicherheit auch ohne Denunziation die Steuerehrlichkeit heben könnte. Das letztere aber bezweifeln wir. M i t Denunziation ist diese Methode ein vorzügliches Mittel für .den bequemen Steuerstaatsanwalt, etwas zu erfahren, indem er stillschweigend dazu auffordert: wer etwas weiß, teile es mir mit. — Nehmen Sie an: ein Mann habe angegeben, sein Einkommen sei 10 000 DM. Dann kommt morgen Herr Müller, Herr Meyer oder Herr Schulze und sagt: nein, er hat an einem Geschäft allein das und das verdient. — Derartige Erscheinungen wollen wir nicht. Wir wollen eine sehr fein ausgearbeitete Steuerüberprüfung. Bekanntlich ist sie dann am feinsten, wenn sie weitentlegene Steuerakten heranzieht, um geheimen Vorgängen geschäftlicher Transaktionen auf die Spur zu kommen. Das wird jetzt, wovon ich überzeugt bin, unter der kundigen Obhut unseres Finanzministers ausgebaut und wird dann hoffentlich von selbst zu dem führen, was wir allerdings alle wünschen, nämlich zu einer größeren Steuerehrlichkeit aller oder, richtiger gesagt, aller höher verdienenden Staatsbürger, also derer, die über dem Durchschnitt verdienen. Den Durchschnittsverdienst haben die Arbeitnehmer. Diese aber haben gar keine Möglichkeit, Steuern zu hinterziehen; das können nur diejenigen, die in freien Berufen, also hauptsächlich in der Großwirtschaft arbeiten; denen bieten sich Möglichkeiten, die sie nicht ausnutzen sollten. Ich freue mich insbesondere darüber, daß wir heute eine dieser Gepflogenheiten beseitigt haben, nämlich die Absetzung von Ausgaben für die Bewirtung von angeblichen Geschäftsfreunden, bei denen ja bisher niemand nachgeprüft hat, ob es auch wirklich „Geschäftsfreunde" und nicht etwa nur persönliche Freunde waren.
Ich komme zum Schluß. Unsere Ablehnung dieser sozialdemokratischen Forderung beruht auf dem Gefühl für die Ehre und Würde des Einzelmenschen,
die auch wir nicht dem Steuerschieber zuschreiben, die wir aber zunächst einmal, bis zum Beweis des Gegenteils, jedem deutschen Staatsbürger zuerkennen.