Rede von
Hans
Ewers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was die Frage der Saar selber anlangt, so haben wir eine sehr ähnliche und fast genau so wie heute durch allzulange Reden etwas entwertete Debatte hier im Hause am 10. März 1950 gehabt. Damals wie heute, darf ich feststellen, herrschte bei der Opposition von links und rechts und bei den Regierungsparteien Einmütigkeit darüber, daß erstens rechtlich alles, was an der Saar geschieht, von Frankreich befohlen, geduldet oder herbeigeführt, für uns und die übrigen Völker nicht existent sein kann und daß wir zweitens das Unrecht, das unseren Landsleuten, diesen 900 000 Saarländern, geschieht, beklagen. Daß wir andererseits als Nachbarn Frankreichs sehr wohl einmütig anerkennen, daß Frankreich mit Rücksicht auf die Saarkohle und seine lothringischen Erze stärkste wirtschaftliche Interessen im Saargebiet und in den angrenzenden Gebieten zu vertreten und für sich selbst wahrzunehmen hat, darüber herrscht Einigkeit. Über die außerordentlich beklagenswerten Einzelumstände an der Saar ist heute sehr eingehend gesprochen worden. Dazu - ven mir aus kein weiteres Wort.
Was die Sache so ungemein ernst, ich möchte sagen, tragisch macht, das hat mein Vorredner, Herr Loritz, angedeutet. Seinen Kursus darüber, wie sich ein Außenminister im Ausland nach seiner Meinung benehmen muß, wird sich der Herr Bundeskanzler zu eigen machen, und er wird ihm ein gelehriger Schüler sein. Ich glaube allerdings, daß Belehrungen in dieser Beziehung nicht gerade nötig sind; aber sie schaden auch nichts, und man nimmt sie zur Kenntnis.
Herr Loritz hat aber insofern recht, als er sagt, daß wir hier im Bundestag, zumindest zum Teil und jedenfalls wir auf den Regierungsbänken durch das, was mit dem Schuman-Brief vom 9. Mai 1951 im Saarland angerichtet worden ist, überrascht,
alle aber ausnahmslos geradezu empört sind. Dieser Umstand ist in der Debatte mit Rücksicht auf die Regierungserklärung nicht sehr hervorgetreten. Auch ich will ihn nicht sehr breit behandeln. Ich halte dieses Überraschungsmoment aber für das Entscheidende, worüber heute gesprochen werden muß, was in den Ausführungen meines Vorredners, des Herrn Kollegen Mayer von der FDP, auch durchklang.
Wie liegen insofern die Dinge? Als wir uns am 10. März 1950 hier über die Saarkonventionen an Hand einer außerordentlich einprägsamen und nachlesenswerten Regierungserklärung unseres Herrn Bundeskanzlers unterhielten, da hatten wir alle das Gefühl, daß durch derartige Dinge bei uns in Deutschland in den Kreisen rechtsradikaler Agitatoren größtes Unheil angerichtet werden könnte; denn selbstverständlich wird sich einem französischen Nationalismus wiederum ein deutscher entgegenstellen, und damit kommen wir dann wieder etwa auf den Standpunkt des Jahres 1900 zurück, als hätten Frankreich und Deutschland ein halbes Jahrhundert nichts erlebt. In jener Debatte am 10. März 1950 hat mein Parteifreund Dr. von Campe erklärt, daß man sich durch solche peinlichen Unrechte, wie sie an der Saar begangen würden, nicht von der klaren Konzeption abbringen lassen dürfe, daß man vielmehr, indem man auf wirtschaftlichem Gebiet in Europa durch Verträge Ordnung schaffe, derartige vollkommen aus der Zeit gefallene imperialistische Regungen zurückdämmen solle und könne. Dann fiel, von uns allen freudigst begrüßt, in diese abwartende Atmosphäre hinein von Frankreich aus die unter dem Namen Schumanplan inzwischen weithin populär gewordene Anregung, bei der Montanindustrie wirtschaftlichpraktisch mit dem Aufbau Europas zu beginnen.
Unabhängig davon, was man vom Schumanplan im einzelnen halten mag, möchte ich hier nur zweierlei betonen: Einmal ist daran das völlig Neue, daß hier zum erstenmal auf einem für die Wirtschaft der verbundenen Nationen wichtigsten Teilgebiet eine europäische Souveränität geschaffen wird, daß zum erstenmal in der Weltgeschichte überhaupt selbständige Staaten zu einem Überstaat zusammentreten. Zweitens ist dadurch, daß man sich ausgerechnet bei der Bewirtschaftung der Grundstoffe Kohle, Eisen und Erz zu einer Souveränitätsaufgabe veranlaßt sah, endgültig ausgeschlossen, daß zwischen diesen verbundenen Staaten jemals wieder ein Krieg geführt werden kann. So ist es nach Annahme dieses Planes angesichts der Natur der modernen technischen Kriege vollkommen unmöglich, daß Frankreich und Deutschland jemals wieder auf verschiedenen Seiten in einen Krieg eintreten können. Diese beiden Umstände — der erste praktische Schritt zu einem überstaatlichen Gebilde und die nicht durch irgendwelche „Nichtangriffspakte", nicht allein mit Worten erklärte, sondern durch die Tat, durch die Satzung, durch die Schaffung neuer Gewalten herbeigeführte Unmöglichkeit der Kriegführung zwischen zwei Nationen, die jetzt seit genau 300 Jahren fast nichts anderes getan haben, als gegeneinander Krieg zu führen — bilden das unglaubwürdig Neue und das, was — so meine ich — auch bei den Herren der SPD hier im Hause einige Hoffnung und einige Begeisterung hervorrufen könnte. Diese Dinge werden durch einen Vertrag eingeleitet, dessen Präambel mein Vorredner Herr Dr. Seelos mit gerührten Worten schon als geradezu „begeisternd" bezeichnet hat. Es ist in dieser Präambel davon die Rede, daß „schöpferische Anstrengungen für den
Weltfrieden" gemacht werden, daß „ein Beitrag für ein organisiertes und lebendiges Europa und zur Aufrechterhaltung friedlicher Beziehungen" geleistet werde und daß die Entschlossenheit betätigt werde, „an Stelle jahrhundertealter Rivalitäten den Zusammenschluß der wesentlichsten Interessen" und sonstiger Gemeinsamkeiten zu fördern. Alles das ist wunderschön und aller Ehren wert.
Nur haben wir als das besiegte Volk, das immer noch, wenn auch abgeschwächt, unter dem Besatzungsrecht leidet — ich muß es sagen: leidet! —, von unseren Besatzungsmächten je und je in den letzten sechs Jahren -- immer mehr abgeschwächt, aber immer wieder neu — einige Nadelstiche empfangen, die uns allzu hochmögende Erklärungen etwas skeptisch ansehen lassen. Wir haben dergleichen aber noch niemals in einem Vertrage als eine verbindliche Rechtssatzung niedergelegt gesehen; denn wir können ja erst seit jüngsten Daten überhaupt Verträge schließen, nachdem wir außenpolitisch wieder selbständig geworden sind. Und nun. muß es uns passieren, daß unmittelbar nach der Unterzeichnung, man kann fast sagen: am Tage darauf im Saargebiet, dieser Achillesferse unserer französischen Beziehungen, etwas geschieht, was uns vor unheimliche Fragen stellt, nämlich besonders vor die Frage: Welchem Frankreich stehen wir gegenüber? Dem, das diesen Vertrag unterzeichnete und sich zu so hohen menschlichen Taten bereit erklärt hat, oder demjenigen, das sich, als hätten wir kein halbes Jahrhundert erlebt, mit Grenzverschiebungen, durch Eroberung wertvoller Gebiete selbst schadlos halten will und vor dem mit größtem Mißtrauen gesehenen Nachbarn schützen zu müssen glaubt. Das eine ist der Imperialismus des 19. Jahrhunderts, das andere ist der zukunftsfrohe Glaube einer modernen europäischen Nation. Man kann nicht beides gleichzeitig vertreten wollen. Eines von beiden ist geheuchelt; und wir Deutschen haben uns zu fragen: was ist geheuchelt? Diese Frage werden wir heute hier nicht beantworten. Ich möchte aber auf eine Frage eingehen, die Herr Dr. Carlo Schmid schon anschnitt.
Der Herr Bundeskanzler hat erklärt, daß er „mit tunlichster Beschleunigung" die Vorlage über den Schumanplan einbringen werde. „Tunlichster" — der Superlativ bedeutet doch wohl „größtmöglicher". „Tunlicher" hieße „unter Abwägung alles Für und Wider so schnell wie möglich". Ich hätte gewollt, es hieße — gramatisch richtiger — „tunlicher Beschleunigung". — Er hat nun aber weiter erklärt, daß dann, wenn das geschähe, hier im Saale, wie er befürchten müsse, politische Meinungsverschiedenheiten entstehen könnten, von denen heute nicht die Rede sein solle, und daß — nun kommt es — es sich „bis dahin" zeigen werde, ob der bestehende Konflikt an der Saar bereinigt werden könne. Daraus hat Herr Dr. Carlo Schmid die Möglichkeit abgeleitet, daß man also mit der Einbringung der Vorlage warten würde, bis sich an der Saar irgend etwas —hoffentlich auch äußerlich, nicht nur erklärungsmäßig — gegenüber dem heutigen Zustand geändert habe. Der Herr Bundeskanzler aber hat diese Frage verneint
Ich möchte demgegenüber folgendes zum Ausdruck bringen. Der Schumanplan, dessen Grundtendenz ich gefeiert habe, enthält in seinen Einzelheiten eine solche Fülle von Bestimmungen, daß nur der Jurist — wie ich etwa — die juristischen, der Wirtschaftler die wirtschaftlichen, der Kohleexperte die Kohlebestimmungen, der Erzfachmann die Erzbestimmungen usw. in jeder Beziehung übersehen kann. Er ist ein Gesamtwerk, aus einer Fülle sachlicher Beratungen entstanden, dessen
letzte Qualität ein Einzelner kaum beurteilen kann. In den Schumanplan sind sehr viele institutionelle Garantien eingebaut, damit dieser oder jener Staat nicht an die Wand gedrückt werde, so daß man hoffen kann, dieser Plan werde technisch funktionieren. Es sind aber auch so viele Bestimmungen drin, die dem Laien schildern, wie außerordentlich schwierig und kompliziert die Übergangszeit ist, daß man sieht: auch die Verfasser haben die Sorge, ob die Überleitung der Einzelwirtschaften in den großen europäischen Markt auch überall reibungslos verlaufen werde. Er ist also jedenfalls alles in allem ein Wagnis, und zwar ein wunderschönes, kühnes, fortschrittliches Wagnis. Wie es funktioniert,, wissen wir aber nicht.
Ich halte nun gar nicht viel von „institutionellen Garantien". Wir haben ja bekanntlich als solche z. B. im Dritten Reich die Sondergerichte gehabt, um eine „Rechtsprechung" zu garantieren. Ich kann Ihnen nur sagen: Das war eine äußerliche Garantie; innerlich wurde nicht Recht gesprochen. Deswegen sind auch hohe Gerichte, die eingesetzt werden, nur dann eine Garantie, wenn man den Geist kennt, aus dem sie urteilen werden. Wenn wir zu den Partnern unseres Vertrages nicht das volle, mit aller Nüchternheit abgewogene Vertrauen haben können und wissen, daß der Geist des Vertrages der gleiche ist, den wir wollen, nämlich die unter Opfern vollzogene Einreihung in eine größere europäische Gemeinschaft, wenn wir uns dessen nicht sicher sind, so ist es — ich sage das offen — unmöglich, das Risiko eines solchen Vertrages zu laufen. Denn es hängt ja nicht von den Paragraphen, es hängt von dem Geist ab, mit dem dieser neuartige, schöne Vertrag durchgeführtwird, ob er funktioniert und ob er unseren Kindern und Enkeln zum Segen wird. Andernfalls laden wir unter Umständen einen Fluch auf uns, den wir vor niemandem verantworten können. In diesem Sinne ist es — mit Herrn Loritz gesprochen — so tieftraurig und tragisch, daß uns das jetzt passieren muß und daß unsere Skepsis gegenüber dem Vertragspartner des Herrn Bundeskanzlers so erheblich zugenommen hat. Ich hoffe sehr, daß es seiner hohen Kunst, seinem europäischen Willen und seinem deutschen Herzen gelingen möge, diese Schwierigkeiten zu beheben, so daß wir mit voller Zuversicht und mit voller innerer Überzeugung etwas Segensreiches schaffen und dem Werke des Schumannlans, wenn es uns vorliegt, werden zustimmen können.