Zur Begründung des zweiten Antrags der Bayernpartei hat das Wort der Abgeordnete Dr. Etzel.
Dr. Etzel (BP), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion der Bayernpartei, auf Drucksache Nr. 2029, zerfällt in zwei selbständige Teile. Die Ziffer 1 will die Änderung des von der Alliierten Oberkommission am 17. Februar dieses Jahres verkündeten Gesetzes Nr. 47 über die Abgeltung von Besatzungsschäden, Ziffer 2 hat die Überführung der Zuständigkeit für die Regelung von Besatzungsschäden und — über den Rahmen des Gesetzes Nr. 47 hinaus — von Besatzungsleistungen auf die Bundesgesetzgebung zum Gegenstand.
Der Art. 6 Ziffer 2 des alliierten Gesetzes setzt fur die Regulierung von Ansprüchen aus Verlusten und Schäden, die durch eine zwischen dem 1. August 1945 und dem 21. Juni 1948 stattgefundene Handlung verursacht sind, a) bei Körperverletzungen mit bleibendem Schaden die Parität zwischen Deutscher Mark und Reichsmark und b) bei anderen Schäden, also bei Sachverlusten und Sachschäden, eine Umrechnung von 1 zu 10 fest. Diese alliierte Vorschrift der Umstellung von 1 zu 10 widerspricht dem internationalen, auch in der Haager Landkriegsordnung anerkannten Rechtsgrundsatz des Schutzes des, Privateigentums sowie dem Art. 3 des von den Alliierten auferlegten und genehmigten Grundgesetzes, der die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz proklamiert, ferner dem Art. 19 des Grundgesetzes, der nur die allgemeine Einschränkung eines Grundrechts, also auch jene der im Art. 3 verbürgten Rechtsstellung, zuläßt, und er widerstreitet auch dem Grundgedanken des Währungsumstellungsgesetzes.
Wenn es die Absicht der Besatzungsmächte gewesen sein sollte, durch die Abwertung im Verhältnis 1 zu 10 die Besatzungskosten zu verringern, so ist festzustellen, daß ein solcher Effekt nur äußerlich, scheinbar erzielt wird, da er ausschließlich fiskalisch, kassenmäßig, nicht aber volkswirtschaftlich wirkt. Denn die der deutschen Volkswirtschaft zugefügte Schädigung bleibt. Die fiskalische Einsparung aber wird wider Recht und Gerechtigkeit einer fast 31/2 Millionen Menschen umfassenden Bevölkerungsgruppe auferlegt, die an sich schon bisher durch ihre jahrelang dauernde Austreibung aus Heim und Wohnung aufs schwerste betroffen und einer einseitigen Sonderbelastung unterworfen ist. Ihre Ausnahmebehandlung soll also fortdauern, ihre Schädigung, die in Wahrheit eine Enteignung bedeutet, endgültig sein. Dabei kann und darf es nicht sein Bewenden haben.
Nach dem dritten Währungsgesetz sind ausschließlich die sogenannten Geldsummenforderungen im Verhältnis 1 zu 10 umzustellen. Schadenersatzansprüche fallen nicht darunter. Diese Auffassung ist unbestritten. Die deutschen Gerichte haben an ihr von Anfang an in ständiger Rechtsprechung festgehalten. Daran ändert auch ein neuerliches Urteil des Bundesgerichtshofes nichts, in welchem entschieden ist, daß Ersatzansprüche gegen die Eisenbahn für Transportschäden aus der Reichsmarkzeit einer Umstellung im Verhältnis 1 zu 10 unterliegen. Denn hier geht es in der Tat um echte Geldsummenforderungen, da die Eisenbahnverkehrsordnung für Ansprüche aus Transportschäden von vornherein eine ziffernmäßig festliegende Geldhöchstbetragsgrenze vorsieht. Diese Rechtslage ergibt sich aus der Natur der Schadenersatzansprüche, deren Ziel, Inhalt und Gegenstand gemäß den §§ 249 ff des Bürgerlichen Gesetzbuchs zunächst die Wiederherstellung, die sogenannte Naturalrestitution, ist. Wiederherstellung ist auch die Wiederbeschaffung. Bei Körperverletzungen und Sachbeschädigungen sowie in anderen Fällen kann an die Stelle der Wiederherstellung oder Wiederbeschaffung der dazu erforderliche Geldbetrag treten. Eine im Verhältnis von 1 zu 10 abgewertete Geldentschädigung aber reicht dazu niemals aus.
Der Herr Bundesfinanzminister hat in seiner Antwort vom 15. März dieses Jahres — es ist die Drucksache Nr. 2083 — auf eine Anfrage der Bayernpartei erklärt, daß die in dem alliierten Gesetz vorgesehene Regelung in vielfacher Hinsicht unbefriedigend ist, daß der deutschen Seite keinerlei unmittelbare Möglichkeit der Einwirkung auf die Gestaltung des Gesetzes gegeben war und daß die Bundesregierung und ihre Sachverständigen das Gesetz nicht gutgeheißen haben. Diese Klarstellung wurde von der deutschen Öffentlichkeit mit Befriedigung aufgenommen, da anderslautende Pressemeldungen Beunruhigung in ihr hervorgerufen hatten.
In der gleichen Antwort — und damit komme ich zu Punkt 2 des Antrags der Bayernpartei — hat der Bundesfinanzminister es als die Auffassung der Bundesregierung bezeichnet, daß eine Regelung der Entschädigung für Besatzungsschäden durch Bundesgesetzgebung erfolgen soll und nicht durch die besatzungsrechtliche alliierte Gesetzgebung. Politik ist nicht nur die Kunst des Möglichen; sie ist in höchstem Maße und vor allem auch Psychologie. Auch bei dem besten Willen kann man nicht behaupten, daß die Alliierten sich darauf besonders verstehen. Die unbegreiflichen Widersprüche in ihren Entscheidungen, Maßnahmen und Anordnungen, der scharfe Gegensatz zwischen dem, was sie von uns erwarten, und dem, was sie uns zumuten, ihr häufiger Stellungswechsel, ihr fataler Hang, in den politischen Mitteln zwischen Orange und Knüppel, zwischen Lockerung der Zügel und scharfem Anziehen der Kandare zu wählen, ihr Unvermögen, rechtzeitig das Richtige und Notwendige zu tun und zu gewähren, ihr grotesker Irrtum, daß es möglich sein könne, den Besatzungsstatus auf unbegrenzte Zeit aufrechtzuerhalten und ständig die Besatzungskosten unter dem Etikett des Sicherheitsbeitrages zu Lasten der Lebenshaltung der Massen der deutschen Bevölkerung zu erhöhen, die Summe solcher erregender und unverständlicher Ungereimtheiten haben die Alliierten der Möglichkeit beraubt, echte Sympathien des Besiegten zu gewinnen und eine moralische Eroberung von weltgeschichtlicher Tragweite zu machen. Das muß bedauert werden. Unser Osthandel, ohne den wir auf die Dauer einfach nicht zu bestehen vermögen, wird überwacht und abgeschnürt. Vor wenigen Monaten mußten wir noch die berechtigte Entrüstung hervorrufenden Jagd- und Fischereiverordnungen der Besatzungsmacht über uns ergehen lassen. 3) Eine solche Politik, die die Gefühle für den Westen genau da endigen läßt, wo die Furcht vor dem Osten beginnt, wirkt wie Propaganda gegen den Westen. Jede Erleichterung im Besatzungsstatus muß Schritt für Schritt durch neue deutsche Zusagen und Verpflichtungen, durch Schuldenanerkennung, Einbringung der deutschen Kohlen- und Stahlerzeugung in eine westeuropäische Wirtschaftsgemeinschaft usf. erkauft werden. Das Besatzungsstatut ist am 21. September 1949 in Kraft getreten. Heute nach 19 Monaten — 6 Jahre nach der Kapitulation —, darf die Bundesrepublik zwar in Addis Abeba, nicht aber in Paris, London und Washington diplomatische Vertretungen, also Botschafter und Gesandte haben. Eine in der leider verhinderten Bundeshauptstadt Frankfurt erscheinende angesehene Zeitung gab vor kurzem die Äußerung des Vertreters eines großen ausländischen Presseorgans wieder, der seinem Erstaunen darüber Ausdruck gab, daß die deutschen Stellen alles das hinnähmen und daß nicht einfach der Bundespräsident den drei Generalkonsuln den persönlichen Rang von Botschaftern verleihe, kaltblütig abwartend, was dann geschehe. Der Verfasser machte dann, von der Auffassung ausgehend, daß man in der Bundesrepublik sich nicht damit begnügen dürfe, das Unverständliche zu beklagen, sondern auch einiges tun müsse, um es zu beseitigen, und daß man auf einen absurden Klotz einen absurden Keil setzen müsse, den entzückenden Vorschlag, den drei Generalkonsuln in den genannten drei Hauptstädten den Titel „Hoher Kommissar der Bundesrepublik Deutschland" zu verleihen. Ich kann mir vorstellen, daß ob einer solchen Kühnheit sämtliche Perücken in Bonn erschrocken und entsetzt in Bewegung gerieten,
Aber das Amüsante ist hier nicht die Hauptsache. Es steckt ein tiefer Ernst dahinter, die Frage: quousque tandem? Die französische Zeitung „Le Monde", die, wenn ich recht unterrichtet bin, dem Quai d'Orsay nahesteht, hat vor etwa zwei Wochen auf die Problematik hingewiesen, die darin liege, daß die Bundesregierung eine allzugroße Bereitschaft zeigen könne, auf die Zumutungen der Besatzungsmächte einzugehen, mit der Folge, daß ihre Autorität im Volke dahinschwinde, weil sich dort ein immer stärkerer Widerspruch gegen eine solche Politik entwickle. In der Tat handelt es sich hier um den Wesenskern. In jeder politischen Entwicklung wird ein Zeitpunkt erreicht, an dem entschieden gehandelt und unter Umständen aus einer Handlung auch die Konsequenz gezogen werden muß. Ich glaube, es ist die Aufgabe des Deutschen Bundestages, der Bundesregierung einen moralischen und politischen Rückhalt für eine Revision ihrer Politik zu bieten.
Um dazu eine Anregung zu geben, haben wir uns erlaubt, dem Hohen Hause den Antrag Drucksache Nr. 2029 vorzulegen. Inhaltlich, seiner Absicht und seinem Zweck entsprechend eignet sich dieser Antrag offensichtlich nicht zur Beratung und Behandlung in einem Ausschuß. Ich darf daher das Hohe Haus bitten, dem Antrag unmittelbar zustimmen zu wollen.