Rede von
Alfred
Loritz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(WAV)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (WAV)
Ich spreche nicht von der Rede hier, Herr Präsident, sondern — ich habe mich, glaube ich, ziemlich deutlich ausgedrückt — ich spreche von Reden bei Eröffnungen und Einweihungsfeiern — solche wurden ja heute schon von verschiedenen Seiten zitiert und kritisiert —, ich spreche von Reden in öffentlichen Versammlungslokalen wie in Hamburg und anderwärts.
Meine Damen und Herren, da ist manches Wort gefallen, das der Herr Bundesjustizminister höchstwahrscheinlich gar nicht mal gesagt hätte, wenn er nicht wiederum eine „freie Rede" gehalten hätte!
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich bitte zum Kern der ganzen Sache kommen! Ich glaube, es ist dringendst notwendig, daß der Justizminister und sein Mitarbeiterstab von der allgemeinen Politik möglichst frei gehalten werden.
— Er ist ein politischer Minister wie die Mitglieder des ganzen Kabinetts.
Auch der Postminister ist ein politischer Minister.
— Sehr richtig, Herr Abgeordneter. Ich will Ihnen aber eines sagen: Gerade der Justizminister muß mehr noch als jeder andere im Kabinett Fachminister sein.
Meine Damen und Herren, so gibt es nur eines — dasselbe gilt für die Justizminister der Länder —: Wir müssen dafür sorgen — und das kann mit einer nicht erregten Debatte wohl besser geschehen als mit einer erregten —, daß gerade der Justizminister möglichst wenig in Parteisachen sprechen soll und daß zweitens gerade der Justizminister bei Einweihungsfeierlichkeiten usw. nicht extemporieren sollte, wenn er es nicht kann.
Für uns ist es beim Justizetat wichtig, immer wieder eines zu betonen: Gerade auf dem Gebiet der Justiz brauchen wir das alte solide Berufsbeamtentum von vor, sagen Sie meinetwegen 1910 oder noch weiter zurück,
das unabhängige Berufsbeamten- und Richtertum, das sogar dem König zu widersprechen wagte wie das Kammergericht da droben in Potsdam, das in die Geschichte eingegangen ist! Und das, was für den Richter gilt, gilt genau so für die Staatsanwaltschaft. Nichts ist schlimmer, als wenn der Staatsanwalt zum Hampelmann irgendeines Justizministers wird,
ganz egal, ob er von der CDU, der SPD, der FDP oder irgendeiner anderen Partei gestellt wird
— oder WAV oder sonst etwas, das ist ganz egal!
Der Staatsanwalt darf nicht der Handlanger des Ministers sein! Ich kenne den Einwand, den vielleicht sofort einige Kollegen hier bringen werden: der Staatsanwalt ist den Weisungen des Justizministers untergeordnet. Ich wage zu behaupten, in politischen Sachen soll er nicht den Weisungen des Justizministers unterstehen, wenn der Justizminister irgendwie politisch allzu sehr exponiert erscheint.
Es ist schade, daß heute über die Funktion des
Staatsanwalts so wenig gesprochen worden ist, und
doch ist sie die wichtigste, vielleicht noch wichtiger
als die des Richters! Denn der Staatsanwalt ist es,
der den ersten Anstoß gibt. Der Staatsanwalt ist
es, der, ohne daß der Richter den Akt erst zu
Gesicht bekommt, darüber befindet, ob ein Verfahren eingeleitet werden soll oder nicht. Nur in den allerseitensten Fällen wird ein Ermittlungsrichter da sein. Der Staatsanwalt ist der Bevölkerung gegenüber derjenige, der das Gesetz unmittelbar und primär anzuwenden hat, bevor noch der Richter mit einer causa befaßt wird. Gerade die Position des Staatsanwalts müssen Sie mehr ausbauen und unabhängiger machen und namentlich in politischer Hinsicht unabhängig machen von irgendwelchen Länder- oder Bundesjustizministern, heißen sie, wie sie wollen. Wir werden alles tun, wenn aus diesem Hause Gesetzentwürfe eingebracht werden, um die Stellung des Staatsanwalts näher zu umreißen, diese zu unterstützen. Wir behalten uns übrigens vor, hier selbst mit Gesetzentwürfen zu kommen.
Wir warten mit Sehnsucht darauf, daß endlich einmal ein neues Strafprozeßrecht kommt, nicht bloß ein Flickwerk, wie wir es jetzt haben. Das ist, nebenbei bemerkt, nicht Ihre Schuld, Herr Justizminister, sondern das kommt aus verschiedenerlei Gründen. Wir warten mit Sehnsucht auf ein unifassendes Strafprozeßrecht, in dem der Staatsanwalt nicht mit ein paar kläglichen Paragraphlein abgespeist und in seiner Stellung skizziert wird, sondern in dem die Position des Staatsanwalts ganz klar und deutlich definiert wird.
Die Ausbildung der Juristen! Einige Vorredner haben erkannt, und die Mehrheit des Hauses wird ihnen wohl beipflichten, daß alles auf die Ausbildung der zukünftigen Juristen ankommt. Unser Vertrauen kann nur diejenige heranwachsende Staatsanwalts- und Richtergeneration besitzen, die den Zerwürfnissen abseits steht, die uns leider Gottes jetzt schon manches Jahrzehnt hindurch getrennt haben. An ihre Ausbildung ist alle Mühe zu verwenden, und kein Geld, was darauf verwendet wird, ist irgendwie zum Fenster hinausgeworfen. Da muß ich mit einem Vorredner ein Wort zugunsten der in der Ausbildung befindlichen Juristen sagen: Es ist geradezu schandbar, was man mit diesen Leuten treibt. Die Leute können buchstäblich verhungern, wenn sie sich nicht neben ihrer so harten Tätigkeit zusätzlich, manche sogar als Trambahnschaffner oder als Boten, als Verkehrslotsen usw. täglich einige Mark dazuverdienen.
— Landesparlamentssache? Sehr verehrter Herr Kollege, das ist auch Sache des Bundes, und ich glaube, der Herr Justizminister wird mir hier jederzeit zustimmen, daß es Bundessache ist, allgemeine Richtlinien zu erlassen, um in Besprechungen mit den Ländern die einzelnen Ländermaßnahmen zu koordinieren.
— Für die Ausbildung von Juristen, Herr Kollege! Sie haben wahrscheinlich nicht richtig zugehört, was ich sagte!
Meine Damen und Herren! Der Rechtsanwaltstand ist ebenfalls eine ganz wichtige Stütze der Justiz. In anderen Ländern thront nicht der Staatsanwalt droben und sitzt der Rechtsanwalt schön unten; in anderen demokratischen Ländern sind die zwei auf gleicher Ebene, der Herr Staatsanwalt und der Herr Rechtsanwalt! Die Ausbildung und Festigung ihrer Position ist gerade für die Rechtsanwaltschaft von allergrößter Bedeutung.
Deutscher Bundestag — 133. Sitzurig. Bonn, Mittwoch, den 11. April 1951 5151
)Auch hier müssen wir dem Justizministerium leider den Vorwurf machen, daß eine moderne, den Verhältnissen in den Nachbarstaaten angeglichene Rechtsanwaltsordnung bis heute noch nicht existiert. Gehen Sie mal, meine Herren, die Sie fachkundig sind, in andere Länder hinaus, schauen Sie sich die Position des Rechtsanwalts in der Schweiz oder in Frankreich, in England oder Amerika an, und Sie werden wissen, was ich meine und sagen will!
Meine Damen und Herren! Über den Strafprozeß und das dringend notwendige neue Strafprozeßrecht habe ich schon gesprochen. Ich möchte mich nun über zivilrechtliche Fragen noch kurz auslassen dürfen.
Wir kranken an einem Bürgerlichen Gesetzbuch, das leider in weiten Teilen veraltet ist. Ich spreche jetzt nicht von Buch 1 und 2 und 3, sondern ich spreche von Buch 4 des BGB, ich spreche von einer ganzen Reihe von familienrechtlichen Bestimmungen. Namentlich auf dem Gebiete des ehelichen Güterrechts sind die ältesten Schinken des Pandektenrechtes usw. noch im Bürgerlichen Gesetzbuch zu finden; sie gehören eliminiert und ausgemerzt neben verschiedenen anderen Dingen! Auch auf diesem Gebiete vermissen wir eine Initiative des Justizministeriums.
Wir vermissen ebenso eine Initiative auf dem Gebiete des zivilen Zwangsvollstreckungsrechtes. Hier gibt es ebenfalls Hunderte von veralteten Bestimmungen — ich muß mir ersparen, hier in dieser Generaldebatte darauf im einzelnen einzugehen —, von denen vielleicht jeder einzelne manchen Herren des Hauses als nicht wichtig genug erscheint, die aber zusammengefaßt für die Wirtschaft und für den gedeihlichen Ablauf des Geschäftslebens einen ganz schweren Hemmschuh darstellen. Auch hier müßte das Justizministerium schon unter allen Umständen tätig gewesen sein.
Was den Strafvollzug betrifft, so ist er ja vor allem Ländersache. Aber auch hier gilt, daß eine gewisse Koordinierung durch den Herrn Bundesjustizminister gar nichts schaden würde, denn die Strafvollzugsbestimmungen in einer ganzen Reihe von deutschen Ländern sind dermaßen veraltet, daß man sich an den Kopf greift, wie das Volk sich das noch gefallen läßt. Von moderner Strafvollziehung ist da und dort noch verflucht wenig zu spüren.
— Ich bin niemals verurteilt gewesen, Herr Kollege Hilbert! Das nur, weil Sie mich fragen, ob ich in eigener Sache spreche. Aber als Rechtsanwalt und als Vertreter meiner Klienten bin ich schon hunderte Male in Gefängnisse gekommen und weiß, wie es dort zugeht. Hier spreche ich als Fachmann, der Sie auf diesem Gebiet nicht sind!
Das sind einige der wichtigsten Gebiete, auf die wir das Augenmerk des Herrn Justizministers lenken möchten.
Wir lehnen den Etat des Bundesjustizministeriums nicht etwa deswegen ab, weil wir die persönliche Integrität des Herrn Justizministers irgendwie bezweifelten. Wir lehnen ihn auch nicht deswegen ab, weil wir seinen good will und seinen Fleiß bestreiten würden. O nein! Wir lehnen ihn ab, weil leider das, was von seiten des Justizministers und seines Ministeriums geschehen ist, sachlich, in den großen Zügen, stark zu beanstanden ist. Ich erinnere nur an das bekannte Petersberg-Gutachten, ich erinnere an das Gutachten in Sachen Ruhrstatut, und ich erinnere an den Fall, der uns erst vor wenigen Tagen im Altestenrat bekannt wurde, an ein Gutachten des Herrn Justizministers, in dem sogar bestritten wird, daß irgendeinem Minister auf Grund eines Antrages in der Haushaltsdebatte sein Gehalt gestrichen werden könne. Hier wird eine Prärogative des Parlaments beeinträchtigt. Gegen diese Beeinträchtigung müssen wir uns schärfstens zur Wehr setzen. Hier müssen wir sagen: principiis obsta! Den Anfängen muß schon gewehrt werden! Deshalb können wir dem Etat nicht zustimmen. Insbesondere können und wollen wir keine Verantwortung tragen für die ganzen bisherigen Maßnahmen des Justizministers, von denen ich einige erwähnt habe.
Meine Damen und Herren, eines dürfte doch jedem klar sein: Wenn es uns nicht glückt, die Justiz zu entpolitisieren, dann vernichten wir die Grundlage, auf der wir alle in diesem Hohen Hause stehen, ob links oder rechts, dann vernichten wir die Grundlage der gesamten deutschen Demokratie.