Rede von
Dr.
Harald
Koch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit unseren Anträgen auf Umdruck Nr. 192 Ziffer 2 und Nr. 193 wiederholen wir zwei Anträge, die wir schon bei der Beratung der Einkommensteuerreform im Frühjahr 1950 gestellt hatten und bei der zweiten Beratung dieses Gesetzes wieder gestellt haben.
Unsere Anträge enthalten vier Kernstücke. Wir wünschen erstens die Rückgängigmachung der Tarifsenkungen des Vorjahres bei allen Einkommen über 6000 DM jährlich, sodann zweitens die Zerlegung der Einkommensteuer in eine Normalsteuer und eine Zusatzsteuer. Drittens wollen wir die Schaffung wesentlich höherer Freibeträge, als wir sie heute kennen, für Ehegatten und Kinder und
für den Steuerpflichtigen selbst, und schließlich die Beseitigung der Steuertabelle B.
Zu Punkt 1 — Rückgängigmachung der Tarifsenkungen des Vorjahres bei allen Einkommen über 6000 DM jährlich — möchte ich kurz das Beispiel wiederholen, das ich in der Diskussion zu Ziffer 10 a vortragen durfte. Wir haben darauf hingewiesen, daß wir neuerdings 118 000 Steuerpflichtige mit einem Einkommen von über 25 000 DM jährlich haben. Vor mehr als einem Jahr waren es nach den uns vorliegenden Berechnungen erst 86 000 Steuerpflichtige. Inzwischen sind es mehr geworden. Unsere neue Ziffer stammt aus dem Mai 1950. Wir könnten wahrscheinlich bei der Steigerung der Nominaleinkünfte und Nominallöhne mit wesentlich höheren Ziffern rechnen, als wir es jetzt in unserer Berechnung zur Begründung unserer Anträge tun. Ich gehe also von diesen 118 000 Steuerpflichtigen mit einem Einkommen von mehr als 25 000 DM im Jahr aus. Sie haben ein Durchschnittseinkommen von 48 000 DM.
Die Steuersenkung beträgt 6500 DM für jeden Steuerpflichtigen; d. h. Sie haben durch Ihre Beschlüsse vom vergangenen Jahr nunmehr Jahr für Jahr auf einen Steuerbetrag von mehr als 700 Millionen DM bei nur 100 000 Steuerpflichtigen verzichtet. Dafür gibt es keine durchschlagenden Gründe.
Der Herr Bundesfinanzminister hat uns bei der Beratung der Steuerreform im Jahre 1950 selbst erklärt, daß er mit ganz beträchtlichen Steuerausfällen rechne. Diese Steuerausfälle sind im letzten Jahre eingetreten, und in diesem Jahre werden noch wesentlich mehr Ausfälle kommen. Wenn der Herr Bundesfinanzminister im vergangenen Jahr mit einem Steuerausfall von 900 Millionen DM rechnete, dann berücksichtigte er dabei nicht den Trend der Einkommensteuer, die allgemein steigende Tendenz. Wir behaupten, daß uns die Steuerreform des vergangenen Jahres jährlich 11/2 bis 2 Milliarden DM kostet.
Die Rückgängigmachung dieser Tarifsenkungen begründen wir auch damit, daß sich die Hoffnungen, die man an diese Tarifsenkungen seinerzeit geknüpft hat, nicht erfüllt haben. Diese Tarifsenkungen haben zu unnützen Selbstfinanzierungen in einem allzugroßen Maße geführt. Sie haben nicht zu einer Hebung des Kapitalmarktes beigetragen, dessen wir so dringend bedürfen, insbesondere für die Engpaßindustrien. Sie haben vor allen Dingen auch nicht — und das wird heute ein jeder anerkennen — zu einer Hebung der Steuermoral beigetragen, sondern sie haben die gegenteiligen Folgen gehabt. Sie haben einen unnötigen Luxuskonsum gefördert; sie haben zu einer allgemeinen Kapitalverschwendung durch Selbstfinanzierung geführt, obwohl wir dringendst die Mittel gebrauchten, um Kohle und Eisen, Energie und andere Engpaßindustrien zu finanzieren.
Was die Hebung der Steuermoral angeht, so ist es doch wohl ein offenes Geheimnis, daß diese Steuergeschenke nicht dazu beigetragen haben, die Steuermoral irgendwie zu heben. Ich verweise auch in diesem Zusammenhang auf das Sonne-Gutachten, das uns am 21. März 1951 von der Bundesregierung zugänglich gemacht worden ist und in dem es ausdrücklich heißt:
Steuerermäßigung als Anreiz für Steuerzahlen
ist niemals ein Ersatz für eine gute Verwaltung.
Das ist ein Satz, den wir hundertprozentig unterstreichen möchten.
Wenn man von den Steuersenkungen eine Förderung des Kapitalmarktes erwartete, so ist festzustellen: auch diese Hoffnung ist fehlgeschlagen; denn im Jahre 1950 war das Sparaufkommen wesentlich geringer als im Jahre 1949. Die durch Ihre Steuerreform begünstigten Kreise pflegen die Steuergeschenke, die man ihnen gemacht hat, in ihren eigenen Betrieben anzulegen. Diese Beträge kommen dem Kapitalmarkt nicht zugute. Sie haben sich zu einem großen Teil in Fehlinvestitionen verwandelt. Hätte man unseren Vorschlägen Folge geleistet, seinerzeit schon die Freibeträge zu erhöhen, dann hätte man gerade den Kreisen, aus denen sich die klassischen Sparer rekrutieren, die Möglichkeit gegeben, sich wieder Sparkonten zuzulegen. Dann wäre wahrscheinlich eine Hebung des Kapitalmarkts zu verzeichnen gewesen.
Dieses Sonne-Gutachten, das „zur Eingliederung der Flüchtlinge in die deutsche Gemeinschaft" erstattet worden ist — da wende ich mich insbesondere an die Flüchtlinge und Vertriebenen in den Reihen der Regierungsparteien —, sagt auf Seite 282 das folgende:
Drei aufeinanderfolgende Ermäßigungen haben seit der Währungsreform 1948 ernsthaft die persönliche Einkommensteuer als eine verläßliche Einnahmequelle unterhöhlt, und die großzügige Ermäßigung für Ersparnisse, die 1949 eingeführt wurde, machte es reichen Leuten möglich, Abgaben bis zu einem Grad von 50 vom Hundert zu vermeiden. Gegenwärtig scheint die Belastung der hohen Einkommensgruppen unverantwortlich gering zu sein.
Mit diesen Ausführungen eines neutralen Beobachters, meine Damen und Herren, begründen wir
auch unseren Antrag.
Aus den Schlußfolgerungen dieses Gutachtens auf Seite 289 nur einen Satz noch:
Erhöhungen sollten in erster Linie auf die oberen Einkommensgruppen fallen; die niederen
Einkommensgruppen tragen zurzeit mehr als
einen gerechten Anteil an der Steuerlast. Hiermit deckt sich ein mir vorliegendes Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung aus Berlin, das ausdrücklich darauf hinweist, daß „der restliche Fehlbetrag des öffentlichen Haushalts grundsätzlich durch neue Steuern oder Steuererhöhungen ausgeglichen werden sollte, wobei allerdings wichtig ist, daß von diesen Maßnahmen vor allem die hohen Einkommen betroffen werden." Denn die niederen Einkommen werden ja in allererster Linie auch durch die indirekten Steuern getroffen, und zwar verhältnismäßig wesentlich schärfer und drückender als die hohen Einkommen durch die direkten Steuern.
Das zweite Kernstück unseres Antrages enthält den alten Antrag auf die Zerlegung der Einkommensteuer in eine Normalsteuer und in eine Zusatzsteuer. Diesen Antrag haben wir häufig begründet. Wir wünschen diese Normalsteuer mit einem einheitlichen, die Zusatzsteuer mit einem progressiven Steuersatz. Alle steuerlichen Begünstigungen und Abzugsfähigkeiten wären lediglich bei der Normalsteuer anzurechnen, so daß alle sozialen Ungerechtigkeiten entfallen. Ich darf folgendes Beispiel nennen. Der Staat schießt zu bei einem Einkommensteuerpflichtigen, der im Monat 230 DM verdient, 7.90 DM für ein Kind, aber bei einem Steuerpflichtigen, der 2000 DM verdient, 50 DM für ein Kind. Ich glaube, daß auch diese Gegenüberstellung unseren Antrag rechtfertigt.
Das dritte Kernstück unseres Antrages ist die
Schaffung wesentlich höherer Freibeträge, als wir sie heute haben, nämlich einen Freibetrag von 1500 DM für jeden Steuerpflichtigen ohne Rücksicht auf sein Einkommen und 1000 DM für die Ehefrau und jedes Kind.
Nun komme ich auf einen Vergleich zurück, den der Herr Bundesfinanzminister im letzten Jahr angestellt hatte, nämlich auf den Vergleich mit England. Wir haben diesen Vergleich schon seinerzeit aufgegriffen und darauf hingewiesen, daß in England eine dreiköpfige Arbeiterfamilie — überhaupt eine dreiköpfige Familie — erst dann Steuern zu bezahlen braucht, wenn sie ein Einkommen von 3600 Mark im Jahr hat. Dieser Betrag ist jetzt in der letzten Steuerreform des englischen Schatzkanzlers, obwohl er wegen der Rüstungsausgaben die Einkommensteuer auf allen anderen Gebieten erhöhen mußte, noch erhöht worden, so daß jetzt in England die dreiköpfige Familie einen Steuerfreibetrag von 3900 Mark hat. An diese Beispiele sollten wir uns halten, und ich darf noch einmal den Satz aus dem Sonne-Gutachten wiederholen: ,,... die niederen Einkommensgruppen tragen zurzeit mehr als einen gerechten Anteil an der Steuerlast." — Darum unser Antrag auf die erhöhten Freibeträge.
Ich komme noch einmal zurück auf die verdienstvollen Ausführungen des Kollegen Bodensteiner in der „Welt der Arbeit". Er hat folgendes berechnet: Während bei einem Einkommensteuerpflichtigen vor der Steuerreform die Lohnsteuer 31 DM im Jahr betrug, betrug sie nach der Steuerreform 7 DM. Die ganze Senkung machte also 24 DM aus. Aber die Verbrauchssteueränderungen, rechnet er aus, haben dazu beigetragen, daß der Einkommensteuerpflichtige im Jahre 1949/50 238 DM seines Einkommens für indirekte Steuern aufbringen mußte, im Jahre 1951/52 aber 372 DM. Diese kleine Steuerschenkung von 24 DM bei diesen Einkommen wird also durch eine Erhöhung der indirekten Steuern um etwa 150 DM vollauf aufgehoben. Der Grund liegt eben darin, daß sich das Verhältnis der indirekten Steuern zu den direkten Steuern im letzten Jahr wesentlich zuungunsten der indirekten Steuern verändert hat. Im Jahr 1949 betrugen die Steuern vom Einkommen 48 %, im Jahre 1949/50 43 % und im dritten Vierteljahr 1950 35 %, während sich in derselben Zeit die Steuern vom Verbrauch von 52 % auf 65% erhöht haben. Wenn der Herr Bundesfinanzminister in einer seiner Reden zu den Steuerreformen erklärt hat, daß „der unbekannte Steuerzahler die Grundlage unserer Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik sein müsse und moralisch und leistungsmäßig betrachtet im Zusammenbruch begriffen sei", dann liegt die Richtigkeit dieser Bemerkung weniger an den direkten Steuern als vor allen Dingen- an dieser Belastung durch die indirekten Steuern.
Von unserem Antrag versprechen wir uns — das ist auch wichtig, wir begründen ihn also nicht nur mit diesen sozialen Gesichtspunkten — eine wesentliche Verwaltungsersparnis. Wir hätten Millionen von Steuerpflichtigen weniger. Die Steuerverwaltung sollte sich mit wichtigeren Aufgaben beschäftigen als mit der Veranlagung von Steuerpflichtigen, die geringe Wochen- und Monatslöhne haben. Ich darf Ihnen einmal ein Beispiel nennen: Wochenlohn von 50 DM;
bei 2 Kindern beträgt die Steuer sage und schreibe
43 Pfennig. Bei einem Wochenlohn von 60 DM
und 3 Kindern beträgt die Steuer sage und schreibe 28 Pfennig. Bei einem Monatslohn in Höhe von 140 DM beträgt die Steuer bei Verheirateten ohne Kinder 55 Pfennig, bei einem Monatslohn von 200 DM bei 2 Kindern 80 Pfennig. Die Finanzbeamten sollten andere und wichtigere Aufgaben erfüllen, als sich mit diesen Pfennigbeträgen zu beschäftigen. Die Tausende von Finanzbeamten, die wir sparen könnten, wenn wir von der Besteuerung dieser kleinen Einkommen durch eine Erhöhung der Freibeträge, wie sie unser Antrag verlangt, abgingen, könnten sich mit den großen und größeren Einkommen beschäftigen. Sie könnten dazu übergehen, nun endlich einmal die Steuererklärungen der Jahre 1949 bis 1950 zu prüfen, während sie heute noch mit der Prüfung der Steuererklärungen für die Jahre 1947 bis 1948 beschäftigt sind und noch nicht einmal an die Prüfung der so wesentlichen D-Mark-Eröffnungsbilanzen herangehen konnten.
Wir haben, wie ich vorhin schon einmal sagte, von 22 Millionen Erwerbspersonen 6 Millionen, die im Monat unter 100 DM verdienen. Sie zahlen keine Steuern. Das ist in Ordnung; denn sie haben einen Anspruch auf die Hilfe dieser Bundesrepublik. Nun kommt aber die zweite Gruppe. Wir haben 8,3 Millionen Erwerbspersonen, die zwischen 100 und 250 DM verdienen. Ich will einmal unterstellen, daß von diesen etwa 4 Millionen Steuern zahlen, aber in Pfennigbeträgen, wie ich Ihnen vorgerechnet habe. Wir haben 5 Millionen Steuerpflichtige, die ein Einkommen zwischen 250 und 400 DM haben. Wenn wir die von uns vorgeschlagenen Freibeträge in das Gesetz einbauen, dann würden etwa 5 Millionen Steuerpflichtige überhaupt nicht mehr Steuern zu bezahlen brauchen. Eine derartige Steuervereinfachung können wir gar nicht hoch genug anschlagen.
Ich möchte Sie auch auf ein Schreiben des Bundes der Steuerzahler verweisen, in dem mitgeteilt wird, daß man für das Steuerzahlen, vor allem bei der Lohnsteuer, nicht nur die Finanzämter, sondern auch die Verwaltungen der Betriebe in der gewerblichen Wirtschaft gebraucht. Der Bund der Steuerzahler gibt uns von einem Gutachten des Professors Dr. Schmölders Kenntnis, in dem ermittelt worden ist, daß man die Belastung der Wirtschaft durch diese Steuereinziehung mit etwa 300 bis 350 Millionen DM jährlich veranschlagen kann, eine Belastung der Wirtschaft, weil sie der Helfer der Bundesfinanzverwaltung ist, sich aber bedauerlicherweise vor allem damit beschäftigen muß, in einem allzu großen Umfang lächerlich kleine Beträge von den Steuerzahlern einzubehalten.
Wir bitten Sie also, aus sozialen Gründen wie auch aus Gründen der Steuervereinfachung unserem Antrage zuzustimmen. Schätzen Sie den Ausfall an Steuern meinetwegen auf eine halbe Milliarde Mark oder auf noch mehr; aber setzen Sie dagegen die Ersparnis in der Bundesfinanzverwaltung oder in den Länderfinanzverwaltungen und in der Wirtschaft. Die Möglichkeiten, die Sie erhalten, wenn Sie alle Steuerbeamten ansetzen können, um dafür zu sorgen, daß die Einkommensteuern ehrlich bezahlt werden und die Steuermoral sich hebt, werden dann zu dem Ergebnis führen, daß der Ausfall nicht gleich Null ist, sondern daß sich dann noch ein wesentliches Plus erwirtschaften läßt.
Zum letzten Punkt, zur Beseitigung der Steuertabelle B, haben wir schon wiederholt unsere Begründung angegeben. Diese Steuertabelle B ist vielleicht das Unsozialste in unserem ganzen Steuerrecht. Es ist fast völlig unbekannt, daß diese Steuertabelle seinerzeit - ich glaube, schon im Jahre 1932 oder 1933 — eingeführt wurde, weil man die Bürgersteuer in das Einkommensteuerrecht einbauen und diese Bürgersteuer auch bei den kleinen Einkommen erhalten wollte. Wir schleppen mit der Steuertabelle B also auch heute die alte Bürgersteuer in der Einkommensteuer — gerade bei den kleinsten Einkommen — fort. Aus diesem Grunde sollten wir die Steuertabelle B, die wahrscheinlich fast nichts einbringt und lediglich Arbeit macht, beseitigen. Auch das liegt auf der Linie unserer Anträge über die Freibeträge.
Aus all diesen Gründen, aus sozialen Gründen, aber auch aus Gründen der Steuervereinfachung, bitten wir, unseren Antrag anzunehmen.