Rede von
Dr.
Wilhelm
Gülich
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn es auch nicht gerade reizvoll ist, vor einem fast leeren Hause zu sprechen, so muß ich doch etwas zu dem Antrag des Ausschusses und dem Antrag Dr. Horlacher sagen. Beide Anträge bezwecken eine einseitige Bevorzugung der Landwirtschaft, der aus volkswirtschaftlichen und finanzpolitischen Erwägungen widersprochen werden muß.
Über die Einführung von Vergünstigungen bei der Erbschaftsteuer ist ja seit Jahren von den Länderfinanzministern verhandelt worden, so daß uns diese Frage jetzt nicht neu ist. Nach den Ergebnissen dieser Erörterungen, nach meinen Erfahrungen und auch nach den Ausführungen eines sachverständigen Oberfinanzpräsidenten, den wir im Ausschuß gehört haben, liegen die Verhältnisse doch offenbar so, daß die Belastung der Landwirtschaft durch die Erbschaftsteuer von ganz untergeordneter Bedeutung ist. Es ist uns klar geworden, daß in den Gebieten mit fortschreitender Zersplitterung des Klein- und Mittelbesitzes nicht die Erbschaftsteuer der Grund für die Zersplitterung ist und auch nicht einer der Gründe "dafür. Der Zerplitterung muß mit agrarpolitischen und wirtschaftspolitischen Mitteln begegnet werden, aber nicht mit steuerpolitischen.
— Steuerpolitische Maßnahmen können der Zersplitterung nicht Einhalt gebieten, sondern nur eine Verbesserung aller Lebensbedingungen auf dem flachen Lande.
Das Argument, das wir auch immer wieder hören, daß der Ertrag in der Landwirtschaft nur karg sei, die Landwirtschaft also eine karge Rente abwerfe, müssen wir grundsätzlich aus unseren Betrachtungen ausschalten. Die Erbschaftsteuer ist ihrem Wesen nach eine Substanzsteuer. Wenn wir den Gesichtspunkt des Ertrages überhaupt in Rechnung stellen, dann kommen mit größerem Recht der Hausbesitz oder die Fischerei und fordern ähnliche Steuervergünstigungen. Die Kollegen aus dem Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen erinnern sich, daß ja auch aus Gründen steuerlicher Gerechtigkeit, wie es hieß, im Ausschuß beantragt worden war, die Steuerbegünstigung auf gewerbliche Betriebe auszudehnen.
— Sehr gut!, sagen Sie. Aber wir können es ja nicht verantworten, daß wir ein Gebiet nach dem andern ausnehmen. Ich stimme Ihnen zu: Wenn wir die Steuervergünstigung in diesem Umfang für die Landwirtschaft einführen wollten, dann müßten wir sie auch für die gewerblichen Betriebe einführen. Wir brauchen nur an die große Zahl der handwerklichen Betriebe auf dem Lande zu denken, wir brauchen nur an die Hausbesitzer und an die Seefischer zu denken. Für diese müßten wir dann dieselbe Vergünstigung auch einführen.
— Ich habe Sie nicht verstanden.
— Nein, das ist allerdings richtig. — Das Bedenkliche und das Unverständliche am Antrag des Finanzausschusses, aber auch am Antrag des Kollegen Horlacher ist, daß beide die Steuerbegünstigung ohne Rücksicht auf die Größe des Betriebes anwenden wollen.
Die Einreihung der Erwerber von landwirtschaftlichen Betrieben im Erbfolgegang in Steuerklasse II oder I — nach dem Ausschußantrag in II — ist nur gerechtfertigt, soweit es sich um Familienbetriebe handelt. Denn eine Zerschlagung von Familienbetriebseinheiten kann nicht im Sinne einer gesunden Agrarpolitik sein. Wer die Erhaltung und Förderung unserer bäuerlichen Familienbetriebe wünscht, der muß dafür eintreten, daß hier nicht durch steuerpolitische Maßnahmen der geschlossene Hofübergang gefährdet wird.
Nun bin ich weiterhin der Meinung — wir haben das im Ausschuß ja bereits verhandelt —, daß die Steuerbegünstigung nur angewendet werden sollte, wo durch Kriegsereignisse der eigentliche Erbe ausgefallen ist. Durch den Krieg haben die Verwandtschaftsgrade ein anderes Gewicht bekommen. An die Stelle des gefallenen Sohnes tritt -der Vetter oder der Schwiegersohn. Es scheint mir deshalb gerechtfertigt, daß man in den Fällen, wo an Stelle des eigentlichen Erben der Erbe aus der weiteren Familie eintritt, dann nicht, wie es der Finanzausschuß mit der schönen Mehrheit von einer Stimme beschlossen hat, die Steuerklasse II anwendet; vielmehr muß man hier logischerweise die Steuerklasse I anwenden, um dem Gedanken der Erhaltung des Familienbetriebes voll Rechnung zu tragen.
Die Grenze des Familienbetriebes liegt bei 30 000 DM Einheitswert. Wenn man nun ganz gerecht sein will und in den Gebieten, für die es nötig ist — die Einheitswerte sind ja in Deutschland nicht sehr gleichmäßig festgesetzt —, auch für Übergänge noch eine gerechte Lösung schaffen will, so haben wir in unserem Antrag vorgesehen, daß bei Erbübergängen von Einheitswerten zwischen 30- und 50 000 DM die Erwerber, die in die Steuerklassen IV und III fallen würden, nach Steuerklasse II veranlagt werden sollen.
Die Absicht, noch größere Betriebe ebenso zu behandeln, entspricht ja im wesentlichen der Vorstellungswelt des Erbhofgesetzes. Im ersten Antrag Dr. Kneipp wie auch beim Antrag Dr. Horlacher war von einer „wirtschaftsfähigen Person" die Rede, die an die Stelle der „bauernfähigen Person" aus dem Reichserbhofgesetz treten soll. Es scheint mir am Beschluß des Ausschusses recht unglücklich zu sein, daß er sogar auf die „wirtschaftsfähige Person" verzichtet und Steuerbegünstigung in jedem Falle eintreten soll, ganz gleichgültig, ob der Erwerber ein Landwirt ist oder nicht.
Der Gedanke der Erhaltung der Sippe spielt hier die entscheidende Rolle. Ich sehe es aber als sehr bedenklich an, daß bei beiden Anträgen die Führungsstellung des Großgrundbesitzes in solchen Gebieten, in denen der Großgrundbesitz eine maßgebliche Rolle spielt, begünstigt wird, und dies,
obwohl bei diesen der Zahl nach oftmals nicht entscheidenden, der Fläche nach aber schwer ins Gewicht fallenden Betrieben ein sozialer wie wirtschaftlicher Reinigungsprozeß unbedingt notwendig wäre. Ich will Ihnen das kurz am Beispiel Schleswig-Holsteins .erläutern.
Die Statistik des Deutschen Reiches, Band 526 — die Hauptfeststellung der Einheitswerte nach dem Stand vom 1. Januar 1935 —, Seite 263 ergibt, daß von rund 162 000 Betrieben 84 % Einheitswerte bis zu 20 000 RM haben; 8350 Betriebe — gleich 5 % — haben Einheitswerte zwischen 20 000 und 30 000 RM. Es haben also rund 144 000 Betriebe --- gleich 89 %
— mit einer Fläche von rund 1 Million ha — 39 % der Gesamtfläche. Knapp 18 000 Betriebe — gleich 11 % aller Betriebe — mit über 30 000 RM Einheitswert besitzen 62% der Fläche. 5,7 %, also knapp 6 % aller Betriebe — mit Grundbesitz von über 50 000 RM Einheitswert — besitzen 48% der Fläche.
Mit diesem Beispiel habe ich bewiesen, daß die Zahl der in Frage kommenden großen Landwirte zwar nicht sehr groß, daß aber die Fläche, die sie besitzen, von entscheidender Bedeutung ist.
In Schleswig-Holstein ist es also so, daß knapp 6 % der Eigentümer über der Grenze von 50 000 DM liegen, daß aber diese knapp 6% volle 48% der Fläche haben. Ich komme deswegen zu folgendem Schluß: für die Gebiete mit Realteilung und Kleinbesitz — ich habe das in meiner ländlichen Heimat, wo die Verhältnisse ähnlich wie in Süddeutschland liegen, auch bestätigt gefunden -- ist das ganze Problem uninteressant; aber für die Gebiete mit landwirtschaftlichen Großgrundeigentum ist die Regelung, wie sie, der Ausschuß und der Antrag Dr. Horlacher vorsehen, höchst gefährlich.
— Ich halte ihn gar nicht einmal für so gefährlich — er ist ganz nett und umgängig —, nur bringt er für die Landwirtschaft manchmal solche Sachen vor, daß man etwas vorsichtig sein muß. Man kann doch, Herr Kollege Horlacher, unmöglich all diesen von mir aufgeführten landwirtschaftlichen Großgrundeigentümern eine derartige Steuervergünstigung einräumen!
--- Ja, aber das ist viel zuviel. Sehen Sie mal, wir haben in Schleswig-Holstein an 3000 Grundeigentümer mit Grundbesitz über 100 000 DM Einheitswert. Wir haben ja allein in Schleswig-Holstein 50 Mehrfachbesitzer, wie wir sie nennen, die im Durchschnitt annähernd 2000 ha haben, in viele Betriebe aufgegliedert. Es wäre doch ganz unmöglich, daß der Bundestag diesen landwirtschaftlichen Großgrundeigentümern derartige Steuervergünstigungen gewährte. Was wallen wir denn mit unserer Siedlungspolitik, mit der gesamten Agrarpolitik des Bundes? Wir wollen das Bauerntum festigen und wollen durch das Flüchtlingssiedlungsgesetz Flüchtlingsbauern Land unter die Füße geben. Mit einer Gesetzgebung, wie sie der Ausschußantrag und der Antrag Dr. Horlacher vorsehen, würden wir es ja geradezu begünstigen, daß der Großgrundbesitz so beisammen bleibt. Auch ein seit Jahrzehnten bestehendes Ziel der Agrarpolitik, nämlich die Absiedlung vom Hof, würde durch die Erbschaftsteuerregelung, wie sie hier vorgeschlagen wird, vereitelt. Ich bin der Meinung: solchen Vorschlägen kann der Bundestag nicht zustimmen.
Noch ein Wort zum Antrag Dr Horlacher, der eine neue Ziffer 22 dem ohnehin längsten Paragraphen des Erbschaftsteuergesetzes anfügen will. Herr Kollege Horlacher, ich habe. mir das vorhin nochmals überlegt. Die Anfügung dieser gewaltigen Ziffer 22 in § 18 scheint mir schon gesetzestechnisch eigentlich unmöglich zu sein.
Das paßt gar nicht in das System. Ich bin mit Ihnen in der Sache vollkommen einer Meinung, daß die Familienbetriebe erhalten werden müssen. Ich glaube nicht, daß Sie in mir einen geringeren Freund der Landwirtschaft feststellen können, als Sie selber einer sind. Für die Landwirte, deren Förderung und Erhaltung wir im Auge haben, ist den Anforderungen mit der gegenwärtigen Erbschaftsteuerregelung nach den Steuerklassen I und II ja vollauf Genüge getan. Die Freigrenzen sind hoch, die Altenteile können abgezogen werden, die Lastenausgleichsbelastungen ebenfalls, so daß ich für die Landwirtschaft im großen gar keine Veranlassung sehe, darüber hinauszugehen. Aber unter den Gesichtspunkten, die ich dargestellt habe, scheint es richtig und billig zu sein, daß wir für die Erben, die an die Stelle der im Kriege Gefallenen treten, Vergünstigungen einführen, wie sie Ihnen in dem Antrag meiner Fraktion vorgeschlagen werden.
Daß wir uns über das Erbschaftsteuergesetz und diese Sonderregelung überhaupt so lange unterhalten müssen, finde ich eigentlich recht betrüblich. Wir haben im Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen — ja, ich muß es schon sagen — mehrere Vormittage damit verbracht, eine Sonderregelung für die Landwirtschaft zu finden. Wir sollten aber unsere ganze Kraft aufwenden, um uns mit der Finanzpolitik im großen zu befassen, anstatt unsere Zeit mit solchen Quisquilien zu verbrauchen.
Wenn wir uns also auf das beschränken, was im Antrag meiner Fraktion dargelegt worden ist, dann, glaube ich, tun wir alles, was zur Förderung der Landwirtschaft und zur Erhaltung der bäuerlichen Familienbetriebe erbschaftsteuerpolitisch getan werden kann. Sollten Sie aber den Antrag des Finanzausschusses — mit einer schwachen Mehrheit --- annehmen, dann bleibt nur die Hoffnung auf den „Stiefvater Bundesrat", der sich das unmöglich gefallen lassen kann. Denn die ganze Erbschaftssteuerregelung geht ja nun einmal wieder zu Lasten der Länder. Natürlich spielt die Erbschaftsteuer summenmäßig keine große Rolle. Ich glaube, es war Professor Gastrow, der vor dem ersten Weltkrieg gesagt hat: Wenn Sie sich ihre Bedeutung klarmachen wollen, dann können Sie sich als Faustregel merken: sie hat gar keine Bedeutung; denn sie ist wesentlich unter 1%. Tatsächlich liegt das Erbschaftsteueraufkommen bei 0,6%, 0,7%, 0,8%. In Schleswig-Holstein haben wir im letzten Jahre ein Erbschaftsteueraufkommen von 1,5 Millionen bei 171 Millionen Gesamtsteueraufkommen an Landessteuern. Die Regelung des Ausschusses und die Regelung nach dem Antrag Dr. Horlacher, die roch weitergeht, würde, wie ich vermute, das Erbschaftsteueraufkommen auf die Hälfte mindern. Die Sache fängt da doch an, für die Länder interessant zu werden.
Meine Damen, und Herren! Ich hoffe, daß Sie sich meine Darlegungen durch den Kopf gehen lassen und nicht dem Antrag des Finanzausschusses und auch nicht dem Antrag des hochgeschätzten Kollegen Horlacher Ihre Zustimmung geben.