Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe bei der zweiten Lesung das Wort deshalb nicht ergriffen, weil ich bis zum letzten Augenblick versuchen wollte, ob es nicht eine Möglichkeit gäbe, in dem Raume selber, den diese Entscheidung angeht, noch eine Einigung zu finden. Diese Einigung ist nicht gefunden worden. Ich muß daher heute die Gelegenheit ergreifen, um mein Votum und den Antrag, der neben einer Reihe von Namen politischer Freunde auch meinen Namen trägt, ganz kurz zu begründen; denn ich bin keineswegs mit allen Argumenten einverstanden, die die Freunde des Südweststaat-Gedankens — schauerliches Wort; man sollte sich endlich daran gewöhnen, „Württemberg-Baden" oder „Baden-Württemberg" zu sagen —
vorgebracht haben.
Herr von Merkatz hat recht: Dieses Parlament entscheidet nicht darüber, ob das neue Land gegründet werden soll; darüber entscheidet das zu befragende Volk im Südwestraum. Aber wir haben über das Verfahren zu entscheiden, und es ist klar, daß diese Entscheidung in gewissem Sinne die Entscheidung des Volkes selber beeinflußt.
Ich habe selten so ungern mit einem Gegner die Klinge gekreuzt wie in diesem Falle mit dem Herrn Staatspräsidenten Wohleb und seinen Freunden; denn ich anerkenne durchaus, daß bei der Entscheidung um dieses kommende WürttembergBaden zwei echte Prinzipien, zwei durchaus vertretbare, legitime Auffassungen, miteinander streiten. Ich kann nicht zustimmen, wenn von seiten einiger unserer badischen Freunde gesagt wird, die alten Länder Württemberg und Baden bestünden de iure noch. Sie bestehen nicht mehr!
Sie sind nicht zerstört worden durch ein paar Striche, die Offiziere der Besatzungsmächte einst über die Landkarte gezogen haben,
sondern sie sind dadurch untergegangen, daß die Bevölkerung in diesem Gebiet eben das Fazit gezogen hat, daß sie Landtage gewählt hat, daß Regierungen bestellt worden sind.
Wir haben nun einmal neue Länder in diesem Raum, und wer unvoreingenommen das Grundgesetz liest, kann sich der Meinung nicht entziehen, daß auch das Grundgesetz diese Auffassung teilt. In Art. 118 heißt es:
Die Neugliederung in dem die Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern umfassenden Gebiete kann abweichend ... erfolgen.
Dabei anerkenne ich aber durchaus, daß es sehr wohl noch eine starke württembergische und badische Tradition gibt, und ich kann verstehen, daß es
Badener gibt, die bei dieser Entscheidung das alte Baden wieder hergestellt wissen wollen. Vielleicht gibt es auch Württemberger, die das alte Württemberg hergestellt wissen wollen. Ich habe jedenfalls solche Leute schon gehört. Und wenn ich unsere badischen Freunde manchmal argumentieren höre — auch heute ist es wieder geschehen —, daß wir Württemberger als Eroberer auszögen, um badische Reichtümer mit nach Hause zu bringen, dann würde ich auf gut schwäbische Weise dem ein kurzes, aber kräftiges „Ha no" entgegenhalten.
Württemberg hat genug. Nicht nur Uhland hat den Reichtum, den bescheidenen Reichtum, die solide Wohlhabenheit Württembergs besingen können; auch heute ist es ein Land, das sich sehen lassen kann. Wenn wir in Württemberg und im besonderen wir in Württemberg-Hohenzollern eine neue Lösung anstreben, dann deswegen, weil wir bei aller Anerkennung des Standpunkts badischer Freunde sagen müssen: Es gibt eine Tradition des Südwestraums nicht erst seit dem Reichsdeputationshauptschluß und seit 1815.
Herr Hamacher hat eben gesagt, er wolle nicht in die früheren Jahrhunderte zurückgreifen. Warum, Herr Kollege Hamacher, wollen Sie beim Jahre 1815 Halt machen? Für mich jedenfalls war es eine der erstaunlichsten Tatsachen, daß gerade die Bevölkerung Oberschwabens, die Bevölkerung auch meines Wahlkreises vom Bodensee am stärksten den Wunsch nach der Gründung eines neuen vereinigten Landes im Südwesten hat. Den Allgäuer Bauern und den Friedrichshafener Arbeitern kann man wahrhaftig nicht vorwerfen, daß sie nach badischen Reichtümern schielen. Hier lebt vielmehr eine Tradition, die älter ist als die württembergische und badische Tradition und die zurückgeht auf die große alte Tradition insbesondere des Bodenseeraumes vor 1800, des Raumes von der heutigen östlichen württembergischen Grenze bis über den Schwarzwald hinüber zum Rhein. Jeder, der die Dinge unvoreingenommen sieht, muß anerkennen, daß diese Tradition da unten lebt; sie ist eine genau so starke politische Wirklichkeit wie das alte Baden. Wenn man noch daran denkt, daß die stärkste Stütze des badischen und württembergischen Staatsgefühls die Dynastie war und daß diese Stützen im Jahre 1918 weggefallen sind, dann gewinnt diese ältere Tradition eine noch stärkere Berechtigung. Schon nach 1918 lebten daher die Gedanken einer Vereinigung der beiden Länder auf. Diese Vereinigung ist damals nicht zustande gekommen; aber schon damals war es nicht württembergischer, schwäbischer Eroberungsdrang, der dieses Ziel anstrebte.
Meine Damen und Herren! Auch ich bin überzeugter Föderalist. Ich glaube mit Jacob Burckhardt, daß der kleine Staat dazu da ist, echtes demokratisches Staatsbürgertum zu ermöglichen. Aber Föderalist sein heißt nicht, unter allen Umständen das Bestehende erhalten wollen. Man kann sehr wohl auch in diesem Sinne einmal an Fortschritt denken. Im übrigen teile ich die Bedenken, die der Herr Bundestagspräsident hier geäußert hat. Man soll bei Neubildungen dieser Art nicht allzusehr vernünfteln und räsonieren. Hier sind sehr häufig unlogische, aber gewachsene Gebilde sehr viel kräftiger und richtiger. Aber gewachsen ist eben auch das, was wir anstreben, dieses neue Land aus Württemberg und Baden. Fragen Sie einmal unsere Bauern aus dem Allgäu, aus der Gegend von Meersburg — jetzt übers Wochenende bin ich wieder im Lande gewesen —: sie wollen ganz einfach das Neue, weil es das ehrwürdige Alte ist.
— Das ist meine Auffassung! Ich will damit ganz bestimmt nicht späteren Lösungen im Bunde, die mit Rechenstift und Lineal gemacht werden sollten, das Wort reden. Wenn bei der Gründung des neuen Staates nur räsoniert und vernünftelt würde — wie einst von Reitzenstein und Montgelas und unser wohlbeleibter König Friedrich aus bloßem Räsonieren heraus ihre neuen Staaten gegründet haben —, dann würde ich mich weigern, dazu meine Hand zu reichen.
Wir in diesem Raum sind eine besonders geschichtsbewußte Bevölkerung. Vielleicht ist es anderswo nicht so. Wir wachsen von Kindesbeinen an
mit all jenen ehrwürdigen Büchern auf, angefangen mit dem Waltharilied, über den Ekkehard, Hauffs Lichtenstein usw. bis zu Uhlands Balladen.
— Nein, Götz von Berlichingen war ein Franke, Herr Kollege Köhler; ich weigere mich, ihn als Schwaben anzuerkennen. — Wir haben bei all diesen Erinnerungen nie an den württembergischen und badischen Grenzen Halt gemacht. Gewiß gibt es liebenswürdige Unterschiede, und keiner hat diese Unterschiede liebenswürdiger und schöner beschrieben als Wilhelm Hauff in dem schönsten Märchen, das er geschrieben hat, in seinem Märchen vom kalten Herzen. Aber diese Unterschiede sollten uns nicht trennen. Föderalismus — ja! Aber Föderalismus in einer Weise, die von der jungen und der künftigen Generation in Deutschland angenommen wird. Ich bin zutiefst davon überzeugt: wenn uns diese Lösung gelingt und wenn wir uns dann in dem neuen Lande zusammenfinden, dann wird es uns auch gelingen, gegenüber dem drohenden Unitarismus und dem Zentralismus, den ich für ein Unheil und ein Verderben für uns halten würde, ein Land zu schaffen, das fähig ist, nicht nur in sich gesund und stark, sondern auch für den Bund gesund und stark 'zu handeln.