Zur Begründung des Antrags der KPD auf Drucksache Nr. 2124 hat das Wort der Herr Abgeordnete Müller.
Müller (KPD), Antragsteller: Meine Damen und Herren! Ich gebe mich natürlich nicht der Illusion hin, daß die Entscheidung der Mehrheit des Hauses beim ersten Punkt der heutigen Tagesordnung eine andere gewesen wäre, wenn zuvor der Sachverhalt, der unserem Antrag zugrunde liegt, hier behandelt worden wäre. Dazu ist die Regierung, ist die Mehrheit des Hauses viel zu sehr bereit und darauf eingestellt, die Amerikaner in ihren Plänen zu unterstützen. Ebenso glaube ich, daß auch die Maßnahmen, die die Regierung heute angekündigt hat, nur ein Ausdruck der Angst vor dem Volke sind.
Ich möchte einige Kollegen der sozialdemokratischen Fraktion fragen, ob sie sich vielleicht an ein Wort des alten August Bebel erinnnern, der einmal gesagt hat,
daß mit dem Ausnahmezustand jeder Esel regieren könne.
Ich weiß jedenfalls, daß auch diese von der Regierung jetzt geplanten Maßnahmen die Bewegung gegen die Remilitarisierung nicht werden aufhalten können.
Die Tatsachen, die uns veranlaßt haben, diesen Antrag einzubringen, dürften in der Öffentlichkeit so bekannt sein, daß es für den Bundestag nur eine Verpflichtung gäbe: die Schlußfolgerungen aus diesen Vorgängen zu ziehen. Es ist Ihnen bekannt, daß die sogenannten Manöverübungen oder, auf deutsch gesagt, die Kriegsübungen der Besatzungsarmeen in der gesamten westdeutschen Bevölkerung eine ungeheure Empörung ausgelöst haben, ob es sich nun um große Manöverübungen in star-
ken Verbänden oder um Übungen in einzelnen Teilgebieten gehandelt hat. Ich glaube, gerade diese Vorgänge, auf die ich nachher im einzelnen eingehen werde, zeigen neben allen übrigen Maßnahmen der Remilitarisierung und der Vorbereitung des Krieges auf westdeutschem Boden, daß für unsere Bevölkerung weitere, zusätzliche Belastungen entstehen. Es war ein Abgeordneter dieses Hauses, der vor längerer Zeit einmal die Frage aufwarf, warum die amerikanischen Divisionen ihre Übungen in Arizona und sonstwo durchführten, und meinte, sie könnten diese Übungen und die Vollendung ihrer Ausrüstung genau so gut in Grafenwöhr oder in der Lüneburger Heide stattfinden lassen.
— Es war Herr Dr. Schumacher, der diese Äußerung tat. Was sich in der Lüneburger Heide abspielt — um es an diesem Beispiel zu demonstrieren —, zeugt einmal davon, daß man nur allzu gern dieser Aufforderung Folge geleistet hat.
Zum andern aber ist der Leidtragende insbesondere auch in diesem Gebiet unsere Bevölkerung selbst. Ich weiß nicht, ob Sie draußen in der Vorhalle eine Ausstellung von Photographien gesehen haben, die einen Teilausschnitt der Wirkungen der Panzerübungen in der Lüneburger Heide wiedergeben. Wenn Sie selbst einmal in dieses Gebiet hingehen und sich dort einmal mit den Bauern, mit der Bevölkerung unterhalten
— jawohl! —, dann werden Sie feststellen, — —
— Wären Sie nur in der Versammlung gewesen, wo ich gesprochen habe!
— Dann hätten Sie wahrscheinlich nicht den Mut gefunden, dort aufzutreten.
Wenn Sie also dorthin gehen, dann werden Sie feststellen, daß eine fast einhellige Empörung gegen diese Kriegsübungen der britischen Panzereinheiten in der gesamten Bevölkerung vorhanden ist. Diese Haßstimmung ist bereits so sehr verbreitet — ich werde das nachher an einem Beispiel beweisen —, daß sie zum Teil zu direktem Widerstand gegen diese Kriegsübungen der britischen Panzereinheiten führt. Es ist festgestellt worden — und zwar nicht nur von uns —, daß die Schäden, die nach 1945 im Gebiet der Lüneburger Heide durch die Besatzungstruppen verursacht wurden, bereits in die Hunderte von Millionen Mark gehen. Aber in den letzten Monaten sind als Folge dieser Panzerübungen derart verheerende Schäden entstanden, daß sich eigentlich auch hier in diesem Hause jeder nicht nur dieser Empörung anschließen, sondern auch die Schlußfolgerungen ziehen müßte, damit die Schäden, die auf dem Grund und Boden der Bevölkerung angerichtet werden, endlich abgestellt werden.
Ich will nur einige Beispiele herausgreifen. Sprechen Sie einmal mit Bauern aus dem Kreis Lüneburg! Der Bauer Hagelberg aus Marxen wies z. B. darauf hin, daß in wenigen Stunden ein fünf Morgen großes Stück Luzerne durch die Panzerübungen restlos zerstört worden ist. Er erklärte, daß er nunmehr gezwungen sei, einige Kühe abzuschaffen, weil ihm die Futtergrundlage nicht mehr ausreiche. In demselben Gebiet wurde von den Bauern darauf hingewiesen, daß durch diese Panzerübungen weite Gebiete, die insbesondere für die Zucht von hochwertigen Spitzensorten von wichtigem Saatgut Bedeutung haben — diese Gebiete sind auch für die Versorgung der westdeutschen Landwirtschaft von entscheidender Bedeutung —, vernichtet worden sind.
Dabei sprechen die Bauern davon, daß die Frage des Schadenersatzes für sie nicht an erster Stelle steht. Ich komme noch darauf zu sprechen. Sie weisen darauf hin, daß infolge der Schäden die Straßen von der Bevölkerung zum großen Teil nicht mehr benutzt werden können. Dies wird mit einigen konkreten Beispielen von den Bauern untermauert, z. B. die Verwüstungen von Wegen und Straßen und die Vernichtung von Drainageanlagen. Ganze Panzerrudel fahren geschlossen. durch 20- bis 30jährigen Baumbestand — jungen Baumbestand — hindurch und vernichten ihn. In manchen Orten sind die Straßen unpassierbar geworden. In einem Ort ist der Zugang zu diesem Ort durch diese Panzer so vernichtet worden, daß die Straßen nicht mehr benutzbar sind. Die Zufahrtsstraßen nach Oerzen sind z. B. durch die Panzer tief umgepflügt. Die gesamte Packlage ist nach oben gedreht und in die Straßengräben geworfen worden.
Ich führe eine weitere Tatsache an. Ich möchte mich hier auf den ehemaligen Oberleutnant und Bauer Furhop in Melbeck beziehen.
— Sie lachen darüber, Herr Strauß, das ist Ihre Eigenart!
Dieser Bauer wies nach, daß in einer ganz kurzen Zeit ihm selber ein Schaden von 13 000 DM entstanden ist. Zu der Zeit, in der das Gespräch mit ihm geführt wurde, vernichteten Panzer weitere seiner bestellten Gerste- und Roggenfelder.
Eine weitere Tatsache. Dem Bauern Hermann Hahn in demselben Dorf Melbeck wurden in ganz kurzer Zeit 161/2 Morgen Acker — davon 71/2 Morgen Gerste und 9 Morgen Roggen — vernichtet.
Von den Bauern wurden bestimmte Schutzmaßnahmen ergriffen. Der eine Bauer, dessen Felder schon einmal durch die Panzer durchfurcht und durchwühlt waren, machte, nachdem er diesen Acker wieder eingeebnet hatte, Schilder, schrieb in englischer Sprache drauf, daß dieser Acker neu bestellt worden sei, und stellte die Schilder um den Acker herum auf. Das Ergebnis war, daß zwei Tage später britische Panzer diesen selben Acker befuhren, die Schilder umfuhren und diesen Acker erneut durch ihr Hin- und Herfahren -- kreuz und quer — verwüsteten.
Weitere Tatsachen: In Volkwardingen mußten Bauern infolge der Panzerschäden bereits dazu übergehen, Landarbeiter zu entlassen. Auf die Frage, was denn nun eigentlich zu geschehen habe, ob es überhaupt noch einen Sinn habe, den Acker zu bestellen, erklärte ein gewisser Mr. Hobinson: Arbeitet nicht zuviel, es wird doch wieder zerstört. Ein Bauer, der sich vor britische Panzer stellte, um sie davon abzuhalten auf seine Acker zu fahren und sie zu verwüsten, wurde von einem britischen Major mit vorgehaltener Pistole von dem Feld
weggejagt, und dann haben die britischen Panzer — der Bauer erklärte hierzu: erst recht — seine Felder verwüstet und zerstört.
Vor etwa vier Wochen ist der Schaden allein in diesem Gebiet auf über 200 000 DM festgestellt worden. In der Zwischenzeit — das wird Ihnen ja nicht unbekannt sein — sind weitere Panzereinheiten in der Lüneburger Heide ausgeladen worden lind haben ihre Kriegsübungen dort aufgenommen. Ich sagte vorhin bereits: Die Empörung unter der Bevölkerung in der Lüneburger Heide ist ungeheuer groß. Wenn wir nun die Frage aufwerfen, wie und in welchem Umfange die Schäden, die dort angerichtet werden, vergütet werden, dann möchte ich zunächst eines feststellen: Neben den Schäden an den jungen Waldbeständen, auf den Äckern und insbesondere durch die Zerstörung der Straßen entstehen weitere schwere Schäden dadurch, daß durch die schweren Panzer die Bodengare zerstört wird, daß die Böden für fünf bis sechs Jahre nicht mehr ertragfähig sind. Die britische Besatzungsmacht ist auch nicht bereit, z. B. bei der Entschädigung für die zerstörten Waldgebiete, den Bauern den vollen Schaden zu ersetzen. Der Schaden ist insofern viel größer, als Waldbestände von 20 bis 30 Jahren betroffen wurden, deren voller Ertrag ja erst bedeutend später eintritt. Außerdem kommt hinzu, daß die Schadenersatzregelung sehr lange auf sich warten läßt. Daraus ergibt sich einmal die einmütige Haltung und Meinung der Bevölkerung in der Lüneburger Heide. Neben der Frage des Ersatzes der Schäden steht aber im Vordergrund — und das berührt zutiefst die Frage, die heute morgen hier behandelt worden ist und in der Sie sich gegen den Friedenswillen unseres Volkes wandten —, die einmütige Haltung der dortigen Bevölkerung, die sagt: „Abzug der Besatzungstruppen und Erhaltung des Friedens".
Meine Damen und Herren, lassen Sie doch einmal in der Lüneburger Heide eine Volksbefragung durchführen.
Ich glaube, es steht heute schon fest, wie das Ergebnis sein wird.
Es kommt jetzt die Meldung, daß im Kreise Soltau fünf Dörfer geräumt werden sollen, weil sie für die Panzerübungen der britischen Armee gebraucht werden.
Meine Damen und Herren, das sind Tatsachen, und ich glaube, daß Sie der Forderung, die wir in unserem Antrage zum Ausdruck gebracht haben, nämlich einen Sonderausschuß nach § 27 der Geschäftsordnung einzusetzen, um dort eine Überprüfung vorzunehmen und mit allen zuständigen Organen und Stellen die Schäden festzustellen und zu beraten, was weiter zu geschehen hat, Ihre Zustimmung geben sollten und, wenn Sie verantwortungsbewußt sind, müßten.
Meine Damen und Herren, das ist ein Beitrag zu der Frage, die heute vor dem gesamten Volke steht. Es sind Tatsachen, die Sie alle veranlassen müßten, der Frage des Kampfes gegen die Remilitarisierung, der Erhaltung des Friedens gerade wegen der
Folgeerscheinungen, die ich hier kurz aufgezeigt habe, auch die Aufmerksamkeit zu schenken, die notwendig ist, damit unserem Volke das erspart bleibt, was sich jetzt bereits in der Vorbereitung so verheerend auswirkt, was aber dann, wenn es zum Kriege käme, dazu führen würde, daß unser deutsches Volk restlos vernichtet würde; und das wollen wir nicht und können wir nicht wollen. Deswegen gilt es, gemeinsam mit der Bevölkerung darum zu kämpfen, daß die Kriegsvorbereitungen unterbleiben und unserem Volke der Friede erhalten bleibt.