Herr Präsident! Mein
Herren und Damen! Ich freue mich außerordentlich, daß Frau Wessel die von mir in der zweiten Lesung vorgebrachten Argumente heute so außerordentlich gut unterstützt hat. Wir wiederholen heute unseren Antrag mit Nachdruck. Ich hatte das vorige Mal versäumt zu sagen, daß dieser Antrag im Finanzausschuß bereits angenommen war. Der Bundestag konnte sich aber zur Annahme nicht entschließen.
Ich möchte annehmen, daß die Diskussionen, die in der vorigen Lesung geführt wurden, noch in der Erinnerung der Abgeordneten lebendig sind. Sie haben in der Öffentlichkeit — nicht etwa nur bei den Frauen, sondern ebenso bei den betroffenen Männern — einen außerordentlich lebhaften Protest ausgelöst.
Soweit bekanntgeworden ist, besteht in der Öffentlichkeit — einschließlich der Frauen der politischen Parteien — die einhellige Meinung, daß die Aufhebung des § 43 der Einkommensteuerdurchführungsverordnung nicht nur einen Schritt zurück zum Kochtopf, sondern auch, wie das hier in der zweiten Lesung schon ausgeführt wurde, einen Schlag gegen die Gleichberechtigung der Frau bedeutet. Man werfe nur einen Blick in die Leserbriefe und Leitartikel der Tageszeitungen! Ich beziehe mich auch auf die Resolutionen und Telegramme der Frauenorganisationen, der Gewerkschaften, ja sogar der Bürgervereine, die inzwischen auch dem Bundestag, dem Bundeskanzler und dem Herrn Bundesfinanzminister zugegangen sind.
Meine Herren und Damen, Sie werden mir doch zugeben, daß nicht alle diese Kreise, die Protest eingelegt haben, der Sozialdemokratie unbedingt nahestehen.
Die allgemeine Meinung geht dahin, daß Gleichmäßigkeit und Gerechtigkeit oberster Grundsatz des Steuerrechtes sein müssen, daß aber in diesem Falle der Grundsatz verletzt wird.
Was können denn die Befürworter dieser Maßnahme an Argumenten vorbringen? Die CDU, die durch Frau Dr. Weber vertreten wurde, ließ vortragen, daß die Voraussetzung für eine christliche Ehe die Haushaltsbesteuerung sei.
In der Zusammenveranlagung glaubt man also eine bessere Grundlage für die christliche Ehe zu haben
Es ist nachzuweisen, daß sich aus der Zusammenveranlagung gerade ein Zustand entwickelt, den niemand von den in diesem Hause vertretenen Parteien begrüßen könnte und den herbeizuführen sich auch niemand anschicken sollte.
Dann würde nämlich die billigere Lebensgemeinschaft vor der Ehe bevorzugt, also die Lebensgemeinschaft, die im Volksmunde die wilde Ehe genannt wird. Man würde also bereit sein, auf die Ehe zu verzichten, weil diese andere Lebensgemeinschaft nicht dem gleichen steuerlichen Druck wie die Ehe ausgesetzt wäre, obgleich die erstere wirtschaftlich keine geringere Stärke hätte.
Ein zweiter Gesichtspunkt wäre, aus steuerlichen Gründen, besonders bei wirtschaftlicher Notlage, eine Scheinscheidung herbeizuführen, die sich schon in wenigen Monaten bezahlt machen würde.
— Herr Wuermeling, die Praxis! — Der Herr Finanzminister hat in einem mir bekanntgewordenen Brief vom 29. August 1950 gesagt, die Zusammenveranlagung erkläre sich ideell durch das Wesen der Familiengemeinschaft, wirtschaftlich durch die erhöhte Leistungsfähigkeit. Ich muß jetzt den Herrn Minister fragen: Hält er denn die andere Gemeinschaft, die Lebensgemeinschaft, im Volksmund „wilde Ehe" genannt, etwa für ideell oder gar für ideal? Als Beweis dafür nehme ich auf einen Leserbrief Bezug, aus dem ich eine Stelle wörtlich vortrage:
Wie tröstlich ist es doch, daß der Staat, der vor 10 Jahren die Eheleute steuerlich so brutal getrennt hat, sie nun nach den Opfern und Verlusten des Krieges in trauter ehelicher Steuereinheit wieder verbindet.
Welch ein Symbol!
Auf die Ungerechtigkeit der Zusammenveranlagung habe ich in der zweiten Lesung hingewiesen. Die Öffentlichkeit hat auch folgerichtig darauf reagiert. Steuerlicher Gerechtigkeit kommt das amerikanische Steuerrecht am nächsten, weil es zu einer echten Begünstigung der Ehe führt. In den USA werden die Eheleute getrennt veranlagt. Wenn sich aber der amerikanische Steuergesetzgeber durch eine gesunde Steuergesetzgebung in die Lage versetzt, über so ausreichende Steueraufkommen zu verfügen, daß davon über die Mittel des Marshallplans erhebliche Gelder an Deutschland gegeben werden können, so wäre es Pflicht
des deutschen Gesetzgebers, sich gleichfalls einer gesunden und vor allem gerechten fortschrittlichen Besteuerung zu befleißigen.
Wenn in der Debatte gesagt worden ist, daß steuerpolitisch gesehen gar kein Interesse daran bestünde, die Ehefrau zu begünstigen, da noch so viele Arbeitslose vorhanden seien, dann dokumentiert die Regierung damit, daß sie sich selbst als unfähig erkennt, die Arbeitslosen von der Straße zu bringen, und andere werden dafür bestraft.
— Es kommt auf das Maß an, das man anlegt,
Herr Wuermeling!
Die Vergangenheit lehrt, daß man so weitgehende Ermächtigungen nicht geben soll, wie sie in § 51 vorliegen, die die Auslegung von Gesetzen in das Ermessen der Verwaltung stellen, anstatt sie, wie es der rechtsstaatliche Gedanke verlangt, der Rechtsprechung zu überlassen. Wir haben es 1934 schon einmal erlebt, daß durch eine unüberlegte Gesetzesermächtigung Rechtsprechung, Verwaltung und Gesetzgebung praktisch in eine Hand gelegt wurden. Gerade aus diesen Gründen, um dieser Unsicherheit zu begegnen, beantragen wir, daß der § 43 der Einkommensteuerdurchführungsverordnung nicht etwa nur aufrechterhalten wird, sondern darüber hinaus Gesetzesfunktion erhält.
Es ist anzunehmen, daß, wenn unser Antrag nicht angenommen wird, beherzte Vertreter einer gerechten und gleichmäßigen Besteuerung einmal den Versuch unternehmen werden, einen Musterprozeß beim Finanzgericht anzustrengen. Darüber hinaus — das hat mein Freund Greve schon vorgetragen — wird sich auch das Bundesverfassungsgericht mit der Frage zu beschäftigen haben.
Ich habe daher im Namen aller berufstätigen Frauen hier vorzutragen.
daß diese Steuervorlage nur die Ärmsten und Begabtesten, nämlich diejenigen trifft, die aus innerem oder aus äußerem Zwang arbeiten, d. h. aus Liebe zum Beruf. Ich appelliere daher an die männlichen Kollegen der CDU und der Parteien weiter rechts, die ja durch ihre Mehrheit in diesem Hause die Entscheidung herbeiführen. Die fortschrittlichen Kollegen sitzen auf der linken Seite!
Meine Herren der Rechten, die Ablehnung unseres Antrags — glauben Sie es mir — könnte dazu führen, daß Sie einen großen Teil von Frauensympathien in Deutschland einbüßen werden.