Rede von
Dr.
Carlo
Schmid
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Etzel.
Dr. Etzel [Bamberg] : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem erneuten, auf die Änderung des Grundgesetzes abzielenden Vorstoß darf ich einige grundsätzliche Ausführungen machen. Der gesetzgeberische Leitgedanke bei der Ausarbeitung und Verabschiedung des Grundgesetzes war gewiß ein nur gedämpfter Föderalismus, aber immerhin Föderalismus. Die Väter des Grundgesetzes haben sich unter dem frischen Eindruck des Zusammenbruchs eines zentralistischen Systems, und die Lehre aus der Katastrophe ziehend, zu föderalistischen Grundgedanken bekannt. Es war zu erwarten, daß, je mehr wir uns zeitlich von dem bitteren Ende des „Tausendjährigen Reiches" entfernten, zentralistische Strömungen wieder an die Oberfläche gelangen würden. Es sind ja Zug und Hang zu polarem Gegenschwung den Menschen in tragischer Weise offenbar unausrottbar eingeboren. Was aber jetzt geschieht, sind nicht mehr nur die vor einiger Zeit begonnenen Versuche, da oder dort Korrekturen der föderalistischen Grundordnung zu erreichen, sondern der entschlossene, immer öfter wiederholte Angriff mit dem Ziele, Stück um Stück der föderalistischen Grund- lagen über Bord zu werfen und die föderalistischen Elemente des Grundgesetzes zu zersetzen und aufzulösen.
Eine lange Reihe, ein ganzer Katalog dieser nicht nur von Gruppen des Bundestages ausgehenden Bemühungen könnte aufgeführt werden. Ich möchte jetzt und hier von einer solchen Darlegung Abstand nehmen; ich glaube und befürchte aber, daß schon die nächste Zukunft Anlaß und Gelegenheit zu einer solchen Darlegung geben wird. Die „Aggressoren" — ich bitte die Herren Stenographen, „Aggressoren" in Anführungszeichen zu setzen —
bemühen sich, glaubhaft zu machen, der Föderalismus habe finanz-, Steuer-, kultur- und schulpolitisch versagt. Andere möchten ihn durch die unbegründete Behauptung diskreditieren, daß er nicht das Ergebnis einer echten politischen Willensbildung in Deutschland, sondern das synthetische Erzeugnis der Einwirkung auswärtiger Mächte sei.
Es geht nichta, eine gelegentliche unrichtige Anwendung föderalistischer Prinzipien, die mangelnde Ausschöpfung der dem Bund zustehenden Möglichkeiten, eine gegen das Wesen des Föderalismus verstoßende Handhabung föderativer Einrichtungen — ich darf hier darauf hinweisen, daß im Bunde Länder vorhanden sind, die gestern noch Provinzen waren und daher des Wesens und der Praxis des Föderalismus noch ungewohnt sind — oder endlich eine zeitweilige Zuspitzung der wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten und Spannungen dazu benutzen zu wollen, die f öderalistische Grundordnung selbst abzubauen. Die tanzenden Derwische des Zentralismus werden vielleicht lachen,
wenn ich sie beschwöre — leider kann ich. sie nicht hypnotisieren —,
nicht durch die Fortsetzung ihrer auf Änderung des Grundgesetzes abzielenden Gesetzesvorschläge wiederum einen Weg einzuschlagen oder auf ihm fortzuschreiten, der bereits einmal in so furchtbarer Weise widerlegt worden ist.
Von diesem unserem grundsätzlichen Standpunkt aus müssen wir den Gesetzesvorschlag Drucksache Nr. 2148 mit aller Entschiedenheit ablehnen.