Rede von
Otto
Pannenbecker
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Fraktionsfreund Dr. Bertram
hat gelegentlich der ersten Beratung ides Entwurfs zum Altsparergesetz unter anderem gesagt: Wir müssen dafür sorgen, daß das Gebot der Vertragstreue auch vom Staat anerkannt wird. Ich übernehme dieses Wort hier und möchte hinzufügen, daß die Vertragstreue gegenüber den Beamten von der Bundesregierung zweifellos grundsätzlich anerkannt wird. Denn die Bundesregierung hat durch ihre Sprecher oft genug das Berufsbeamtentum bejaht. Aber zwischen der grundsätzlichen Anerkennung und einer guten finanziellen Inganghaltung entsprechend dieser Anerkennung scheint sich doch in der letzten Zeit eine allzu tiefe Kluft aufgetan zu haben. Mit einer mehr oder weniger großen fiskalischen Zweckkonstruktion, wie sie die Regierung bei der Einbringung des Gesetzes nach Art. 131 des Grundgesetzes beabsichtigte, ist nach meiner Meinung die Lage heute nicht mehr zu meistern. Von der Beamtenschaft verlangt die Regierung — und ich sage: mit Recht —, daß sie die selbstverständliche Treue gegenüber dem Staat durch die Tat, also durch äußerste Pflichterfüllung bekunde. Das löst die Formel aus: Treue um Treue! Mehr verlangt die Beamtenschaft nicht. Sie wünscht nicht einmal ein nominal besonders hohes Einkommen. aber sie ist für die Erhaltung und für ,die Festigung des Realeinkommens; und das ist ein gesunder Standpunkt.
Meine Damen und Herren, wenn jetzt trotzdem eine Erhöhung der Bezüge gefordert wird, so deswegen, weil eine erhebliche Schrumpfung der realen Kaufkraft und in ihrem Gefolge eine erschreckende Verschuldung der Beamtenschaft eingetreten ist. Diese erschreckende Tatsache der Ver-
Schuldung muß alarmierend wirken. Der Herr Bundesfinanzminister hat vor einiger Zeit einmal gesagt: Der soziale Friede ist wichtiger als Divisionen. Den sozialen Frieden braucht auch die Beamtenschaft, und der Staat braucht ihn nicht zuletzt im Hinblick auf die Beamtenschaft. Dem dankenswerten Bestreben, zu einer Entproletarisierung bestimmter Schichten des Volkes zu kommen, steht eine sich mehr und mehr entwickelnde Verproletarisierung weiter Kreise der Beamtenschaft gegenüber. Nach einer Statistik ist das Realeinkommen der Beamten gegenüber dem Jahre 1938 um 25% gefallen. Das ist verständlich; man bedenke, daß die Bezüge der Beamten, abgesehen von einigen kleinen Aufbesserungen, noch nach der Besoldungsordnung von 1927 gewährt werden.
Es ist eine durchgängige Verbesserung der Bezüge der Beamten von unten nach oben notwendig. Meine Fraktion legt zunächst Wert darauf, daß unten ein anständiges Existenzminimum gewährt wird, dann aber auch darauf, daß den Beamten der anderen Gruppen ein standesgemäßes — oder, wenn das Wort anstößig sein sollte, sage ich auch hier: ein anständiges — Auskommen sichergestellt wird. Hier handelt es sich um eine kulturtragende, kulturgestaltende Mittelschicht im Volk.
Die scharfe Sprache der Beamtenschaft ist angesichts der Umstände verständlich. Man kann den Beamtengewerkschaften unter den jetzigen Verhältnissen kaum zumuten, daß sie diese Schärfe der Sprache zügeln oder bremsen; das ist schlechterdings nicht mehr möglich. Auch der Hinweis der Beamtengewerkschaften, daß unter Umständen eine „Explosion" entstehen könnte — damit ist der Beamtenstreik gemeint —, ist verständlich. Meine Fraktion lehnt nach wie vor mit aller Entschiedenheit den Beamtenstreik ab. Aber ich darf hinzufügen: wenn 'heute mit diesem Gedanken wieder gespielt wird, dann ist die Regierung nicht ganz unschuldig daran.
Der Antrag meiner Fraktion fordert eine 20%ge Erhöhung der Bezüge. Ich glaube, man kann sagen, daß das ein maßvoller Antrag ist. Er ist mit Absicht maßvoll gehalten worden. Es wäre sachlich möglich, eine 'höhere Forderung zu begründen; aber wir sind 'der Auffassung, daß zunächst einmal das Notwendige geschehen muß. Dabei bewegen wir uns, 'nach dem zu schließen, was durchgesickert ist, auf der Linie, die die große Mehrheit des Bundeskabinetts vertritt. Deswegen möchte ich an den Herrn Bundesfinanzminister appellieren, der statt der 200/o, die man wohl im Bundeskabinett zu geben geneigt war, nur 15% zugestanden 'hat. Herr Bundesfinanzminister, ein 'alarmierender Warnruf ist 'hier angesichts der heraufziehenden Radikalisierung der Beamtenschaft am Platze. Die Demokratie, in deren Werden wir ja noch stecken, kann eine Radikalisierung der Beamtenschaft am schlechtesten vertragen.
Der Herr Bundesfinanzminister ist bei den Beratungen über das Gesetz nach Art. 131 des Grundgesetzes den Beschlüssen gefolgt, die der Beamtenrechtsausschuß gefaßt hat, und hat, als nach und nach mehr und mehr Mittel erforderlich wurden, als zunächst zugestanden waren, die Beträge wesentlich erhöht. Damit hat er, ich möchte sagen, einen reckenhaften Sprung getan. Wenn Sie, Herr Bundesfinanzminister, 20% statt 15% geben, brauchen Sie idiesen reckenhaften Sprung nicht noch einmal zu tun; es genügt ein wesentlich kleinerer Sprung.
— Das sind so Feinheiten, Herr Kollege Mießner;
auch Sie würden jedem 20% der Bezüge wahrscheinlich eher gönnen als 20% des Grundgehalts.
Und nun noch eines, meine Damen und Herren. Die junge Demokratie, von der ich vorhin schon sprach, kann es auch nicht vertragen, was in einem Richterspruch — er ist vor einiger Zeit ergangen — gesagt wird: daß von einer Erfüllung der staatlichen Treuepflicht gegenüber einem Beamten keine Rede sein könne, wenn einem Hilfspostschaffner monatlich ganze 124 DM gegeben werden. Das ist eine bittere Pille, die das Gericht hier verabreicht hat. Das Bundespostministerium ist hier nicht schuldig zu sprechen, denn es ist genau wie die anderen Verwaltungen an die Besoldungsordnung von 1927 gebunden. Der Richter hat gemeint, es handle sich bei den 124 DM vielleicht um einen Wohlfahrtsunterstützungssatz. Sehen Sie, man spricht so oft von der Weltfremdheit der Richter. Hier kann man von einer sozialen Aufgeschlossenheit sprechen.
Eine nur unzulängliche Aufbesserung wäre nicht zu verantworten. Wir stehen vor Erschütterungen innerhalb der Beamtenschaft, und es wäre ebenfalls nicht zu verantworten, dies außer acht zu lassen. Der Herr Bundesfinanzminister will den aktiven planmäßigen und außerplanmäßigen Beamten 15 % geben, dagegen nicht auch den Beamten im Vorbereitungsdienst im unteren, mittleren, gehobenen und höheren Dienst. Aber gerade auch die im Vorbereitungsdienst Befindlichen, meine Damen und Herren, sind 'ebenso bedürftig wie die übergangenen Ruhestandsbeamten, Witwen und Waisen. Wenn es' sich darum handelte, die Bezüge zu kürzen, hat man jedesmal die Ruhestandsbeamten, Witwen und Waisen einbezogen; und hier sollen sie 'nun nicht einbezogen werden! 65,98% aller Ruhestandsbeamten haben Bezüge 'bis zu 175 DM monatlich;
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bei der Postverwaltung sind es im Mittel 158 DM im Monat. Nach meiner Auffassung und nach der meiner politischen Freunde ist es nicht zu verantworten, daß die Ruhestandsbeamten, Witwen und Waisen leer ausgehen.
Der Herr Bundeskanzler und der Herr 'Bundesinnenminister sollen sich Pressemeldungen zufolge auf den Standpunkt gestellt haben, daß jetzt auch den Ruhestandsbeamten, Witwen und Waisen geholfen 'werden müsse. Der Herr Bundesinnenminister hat nach Presseberichten einem Vertreter des Deutschen Beamtenbundes gesagt, es könne keinem Zweifel unterliegen, daß die Versorgungsbezüge mit erhöht werden müssen. Er hat weiter gesagt, der Versorgungsempfänger leide unter der Teuerung relativ stärker als der aktive Beamte und müsse daher ebenfalls berücksichtigt werden.
Jetzt, Herr Bundesfinanzminister, möchte ich unter Hinweis auf die Einsicht des Herrn Bundeskanzlers und des Herrn Bundesinnenministers, der der zuständige Minister für die 'Beamten ist, noch einmal an Sie appellieren. Man darf hier nicht Politik gewissermaßen gegen den geringsten Widerstand treiben. Herr Finanzminister, ich bitte, die fiskalische Kruste, die sich bei Ihnen in 'etwa ge-
bildet hat, durch ein Wohlwollen gegenüber der Beamtenschaft etwas aufzulockern. Das ist um so notwendiger, als das, was man dritte Notverordnung zur Sicherung der Währung und der öffentlichen Finanzen vom 16. März 1949 nennt, zum Schaden der Beteiligten noch besteht. Dieser Schaden hätte längst wettgemacht werden müssen. Durch diese Notverordnung sind seit mehr als zwei Jahren alle diejenigen geschädigt, die eine ruhegehaltsfähige Dienstzeit von 33 Jahren nicht hatten.
Für die Erhöhung, der Bezüge der Beamten haben sich aber nicht nur die 'Beamtengewerkschaften eingesetzt, sondern auch Länder- und Kommunalbehörden. Unter anderem weist der Rat der Stadt Essen mit Nachdruck und vollem Ernst in einer eigens dazu abgefaßten Entschließung auf die dringende Notwendigkeit einer unverzüglichen Neuordnung der Bezüge der öffentlichen Bediensteten mit dem Ziel der Anpassung an die gestiegenen Lebenshaltungskosten hin:
Die allgemeine Notlage der öffentlichen Bediensteten hat einen Grad erreicht. die einer sofortigen Abhilfe bedarf. Eine 15%ige Erhöhung würde den Teuerungsverhältnissen nicht gerecht werden.
Nun wird der Herr Bundesfinanzminister mit großen Zahlen aufwarten. Diese Zahlen hängen immer in einer etwas vernebelten Atmosphäre, und zwar deshalb, weil nie mitgeteilt wird, welcher Betrag bei Einkommensverbesserungen aus der Erhöhung der Einkommens- und Lohnsteuer wieder zurückfließt. Ich könnte mir denken, daß sich der Bundestag auch einmal für diese Zahlen interessieren wird.
Auf die angeordnete Erhöhung der Bezüge werden mittlerweile Abschlagszahlungen geleistet. Eine Verwaltung hat ,dienerhalb eine allgemeine Verfügung erlassen, deren Abschrift mir vorliegt. Der Einsender hat dieses Schriftstück mit der Überschrift „Seltsame Rechenkünstler" versehen. Die Abschlagszahlungen sind dadurch verunstaltet warden, daß die Steuerabzüge primär in den Vordergrund geschoben worden sind. Ich darf Ihnen das an einigen Beispielen klarmachen. Bei 176 DM Grundgehalt beträgt eine 15%ige Aufbesserung 26,40 DM; davon gehen 10% Steuern — 2,64 DM — ab, so daß ein Rest von 23,76 DM verbleibt. Auf diesen Betrag ist die Zahlung eines Abschlags von 15 DM verfügt worden. Es werden mithin 8,76 DM zu wenig gezahlt. Bei einem Grundgehalt von 275 DM werden an den Betreffenden. wenn wir eine 15%ige Steuer annehmen, 20,60 DM zu wenig gezahlt. Bei einem Grundgehalt von 850 DM und 40% Steuern werden statt '76,50 DM nur 45 DM gezahlt, also 31,50 DM zu wenig. Meine Damen und Herren, ich glaube, die Bezeichnung „Seltsame Rechenkünstler" ist hier berechtigt. Die fiskalische Bürokratie ist in diesem Falle reichlich engherzig. Es wird übersehen, daß es bei dem einzelnen bei den jetzigen Verhältnissen wirklich auf jede Mark ankommt. Wenn man in anderem Zusammenhange sagt, es komme auf jede Stimme an, dann darf man hier sagen: es kommt auf jede Mark an.
Was ich hinsichtlich der Verbesserung der Bezüge der Beamten einschließlich der Beamtenanwärter — das möchte ich noch einmal hervorheben -- und einschließlich der Ruhestandsbeamten, der Witwen und Waisen gesagt habe, gilt selbstverständlich auch für die Angestellten und Arbeiter von Behörden.
Ich beantrage, den Antrag der Zentrumsfraktion auf Drucksache Nr. 2096 dem Ausschuß für Beamtenrecht zu überweisen.