Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich will versuchen, nach den Worten des Herrn Kollegen Dr. Arndt die Ruhe zu bewahren. Wenn wir hier eine Kritik am Justizministerium üben sollen oder wollen, müssen wir uns vergegenwärtigen, wie die Situation war, als unsere Regierung ihr Amt übernahm. Nur dann, wenn wir die damaligen Zustände in Betracht ziehen, kann die Größe dessen ermessen werden, was bereits geleistet worden ist, und kann auch die Größe der Aufgabe erkannt werden, die dem Justizministerium obliegt.
Meine Damen und Herren, wie war es denn damals? Eine völlige Rechtszersplitterung, das Recht aufgerissen durch die Zonengrenzen. Wie war es weiter in unserem Volke selbst? Ich knüpfe hier an das an, was Herr Kollege Kiesinger vorhin ausführte. Etwas war zerbrochen in unserem Volk. Es war zerbrochen der Glaube an das Recht, der Glaube an die menschliche Gerechtigkeit. Und wie kam das? Das war durch die Vorgänge im „Dritten Reich" gekommen, als unter der Maske des Rechts das Unrecht Triumphe feierte. Es war dadurch gekommen, daß durch die gelenkte Rechtsprechung die Unabhängigkeit der. Richter zwar öffentlich proklamiert wurde, in Wirklichkeit aber nicht mehr vorhanden war.
Der Glaube an den Rechtsstaat, der Glaube an die Gerechtigkeit war aber auch aufs tiefste durch Maßnahmen getroffen, die nach dem Kriege eingesetzt haben. Das rechtsstaatliche Denken war zerrüttet: durch die Diffamierung unserer Soldaten, durch verschiedene Maßnahmen der Alliierten, die dem deutschen Rechtsgefühl keine Rechnung trugen, durch die Art und Weise, wie die Entnazifizierung durchgeführt wurde.
Es war auch zerrüttet durch die Einstellung einer
Reihe von Leuten in öffentliche Ämter, die zu
ihrem Befähigungsnachweis nichts mitbrachten als einen mehr oder weniger weißen Fragebogen.
Wenn man diese Zustände betrachtet, dann wird man beurteilen können, was hier schon geschehen ist. Natürlich durfte man' von einer Tätigkeit von 11/2 Jahren keine Wunder erwarten. Aber der Aufbau, den das Justizministerium zur Wiederherstellung des Rechtsstaates und damit auch zur Wiedererweckung der rechtsstaatlichen Gesinnung geleistet hat, ist wirklich bewundernswert.
Ich will hier auf die vielen gesetzlichen Maßnahmen, die zur Vereinheitlichung des Handelsrechts, des Wirtschaftsrechts, des bürgerlichen Rechts getroffen wurden, nicht im einzelnen eingehen. Lassen Sie mich nur einige große Gesetzeswerke nennen, die für das, was hier geschehen ist, grundlegend waren. Ich möchte zunächst das Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiet des Zivilprozesses, auf dem Gebiet des Strafprozesses und auf dem Gebiet der Gerichtsverfassung hervorheben. Diese Gesetze gehen von dem Grundsatz aus, daß nicht nur die Rechtseinheit wieder hergestellt werden, sondern auch die Rechtssicherheit und der Rechtsschutz des einzelnen in besonderem Maße wieder gewährleistet sein müsse. Zu diesem Zweck wurde auf die Erleichterung in der Einlegung von Rechtsmitteln und die damit zusammenhängende Rechtssicherheit und den Rechtsschutz besonderes Augenmerk gerichtet. Weiter möchte ich auf das Gesetz über den Verfassungsgerichtshof Bezug nehmen. Herr Kollege Arndt, Sie haben an diesem so schwerwiegenden Gesetz selbst mitgearbeitet, und Sie wissen, wie schwer es gerade dem Herrn Bundesjustizminister gefallen ist, seine Lieblingsidee des roulierenden Systems bei der Struktur des Verfassungsgerichts aufzugeben. Er hat aber schließlich dieses Opfer trotz inneren Widerstrebens gebracht. Und warum? Doch nur deswegen, damit eine möglichst breite Mehrheit einschließlich der Sozialdemokratischen Partei für dieses Gesetz gefunden werde, das ja einen Markstein in der Entwicklung unserer jungen Demokratie bedeutet.
— Wir haben uns alle geeinigt. Ich weise ja nur darauf hin, daß jener Vorwurf, als ob hier parteipolitische Interessen im Vordergrund gestanden hätten, völlig unbegründet ist.
Schließlich möchte ich noch auf das Gesetz über die Strafrechtsänderung, das uns bereits vorliegt, das im Rechtsausschuß aber noch nicht verabschiedet ist, Bezug nehmen und bemerken, daß auch dieses Gesetz von äußerster Wichtigkeit ist, weil es den Schutz unseres jungen Staates bezweckt. Ich kann nur der Hoffnung Ausdruck geben, daß es uns bald gelingt, dieses Gesetz zu verabschieden.
Meine Damen und Herren! Es ist vorhin gerügt worden, daß in der Frage der Kriegsgefangenen noch nicht soviel getan worden sei, wie möglich wäre. Ich möchte demgegenüber betonen, daß nach einer persönlichen Mitteilung eines Mitgliedes dieses Hauses von allen Seiten bestätigt werden kann, daß nicht nur in Belgien und Frankreich, sondern auch in den Niederlanden, in Jugoslawien und Griechenland für unsere Kriegsgefangenen alles getan worden ist. was nur irgend möglich ist, und
daß diese Kriegsgefangenen das auch selbst anerkannt haben.
Diese Rechtsschutzstelle, die beim Justizministerium eingerichtet worden ist, hat sich außerordentlich bewährt.
Es war eine der ersten Taten des Herrn Justizministers, daß er diese Stelle hier eingerichtet hat.
— Sie ist hier eingerichtet worden; sie war nicht älter — Es mag sein, daß in Frankfurt eine gewesen ist.
— Das weiß ich nicht. Aber jetzt hat der Bundesjustizminister hier in Bonn darauf gedrungen, daß eine solche Stelle sofort errichtet wird.
Ich möchte noch darauf hinweisen, daß es doch eine -Tat war, ein oberes Bundesgericht zu schaffen, so daß wir wieder die Einheit der Rechtsprechung in Deutschland erwarten dürfen. Das wird besonders dazu beitragen, den Rechtsschutz und die Rechtssicherheit zu stärken und damit auch wieder das rechtsstaatliche Denken unseres Volkes zu beleben.
— Das hat der Parlamentarische Rat gemacht. Es konnte aber, Herr Kollege Greve, erst auf Grund der kleinen Justizreform durchgeführt werden, die wir hier in diesem Hause gebilligt haben und die der Bundesjustizminister vorgelegt hat.
— Das war die Pflicht des Justizministers, selbstverständlich; aber er hat sich dieser Pflicht mit großer Eile unterzogen.