Rede von
Dr.
Wilhelm
Hamacher
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DZP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DZP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um nicht in den Verdacht zu kommen, den Herr Kollege Freudenberg vorhin ausgesprochen hat, als ginge der eine oder andere Abgeordnete, der hier zu diesem Thema zu sprechen hat, von vorgefaßten Meinungen aus, möchte ich
Ihnen zunächst mit der Erlaubnis des Herrn Präsidenten einen Brief vorlesen, der mir soeben zugegangen ist, und zwar aus der Stadt Karlsruhe, einer Stadt, die doch wohl mehr zu Nord- als zu Südbaden gehört. In diesem Brief heißt es:
Die Debatte zeigt wiederum mit aller Deutlichkeit, wie am Kern des Problems vorbeigedacht und bewußt vorbeigeredet wird.
Bei der ganzen Angelegenheit geht es doch ausschließlich nur um zwei Fragen: erstens: will Baden wieder ein selbständiger Bundesstaat werden?
zweitens: will Baden unter endgültiger Aufgabe seiner Selbständigkeit an Württemberg angeschlossen werden? — Es ist somit eine ausschließlich badische Angelegenheit. Eine Volksabstimmung ist deshalb auch nur in Baden notwendig. Die Wahlkosten für Württemberg könnten gespart werden;
denn der 24. September 1950 hat mit aller Deutlichkeit gezeigt, daß Württemberg den Südweststaat will, weil es dadurch nur gewinnen kann; Baden kann durch den Anschluß aber nur verlieren. Die letzten Jahre haben dafür genügende Beweise erbracht.
Bei den Bevölkerungsverhältnissen von Baden zu Württemberg — 40 zu 60 — wäre aber auch eine Majorisierung der Badener bei oben vorgeschlagener Fragestellung in einer Abstimmung nur in Baden ganz von selbst ausgeschlossen. Wählen dagegen alle vier Landesteile, so wählt natürlich fast ganz Nord- und Südwürttemberg den Südweststaat. Durch die Überzahl der Bevölkerung ergibt sich aber schon hier eine Mehrheit. Eine Volksabstimmung in Baden wäre in diesem Falle illusorisch, ja, vollkommen überflüssig schon deshalb, weil es in Baden wegen der Aussichtslosigkeit gegenüber der Überwältigung nur eine äußerst schwache Wahlbeteiligung gäbe . Und immer wieder: Wären keine Zonengrenzen gekommen, hätte es überhaupt niemals eine Südweststaatfrage gegeben.
Gebt deshalb dem badischen Volke eine echte Chance mit einer Fragestellung in obigem Sinne. Damit wäre eine wahrhaft richtige, demokratische Tat vollbracht. Mag dann die Abstimmung ausfallen, wie sie will: Das badische Volk ist politisch klug genug und würde sich mit dem Mehrheitsergebnis zufrieden geben.
Gerade das letzte Urteil, meine Damen und Herren, kann sich jeder zu eigen machen, der mit der Geschichte Badens einigermaßen vertraut ist. Ich will nicht in vergangene Jahrhunderte zurückschauen, sondern nur noch einen kurzen Blick in das 19. und das jetzige 20. Jahrhundert werfen. Da wird niemand dem badischen Volk das Zeugnis ausstellen, daß es nicht auf Gesamtdeutschland eingestellt gewesen sei und daß es nicht manche Opfer für Gesamtdeutschland gebracht, aber nicht auch manche Persönlichkeiten gestellt habe, die
nicht nur für die badische Heimat, sondern für Gesamtdeutschland Großes, ja Bedeutendes und auch Nachhaltiges geleistet haben. Ich will auf die einzelnen Persönlichkeiten nicht näher eingehen -- ich darf annehmen, daß das dem •einen oder anderen bekannt ist —, sondern will nur noch einen Gedanken hervorheben, der in den beiden vorhergegangenen Debatten wie auch in den Ausschußsitzungen immer wieder durchklang und bei dem ich mich immer wieder fragte: Worum wird denn nun eigentlich gerungen?
Wir sind uns doch bewußt, daß wir hier einen historisch-politischen Vorgang erleben bzw. bei einem historisch-politischen Prozeß mitwirken; historisch in der Rückschau gesehen, weil sich hier das Alte, das gesund ist, gesund gewachsen ist, finanziell sich tragen kann und wirtschaftlich auf jeden Fall entwicklungsreif ist, behaupten will; historisch auch in der Richtung nach vorwärts gesehen, weil es jetzt darum geht, daß wir nicht wieder in den Fehler des Mittelalters der deutschen Geschichte zurückfallen, daß in dem großen geschichtlichen Prozeß der letzten tausend Jahre die Spannung zwischen Einheit und Vielheit in Deutschland nicht zugunsten des Zentralismus, aber auch selbstverständlich nicht zugunsten einer zu weitgehenden Gliederung geht, sondern daß wir hier nach der Spannungseinheit suchen. Hier hat das Parlament zu beweisen, daß es diesen historisch-politischen Prozeß erkennt. Wenn Sie dem Gedankengang des Briefschreibers nachgehen — —
-- Ich habe selten einen so logisch aufgebauten Brief gesehen wie diesen, Herr Professor!
-- Ich freue mich sehr, daß dieser Brief gerade im letzten Augenblick gekommen ist; denn das deckt sich genau mit dem
-- ich habe ihn nicht bestellt, meine Herren —,
was ich in den Ausschußsitzungen immer wieder an Eindrücken gewonnen habe. Ich darf wohl annehmen, daß Sie bei allen Spannungen, die zwischen Ihnen und mir bestehen, Herr Professor Schmid, mir nicht den Vorwurf der Schwachsinnigkeit machen.
— Doch, das sind Spannungen! Denn hier geht es darum: Soll dem badischen Volk und der geschichtlich gewordenen Einheit das Recht auf Eigenleben gewahrt bleiben oder nicht? Die Mehrheit hat zwar im Sinne des Zentralismus, der Zusammenfassung entschieden; aber wer die wahre, richtige Spannungseinheit haben will, der kann nur dem Antrag der Minderheit stattgeben, daß dieses badische Land erhalten bleibt und daß ihm die Möglichkeit gegeben wird, sein Recht eventuell auch beim Verfassungsgerichtshof durchzusetzen; denn das badische Volk hat die Grundgedanken des Grundgesetzes auf seiner Seite, daß es geschichtlich geworden und organisch gewachsen ist, daß es finanziell seine normalen Landesaufgaben erfüllen kann und daß es wirtschaftlich einen Kraftquell in den Schwarzwaldflüssen und Schwarzwaldbächen hat, den es bisher glänzend
ausgenutzt hat und weiter ausnutzen kann. Darum beantrage ich im Namen meiner Freunde, dem Antrag der Kollegen Dr. Kopf und Dr. Jaeger zuzustimmen.