Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kiesinger irrte soeben, wenn er glaubte, das Kriterium zur Unterscheidung zwischen Opposition und Regierungskoalition sei der Sozialismus. Er hat dabei übersehen, daß die Regierungsparteien keineswegs alle nichtsozialistischen Gruppen umfassen, daß die Koalition mehrere Parteien ausgelassen hat und daß außer uns sich wahrscheinlich auch die Fraktion der Bayernpartei dagegen wehren wird, nur deswegen, weil sie nicht von der Koalition umfaßt wird, nunmehr als sozialistische Fraktion bzw. Partei angefaßt zu werden.
Aber, Herr Kollege Kiesinger, Sie sind auch darüber hinweggeglitten, daß sich gegen die Politik der Bundesregierung insgesamt wie insbesondere gegen die Politik des Herrn Bundesjustizministers, um die es hier geht, aus sachlichen Gründen — ganz abgesehen von dem Unterschied, den Sie eben als Ihre Unterscheidung von der SPD aufgezeigt haben — Einwände erheben lassen. Zunächst erscheint es mir bemerkenswert, daß bei dem an sich sachlichen Thema des Justizetats die Gemüter einigermaßen erhitzt aufeinanderprallen. Ich wundere mich darüber und bedaure es eigentlich, weil mir das an sich nicht notwendig erscheint. Aber ich glaube, es ist das die Folge davon, daß im Laufe der Zusammenarbeit hier im Bundestag in verschiedenen Fraktionen, nicht bloß in der SPD, sondern auch in anderen Fraktionen, und ich glaube sogar sagen zu können, bis weit in die Reihen der Koalitionsparteien hinein, eine zunehmende Unzufriedenheit sich breit macht darüber, daß die Politik des gesamten Kabinetts, insbesondere die des Herrn Bundeskanzlers, sich zusehends vom Hause entfernt, daß in zunehmendem Maße Politik ohne Berücksichtigung des Hauses gemacht wird. Wir erleben doch jetzt wieder die Verhinderung der Saardebatte, die Ablehnung der Erörterung einer außenpolitischen Frage, solange noch Zeit dafür wäre, Zeit auch dafür, beispielsweise noch über den Schumanplan zu sprechen. All das hängt doch da-
mit zusammen, daß in diesem Hause eine Atmosphäre verbreitet ist, die der rein sachlichen Erörterung dieser ganz entscheidenden Frage nicht nützlich ist.
— Ich weiß nicht, wer in Ihrem Lager erwartet, daß Ihre Redner Porzellan zerschlügen. Bisher hat die Opposition dazu immer nur konstruktive Beiträge geleistet,
die der Bundeskanzler nicht immer aufzufangen verstanden hat. Es ist an sich ein Zeichen eines besonders qualifizierten Politikers, die Opposition für seine Zwecke in außenpolitischen Fragen einzusetzen. Der Umstand, daß der Bundeskanzler es vermeidet, die ihn bewegenden Fragen öffentlich zu diskutieren, daß er es vermeidet, sich dieser Möglichkeit zu bedienen,. spricht nicht gerade dafür, daß er es verstünde, diesen Wind in seine Segel zu fangen.
Aber nun zum Etat des Justizministeriums. Es ist verschiedentlich gesagt worden, Herr Minister Dehler habe bei all seiner persönlichen Liebenswürdigkeit, die niemand bestreitet, eine unglückliche Hand, wenn er in der Öffentlichkeit Reden halte. Das berührt auch seine Stellung als Justizminister; denn er ist Kabinettsmitglied. Man hat den Eindruck, daß er auf diese Art und Weise, die, sagen wir einmal, Zurücksetzung abreagieren möchte, die er von seiten seines Kanzlers
— seines Chefs, sagen wir es ruhig, ebenso erfährt, wie der Kanzler sie dem Hause gegenüber an den Tag zu legen scheint.
Es ist doch eine Tatsache, daß die Kabinettsmitglieder inzwischen zu Staatssekretären aus der kaiserlichen Zeit degradiert worden sind. Sie lassen es sich gefallen. Es läßt sich diese Degradation zum Staatssekretär der kaiserlichen Zeit auch insbesondere der Herr Bundesjustizminister gefallen. Er sucht offenbar einen Ausgleich in außenpolitischen Reden, wo er sich dann am Herzen der Öffentlichkeit ausweint, um ein Zitat, das aus Ihren Reihen einmal gebraucht wurde, zu wiederholen. Man könnte auch anders sagen: er ergreift die Flucht in die Öffentlichkeit. Das ist ihm nicht immer schön gelungen. Ich glaube also, man würde diese Eskapaden am besten vermeiden, wenn man ihm einmal Gelegenheit gäbe, seine Stimme im Innern des Kabinetts etwas nachdrücklicher zu erheben.
In einem gewissen Gegensatz hierzu steht auf der anderen Seite seine Gefügigkeit in punkto Gutachten. Als ein treuer Diener seines Herrn — so hat man den Eindruck — liefert er und sein Ministerium dem Herrn Bundeskanzler jedes Gutachten, das er wünscht. Er hat immer den richtigen Mann zur Stelle, um die Zuständigkeit des Bundestages zu leugnen oder zu bejahen, die Zuständigkeit der Länder anzuerkennen oder zu verneinen. Wir haben es doch einmal erlebt, daß, nachdem zunächst ein verneinendes Gutachten vorgelegt worden war, hinterher ein bejahendes Gutachten angeboten wurde. Das spricht nicht gerade für die innere Unabhängigkeit gegenüber einer so starken Persönlichkeit, wie es der Herr Bundeskanzler im Kabinett zu sein scheint, die man doch gerade bei einem Justizminister gerne hätte.
Um so mehr muß man aber anerkennen, daß er sich bemüht hat, die Justiz als solche in ihrer Gesamtheit aus dem politischen Getriebe herauszuhalten und unabhängig zu erhalten. Ich vermag die Angriffe nicht zu teilen, die gerade gegen ihn wegen der Rechtsprechung gerichtet werden, die man mit Recht als gewisse Auflehnung gegen die Amnestie und die politischen Gedanken der Amnestie bezeichnet hat. Das gerade ihm zur Last zu legen, halte ich nicht für berechtigt. Denn letzten Endes ist das ja eine Angelegenheit der Länder. Und gerade das Hedler-Urteil, das zitiert wurde, ist in einem Lande gesprochen worden, für das weder der Justizminister Dehler noch seine Fraktion zuständig ist. Daran kann man nun einmal nichts ändern. Das ist die Folge der Unabhängigkeit der Richter. Aber man müßte von seiten des Justizministeriums — das hat ja der Herr Minister auch versprochen — noch in erhöhtem Maße und ganz anders als bisher Sorge dafür zu tragen, daß der Geist des Richtertums sich von den Zuständen entfernt, die wir zwischen 1918 und 1933 erlebt haben. Es scheint, daß einige Ansätze vorhanden sind. Denn, wo ich auch immer es bisher im Lande Nordrhein-Westfalen erlebt habe — ich spreche jetzt nicht von dem Fall Hedler —, daß untere Gerichte sich vergaloppiert hatten und daß Staatsanwaltschaften sich den Schutz der früheren Nazi-Ortsgruppenleiter und ähnlicher Größen besonders angedeihen ließen, habe ich bisher immer Vorgesetzte gefunden, die das einzurenken verstanden. Ich hoffe, daß das in anderen Ländern auch der Fall ist und nicht bloß im Lande Nordrhein-Westfalen. Ich habe auch Beschlüsse erlebt, bei denen man, wenn man sie gänzlich unvoreingenommen las, den Eindruck hatte, hier will man geradezu Sabotage an dem Amnestiegesetz-treiben, und man versucht, ob man nicht auf irgendeine Art und Weise noch im Interesse der angeblich beleidigten oder sonst zurückgesetzten Nazi an der Amnestie vorbeikommen könne. Diesen Eindruck habe ich auch gehabt. Aber dann gab es immer noch Mittel und Wege, ein übergeordnetes Gericht anzurufen, und ich habe bisher damit die besseren Erfolge gehabt. Es hat sich hier langsam von oben nach unten hin -die bessere Einsicht durchgesetzt. Wir müssen also mit einiger Geduld, allerdings auch mit öffentlicher Kritik und mit öffentlichen Erörterungen den Übelständen, wo sie noch bestehen, zu Leibe gehen. -
Mit Recht hat der Herr Justizminister schon darauf hingewiesen, daß er sich bemühen wolle, einen neuen Richtertyp heranzuziehen. Ich vermisse da-hei allerdings, daß er sich etwas näher, konkreter ausgedrückt hat. Ich will ihn hier auf das Beispiel des Landes -Nordrhein-Westfalen verweisen. Herr Justizminister Dr. Amelunxen hat sowohl öffentlich wie in seinem Ministerium kürzlich seine Intentionen dahin kundgetan, daß er den Gedanken aufgreifen will, der schon in einer anderen Konstellation einmal im Lande Nordrhein-Westfalen — im Justizausschuß — erörtert wurde, nämlich eine Strukturänderung der Gerichte selber ins Auge zu fassen und in die Hand zu nehmen, derart, daß man die Spruchrichter von den Richtern mit verwaltender Tätigkeit, den Richtern der freiwilligen Gerichtsbarkeit, unterscheidet, diese Spruchrichter, die in den Augen der Öffentlichkeit ganz anders als die verwaltenden Richter in Erscheinung treten und ganz anders im Rampenlicht der Öffentlichkeit und der öffentlichen Kritik stehen, die auch mehr mit politischen Dingen befaßt werden können und die eher mit ihnen zu tun haben, einer
ganz besonderen Auswahl unterzieht und nur hierfür besonders qualifizierte Richter nimmt. Denn längst nicht jeder gute Jurist, der ein guter Stubenarbeiter sein mag und die Rechtsprechung perfekt beherrscht, ist ein geeigneter Verhandlungsleiter, und längst nicht jeder ist ein geeigneter Fragesteller. In dieser Hinsicht muß also eine besondere Auslese und eine besondere Auswahl, allerdings auch eine besondere Schulung erfolgen. Es bietet sich hierbei auch die Gelegenheit, die Richter, die in der Öffentlichkeit eine besonders verantwortungsvolle Arbeit zu leisten haben, finanziell, gehaltsmäßig, besoldungsmäßig herauszustellen. Wir möchten dem Herrn Justizminister von unserer Fraktion aus nahelegen, mit dem Justizminister Dr. Amelunxen, der der Zentrumsfraktion im Lande Nordrhein-Westfalen angehört, Hand in Hand zu arbeiten. Denn es ist sehr schwer möglich, solche Arbeiten, die im Zuge der inneren Justizverwaltung ohne Gesetzesänderungen an sich möglich sind, bundeseinheitlich zu machen, wenn da nicht in etwa der Justizminister des Bundes seine Hand im Spiel hat.
So stellen wir uns insbesondere auch das Bestreben des Justizministeriums vor, die Rechtsprechung sowohl wie die Richter mehr in den neuen Staat einzuführen, als das bisher der Fall gewesen ist.
Gegenüber einem Vorwurf allerdings muß ich das Justizministerium, so wie es bisher aufgezogen war, in Schutz nehmen, nämlich gegen den Vorwurf der Cliquenwirtschaft. Wenn irgendeinem Ministerium, so muß ich Allerdings diesem Ministerium bescheinigen, daß ich eine Cliquenwirtschaft hier nicht feststellen konnte. Wenn man hier Herrn Globke zitiert hat, so kommt mir das so vor wie: „Reim dich, oder ich freß dich!" Ich weiß nicht, welche Komplexe — abgesehen von den früher erörterten — die SPD und ihre Sprecher veranlassen, ausgerechnet immer auf Herrn Globke herumzureiten. Es gäbe hier sehr viele andere Persönlichkeiten, z. B. den General Kreipe mit dem Blutorden
— oder wie hieß er? — und noch andere mehr, die in Bundesministerien beschäftigt werden und mit denen zu befassen sich viel mehr lohnte als mit diesem Herrn, mit dem das Justizministerium offenbar nun einmal gar nichts zu tun hat. Es ist bei anderer Gelegenheit und an anderer Stelle schon über ihn gesprochen worden.
— Wie bitte? Was hat er getan?
— Ich habe noch niemals gehört, daß er mit dem Justizministerium oder in dem Justizministerium überhaupt irgend etwas getan hat. Dann wäre es vielleicht richtig, das detailliert mit dem Herrn Minister und meinetwegen in der Öffentlichkeit zu besprechen, in welchen Punkten er denn intrigiert haben soll. Wie gesagt, es kam mir so unsubstantiiert, so nach „Reim dich, oder ich freß dich" vor.
Jedenfalls ist mir bei dem Justizministerium folgendes aufgefallen, was man leider nicht von allen Ministerien sagen kann. Wenn aus dem Justizministerium eine Antwort auf eine sachliche Frage kam, so war sie präzise und richtig. Ich spreche nicht von Gutachten; das ist eine Meinungsangelegenheit. Die Antwort war tatsachenmäßig richtig und nicht frisiert und nicht falsch gegeben. Das war leider nicht immer bei allen Ministerien so. Ich werde Gelegenheit nehmen, später bei der Erörterung eines .anderen Etats darauf I zurückkommen.
In den Ausführungen des Herrn Bundesjustizministers ist dann von seinen Absichten die Rede gewesen, den Strafprozeß zu reformieren. Nach dem, was wir bei der kleinen Justizreform gehört haben, glaube ich nicht, daß er die Absicht hat, gewisse Reformen in dem Sinne vorzunehmen, wie ich es gern haben möchte und als den Wunsch meiner Fraktion ausspreche. Gerade diese Wünsche möchte ich ihm bei dieser Gelegenheit in aller Öffentlichkeit ans Herz legen. Zunächst scheint es uns untragbar, daß man für die wichtigsten Strafsachen, wo es heute zwar nicht mehr um den Kopf, aber zum mindestens um den Kragen, um hohe und schwere Freiheitsstrafen geht, nur eine Tatsacheninstanz hat. Es mag richtig sein, daß es sehr schwer und zeitraubend und unter Umständen teuer ist, zwei Tatsacheninstanzen zu haben. Aber während man für jede nebensächliche Angelegenheit, praktisch heute noch für jede Übertretung, für jede belanglose Formalbeleidigung oder für geringfügige Veruntreuungen zwei Tatsacheninstanzen mit der Möglichkeit der Aufklärung hat, wo meistens der Sachverhalt sich in einer kurzen Verhandlung übersehen läßt und mit wenigen Zeugen festgestellt werden kann, wo praktisch die Feststellung nicht länger als eine Stunde dauert, glaubt man mit einer einzigen Tatsacheninstanz gerade dann auskommen zu können, wenn in tagelangen oder wochenlangen Verhandlungen ein umfangreicher Sachverhalt mit Dutzenden von Zeugen festzustellen ist. Man kann daher immer wieder, gerade in seiner Eigenschaft als Verteidiger, erleben, wie die tatsächlichen Feststellungen am Ergebnis der Beweisaufnahme praktisch vorbeilaufen. Das kann man dann meistens so gut wie gar nicht revidieren, außer im Gnadenweg. Mit dem Gnadenweg ist aber dem Betroffenen nicht gedient. Man hat uns seinerzeit bei der kleinsten Justizreform, die wir im vergangenen Jahr hinter uns gebracht haben, gesagt, das müßte der späteren Justizreform überlassen bleiben. Aber ich wiederhole, wir hatten dabei den Eindruck, daß die Absicht, zwei Tatsacheninstanzen zu schaffen, im Justizministerium nicht vorgeherrscht hat. Darauf lege ich großen Wert.
Ferner möchten wir Wert darauf legen, eine gewisse Waffengleichheit in der Hauptverhandlung der Strafsache zwischen dem öffentlichen Ankläger, dem Staatsanwalt, und der Verteidigung herzustellen, damit nicht in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht und erhalten bleibt — und zum Teil auch berechtigt ist —, hier liegt der Staatsanwalt in der Vorhand, hier hat der Staatsanwalt eine größere Chance. Vor dem Richter, der sich von den beiden Parteien absetzen muß, die vor ihm streiten, auch wenn die eine Partei der Staat ist, müssen die beiden Rollen gleich sein und müssen die Waffen, mit denen sie kämpfen, gleich sein. Ein beschränktes Kreuzverhör könnte nichts schaden, wenn man auch' nicht gerade das englischamerikanische System des vollständigen Kreuzverhörs hier empfehlen kann, das mehr Nachteile als Vorzüge hat.
Wenn über die Richter an sich gesprochen wird, so neigt man dazu, sie entweder mehr zu kritisieren, als sie verdienen, oder sie mehr zu loben, als sie verdienen. Beides scheint mir nicht richtig zu sein. Aber anzuerkennen ist — dafür ist keineswegs der Justizminister verantwortlich, weder im positiven noch im negativen Sinne; es sind nicht
die Richter des Bundes, von denen wir vorläufig sprechen, sondern die des Landes —, daß das Niveau der Rechtssprechung und das Niveau der Richter in Deutschland sehr erfreulich und sehr beträchtlich hoch ist. Aber das kann kein Grund sein, uns selbstzufrieden hiermit zu begnügen. Im Gegenteil, das rechtfertigt uns, nach wie vor den schärfsten und höchsten Maßstab anzulegen. Insbesondere läßt, von der technisch-juristischen Seite abgesehen, gerade in den unteren Instanzen verschiedentlich immer noch das politische Fingerspitzengefühl erheblich zu wünschen übrig, das Fingerspitzengefühl für das Leben in der Demokratie heute, da sich noch viel zu viele Leute im Richterstand außeralb der Staatsordnung gestellt sehen und glauben, auch über politische Vorgänge urteilen zu können.
Die Justiz ist von der Qualität der Menschen abhängig, die ihr dienen, nicht zuletzt auch von der Qualität der Rechtsanwälte, die ihr dienen. Damit komme ich auf die Anwaltsordnung, deren Bedeutung man nicht unterschätzen darf. Es handelt sich nicht darum, Herr Kollege Arndt — Sie sind offenbar zu lange aus der Anwaltspraxis heraus —, daß hier für die Anwälte ein Reservat geschaffen werden soll, in das keiner einbrechen darf. Das Problem wäre völlig verkannt, wenn man die Frage der Zulassungsregelung so sehen würde. Aber wenn es so uferlos weitergeht wie bisher, dann artet die Anwaltschaft dahin aus, daß sie nicht bloß für pensionierte Beamte ein Sammelbecken wird, sondern auch für die wegen Unfähigkeit oder aus anderen Gründen entlassenen Beamten. Wenn jeder sich zulassen lassen kann, der die Examina hinter sich hat, strömen alle Gescheiterten dahin. Zur Zeit ist die Anwaltschaft geradezu ein Auffangbecken für die aus politischen Gründen entlassenen früheren Nazis geworden. Das kann kein Mensch für richtig halten. Eine solche Disqualifikation des Anwaltstandes schädigt auf die Dauer nicht bloß den Beruf, sondern die Justiz.
Es kommt noch hinzu, daß auch der materielle Stand dieses Berufes von beträchtlicher Bedeutung ist. Das Niveau der Anwaltschaft in Deutschland überragt das mancher anderer Länder erheblich und entspricht insgesamt gesehen durchaus dem Niveau der Richter. Wenn man aber durch uferlose Zulassung gerade von solchen, die sich nicht Berufsanwälte nennen dürfen, sondern die sich bloß am Rande, nachträglich diesen Stand als Lückenbüßer ausgesucht haben, die wirtschaftliche Grundlage dieses Standes schwächt, dann muß man auch mit bösen Folgen rechnen, die eine wirtschaftliche Untergrabung dieses Standes bewirken können. Gerade meine Fraktion bedauert es deswegen, daß man es verabsäumt hat, unserem Gedanken einer Alters-und Notversorgung durch eine Versicherung ernsthaft näherzutreten. Wir hatten diesen Antrag am Beginn dieser Sitzungsperiode des Hohen Hauses gestellt. Ich habe mich gefreut, als von verschiedenen Fraktionen die Anregung an mich herangetragen worden ist, wir möchten den Gedanken wieder aufgreifen und dié interfraktionelle Arbeit von neuem, nicht bloß im Interesse der Rechtsanwälte, sondern darüber hinaus der freien Berufe überhaupt wieder aufgreifen. Ich bitte den Herrn Justizminister, sich auch ernsthaft Gedanken darüber zu machen, wie er zur Sicherung dieses wichtigen Zweiges der Justiz beitragen kann. Denn nach zwei Währungsreformen und zwei derart vernichtenden, existenzberaubenden Ereignissen in einer Generation muß man sich ernsthaft um das Schicksal gerade der alten, invaliden und arbeitsunfähig n Standesgenossen mehr kümmern, als es bisher geschehen ist. Man kümmert sich um zahlreiche, man möchte fast sagen, um zahllose Angelegenheiteli und ist besorgt um viele. Dieser Stand, der eine große ethische und eine große rechtspolitische Bedeutung hat, wiegt nach Zahl nur gering. Sosehr er die Angelegenheiten anderer im Auge zu haben pflegt und sosehr er sie vertritt, er versteht es im allgemeinen schlecht, seine eigenen Angelegenheiten zu vertreten. Es ist Sache des Justizministeriums, sich auch um diesen Zweig der Justiz mehr zu kümmern, als es bisher der Fall war, und ich lege das dem Mininisterium ganz besonders ans Herz.
Ganz am Rande — wir kommen später darauf zurück — sei noch erwähnt, daß die Zurücksetzung, der freien Berufe bei der Einkommensbesteuerung, die man zunächst zu einer erhöhten Lebensversicherung getrieben hat und nun darauf sitzen läßt,. ohne die versprochenen Vorteile zu halten, auch in' dieses Kapitel gehört. Der Herr Justizminister wird hiermit gebeten, sich mit seinem Finanzkollegen in Verbindung zu setzen, um diesem Übelstand, so gut es geht, abzuhelfen. Man empfindet es allgemein als Illoyalität einer Verwaltung, zunächst die hohen Ausgaben zu verursachen und dann die versprochenen, daran geknüpften Vorteile nicht zu halten. Aber das nur am Rande. Viel wichtiger ist es, zu vermeiden, durch Schwächung der wirtschaftlichen Kraft und der Existenzsicherheit eines so wichtigen Berufszweiges die Justiz und ihr Ansehen auf die Dauer zu gefährden.
Sie sehen, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch wenn man kein Sozialist ist, so braucht man sich keineswegs mit dem, was das Justizministerium bisher bei der zweifellos fleißigen und gutgemeinten Arbeit getan hat, zu begnügen. Wir haben, abgesehen von dem, was mir in der kurzen Redezeit, die mir zur Verfügung steht, zu sagen möglich ist, noch eine ganze Reihe von weiteren Wünschen anzumelden. Aber es bleibt mir jetzt nur übrig, auf den Mangel hinzuweisen, der in dieser Art der Redezeitverteilung überhaupt besteht. Es ist doch an sich maßgebend, was gesagt werden soll, und es ist maßgebend, welche Ideen man zu vertreten hat. Dabei spielt es nach meiner Meinung keine Rolle, ob diese Ideen vom Zentrum, von der CDU oder von der SPD vertreten werden. Deswegen sollte man dem Zweck des Parlaments, das dazu da ist, Gedanken, Anregungen, Kritiken und Forderungen auszusprechen, auch ernsthaft nachgehen und wenigstens in einer Etatsdebatte die Redezeit nicht so beschränken, wie es heute leider wieder geschehen ist.