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    Deutscher Bundestag — 18g. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. April 1951 5119 133. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 11. April 1951 Geschäftliche Mitteilungen 5120B Änderungen der Tagesordnung 5120C Erste Beratung des Entwurfs eines Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) (Nr. 2090 der Drucksachen) 5120C Storch, Bundesminister für Arbeit 5120C Ausschußüberweisung 5121C Zweite Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1950 (Nr. 1500 der Drucksachen): Einzelplan VII — Haushalt des Bundesministeriums der Justiz (Nr. 1908 der Drucksachen, Umdruck Nrn. 99, 130) . 5121D Erler (SPD), Berichterstatter . . . . 5121D Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 5125C Dr. Arndt (SPD) 5131D Dr. von Merkatz (DP) 5139B Kiesinger (CDU) 5141C Neumayer (FDP) 5145A Dr. Schneider (FDP) 5147C Loritz (WAV) 5149C Dr. Reismann (Z) 5151C Müller (Frankfurt) (KPD) 5154D Dr. Greve (SPD) 5156A Abstimmungen 5156D Erste, zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Wahl der Vertreter der Bundesrepublik zur Beratenden Versammlung des Europarats (Nr. 2109 der Drucksachen) 5157A Dr. Seelos (BP) 5157B Dr. Horlacher (CSU) 5158A Abstimmungen 5158B Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes betreffend die Ermöglichung der Kapitalkreditbeschaffung für landwirtschaftliche Pächter (Nr. 2091 der Drucksachen) 5158C Ausschußüberweisung 5158C Beratung des interfraktionellen Antrags betr. Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse (Umdruck Nr. 127) 5158D Ausschußüberweisung 5158D Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und eines Wirtschaftsstrafgesetzes (Nr. 2100 der Drucksachen) 5158D Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 5158D Ausschußüberweisung 5159A Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend die Aufhebung von Kriegsvorschriften (Nr. 2093 der Drucksachen) . . 5159A Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 5159A Ausschußüberweisung 5159B Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Abkommen über die Schaffung eines Internationalen Patentbüros (Nr. 2094 der Drucksachen) . . . . 5159B Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 5159C Ausschußüberweisung 5159C Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Schweden über die Verlängerung von Prioritätsfristen auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes (Nr. 2095 der Drucksachen) 5159C Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 5159C Ausschußüberweisung 5159D Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsstellung der in den ersten Deutschen Bundestag gewählten Angehörigen des öffentlichen Dienstes (Nrn. 720, 1153 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Beamtenrecht (25. Ausschuß) (Nr. 2106 der Drucksachen) 5159D Dr. Kleindinst (CSU), Berichterstatter 5159D Strauß (CSU) 5160B Arnholz (SPD) 5160B Abstimmungen 5160A, C Zweite Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1950 (Nr. 1500 der Drucksachen): Einzelplan VI — Haushalt des Bundesministeriums des Innern (Nr. 1907 der Drucksachen) in Verbindung mit der Beratung des Antrags der Fraktion des Zentrums betr. Wiederbesiedlung der Insel Helgoland (Nr. 2017 der Drucksachen), der Beratung des Antrags der Fraktion des Zentrums betr. Sicherung von Eigenturn auf der Insel Helgoland (Nr. 2018 der Drucksachen), der Beratung des Antrags der Fraktion des Zentrums betr. Bemühungen zur Freilassung von in der Ostzone inhaftierten Jugendlichen (Nr. 2019 der Drucksachen) sowie der Beratung des Antrags der Fraktion der KPD betr. Zurückziehung des Beschlusses der Bundesregierung über Maßnahmen gegen Unternehmungen, die politische Organisationen verfassungsfeindlichen Charakters unterstützen (Nr. 2099 der Drucksachen) . . 5160D Steinhörster (SPD), Berichterstatter . 5161A Dr. Hamacher (Z), Antragsteller . 5164A Renner (KPD): als Antragsteller 5164C als Abgeordneter 5189D Dr. Dr. h. c. Lehr, Bundesminister des Innern 5166A, 5172D, 5182C, 5183C, 5195C Maier (Freiburg) (SPD) 5167A Dr.-Ing. Decker (BP) 5177A Dr. Wuermeling (CDU) . . . . 5177C, 5189C Brunner (SPD) 5179B Bausch (CDU) 5180D Dr. Schmid (Tübingen) (SPD) . . 5183A Neumayer (FDP) 5184A Frau Dr. Weber (Essen) (CDU) . . 5184D Loritz (WAV) 5185C Frau Dr. Steinbiß (CDU) 5187B Brese (CDU) 5188C Kunze (CDU) (zur Geschäftsordnung) 5195D Dr. Reismann (Z): zur Geschäftsordnung 5196A zur Sache 5196C Mellies (SPD) (zur Geschäftsordnung) 5196B Weiterberatung vertagt 5197D Nächste Sitzung 5197D Die Sitzung wird um 13 Uhr 31 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Alfred Loritz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (WAV)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (WAV)

    Ich spreche nicht von der Rede hier, Herr Präsident, sondern — ich habe mich, glaube ich, ziemlich deutlich ausgedrückt — ich spreche von Reden bei Eröffnungen und Einweihungsfeiern — solche wurden ja heute schon von verschiedenen Seiten zitiert und kritisiert —, ich spreche von Reden in öffentlichen Versammlungslokalen wie in Hamburg und anderwärts.

    (Zurufe von der Mitte.)



    (Loritz)

    Meine Damen und Herren, da ist manches Wort gefallen, das der Herr Bundesjustizminister höchstwahrscheinlich gar nicht mal gesagt hätte, wenn er nicht wiederum eine „freie Rede" gehalten hätte!
    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich bitte zum Kern der ganzen Sache kommen! Ich glaube, es ist dringendst notwendig, daß der Justizminister und sein Mitarbeiterstab von der allgemeinen Politik möglichst frei gehalten werden.

    (Abg. Stücklen: Er ist aber ein politischer Minister!)

    — Er ist ein politischer Minister wie die Mitglieder des ganzen Kabinetts.

    (Abg. Stücklen: Natürlich!)

    Auch der Postminister ist ein politischer Minister.

    (Abg. Stücklen: Sie waren ja auch Minister in Bayern!)

    — Sehr richtig, Herr Abgeordneter. Ich will Ihnen aber eines sagen: Gerade der Justizminister muß mehr noch als jeder andere im Kabinett Fachminister sein.

    (Abg. Stücklen: Das eine schließt das andere ja nicht aus!)

    Meine Damen und Herren, so gibt es nur eines — dasselbe gilt für die Justizminister der Länder —: Wir müssen dafür sorgen — und das kann mit einer nicht erregten Debatte wohl besser geschehen als mit einer erregten —, daß gerade der Justizminister möglichst wenig in Parteisachen sprechen soll und daß zweitens gerade der Justizminister bei Einweihungsfeierlichkeiten usw. nicht extemporieren sollte, wenn er es nicht kann.

    (Zurufe von der Mitte.)

    Für uns ist es beim Justizetat wichtig, immer wieder eines zu betonen: Gerade auf dem Gebiet der Justiz brauchen wir das alte solide Berufsbeamtentum von vor, sagen Sie meinetwegen 1910 oder noch weiter zurück,

    (erneute Zurufe von der Mitte)

    das unabhängige Berufsbeamten- und Richtertum, das sogar dem König zu widersprechen wagte wie das Kammergericht da droben in Potsdam, das in die Geschichte eingegangen ist! Und das, was für den Richter gilt, gilt genau so für die Staatsanwaltschaft. Nichts ist schlimmer, als wenn der Staatsanwalt zum Hampelmann irgendeines Justizministers wird,

    (fortgesetzte Zurufe von der Mitte)

    ganz egal, ob er von der CDU, der SPD, der FDP oder irgendeiner anderen Partei gestellt wird

    (ironische Zurufe von der Mitte: Oder von der WAV!)

    — oder WAV oder sonst etwas, das ist ganz egal!
    Der Staatsanwalt darf nicht der Handlanger des Ministers sein! Ich kenne den Einwand, den vielleicht sofort einige Kollegen hier bringen werden: der Staatsanwalt ist den Weisungen des Justizministers untergeordnet. Ich wage zu behaupten, in politischen Sachen soll er nicht den Weisungen des Justizministers unterstehen, wenn der Justizminister irgendwie politisch allzu sehr exponiert erscheint.

    (Zuruf: Reden Sie in eigener Sache?)

    Es ist schade, daß heute über die Funktion des
    Staatsanwalts so wenig gesprochen worden ist, und
    doch ist sie die wichtigste, vielleicht noch wichtiger
    als die des Richters! Denn der Staatsanwalt ist es,
    der den ersten Anstoß gibt. Der Staatsanwalt ist
    es, der, ohne daß der Richter den Akt erst zu
    Gesicht bekommt, darüber befindet, ob ein Verfahren eingeleitet werden soll oder nicht. Nur in den allerseitensten Fällen wird ein Ermittlungsrichter da sein. Der Staatsanwalt ist der Bevölkerung gegenüber derjenige, der das Gesetz unmittelbar und primär anzuwenden hat, bevor noch der Richter mit einer causa befaßt wird. Gerade die Position des Staatsanwalts müssen Sie mehr ausbauen und unabhängiger machen und namentlich in politischer Hinsicht unabhängig machen von irgendwelchen Länder- oder Bundesjustizministern, heißen sie, wie sie wollen. Wir werden alles tun, wenn aus diesem Hause Gesetzentwürfe eingebracht werden, um die Stellung des Staatsanwalts näher zu umreißen, diese zu unterstützen. Wir behalten uns übrigens vor, hier selbst mit Gesetzentwürfen zu kommen.
    Wir warten mit Sehnsucht darauf, daß endlich einmal ein neues Strafprozeßrecht kommt, nicht bloß ein Flickwerk, wie wir es jetzt haben. Das ist, nebenbei bemerkt, nicht Ihre Schuld, Herr Justizminister, sondern das kommt aus verschiedenerlei Gründen. Wir warten mit Sehnsucht auf ein unifassendes Strafprozeßrecht, in dem der Staatsanwalt nicht mit ein paar kläglichen Paragraphlein abgespeist und in seiner Stellung skizziert wird, sondern in dem die Position des Staatsanwalts ganz klar und deutlich definiert wird.
    Die Ausbildung der Juristen! Einige Vorredner haben erkannt, und die Mehrheit des Hauses wird ihnen wohl beipflichten, daß alles auf die Ausbildung der zukünftigen Juristen ankommt. Unser Vertrauen kann nur diejenige heranwachsende Staatsanwalts- und Richtergeneration besitzen, die den Zerwürfnissen abseits steht, die uns leider Gottes jetzt schon manches Jahrzehnt hindurch getrennt haben. An ihre Ausbildung ist alle Mühe zu verwenden, und kein Geld, was darauf verwendet wird, ist irgendwie zum Fenster hinausgeworfen. Da muß ich mit einem Vorredner ein Wort zugunsten der in der Ausbildung befindlichen Juristen sagen: Es ist geradezu schandbar, was man mit diesen Leuten treibt. Die Leute können buchstäblich verhungern, wenn sie sich nicht neben ihrer so harten Tätigkeit zusätzlich, manche sogar als Trambahnschaffner oder als Boten, als Verkehrslotsen usw. täglich einige Mark dazuverdienen.

    (Abg. Dr. Orth: Den Landesparlamenten müssen Sie das sagen!)

    — Landesparlamentssache? Sehr verehrter Herr Kollege, das ist auch Sache des Bundes, und ich glaube, der Herr Justizminister wird mir hier jederzeit zustimmen, daß es Bundessache ist, allgemeine Richtlinien zu erlassen, um in Besprechungen mit den Ländern die einzelnen Ländermaßnahmen zu koordinieren.

    (Abg. Dr. Greve: Aber nicht für Trambahnschaffner!)

    — Für die Ausbildung von Juristen, Herr Kollege! Sie haben wahrscheinlich nicht richtig zugehört, was ich sagte!
    Meine Damen und Herren! Der Rechtsanwaltstand ist ebenfalls eine ganz wichtige Stütze der Justiz. In anderen Ländern thront nicht der Staatsanwalt droben und sitzt der Rechtsanwalt schön unten; in anderen demokratischen Ländern sind die zwei auf gleicher Ebene, der Herr Staatsanwalt und der Herr Rechtsanwalt! Die Ausbildung und Festigung ihrer Position ist gerade für die Rechtsanwaltschaft von allergrößter Bedeutung.
    Deutscher Bundestag — 133. Sitzurig. Bonn, Mittwoch, den 11. April 1951 5151

    (Loritz)

    )Auch hier müssen wir dem Justizministerium leider den Vorwurf machen, daß eine moderne, den Verhältnissen in den Nachbarstaaten angeglichene Rechtsanwaltsordnung bis heute noch nicht existiert. Gehen Sie mal, meine Herren, die Sie fachkundig sind, in andere Länder hinaus, schauen Sie sich die Position des Rechtsanwalts in der Schweiz oder in Frankreich, in England oder Amerika an, und Sie werden wissen, was ich meine und sagen will!
    Meine Damen und Herren! Über den Strafprozeß und das dringend notwendige neue Strafprozeßrecht habe ich schon gesprochen. Ich möchte mich nun über zivilrechtliche Fragen noch kurz auslassen dürfen.
    Wir kranken an einem Bürgerlichen Gesetzbuch, das leider in weiten Teilen veraltet ist. Ich spreche jetzt nicht von Buch 1 und 2 und 3, sondern ich spreche von Buch 4 des BGB, ich spreche von einer ganzen Reihe von familienrechtlichen Bestimmungen. Namentlich auf dem Gebiete des ehelichen Güterrechts sind die ältesten Schinken des Pandektenrechtes usw. noch im Bürgerlichen Gesetzbuch zu finden; sie gehören eliminiert und ausgemerzt neben verschiedenen anderen Dingen! Auch auf diesem Gebiete vermissen wir eine Initiative des Justizministeriums.
    Wir vermissen ebenso eine Initiative auf dem Gebiete des zivilen Zwangsvollstreckungsrechtes. Hier gibt es ebenfalls Hunderte von veralteten Bestimmungen — ich muß mir ersparen, hier in dieser Generaldebatte darauf im einzelnen einzugehen —, von denen vielleicht jeder einzelne manchen Herren des Hauses als nicht wichtig genug erscheint, die aber zusammengefaßt für die Wirtschaft und für den gedeihlichen Ablauf des Geschäftslebens einen ganz schweren Hemmschuh darstellen. Auch hier müßte das Justizministerium schon unter allen Umständen tätig gewesen sein.
    Was den Strafvollzug betrifft, so ist er ja vor allem Ländersache. Aber auch hier gilt, daß eine gewisse Koordinierung durch den Herrn Bundesjustizminister gar nichts schaden würde, denn die Strafvollzugsbestimmungen in einer ganzen Reihe von deutschen Ländern sind dermaßen veraltet, daß man sich an den Kopf greift, wie das Volk sich das noch gefallen läßt. Von moderner Strafvollziehung ist da und dort noch verflucht wenig zu spüren.

    (Abg. Hilbert: Sprechen Sie in eigener Sache?)

    — Ich bin niemals verurteilt gewesen, Herr Kollege Hilbert! Das nur, weil Sie mich fragen, ob ich in eigener Sache spreche. Aber als Rechtsanwalt und als Vertreter meiner Klienten bin ich schon hunderte Male in Gefängnisse gekommen und weiß, wie es dort zugeht. Hier spreche ich als Fachmann, der Sie auf diesem Gebiet nicht sind!

    (Anhaltende Zurufe. — Abg. Stücklen: Als Fachmann für Stadelheim!)

    Das sind einige der wichtigsten Gebiete, auf die wir das Augenmerk des Herrn Justizministers lenken möchten.
    Wir lehnen den Etat des Bundesjustizministeriums nicht etwa deswegen ab, weil wir die persönliche Integrität des Herrn Justizministers irgendwie bezweifelten. Wir lehnen ihn auch nicht deswegen ab, weil wir seinen good will und seinen Fleiß bestreiten würden. O nein! Wir lehnen ihn ab, weil leider das, was von seiten des Justizministers und seines Ministeriums geschehen ist, sachlich, in den großen Zügen, stark zu beanstanden ist. Ich erinnere nur an das bekannte Petersberg-Gutachten, ich erinnere an das Gutachten in Sachen Ruhrstatut, und ich erinnere an den Fall, der uns erst vor wenigen Tagen im Altestenrat bekannt wurde, an ein Gutachten des Herrn Justizministers, in dem sogar bestritten wird, daß irgendeinem Minister auf Grund eines Antrages in der Haushaltsdebatte sein Gehalt gestrichen werden könne. Hier wird eine Prärogative des Parlaments beeinträchtigt. Gegen diese Beeinträchtigung müssen wir uns schärfstens zur Wehr setzen. Hier müssen wir sagen: principiis obsta! Den Anfängen muß schon gewehrt werden! Deshalb können wir dem Etat nicht zustimmen. Insbesondere können und wollen wir keine Verantwortung tragen für die ganzen bisherigen Maßnahmen des Justizministers, von denen ich einige erwähnt habe.
    Meine Damen und Herren, eines dürfte doch jedem klar sein: Wenn es uns nicht glückt, die Justiz zu entpolitisieren, dann vernichten wir die Grundlage, auf der wir alle in diesem Hohen Hause stehen, ob links oder rechts, dann vernichten wir die Grundlage der gesamten deutschen Demokratie.

    (Beifall bei der WAV. — Zuruf rechts: Gut gebrüllt!)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Reismann.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Bernhard Reismann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kiesinger irrte soeben, wenn er glaubte, das Kriterium zur Unterscheidung zwischen Opposition und Regierungskoalition sei der Sozialismus. Er hat dabei übersehen, daß die Regierungsparteien keineswegs alle nichtsozialistischen Gruppen umfassen, daß die Koalition mehrere Parteien ausgelassen hat und daß außer uns sich wahrscheinlich auch die Fraktion der Bayernpartei dagegen wehren wird, nur deswegen, weil sie nicht von der Koalition umfaßt wird, nunmehr als sozialistische Fraktion bzw. Partei angefaßt zu werden.

    (Zuruf des Abg. Kiesinger.)

    Aber, Herr Kollege Kiesinger, Sie sind auch darüber hinweggeglitten, daß sich gegen die Politik der Bundesregierung insgesamt wie insbesondere gegen die Politik des Herrn Bundesjustizministers, um die es hier geht, aus sachlichen Gründen — ganz abgesehen von dem Unterschied, den Sie eben als Ihre Unterscheidung von der SPD aufgezeigt haben — Einwände erheben lassen. Zunächst erscheint es mir bemerkenswert, daß bei dem an sich sachlichen Thema des Justizetats die Gemüter einigermaßen erhitzt aufeinanderprallen. Ich wundere mich darüber und bedaure es eigentlich, weil mir das an sich nicht notwendig erscheint. Aber ich glaube, es ist das die Folge davon, daß im Laufe der Zusammenarbeit hier im Bundestag in verschiedenen Fraktionen, nicht bloß in der SPD, sondern auch in anderen Fraktionen, und ich glaube sogar sagen zu können, bis weit in die Reihen der Koalitionsparteien hinein, eine zunehmende Unzufriedenheit sich breit macht darüber, daß die Politik des gesamten Kabinetts, insbesondere die des Herrn Bundeskanzlers, sich zusehends vom Hause entfernt, daß in zunehmendem Maße Politik ohne Berücksichtigung des Hauses gemacht wird. Wir erleben doch jetzt wieder die Verhinderung der Saardebatte, die Ablehnung der Erörterung einer außenpolitischen Frage, solange noch Zeit dafür wäre, Zeit auch dafür, beispielsweise noch über den Schumanplan zu sprechen. All das hängt doch da-


    (Dr. Reismann)

    mit zusammen, daß in diesem Hause eine Atmosphäre verbreitet ist, die der rein sachlichen Erörterung dieser ganz entscheidenden Frage nicht nützlich ist.

    (Zuruf von der CDU: Aus Angst, daß zuviel Porzellan zerschlagen wird!)

    — Ich weiß nicht, wer in Ihrem Lager erwartet, daß Ihre Redner Porzellan zerschlügen. Bisher hat die Opposition dazu immer nur konstruktive Beiträge geleistet,

    (Lachen bei den Regierungsparteien)

    die der Bundeskanzler nicht immer aufzufangen verstanden hat. Es ist an sich ein Zeichen eines besonders qualifizierten Politikers, die Opposition für seine Zwecke in außenpolitischen Fragen einzusetzen. Der Umstand, daß der Bundeskanzler es vermeidet, die ihn bewegenden Fragen öffentlich zu diskutieren, daß er es vermeidet, sich dieser Möglichkeit zu bedienen,. spricht nicht gerade dafür, daß er es verstünde, diesen Wind in seine Segel zu fangen.

    (Sehr richtig! links.)

    Aber nun zum Etat des Justizministeriums. Es ist verschiedentlich gesagt worden, Herr Minister Dehler habe bei all seiner persönlichen Liebenswürdigkeit, die niemand bestreitet, eine unglückliche Hand, wenn er in der Öffentlichkeit Reden halte. Das berührt auch seine Stellung als Justizminister; denn er ist Kabinettsmitglied. Man hat den Eindruck, daß er auf diese Art und Weise, die, sagen wir einmal, Zurücksetzung abreagieren möchte, die er von seiten seines Kanzlers

    (Zurufe links: Seines Chefs!)

    — seines Chefs, sagen wir es ruhig, ebenso erfährt, wie der Kanzler sie dem Hause gegenüber an den Tag zu legen scheint.

    (Beifall beim Zentrum und bei der SPD.)

    Es ist doch eine Tatsache, daß die Kabinettsmitglieder inzwischen zu Staatssekretären aus der kaiserlichen Zeit degradiert worden sind. Sie lassen es sich gefallen. Es läßt sich diese Degradation zum Staatssekretär der kaiserlichen Zeit auch insbesondere der Herr Bundesjustizminister gefallen. Er sucht offenbar einen Ausgleich in außenpolitischen Reden, wo er sich dann am Herzen der Öffentlichkeit ausweint, um ein Zitat, das aus Ihren Reihen einmal gebraucht wurde, zu wiederholen. Man könnte auch anders sagen: er ergreift die Flucht in die Öffentlichkeit. Das ist ihm nicht immer schön gelungen. Ich glaube also, man würde diese Eskapaden am besten vermeiden, wenn man ihm einmal Gelegenheit gäbe, seine Stimme im Innern des Kabinetts etwas nachdrücklicher zu erheben.
    In einem gewissen Gegensatz hierzu steht auf der anderen Seite seine Gefügigkeit in punkto Gutachten. Als ein treuer Diener seines Herrn — so hat man den Eindruck — liefert er und sein Ministerium dem Herrn Bundeskanzler jedes Gutachten, das er wünscht. Er hat immer den richtigen Mann zur Stelle, um die Zuständigkeit des Bundestages zu leugnen oder zu bejahen, die Zuständigkeit der Länder anzuerkennen oder zu verneinen. Wir haben es doch einmal erlebt, daß, nachdem zunächst ein verneinendes Gutachten vorgelegt worden war, hinterher ein bejahendes Gutachten angeboten wurde. Das spricht nicht gerade für die innere Unabhängigkeit gegenüber einer so starken Persönlichkeit, wie es der Herr Bundeskanzler im Kabinett zu sein scheint, die man doch gerade bei einem Justizminister gerne hätte.
    Um so mehr muß man aber anerkennen, daß er sich bemüht hat, die Justiz als solche in ihrer Gesamtheit aus dem politischen Getriebe herauszuhalten und unabhängig zu erhalten. Ich vermag die Angriffe nicht zu teilen, die gerade gegen ihn wegen der Rechtsprechung gerichtet werden, die man mit Recht als gewisse Auflehnung gegen die Amnestie und die politischen Gedanken der Amnestie bezeichnet hat. Das gerade ihm zur Last zu legen, halte ich nicht für berechtigt. Denn letzten Endes ist das ja eine Angelegenheit der Länder. Und gerade das Hedler-Urteil, das zitiert wurde, ist in einem Lande gesprochen worden, für das weder der Justizminister Dehler noch seine Fraktion zuständig ist. Daran kann man nun einmal nichts ändern. Das ist die Folge der Unabhängigkeit der Richter. Aber man müßte von seiten des Justizministeriums — das hat ja der Herr Minister auch versprochen — noch in erhöhtem Maße und ganz anders als bisher Sorge dafür zu tragen, daß der Geist des Richtertums sich von den Zuständen entfernt, die wir zwischen 1918 und 1933 erlebt haben. Es scheint, daß einige Ansätze vorhanden sind. Denn, wo ich auch immer es bisher im Lande Nordrhein-Westfalen erlebt habe — ich spreche jetzt nicht von dem Fall Hedler —, daß untere Gerichte sich vergaloppiert hatten und daß Staatsanwaltschaften sich den Schutz der früheren Nazi-Ortsgruppenleiter und ähnlicher Größen besonders angedeihen ließen, habe ich bisher immer Vorgesetzte gefunden, die das einzurenken verstanden. Ich hoffe, daß das in anderen Ländern auch der Fall ist und nicht bloß im Lande Nordrhein-Westfalen. Ich habe auch Beschlüsse erlebt, bei denen man, wenn man sie gänzlich unvoreingenommen las, den Eindruck hatte, hier will man geradezu Sabotage an dem Amnestiegesetz-treiben, und man versucht, ob man nicht auf irgendeine Art und Weise noch im Interesse der angeblich beleidigten oder sonst zurückgesetzten Nazi an der Amnestie vorbeikommen könne. Diesen Eindruck habe ich auch gehabt. Aber dann gab es immer noch Mittel und Wege, ein übergeordnetes Gericht anzurufen, und ich habe bisher damit die besseren Erfolge gehabt. Es hat sich hier langsam von oben nach unten hin -die bessere Einsicht durchgesetzt. Wir müssen also mit einiger Geduld, allerdings auch mit öffentlicher Kritik und mit öffentlichen Erörterungen den Übelständen, wo sie noch bestehen, zu Leibe gehen. -
    Mit Recht hat der Herr Justizminister schon darauf hingewiesen, daß er sich bemühen wolle, einen neuen Richtertyp heranzuziehen. Ich vermisse da-hei allerdings, daß er sich etwas näher, konkreter ausgedrückt hat. Ich will ihn hier auf das Beispiel des Landes -Nordrhein-Westfalen verweisen. Herr Justizminister Dr. Amelunxen hat sowohl öffentlich wie in seinem Ministerium kürzlich seine Intentionen dahin kundgetan, daß er den Gedanken aufgreifen will, der schon in einer anderen Konstellation einmal im Lande Nordrhein-Westfalen — im Justizausschuß — erörtert wurde, nämlich eine Strukturänderung der Gerichte selber ins Auge zu fassen und in die Hand zu nehmen, derart, daß man die Spruchrichter von den Richtern mit verwaltender Tätigkeit, den Richtern der freiwilligen Gerichtsbarkeit, unterscheidet, diese Spruchrichter, die in den Augen der Öffentlichkeit ganz anders als die verwaltenden Richter in Erscheinung treten und ganz anders im Rampenlicht der Öffentlichkeit und der öffentlichen Kritik stehen, die auch mehr mit politischen Dingen befaßt werden können und die eher mit ihnen zu tun haben, einer


    (Dr. Reismann)

    ganz besonderen Auswahl unterzieht und nur hierfür besonders qualifizierte Richter nimmt. Denn längst nicht jeder gute Jurist, der ein guter Stubenarbeiter sein mag und die Rechtsprechung perfekt beherrscht, ist ein geeigneter Verhandlungsleiter, und längst nicht jeder ist ein geeigneter Fragesteller. In dieser Hinsicht muß also eine besondere Auslese und eine besondere Auswahl, allerdings auch eine besondere Schulung erfolgen. Es bietet sich hierbei auch die Gelegenheit, die Richter, die in der Öffentlichkeit eine besonders verantwortungsvolle Arbeit zu leisten haben, finanziell, gehaltsmäßig, besoldungsmäßig herauszustellen. Wir möchten dem Herrn Justizminister von unserer Fraktion aus nahelegen, mit dem Justizminister Dr. Amelunxen, der der Zentrumsfraktion im Lande Nordrhein-Westfalen angehört, Hand in Hand zu arbeiten. Denn es ist sehr schwer möglich, solche Arbeiten, die im Zuge der inneren Justizverwaltung ohne Gesetzesänderungen an sich möglich sind, bundeseinheitlich zu machen, wenn da nicht in etwa der Justizminister des Bundes seine Hand im Spiel hat.
    So stellen wir uns insbesondere auch das Bestreben des Justizministeriums vor, die Rechtsprechung sowohl wie die Richter mehr in den neuen Staat einzuführen, als das bisher der Fall gewesen ist.
    Gegenüber einem Vorwurf allerdings muß ich das Justizministerium, so wie es bisher aufgezogen war, in Schutz nehmen, nämlich gegen den Vorwurf der Cliquenwirtschaft. Wenn irgendeinem Ministerium, so muß ich Allerdings diesem Ministerium bescheinigen, daß ich eine Cliquenwirtschaft hier nicht feststellen konnte. Wenn man hier Herrn Globke zitiert hat, so kommt mir das so vor wie: „Reim dich, oder ich freß dich!" Ich weiß nicht, welche Komplexe — abgesehen von den früher erörterten — die SPD und ihre Sprecher veranlassen, ausgerechnet immer auf Herrn Globke herumzureiten. Es gäbe hier sehr viele andere Persönlichkeiten, z. B. den General Kreipe mit dem Blutorden
    — oder wie hieß er? — und noch andere mehr, die in Bundesministerien beschäftigt werden und mit denen zu befassen sich viel mehr lohnte als mit diesem Herrn, mit dem das Justizministerium offenbar nun einmal gar nichts zu tun hat. Es ist bei anderer Gelegenheit und an anderer Stelle schon über ihn gesprochen worden.

    (Abg. Dr. Arndt: Er hat im Justizministerium intrigiert!)

    — Wie bitte? Was hat er getan?

    (Abg. Dr. Arndt: Er hat im Justizministerium intrigiert!)

    — Ich habe noch niemals gehört, daß er mit dem Justizministerium oder in dem Justizministerium überhaupt irgend etwas getan hat. Dann wäre es vielleicht richtig, das detailliert mit dem Herrn Minister und meinetwegen in der Öffentlichkeit zu besprechen, in welchen Punkten er denn intrigiert haben soll. Wie gesagt, es kam mir so unsubstantiiert, so nach „Reim dich, oder ich freß dich" vor.
    Jedenfalls ist mir bei dem Justizministerium folgendes aufgefallen, was man leider nicht von allen Ministerien sagen kann. Wenn aus dem Justizministerium eine Antwort auf eine sachliche Frage kam, so war sie präzise und richtig. Ich spreche nicht von Gutachten; das ist eine Meinungsangelegenheit. Die Antwort war tatsachenmäßig richtig und nicht frisiert und nicht falsch gegeben. Das war leider nicht immer bei allen Ministerien so. Ich werde Gelegenheit nehmen, später bei der Erörterung eines .anderen Etats darauf I zurückkommen.
    In den Ausführungen des Herrn Bundesjustizministers ist dann von seinen Absichten die Rede gewesen, den Strafprozeß zu reformieren. Nach dem, was wir bei der kleinen Justizreform gehört haben, glaube ich nicht, daß er die Absicht hat, gewisse Reformen in dem Sinne vorzunehmen, wie ich es gern haben möchte und als den Wunsch meiner Fraktion ausspreche. Gerade diese Wünsche möchte ich ihm bei dieser Gelegenheit in aller Öffentlichkeit ans Herz legen. Zunächst scheint es uns untragbar, daß man für die wichtigsten Strafsachen, wo es heute zwar nicht mehr um den Kopf, aber zum mindestens um den Kragen, um hohe und schwere Freiheitsstrafen geht, nur eine Tatsacheninstanz hat. Es mag richtig sein, daß es sehr schwer und zeitraubend und unter Umständen teuer ist, zwei Tatsacheninstanzen zu haben. Aber während man für jede nebensächliche Angelegenheit, praktisch heute noch für jede Übertretung, für jede belanglose Formalbeleidigung oder für geringfügige Veruntreuungen zwei Tatsacheninstanzen mit der Möglichkeit der Aufklärung hat, wo meistens der Sachverhalt sich in einer kurzen Verhandlung übersehen läßt und mit wenigen Zeugen festgestellt werden kann, wo praktisch die Feststellung nicht länger als eine Stunde dauert, glaubt man mit einer einzigen Tatsacheninstanz gerade dann auskommen zu können, wenn in tagelangen oder wochenlangen Verhandlungen ein umfangreicher Sachverhalt mit Dutzenden von Zeugen festzustellen ist. Man kann daher immer wieder, gerade in seiner Eigenschaft als Verteidiger, erleben, wie die tatsächlichen Feststellungen am Ergebnis der Beweisaufnahme praktisch vorbeilaufen. Das kann man dann meistens so gut wie gar nicht revidieren, außer im Gnadenweg. Mit dem Gnadenweg ist aber dem Betroffenen nicht gedient. Man hat uns seinerzeit bei der kleinsten Justizreform, die wir im vergangenen Jahr hinter uns gebracht haben, gesagt, das müßte der späteren Justizreform überlassen bleiben. Aber ich wiederhole, wir hatten dabei den Eindruck, daß die Absicht, zwei Tatsacheninstanzen zu schaffen, im Justizministerium nicht vorgeherrscht hat. Darauf lege ich großen Wert.
    Ferner möchten wir Wert darauf legen, eine gewisse Waffengleichheit in der Hauptverhandlung der Strafsache zwischen dem öffentlichen Ankläger, dem Staatsanwalt, und der Verteidigung herzustellen, damit nicht in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht und erhalten bleibt — und zum Teil auch berechtigt ist —, hier liegt der Staatsanwalt in der Vorhand, hier hat der Staatsanwalt eine größere Chance. Vor dem Richter, der sich von den beiden Parteien absetzen muß, die vor ihm streiten, auch wenn die eine Partei der Staat ist, müssen die beiden Rollen gleich sein und müssen die Waffen, mit denen sie kämpfen, gleich sein. Ein beschränktes Kreuzverhör könnte nichts schaden, wenn man auch' nicht gerade das englischamerikanische System des vollständigen Kreuzverhörs hier empfehlen kann, das mehr Nachteile als Vorzüge hat.
    Wenn über die Richter an sich gesprochen wird, so neigt man dazu, sie entweder mehr zu kritisieren, als sie verdienen, oder sie mehr zu loben, als sie verdienen. Beides scheint mir nicht richtig zu sein. Aber anzuerkennen ist — dafür ist keineswegs der Justizminister verantwortlich, weder im positiven noch im negativen Sinne; es sind nicht


    (Dr. Reismann)

    die Richter des Bundes, von denen wir vorläufig sprechen, sondern die des Landes —, daß das Niveau der Rechtssprechung und das Niveau der Richter in Deutschland sehr erfreulich und sehr beträchtlich hoch ist. Aber das kann kein Grund sein, uns selbstzufrieden hiermit zu begnügen. Im Gegenteil, das rechtfertigt uns, nach wie vor den schärfsten und höchsten Maßstab anzulegen. Insbesondere läßt, von der technisch-juristischen Seite abgesehen, gerade in den unteren Instanzen verschiedentlich immer noch das politische Fingerspitzengefühl erheblich zu wünschen übrig, das Fingerspitzengefühl für das Leben in der Demokratie heute, da sich noch viel zu viele Leute im Richterstand außeralb der Staatsordnung gestellt sehen und glauben, auch über politische Vorgänge urteilen zu können.
    Die Justiz ist von der Qualität der Menschen abhängig, die ihr dienen, nicht zuletzt auch von der Qualität der Rechtsanwälte, die ihr dienen. Damit komme ich auf die Anwaltsordnung, deren Bedeutung man nicht unterschätzen darf. Es handelt sich nicht darum, Herr Kollege Arndt — Sie sind offenbar zu lange aus der Anwaltspraxis heraus —, daß hier für die Anwälte ein Reservat geschaffen werden soll, in das keiner einbrechen darf. Das Problem wäre völlig verkannt, wenn man die Frage der Zulassungsregelung so sehen würde. Aber wenn es so uferlos weitergeht wie bisher, dann artet die Anwaltschaft dahin aus, daß sie nicht bloß für pensionierte Beamte ein Sammelbecken wird, sondern auch für die wegen Unfähigkeit oder aus anderen Gründen entlassenen Beamten. Wenn jeder sich zulassen lassen kann, der die Examina hinter sich hat, strömen alle Gescheiterten dahin. Zur Zeit ist die Anwaltschaft geradezu ein Auffangbecken für die aus politischen Gründen entlassenen früheren Nazis geworden. Das kann kein Mensch für richtig halten. Eine solche Disqualifikation des Anwaltstandes schädigt auf die Dauer nicht bloß den Beruf, sondern die Justiz.
    Es kommt noch hinzu, daß auch der materielle Stand dieses Berufes von beträchtlicher Bedeutung ist. Das Niveau der Anwaltschaft in Deutschland überragt das mancher anderer Länder erheblich und entspricht insgesamt gesehen durchaus dem Niveau der Richter. Wenn man aber durch uferlose Zulassung gerade von solchen, die sich nicht Berufsanwälte nennen dürfen, sondern die sich bloß am Rande, nachträglich diesen Stand als Lückenbüßer ausgesucht haben, die wirtschaftliche Grundlage dieses Standes schwächt, dann muß man auch mit bösen Folgen rechnen, die eine wirtschaftliche Untergrabung dieses Standes bewirken können. Gerade meine Fraktion bedauert es deswegen, daß man es verabsäumt hat, unserem Gedanken einer Alters-und Notversorgung durch eine Versicherung ernsthaft näherzutreten. Wir hatten diesen Antrag am Beginn dieser Sitzungsperiode des Hohen Hauses gestellt. Ich habe mich gefreut, als von verschiedenen Fraktionen die Anregung an mich herangetragen worden ist, wir möchten den Gedanken wieder aufgreifen und dié interfraktionelle Arbeit von neuem, nicht bloß im Interesse der Rechtsanwälte, sondern darüber hinaus der freien Berufe überhaupt wieder aufgreifen. Ich bitte den Herrn Justizminister, sich auch ernsthaft Gedanken darüber zu machen, wie er zur Sicherung dieses wichtigen Zweiges der Justiz beitragen kann. Denn nach zwei Währungsreformen und zwei derart vernichtenden, existenzberaubenden Ereignissen in einer Generation muß man sich ernsthaft um das Schicksal gerade der alten, invaliden und arbeitsunfähig n Standesgenossen mehr kümmern, als es bisher geschehen ist. Man kümmert sich um zahlreiche, man möchte fast sagen, um zahllose Angelegenheiteli und ist besorgt um viele. Dieser Stand, der eine große ethische und eine große rechtspolitische Bedeutung hat, wiegt nach Zahl nur gering. Sosehr er die Angelegenheiten anderer im Auge zu haben pflegt und sosehr er sie vertritt, er versteht es im allgemeinen schlecht, seine eigenen Angelegenheiten zu vertreten. Es ist Sache des Justizministeriums, sich auch um diesen Zweig der Justiz mehr zu kümmern, als es bisher der Fall war, und ich lege das dem Mininisterium ganz besonders ans Herz.
    Ganz am Rande — wir kommen später darauf zurück — sei noch erwähnt, daß die Zurücksetzung, der freien Berufe bei der Einkommensbesteuerung, die man zunächst zu einer erhöhten Lebensversicherung getrieben hat und nun darauf sitzen läßt,. ohne die versprochenen Vorteile zu halten, auch in' dieses Kapitel gehört. Der Herr Justizminister wird hiermit gebeten, sich mit seinem Finanzkollegen in Verbindung zu setzen, um diesem Übelstand, so gut es geht, abzuhelfen. Man empfindet es allgemein als Illoyalität einer Verwaltung, zunächst die hohen Ausgaben zu verursachen und dann die versprochenen, daran geknüpften Vorteile nicht zu halten. Aber das nur am Rande. Viel wichtiger ist es, zu vermeiden, durch Schwächung der wirtschaftlichen Kraft und der Existenzsicherheit eines so wichtigen Berufszweiges die Justiz und ihr Ansehen auf die Dauer zu gefährden.
    Sie sehen, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch wenn man kein Sozialist ist, so braucht man sich keineswegs mit dem, was das Justizministerium bisher bei der zweifellos fleißigen und gutgemeinten Arbeit getan hat, zu begnügen. Wir haben, abgesehen von dem, was mir in der kurzen Redezeit, die mir zur Verfügung steht, zu sagen möglich ist, noch eine ganze Reihe von weiteren Wünschen anzumelden. Aber es bleibt mir jetzt nur übrig, auf den Mangel hinzuweisen, der in dieser Art der Redezeitverteilung überhaupt besteht. Es ist doch an sich maßgebend, was gesagt werden soll, und es ist maßgebend, welche Ideen man zu vertreten hat. Dabei spielt es nach meiner Meinung keine Rolle, ob diese Ideen vom Zentrum, von der CDU oder von der SPD vertreten werden. Deswegen sollte man dem Zweck des Parlaments, das dazu da ist, Gedanken, Anregungen, Kritiken und Forderungen auszusprechen, auch ernsthaft nachgehen und wenigstens in einer Etatsdebatte die Redezeit nicht so beschränken, wie es heute leider wieder geschehen ist.

    (Beifall beim Zentrum und in der Mitte.)